Samstag, 9. Oktober 2010

82. Der Knabe Heinrich - Altersprobleme - Ausflüge

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     Im Jahr 1840, ich war 32 Jahre alt, hatte meine stets fleißig gewesene Frau von weißer Baumwolle für mich zwei Unterjacken gestrickt, welche mir bei meinen Reisen im Verzehrsteuerjahr sehr gute Dienste taten. Eine dieser Jacken ist seit einigen Jahren schon ganz zerfetzt, die andere ist noch einen Winter lang verwendbar.

     Als wir in Graz im 1. Sack, im Nagl'schen Haus im 4. Stock einzogen, wohnte daselbst im 4. Stock gassenseitig der Hausarzt Dr. Kammerhuber, ein sehr verständiger und braver, geschickter Herr mit Frau, einem Töchterchen und einem Knaben Otto. Im 3. Stock wohnte Schneidermeister Fröhlich, dessen Knabe Heinrich stets heraufkam, um mit Otto und unserem Sohn Eduard in der Vorhalle zu spielen, wobei der Schneiderssohn ständig kommandierte. Da sagte meine Gemahlin sehr oft, sie möchte gerne wissen, was aus diesem Knaben etwa werden würde. Und weil Heinrich stets mehr zu sein sich einbildete, so glaubte man, aus ihm werde etwas großes. Er wurde aber als das einzige Kind von seiner Mutter sehr verhätschelt, ging als gelernter Schneider in die Fremde, kam nach Paris und Berlin und hatte seine Eltern große Summen gekostet und sich dann zu Hause wenig um die Schneiderei gekümmert. Er befasste sich mit Agentschaften. Da er aber bei einem Verein als Kassier Gelder veruntreute, bekam er viele Monate Arrest.

     Otto Kammerhuber kam in die Kadettenschule zu Liebenau bei Graz. Sein Vater starb am 11. Januar 1891, 80 Jahre alt an Altersschwäche. Laut dessen Partezettel ist Otto bei der Österreischen Staatsbahn Vizedirektor und verehelicht. Die Schwester ist noch ledig.

     Wie ich schon erwähnte, dass meine Wunde wieder zuheilte, war meine Freude darüber nur von kurzer Dauer; denn die Wunde verwandelte sich wieder in einen nussgroßen Dippel, der auch schmerzte. Herr Dr. Pölz verordnete ein Bruchband, welches 3 Gulden kostete und mir vom Bandageur in dessen Wohnung am Montag nach Palmsonntag abends appliziert wurde. Während ich mich anschickte, zu Bett zu gehen und mich hinlegte, packte mich eine furchtbare Kälte, die mich während eineinhalb Stunden grässlich schüttelte. Ich verlor jeden Appetit und wurde sehr matt, erholte mich aber soweit, dass ich zu Ostern in die Kirche konnte. (198)  Die Neubehandlung des Bruchbandes ist jedoch lästig.

     Nun erkannte ich, dass die Altersschwäche bei mir sehr zunahm. Meine Tochter Marie schrieb an Herrn Dr. Eduard Neuhold, dass er mich heuer nicht nach Wien lassen solle, denn sie wollte uns diesen Sommer besuchen.

     Ich machte sonach gegen Pfingsten einen Ausflug nach Leoben zu Wawrinek und war 13 Tage dort. Da ich Lust hatte, Vordernberg zu sehen, so nahm ich eine Karte dorthin und zurück für 70 Kreuzer. Als während der Fahrt die Karten abverlangt wurden, zeigte es sich, dass ich in dem nach St. Michael und nicht nach Vordernberg fahrenden Zug Platz genommen hatte. Ich musste nun für diese Station 15 Kreuzer draufzahlen und dort zur Rückfahrt nach Leoben eine Karte zu 10 Kreuzer lösen. Ich machte mir nichts daraus; mir gefiel diese Spazierfahrt schon deshalb, weil in St. Michael immer Züge zusammenkommen, von Leoben, von Pontafel in Kärnten und vom Ennstal herab, und das bewegte Leben ist dann interessant. Da die Karte nach Vordernberg 8 Tage gültig war, so benützte ich dieselbe 4 Tage lang.

