Sonntag, 17. Oktober 2010

83. Schmerzen beim Urinieren -- 83 Jahre alt


     Der letzte Winter 1890-91 war sehr stürmisch, überhaupt hier in Knittelfeld um zwei Grad kälter als in Leoben. Am 30. April und am 1. und 2. Mai wurde es nach vorangegangenem Regen, kalten Winden und Schneegestöber plötzlich sehr heiß, wonach sich die schauerlichen Gewässer in die Tiefen stürzten. Dazu kam noch anhaltender schwerer Regen, so dass eine furchtbare Überschwemmung entstand und gräulichen Schaden anrichtete. Das ganze Murtal glich stellenweise einem See. In der  Gemeinde Weinzödl bei Graz wurde an Grundstücken und Gebäuden arger Schaden angerichtet. Die Weinzödl-Brücke wurde so ruiniert, dass dieselbe erst ab Mitte Juli für Fußgänger und nur bei Tag passierbar war.  (200)  Alle Wehre für die Floßfahrt und zu den beidseitigen Mühlgängen, um deren Brücken stromabwärts, wurden von den Gewalten des Hochwassers zerrissen. Zur Unterstützung der am meisten beschädigten Insassen von Weinzödl wurde in der Industriehalle zu Graz ein großartiges Konzert abgehalten. Die traurige Witterung, trüb, kühl und Regen dauerte fast den ganzen Juni.


     Meine Tochter Marie schrieb am 22. Juni 1891 aus Franzensbad in Böhmen , dass die Witterung dort bis jetzt immer sehr kritisch war, stets kalter Wind und Regen und wenig heitere Tage. Daher seien auch viel zu wenig Badegäste anwesend. Später schrieb sie mir, dass sie mit ihrer Herrschaft, Frau von Brentano samt dem herzigen Knaben am 12. Juli das Bad verlassen und nach Wien und dann auf das Gut in Schönbichl bei Melk reisen werde und von dort aus zu uns nach Knittelfeld auf Besuch kommen wolle.

     Am 18. Juli 1891 fuhr nun meine Tochter mit der Westbahn von Melk nach Amstetten und von dort per Staatsbahn über Admont etc. nach St. Michael und kam abends halbsechs an, hielt sich am 19. Juli, einem Sonntag, bei uns auf, und ich ging mit ihr zum Männergesangskonzert im Kindergarten. Am 20. früh fuhr sie weiter nach Leoben und ich fuhr mit. Es drängte sie, die seit fünfeinhalb Jahren nicht mehr gesehenen Eheleute Wawrinek zu besuchen. Da der Urlaub nur vier Tage dauerte, ist Marie Schidan am 21. Juli früh um 5 Uhr abgereist über St. Michael, Asmont, Amstetten nach Melk. Von dort musste sie nach Schönbichl eine besondere Gelegenheit benützen.


     Am 22. Juli fuhr ich per Bahn früh um halbsieben von Leoben nach Graz, hin und zurück für 2 Gulden 65 Kreuzer. Ich besah mir die Stadt mit vielen Neubauten und der herrlichen neuen Brücke. Ich machte Besuche am Grab meiner mir unvergesslichen Gemahlin und bei Bekannten. Mein Nachtlager hatte ich zweimal im Hause der Frau Resler, welche bei meiner Hochzeit am 31. Januar 1830 als Brautjunger fungierte. Jetzt war sie altersschwach und hinfällig, zum Erbarmen. Ich musste ihr versprechen, zu ihrem Begräbnis zu erscheinen. Aber wer kann es wissen, ob nicht ich vorher abgerufen werde, da ich um vier Jahre älter bin.

     Am 25. Juli wollte ich auf den schönen Schlossberg, da sich aber ein Landregen einstellte, fuhr ich per Bahn um 1 Uhr Mittag wieder nach Leoben, wo ich nachmittags um 4 ankam und wegen des vielen Regens vom Bahnhof in die Stadt mit dem Omnibus fuhr.

     (201)  Am 25. Juli kam von Wien über Amstetten, Admont etc. die Gattin des Arztes Rauch aus Graz mit dem Töchterchen Hermine zu Wawrinek auf Besuch. Ich blieb noch zwei Tage dort und begab mich am 27. Juli nach Knittelfeld, wo ich um halbacht abends ankam und von meinen Angehörigen freundlich bewillkommt wurde. Die waren zufällig am Bahnhof.

     Am 26. August 1891 machte ich wieder einen Spaziergang nach Grosslobming, am 27. August zum Bad Rachau, zwei Stunden weiter. Am 13. September war ich in dem drei Stunden von hier entfernten auf einem hohen Berg gelegenen Ort Seckau. Am 27. September fuhr ich per Bahn nach Zeltweg für 10 Kreuzer und ging dort eine halbe Stunde zur Brauerei Forrach. Am 6. Oktober war ich wieder in Zeltweg und ging von dort fünfviertel Stunden nach Weisskirchen. An jedem dieser Orte verzehrte ich bloß ein Glas Bier und eine Semmel, denn ich fühlte keine weiteren Bedürfnisse.

     Die Monate September und Oktober waren sehr lieblich, aber am 29. Oktober bis zum 2. November fiel recht viel Schnee. Dann war es mehrere Tage frostig mit kaltem Wind, danach wie lau.

     Am 9. November fühlte ich Schmerzen beim Urinieren und Herr Dr. Pölz erklärte meinen Zustand als Blasenkatharr. Ich konnte das Entstehen desselben nicht ergründen und musste zur Vermeidung aller sauren Speisen und aller Getränke nur Tee aus der Apotheke zu mir nehmen. Leider nahmen in mir alle Kräfte so ab, dass es noch ein Wunder war, wenn ich noch am Leben bin. Harthörigkeit, Augenübel, und Krampf in den Beinen belästigten mich schon seit mehreren Jahren. Und seit einem Jahr quälte mich ein kleiner Schmerz am unteren Teil des Rückgrats, der oft verhinderte, dass ich ganz aufrecht gehe.

     Nachdem ich heute, den 4. Dezember 1891, 83 1/2 Jahre alt bin, darf ich mich über Altersschwäche nicht zu sehr grämen.
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