Donnerstag, 8. April 2010

61. Unser Sohn Eduard

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(151)  Nun begann wieder eine neue Wirtschaft. Ich musste beim Couvertmachen meinen Fleiss verdoppeln, doch konnte ich nicht so viele erzeugen, als ich hätte verkaufen können. Mehrere Herren Advokaten, die mich von der Kanzlei her kannten, und Kaufleute waren meine grössten Abnehmer. Nebenbei machte ich Kartandeln in allen Grössen, Aktendeckel und noch Verschiedenes. Nach Errichtung neuer Grundbücher erhielt ich durch Vermittlung meines Sohnes von den Bezirken Umgebung Graz, Voitsberg, Arnfels, Radkersburg und Leibnitz Arbeiten zum Zerschneiden der in den Jahren 1823 und 1824 errichteten Katastermappen, welche in 4 Quadraten auf Kattun aufkaschiert und zusamengelegt wurden. Zu jeder Mappe gehörte ein Futteral, deren ich über 200 machte. Ich hätte mich gerne um diese einträgliche Arbeit für andere Bezirke gekümmert, aber ich getraute mich nicht von Graz fort, um bei meiner armen Frau nicht in den Verdacht eines vermeintlichen Seitensprunges zu geraten.

 
 Gemälde (Guache) von Johann Neuhold. Original bei Brigitte Winkler in München

     In den Wohnungen in der Klosterwiesgasse und im Ersten Sack benützte ich jeden Augenblick zum Malen. Ohne je von einem Maler einen Pinselstrich gesehen zu haben, zeichnete ich die in illustrierten Blättern vorkommenden Landschaften nach und malte nach eigener Idee mehr als 20 Landschaften und Bilder mit Karikaturen. Im Jahr 1870, nach dem Krieg zwischen Frankreich und Deutschland, war in den Münchner Fliegenden Blättern ein Bild, wie der Kaiser Wilhelm mit Napoleon spazieren geht und beide sich nach der Seite betrachten, als ob sie sagen wollten, wer von uns war in diesem Kriege der Gescheitere? Von diesen Bildern machte ich bloss die ausdrucksvollsten Gesichter in Lebensgrösse in Tuschmanier nach, acht Stück à 1 Gulden, welche reissend abgingen.

Wenn ich momentan 100 Stück gehabt hätte, würden alle wegen Portrait-Ähnlichkeit anzubringen gewesen sein. Besonders die Spitzbuben-Physiognomie des Napoleon gelang mir vortrefflich. Es war oft ein harter Kampf zwischen Pflicht und Liebe. Pflicht wäre es von mir gewesen, mit meiner lieben Frau noch mehr spazieren zu gehen, aber die unglaubliche Liebe zur Malerei erhielt manchmal die Oberhand. Mehrseitig erhielt ich die Versicherung, und spürte es auch in mir, dass ich es zu einem Künstler gebracht haben würde, wenn ich in einer Akademie hätte ausgebildet werden können.

     Dem im Jahre 1853 als Ladenwirt auf der Ries gekommenen Herrn Slawitsch hatte ich zum Andenken 19 Figurenbilder verehrt. Jeder Gast, der mich von früher her kannte, erzählte mir, dass er dort meine Bilder gesehen, die ihm gefallen hatten. Wenn ich in Zeitungen gelesen hatte, dass aus einem armen und unscheinbaren, aber zur Malerei talentvollen Knaben ein berühmter Künstler wurde und zu Vermögen und  (152)  hohem Ansehen gelangte, da fühlte ich wohl namenloses Wehe und unaufhörlich flossen die Tränen. Ich erkannte mit Traurigkeit, dass mein ganzes Leben verhunzt war, denn die Passion und Vorliebe zur Malerei peinigte mich noch immer, obwohl ich schon seit 9 Jahren wegen dem Zittern keinen Pinsel mehr in Händen hatte und dieses Lieblingsvergnügen nicht mehr durchführen konnte.