Der Knabe Viktor Sommeregger zu Leoben lernte Violine. Da habe ich für ihn im März aus purer Langeweile auf 4 Bogen Notenpapier 1 Mazurka, 3 Märsche, 16 Lieder, 2 Jagdlieder und 2 Serenaden geschrieben, wie ich solche mit meiner Flöte immer gerne spielte. Wegen meiner krummen Finger konnte ich jedoch nicht mehr die Flöte gebrauchen. Ich hatte ein gutes Musikgehör, und so blieb mir alles im Gedächtnis. Von obigen Märschen ist einer, den ich acht Jahre alt am Exerzierplatz in Graz aufgefasst hatte und erst jetzt zu Papier brachte. Unter den Walzern ist auch einer von meiner Hochzeit, die am 31. Jänner 1830 war. Alle diese 45 Jahre alten Stücke sind noch immer angenehm und ich bildete mir ein, dass es doch schade wäre, wenn dieselben ganz vergessen würden.


     Als ich mich in Leoben dem erwähnten Herrn Steuereinnehmer Sing empfahl, sagte dessen freundliche Gemahlin zu mir: »In Knittelfeld werden wir uns öfter sehen«. Hier aber in Leoben nimmt kein Mensch von mir Notiz. Ich besuchte schon sieben Gasthäuser, aber weder Wirt noch Wirtin, Kellnerin noch Gast kümmerten sich bis jetzt um mich. Mir fehlte die Gabe, mich aufzudrängen. Auch hatte ich nie den Mut, die Eheleute Sing mit meiner Wenigkeit zu belästigen. Eine Enkelin meiner verstorbenen Schwester Maria Stadler hat einen Advokaten, Beamten namens Pichler geheiratet und befindet sich seit April 1890 hier. Zu diesem Ehepaar komme ich zweimal die Woche um fünf Uhr abends auf Besuch.

     Um in den nächsten Wald zu kommen braucht man eine halbe Stunde.  (199)  Von meinem Fenster aus sieht man das eine halbe Stunde weit entfernte Schloss nebst kleiner Ortschaft Hauzenbichl. Die umliegenden Ortschaften St. Margarethen, Gobernitz, Landschach, Grosslobming, Pausendorf, Massweg, Sachendorf, Kobenz habe ich alle schon besucht.


     Mein erster weiterer Ausflug war nach Judenburg, da mich die Sehnsucht quälte, diese freundliche Stadt wieder zu sehen und einen alten Bekannten dort aufzusuchen. Als ich nämlich im Jahre 1866 mit den Grazer Turnern nach Judenburg zog (siehe Kapitel 56), wurden wir dort sehr freundlich empfangen und im Brauhaus mit einem Blumenregen überschüttet. Aus Erkenntlichkeit hierüber habe ich von den von mir gemalten 30 Biertrinkern zwei dem Turner Egid Frank geschickt, einen für ihn und einen für das Brauhaus. Frank hat nun dort das sehr gut besuchte Gasthaus »Zur Schönen Aussicht« nebst Badeanstalt. Er sagte, dass sich sein Biertrinker im Turnvereinslokal befinde. Das Bild im Brauhaus fand ich noch frisch im Goldrahmen.


     In Knittelfeld gehe ich öfters gerne zum  Bahnhof.  Dort ist ein bewegtes Leben wenn die Züge ankommen. Man kann am Perron ungehindert auf- und abspazieren. Als ich Anfang März wieder gegangen bin, sprach mich ein Herr sehr freundlich an, er wollte wissen, wie es mir in Knittelfeld gefalle. Ich konnte mich nicht an ihn erinnern und wusste auch nicht den Grund seiner Freundlichkeit zu erraten. Als ich ihn später mit dem Bezirksrichter am Bahnhof sprechen sah, ersuchte ich meinen Herrn Sohn, mir doch zu sagen, wer denn der freundliche Herr wäre. Da ich die Antwort erhielt, er sei der Herr Steuereinnehmer, konnte ich nicht begreifen, dass ich diesen Herrn von Weihnachten her nicht mehr kannte.
    
     Bei einer nachträglichen zufälligen Begegnung erbat ich mir die Erlaubnis, ihm und seiner freundlichen Frau Gemahli einen Besuch machen zu dürfen. So war ich am 15. und 22. Juni dort und übergab ihnen von meinen Landschaftsbildern 4 Stück: Quedlinburg, Terracine, Bern und Schloss Sulinica.

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( Wohlgemerkt: 
Diese Nachträge, Erinnerungen an frühere Ereignisse mit all den Details schreibt er als bald 90jähriger. Was für Gedächtnis! )
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