Donnerstag, 29. April 2010

66. Meine Zeit in Aflenz

      .
     Im Jänner 1886 starb der erwähnte, berühmte Schmölzer in Kindberg. Infolge der von der bereits erwähnten Familie Puff angestellten Ränke, Intrigen und Verdriesslichkeiten konnte es der Hayek mit Gattin und der Enkelin Ella im Geschäft des Herrn August Klein nicht mehr aushalten. Er fand in Wien eine andere Anstellung.

     Am Montag, den 22. Feber 1886 reiste Ella samt Kind und meiner Tochter Marie dorthin nach. Die unentbehrlichsten Einrichtungsstücke wurden einige Tage vorher per Bahn expidiert. Der erwähnte Viktor, Sohn meiner Tochter, hatte die Schneiderprofession erlernt. Beim Laibacher Regiment hat er drei Jahre zugebracht und kam vor einigen Jahren als Reservemann nach Graz. Dort trat er der freiwilligen Turner-Feuerwehr bei, wo er einer der verwegendsten, tollkühnsten und einer der ausgezeichnetsten Turner war. Er schloss sich dem Gesangsverein Liederkranz als Sänger an. Seinen Erwerb hatte er bei der Schneiderei. (164)  Wo irgendeine Unterhaltung war oder ein Jux zu stiften gewesen ist, war er einer der Hauptveranstalter. Dieser Viktor war seit 22. Feber 1886 beim grossartigen Stahlwerk des Baron Rothschild zu Wilkowitz in Mähren gegen monatliche 48 Gulden als Beamter angestellt.

     Ich kann nicht umhin, auch von der erwähnten Julie Deanino zu erzählen. Ihr Vater war Kaufmann in Mureck. Ihr Bruder lebte dort als Winkelschreiber, ein zweiter Bruder lebt in Graz als pensionierter städtischer Kassier. Eine Schwester war immer Wirtschafterin bei Herrschaften, und eine Schwester war die sehr vermögliche Witwe Berger, aus deren Grundbesitz in Graz der Volksgarten entstanden ist. Julie hatte zwei kleine Stunden von Mureck einen schönen Wein- und Obstgarten, von wo für unser Gasthaus in Mureck der allerbeste Most bezogen wurde.

     In ihrer Nähe war der Winzerssohn Johann Neuhold, der von Schelmereien als Maurerlehrjunge, 18 Jahre alt, in Radkersburg davongejagt wurde. Seither arbeitete er in Weingärten fleissig und kenntnisvoll, war ein Spassvogel ohne gleichen und besorgte bei der Realität der Julie Deanino alle nötigen Geschäfte. Sie war eine sehr mitleidige Dame, bereitete aus Barmherzigkeit Medikamente für arme Kranke. Nach ihrer Behauptung, dass das Herz nicht alt werde, heiratete sie mit 50 Jahren diesen Burschen.

     Sie brachte es so weit, dass der beim Maurermeister in Radkersburg seine Lehrzeit vollendete und gab ihn in Graz in die Zeichenschule des Baumeisters Lindner, wo er nach erwachten Talenten solche Fortschritte machte, dass er nach kurzer Zeit in Marburg selbst Maurermeister wurde. Er stellte bei der Errichtung der Eisenbahn daselbst für die Südbahn sehr viele Bauten her. Davon konnte er sich zwei Häuser erwerben und nahm im tollen Übermute eine Zuhälterin bei sich auf. Wenn seine geduldige Frau nach Marburg kam, gab er sie für seine Mutter aus.

     Nach einiger Zeit wurde er wegen eines grossen Betruges gegen die Südbahn überführt und auf zwei Jahre Kerker verurteilt. während dieser Zeit besorgte er in allen kaiserlichen Kanzleien das Weisseln und Reparaturarbeiten, da er nur des nachts im Arrest war. Am letzten Tag seiner zwei Jahre Kerker war er mit Weisseln der Stiegen im Landsgericht beschäftigt. Als ich etliche Schriften einzureichen hatte, sagte er in seinen gewohnten Spässen zu mir als alten Bekannten, dass er heute noch so billig arbeite, morgen aber nicht mehr. Er war so pfiffig, sein Besitztum gegen alle Angriffe sicher zu stellen.

