Montag, 26. April 2010

65. Besuche in Mureck - Gaunereien - Umzug nach Aflenz

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     Am 29. August 1885 quälte mich die Sehnsucht, die neue Eisenbahn von Spielfeld über Mureck nach Radkersburg zu sehen. Bei dieser Gelegenheit wollte ich alte Bekannte besuchen. In Mureck kam ich zu dem erwähnten Kaufmann August Kolettnig, obwohl der noch mehr taub und altersschwach als ich war. Dann besuchte ich den Gürtlermeister Robertin und hatte erfahren, dass die erwähnte Lederermeisterstochter Marie Steurer, nun verwitwete Sattlermeisterin Tesch, ganz von Almosen lebte. Nachdem ich bei unserem Aufenthalt in Mureck von 1833 bis 1839 im Hause des Herrn Simon Steurer immer gut aufgenommen wurde, so hatte ich – damals wegen Verzehrsteuergeschäften selbst oft nach Mureck kommend – den Herrn Steurer ersucht, mir jedesmal bei ihm Unterkunft zu gewähren, statt dass ich in Gasthäusern einkehrte. Wir wurden uns um 10 Kreuzer conv. Münze für jedes Frühstück oder Mittagsmahl oder Nachtmahl samt Bett einig.


     (161)  Oben genannte Tochter hatte damals die Hauswirtschaft geführt und war stets um mich besorgt. Da obige 10 Kreuzer gegen die Kosten in gar keinem Verhältnis waren, hatte ich beschlossen, einst nach Möglichkeit eine kleine Vergütung zu leisten.

     Als ich um 8 Uhr früh per Bahn in Mureck ankam und von Gürtlermeister Robertin wegging, regnete es sehr stark. Ich flüchtete mich in die uns gehörig gewesene Besitzung, derzeit ein Gasthaus. Bei der Reparatur dieses Hauses hatte ich an der Aussenseite des Eingangs ein hübsches Portal selbst gemacht, mit oben verzierten Säulen und oberhalb im Gesimse in erhabener Arbeit die ineinenander verschlungenen Buchstaben unserer Namen mit der Jahrzahl in Eichenholz angebracht.

     Im Gastzimmer hing in schönem Goldrahmen der einst dem erwähnten Anton Steurer spendierte Biertrinker. Als ich das gut erhaltene Portal betrachtete, sagte ein im Vorhaus befindliches kleines Mädchen: «Der Vater hat es erst neu angestrichen».

     Ich hätte so gerne die Witwe Tesch besucht, aber der strömende Regen machte mich so misslaunig, dass ich mit dem Mittagszug zurück nach Leibnitz fuhr, wo ich bei dem erwähnten Franz Neupert einkehrte und erst den andern Tag abends wieder in Graz ankam. Gleich darauf sandte ich der armen Witwe Tesch 2 Gulden und zu Weihnachten wieder 2 Gulden. Dem Herrn Knaupert schickte ich das Bild «Die Stadt Zweibrücken», nahe der Grenze zum Elsass, dem Geburtsort seines Vaters Valentin Knaupert, dann das Bild, wie der Kaiser mit der Kaiserin auf dem Starberger See spazieren fährt und dabei ihr Vater die Zither spielt. Einige Tage nach der Rückreise von Mureck las ich in der Zeitung über den Todesfall des August Kolettnigg. Er starb 79 Jahre alt.

     Unzählig viele alte Bekannte starben schon, die meisten in den 70er-Jahren, was mich oft mit Schaudern erfüllte. Wenn ich zurückdenke, dass in den bei Dr. Wasserfall zugebrachten 20 1/2 Jahren aus dessen Kanzlei 9 Schreiber, und in den 9 Jahren bei Dr. Reddi 5 Schreiber mit Tod abgingen, so ist es augenscheinlich die Gnade Gottes und ein grosses Wunder, dass ich nach so vielen harten Arbeiten und mit meinen Leibes- und Seelenkrankheiten noch lebe.

     Wie oft überfällt mich Traurigkeit um meine so heiss und innig geliebte Gattin, und wie schmerzlich ist es, dass sie den Zweifel an meiner Redlichkeit mit ins Grab nahm. Der Schmerz bleibt mir unvergänglich, dass ich nicht imstande war, meine liebe, hochherzige Gattin so glücklich zu machen, als sie es nach ihren wahrhaft echten  (162)  weiblichen Tugenden wirklich verdient hätte. Bei meinem Bette hängt ihr von mir im Jahre 1838 verfertigtes Portrait. Wenn ich dasselbe früh beim Aufstehen und abends beim Schlafengehen mit Innigkeit betrachte und unzählige Male küsse, fallen wohl viele Tränen auf das Glas.

     Ich habe hier noch einiges nachzutragen: Als mein Vater den erwähnten Postdienst wieder verlassen hatte, kam er in das Barmherzigenspital als Krankenwärter und dann nach Gösting zum Grafen Attems.