     Nachdem unser Sohn Dr. Eduard Neuhold von der Turnerei zur freiwilligen Feuerwehr überging und dabei Schriftführer geworden ist, wurde er nach allen Seiten mit den Feuerwehren teils schriftlich und teils persönlich bekannt. Unter den erwähnten drei Gürtler-Gesellen war auch der nun Meister, Hausbesitzer und Gemeinderat Rosenbauer in Linz, welcher sich erkundigte, ob der in den Feuerwehrschriften benannte Dr. Neuhold ein Abkömmling jener Familie von der Ries wäre. Auf ein Schreiben hierüber kam Rosenbauer nach Graz. Er war ein schöner, fetter Mann mit prächtigem Vollbart. Als wir mit ihm zum Hilmteich spazierten, konnte er am Rückweg sich gar nicht enthalten, unsere Tochter als Bekannte recht abzuküssen.

Unser Sohn Eduard wurde auch mit dem Feuerwehr-Hauptmann Watzka, Ingenieur in Bruck, bekannt. Als dieser nach Graz als k.u.k. Staatshalterei-Ingenieur übersiedelte und selbst in der Naglergasse eine prachtvolle, geräumige Villa erbauen liess, wurde die Bekanntschaft fortgesetzt und Eduard verlobte sich mit der ältesten, 24jährigen Tochter Auguste.

     Wir wurden zur Hochzeit geladen. Ich aber bedeutete meiner verehrten Gattin, dass wir lieber zu Hause bleiben wollten, da wir in eine so vornehme Gesellschaft nicht passten. Die gute Frau hatte jedoch den Wunsch, dabei zu sein. So musste für sie und Marie erstklassige seidene Kleider angeschafft werden, welche bei einer renomierten Kleiderhändlerin am Mehlplatz zu erhalten waren. Für die arme Frau mussten wegen ihrer geschwollenen Füsse besonders passende Schuhe gemacht werden.


     Am 17. August 1882 wurden wir vom Fiaker abgeholt. als wir die arme Frau in den Wagen hoben, fiel sie bei der Schwere und Unbeholfenheit hinein, und wir samt Kutscher hatten grosse Mühe, sie auf ihren Sitz zu bringen. Die Zusammenkunft aller Geladenen war in der Villa. Vier pensionierte Hauptleute in Uniform, dann Herr Major Plank in Parade, dessen Schwestern und viele Damen und Herren waren zugegen. Als sich alle zur Abfahrt bereiteten, war mit meiner Frau beim Einsteigen die ähnliche Tour. Der Herr Sohn Watzka stieg von der anderen Seite in den Wagen und half der armen Frau hinauf. Der Zug ging dann in 14 Wägen über Umwege zur Domkirche. Bei solchen Gelegenheiten versammelte sich in und vor der Kirche immer ein grosses Publikum. (153)  Als ich meine liebe Frau aus dem Wagen hob und ihre geschwollenen Füsse bemerkt wurden, lachte das unverschämte Volk, was mir im Herzen sehr weh tat. Ich hatte sehr lange zu tun, meine nassen Augen zu trocknen.

     Herr Domherr Hebenstreit vollzog die eheliche Verbindung. Nach derselben fuhr die ganze Gesellschaft zum Hotel Daniel, wo ausgezeichnete Tafel war. Hier wurde ein dreifaches Fest abgehalten, nämlich die silberne Hochzeit der Eltern Karl und Anna Watzka, dann die Ernennung des Sohnes als k.u.k. Notar zu Arnoldstein in Kärnten und die Heirat der Tochter Auguste mit Dr. Eduard Neuhold.

     Bei Tische behagten mir und der lieben Frau Rheinlachs und Aal am besten. Von der ganzen noblen Gesellschaft wurden wir schon wegen des ungeheuren Alters mit aller Aufmerksamkeit behandelt. Um 11 Uhr nachts fuhren wir nach Hause.

     Oberhalb unserer Wohnung nahm Eduard eine solche im 2. Stock, welche der Herr Watzka pracchtvoll einrichten liess. Das von Eduard innegehabte Zimmer wurde an zwei Advokatensöhne von Arnfels und Völkermarkt vergeben. Als diese studierte hatten, erhielt  eine Beamtenwittwe aus Ungarn, Frau Konlitz, das Zimmer.

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Kommentar von Eberhard Winkler - 9. April 2010:

Der Eduard ist der Vater einer meiner beiden Grossmütter, der Grete Winkler, geb. Neuhold, also einer meiner 4 Urgrossväter. 
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