Am 28. Juli machten ich und Ella einen Spaziergang, zwei Stunden weit bis Etmissl. Im August waren hier sehr scharfe Gewitter. Am 11. August blitzte und donnerte es den ganzen Tag. Um 8 Uhr abends war das Gewitter schon ganz furchtbar und es entlud sich vom Hochschab her über die Bürgeralm und die nächsten Hochgebirge ein fürchterlicher Wolkenbruch, welcher beinahe zwei Stunden dauerte. Ich war von jeher gewohnt, abends bei Gewitter so lange aufzubleiben und wach zu sein, bis sich das Gewitter verzogen oder ausgetobt hat.
Als ich am nämlichen 11. August 1890 abends das herannahendes Gewitter bemerkte, legte ich mich in der ebenerdigen Wohnung angekleidet auf mein Bett. Gleich darauf rasselte es vor meinem Fenster, als ob mehrere Fuhren Steine abgelagert würden. Ich sprang auf und sah beim Leuchten der Blitze, wie vom Bürgergraben herab ein furchtbarer Strom Wasser daherbrauste und die grössten Bäume daherschwemmte. Wir hatten Angst, dass durch den Anprall so vieler mächtiger Hölzer, Steine und Geröll die westliche Seite des von uns bewohnten Hauses unterwaschen werden könnte, so dass ein Einsturz zu befürchten war. Daher flüchteten wir mit unseren wertvollen Sachen in die östliche Hälfte des Hauses. Grosse Massen von Bäumen, Bau- und Brennholz trug die rasende Flut mit sich und staute sich im Orte Aflenz stellenweise an den Häusern. In vielen ebenerdigen Wohnungen stand das Wasser nebst Schlamm und Geröll einen Meter hoch. Schöne Gärten wurden zerrissen und mit Geröll überschüttet. Erst am anderen Tage konnte man das wirklich grosse Unglück und die furchtbare Verheerung überblicken.
Die schönsten Felder und Wiesen wurden massenhaft mit Steingeröll überflutet. Ich ging öfters in den ziemlich bergauf liegenden Bürgergraben spazieren und zählte so weit ich kam 23 Wehre, welche (192) dafür bestimmt waren, das beim Schmelzen des Schnees oder bei Regengüssen sich sammelnde Geröll aufzuhalten, so dass es nicht in den Markt herbkomme. Nun kann man sich von der Gewalt des entfesselten Elementes einen Begriff machen, da alle obigen Wehre nebst Brücken und Stegen verschwunden sind und der Bürgergraben in ein steinernes Meer verwandelt wurde.
An einem Punkt war ein Tor mit starken Säulen, und es war ein grosses Wunder, dass sich an diesen Säulen eine grosse Masse Gerölls staute, sonst wären drei bis vier Häuser völlig zerstört worden oder weggerissen.
Diese furchtbaren Regengüsse erstreckten sich über fünf gegen Süden ziehende Täler oder Gräben: St. Ilgen, sodann Fölz-, Bürger-, Jauring- und Feistritz-Graben. Ganz furchtbar sah es in dem beinahe zwei Stunden langen, mehr eben gelegenen Fölzgraben aus. Die Strassen wurden hie und da bei 2 – 3 m hoch weggerissen. Im Fölzgraben lagen ungeheure Mengen Holz, stellenweise fast 3 - 4 m hoch übereinander geschemmt. Der Fölzbach suchte dort und da ein neues Bett. Eine Mahlmühle und die Bodenstampfe wurden ruiniert und können erst nach vielen Monaten wieder benützt werden.
Herr Graf von Meran hat in dieser Gegend grosse Jagdbarkeit und ein hübsches Jägerhaus. Zur baldigen Wiederinstandstellung der dorthin führenden und von der Überschwemmung gräulich verwüsteten Strasse hatte Graf Meran viele Arbeiter dahin beschieden. Alle vorher erwähnten Wässer nebst denen von Seewiesen und Turnau kommen im Ort Thörl zusammen. Alle Brücken daselbst bis Kapfenberg wurden zerstört. Zur Herstellung der Brücken kamen sogleich 50 Pioniere, da die Poststrasse fahrbar gemacht werden musste.
Da um diese Zeit ungefähr tausend Personen Wallfahrer nach Maria Zell pilgern wollten und alle Brücken zerrissen und die Strassen schwer beschädigt waren, musste – statt über Aflenz – ein anderer Weg über das Gebirge gesucht werden. Bis die Wallfahrer später zurückkamen, konnten sie ja bereits wieder über Aflenz marschieren.
Nicht mal die ältesten Leute konnten sich an keine so grosse Überschwemmung erinnern. Über alle vorgefallenen Verwüstungen liesse sich ein dickes Buch schreiben.
In der Hauptstrasse in Aflenz bestehen vier Brunnen. Zu diesen fliesst das Quellwasser über Röhren vom Gebirge herab. Alle die schweren Tröge bei diesen Brunnen, die zur Viehtränkung stets mit Wasser voll gefüllt waren, wurden durch die Gewalt der Wasserflut fortgeschwemmt. Die Leitungsröhren gerieten teilweise aus der Lage, so dass grosser Mangel an klarem Wasser eintrat. Der der Kirche gegenüber befindliche Brnnen hatte noch klares Wasser, da er von der Überschwemmung verschont blieb. (193) Mit grösster Anstrengung und mit Pferden mussten die Brunnentröge sogleich wieder an Ort und Stelle geschafft werden.
Aus nachbarlicher Freundschaft half ich dem Schneider Ortner einen halben Tag lang Wasser aus dem Keller zu schöpfen. Eine halbe Stunde aufwärts im Bürgergraben von Aflenz besteht ein vor mehreren Jahren in den Berg hineingebauter Keller mit Vorhalle. Auf dem geräumigen Vorplatz desselben sollte zur Unterhaltung der zahlreichen Sommerfrischler am 15. August ein Waldfest abgehalten werden. Das wurde aber wegen der Überschwemmung vereitelt und mehr als die Hälfte des Vorplatzes wurde vom Hochwasser weggerissen, so dass die verbliebene Hälfte vor einem 3 Meter tiefen Abgrunde stand. So wie alle Marktbewohner waren auch alle Sommergäste in grösster Bestürzung, daher auch mehrere der letzteren tunlichst abreisten.
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Samstag, 17. Juli 2010
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