     Als ich bei der erwähnten Verzehrsteuer-Pachtung bedienstet war, hatte ich einst in der Kanzlei der Herrschaft Halbenrain zu tun, deren Verwalter Wilhem Schlegl und sein Schreiber Auer Erzgauner waren. Ein Bauer liess durch diesen Verwalter ein Sparkassen-Darlehen per 1000 Gulden durch intabulierten Schuldschein erwirken. Da auf dem Bauerngrunde sonst nichts haftete, so fälschte der Verwalter einen Schuldschein auf 1000 Gulden und steckte diese Summe ein, wofür die Zinsen von ihm bezahlt wurden.

     Nach einigen Jahren hatte der Bauer seine Schuld von 1000 Gulden zurückgezahlt und erhielt hierfür von der Sparkasse die Quittung. Als der Verwalter wegen sonstigen Schlechtigkeiten im Arreste sass und sonach für die zweiten 1000 Gulden niemand die Interessen (Zinsen) gezahlt hat, wurde der Bauer von der Sparkasse angeklagt. Dieser, hierüber erschreckt, zeigte derselben die Quittung. «Ja», sagte Dr. Kaiserfeld, «diese lautet auf die ersten 1000 Gulden, aber die Klage bezieht sich auf die zweiten 1000 Gulden». Nun kam die Spitzbüberei des Verwalters auf, wobei Auer gewissenlos mitgeholfen hat. Ich war eben in der Kanzlei, als dieser einen eingebrachten Tabakschwärzer ins Verhör nehmen wollte. «Was?» schrie der Schwärzer, «Sie wollen mir was sagen? Wissen Sie noch, dass ich Ihnen spinnen lernen musste, als sie 2 Jahre im Zuchthaus waren?» Auer warf die Feder weg und eilte hinaus. Wie die Sache mit obigen 1000 Gulden ausging, hatte ich jedoch nicht mehr erfahren.

     Mein Sohn, Dr. Eduard Neuhold, welcher bereits mehrere Jahre als Gerichtsadjunkt beim k.u.k. Landesgericht war, kompetierte nacheinander um die Bezirksrichterstelle in Friedberg, Neumarkt, Kirchbach und Aflenz in der Obersteier. Der Bezirksrichter im letztgenannten Orte, Josef Maier, wurde nach Kirchbach, 3 Meilen östlich von Graz versetzt, und mein Sohn erhielt die Bezirksrichterstelle in Aflenz . Da meinte er, ich solle mit ihm ziehen und bei ihm Ableben haben, dass ich in meinem 78. Lebensjahre einige Ruhe benötigte.


     Vom Jahr 1877 bis 19. Oktober 1885 habe ich im ganzen 381961 Kuverts aller Grössen erzeugt und verkauft und dafür 1780 Gulden 10 Kreuzer eingenommen. (163)  Die besonderen Einnahmen für Mappen, Aktendeckel, Kartandl etc. haben 360 Gulden 88 Kreuzer betragen. Die monatlichen Ausgaben für Papier, Pappendeckel, Gummi, Stärke, Leim, Pinsel, Scherenschleifen etc., für die obigen Geschäfte beliefen sich durchschnittlich auf 9 Gulden 81 Kreuzer. Aber niemand fiel es ein, mich um diese wenigen Erträgnisse zu beneiden oder zu beanstanden.

     In einem von Linz anwesend gewesenen sehr grossen Möbelwagen wurde die ganze Einrichtung des Sohnes mit 4 starken Pferden zum Bahnhof expidiert. Meine Habseligkeiten und das Küchengeschirr des Sohnes kam besonders verpackt zur Bahn.

Am 20. Oktober 1885 sind nun Eduard, dessen Gemahlin, 2 Kinder, ich und die Magd per Bahn nach Kapfenberg und von dort mit der Post nach Aflenz, wo wir mittags um 1 Uhr eintrafen. Wir mussten aber im Hotel zur Post so lange bleiben, bis sämtliche Möbel eintrafen.

Am 21. Oktober übernahm Herr Dr. Neuhold die Amtsgeschäfte und abends war im Hotel zur Post zu Ehren des fortziehenden Bezirksrichters Maier ein grosses Abschiedsfest. Am 22. Oktober kam über die Anhöhe herauf der mit 8 kollosalen Pferden bespannte, grosse Möbelwagen, mit welchem dann die Einrichtung des Herrn Maier nach Kirchbach befördert wurde. Am 24. kam das Übrige aus einem Leiterwagen nach. Da gab es nun viele Arbeit, alles in Ordnung in 4 Zimmern herzustellen und die Küche einzuräumen, wobei sich die Frau Gemahlin des Sohnes in folge Anstrengung eine Unpässlichkeit zuzog und mehrere Wochen im Bett bleiben musste.

     Ich danke dem lieben Gott, dass ich – Altersschwächen abgerechnet – noch so halbwegs gesund und bei Appetit bin. Bisweilen hab ich mit einem Herzkrampf und Krampf in den Füssen bei der Nacht zu leiden. Solche Gebrechen sind in meinem Alter unvermeidlich und geduldig zu erleiden.
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