     Als er nach einigen Jahren plötzlich starb, kam seine Hinterlassenschaft an die alte Frau Gemahlin, welche seinen unehelichen Kindern aus Edelmut, Mitleid und Barmherzigkeit unaufgefordert aus freiem Antrieb 800 Gulden überliess.

     (165) Weil ich nun in Aflenz viel übrige Zeit habe, repariere ich meine Kleidungsstücke selbst. Diese Arbeit hat früher stets meine gute, mir unvergessliche Frau besorgt. Ich sehe wie beim Schreiben auch beim Einfädeln ohne Augengläser gut. Nun möchte ich erfahren, ob die in der Folge beschriebenen Zustände mit den Augen auch bei mehreren alten Leuten vorkommen wie bei mir: Offenes Licht kann ich nicht vertragen; um jedes Licht im Zimmer oder auf der Gasse ist ein Kreis in allen Farben des Regenbogens. Jeder Stern am Himmel, so wie jedes Licht hat 10 Spitzen. Wenn ich die Mondsichel betrachte, so sehe ich immer 3 oder 4 Halbmonde hintereinander. Schaue ich zum Vollmond hinauf, so zeigt sich ein zweiter hinter ihm. Sehe ich in der Ferne ein Kreuz, einen hohen Baum oder Kirchturm, so erscheint alles doppelt. Das Schönste an allem ist ein Kunstfeuerwerk; wenn von den aufsteigenen Raketen zahllose Funken niederfallen, so ist jeder Funke ein Stern mit 10 Spitzen.

      Wegen meines schwachen Gehörs musste ich schon seit vielen Jahren das Theater und alle Gesellschaften meiden. Nur wenn für das Auge etwas Erfreuliches vorkommt, so war ich gerne dabei. So bin ich am 7. September 1884 nach Bad Gleichenberg  gereist, um dieses Paradies der Steiermark zu sehen.

     Als ich noch Ladenwirt auf der Ries bei Graz war, hatte ich beim Hirschenwirt bei Lustbichl für einen Jägerball dekoriert. Auf Verlangen des erwähnten Ritter von Haidegg musste ich auch beim Schönbrunnwirt den Saal für einem Jägerball dekorieren. Wie ich dann nach demselben für meine Mühe 4 Gulden verlangte, wollte niemand von Bezahlung etwas wissen. «Haidegg», schrie der Wirt, «soll zahlen!». Der Wirt meinte also, Ritter von Haidegg soll zahlen. Nachdem ich deshalb schon mehrere Gänge in die Stadt und nach Schönbrunn an der Maria-Troster-Strasse zu unternehmen hatte, gelang es mir, von beiden die 4 Gulden, somit für Zeitversäumnisse doppelt zu erhalten.

     Haidegg war so geizig; er hatte an der Glacisstrasse 2 zwei-Stock-hohe Häuser und das von meinem Schwager Resch in der Annenstrasse bewohnte Haus, von dem er 70 000 Gulden jährliche Interessen (Zinsen) bezog. Wenn er samt Kinder und Frau bei uns einkehrte, waren 2 Mass Bier und 8 Semmeln die ganze Zeche.

     Den erwähnten Schneider Jukius Korhammer hatte ich damals in der Kanzlei des Dr. Wasserfall untergebracht, als mein Sohn Eduard zum Dr. Rechbauer kam. Nach dem Tode des Dr. Wasserfall wurde Korhammer Sollizitator bei Dr. v. Gräfenstein. Er hatte schon die dritte Ehegattin. Bei meinem Kuvertverkauf in Graz war der Herr Dr. Gmeiner, nachheriger Advokat, meine beste Kundschaft. (166)  Als er am 1. Oktober 1885 nach Bruck übersiedelte, habe ich ihm, um mich hier in Aflenz vor Langeweile zu schützen, bis 17. März 1886 2150 Kuverts gemacht und übersendet.
.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen