Montag, 3. Mai 2010

68. Beim närrischen Wirt

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     Als ich bei meinen Verzehrsteuer-Bereisungen einst – 2000 Gulden in der Tasche – spät abends durch die Ortschaft Strass marschierte, fragte ich dort beim letzten Haus, ob man wohl ohne Gefahr noch nach Mureck kommen könne. Da erhielt ich die «tröstlichen» Worte, dass wohl vorige Woche beim Gersdorfer Wald jemand erschlagen wurde, diese Woche aber nichts geschehen sei. Ich wagte mich furchtlos weiter und kam in stockfinsterer Nacht glücklich und unbehelligt in Mureck an.

Bei meinen Eltern war es Brauch, dass alle von Greifenburg nach Graz kommenden bei uns Unterkunft erhielten. So war auch Socher als Knabe bei uns und die sogenannte Rom-Thresel, die für die anderen Leute wallfahren ging. Einst kam eine sehr schöne Greifenburgerin, um in Graz einen guten Dienst zu suchen, zu uns. Wenn wir abends auf langen Bänken vor dem Hause sassen, kamen die Burschen aus der Nachbarschaft, darunter auch der Mühljunge Polzer mit seinem schiefen Auge und machte der Schönen den Hof. So klein ich noch war, so wollte ich doch schon wissen, wer von den Burschen siegen würde. Unbegreiflicherweise fiel ihre Wahl auf den schielenden Polzer.

     Sie erhielt dann einen Dienst bei dem reichen Herrn von Pichler, gewesener russischer Staatsrath in der Grabenstrasse, wo es ihr sehr gut erging und sie uns jeden zweiten Sonntag besuchte.

     Sie ehelichte dann ihren Polzer, welcher an der Harmsdorfer Linie Maut-Aufsehrer wurde, und als solcher den Weinhändler Übeleis durchschlüpfen liess. Wenn das unredliche Gebahren des Polzer auch verraten wurde, so geschah ihm nicht viel, da seine schöne Frau die Geliebte des Oberfinanzdirektors, Herr v. Varena, war.  

     Nach mehreren grossen Unterschweifen wurde Polzer entlassen und kam als Lehrer zu den Franziskanern, dann von dort weg zufällig als Bestellter und mir Untergebener nach Dreifaltigkeit, wo er mir  (168)  seinen Lebenslauf erzählte. Von uns weg wurde er Hausmeister im Grazer Versatzamt. Ich wollte nun gerne seine Frau sehen, die lag aber immer krank darnieder.

     Hinter unserem Gasthaus in Mureck hatte ich an der Mauer eine Einsiedlerklause mit einem vor dem Kreuz knieenden, betenden Eremiten gemalt. Da erhielt unser Haus gleich den Namen «Einsiedlerwirt».

     Wäre ich länger in Mureck geblieben, so würde ich auch dort ein Privat-Theater errichtet haben. Herr Lebzelter Probst hatte schon einen grossen Saal zur Verfügung gestellt. Kaufmann Kolletnigg hatte alle Farben samt Leinwand beizustellen versprochen, und von allen Seiten wurde Hilfe zugesagt. Als ich fortgezogen war, hatte ich den nicht sehr schmeichelhaften Nachruf: Jetzt haben wir einen Narren weniger in Mureck!

     Wenn ich in Graz gefragt wurde, wohin gehen wir am Sonntag, so hiess es immer: Wir gehen auf die Ries zum närrischen Wirt. Die dieses sagten, hatten wahrscheinlich nie begriffen, dass ich meine Narrheiten nur zur Unterhaltung der Gäste, aber nicht für mich, losliess.

     Eine der Hauptursachen, warum wir dort verkauften, war die, dass so viele Tabakschwärzer aus Ungarn beim Ladenwirt einkehrten. Sogar mit ganzen Wagenladungen kamen sie daher, versteckten ihre Pakete in den nahen Wäldern und schmuggelten den Tabak nachts in die Stadt. Aus Besorgnis darüber, vielleicht unversehens mit der Finanzbehörde in Konflikt zu kommen, war uns der Käufer der Realität sehr willkommen.

Als ich einst von Mureck nach Graz kam, war bei meinen Eltern ein sehr hübsches Mädchen als Dienstmädchen, eine Wirtstochter aus Murau. Sie erzählte, dass ihr Bruder zum geistlichen Stande bestimmt war und sich in Wien als Theologe aufhielt. Da schrieb er dem Vater, dass er vom Seminar ausgetreten sei und die Handlung erlernen wolle. Der Vater konnte nicht genug Geld auftreiben und dem Sohne nachsenden. Anstatt dieser aber die Handlung erlernte, war er in der Maler-Akademie und wurde ein Künstler ersten Ranges. Er ging mit seinen Bildern auf Reisen und sein Ruf wurde begründet. Da der Vater schon alt und schwach war, verlangte er, dass der Sohn nach Hause kam, um die Wirtschaft zu übernehmen. Er kam. Anstatt aber mit den Gästen zu verkehren, setzte er sich in einen Winkel und zeichnete die Gäste ab und liess die Wirtschaft Wirtschaft sein. Der Drang und die Begeisterung für seine Kunst trieb ihn wieder fort. Da der Alte sich nicht mehr zu helfen wusste, musste der die Wirtschaft verkaufen und die Tochter in den Dienst fortschicken.

     (169) Als dieser berühmt gewordene Maler Rafald nach Graz kam, stand in der Zeitung: Ein neuer Stern ist unter uns aufgestiegen, etc. Mir kamen die Tränen.

     Auf der Ries kam zu uns oft der Landesgerichtssekretär Hölbling. Er erlaubte mir, seine von Rafald gekauften Bilder zu sehen. Oh, wie war ich da in seligster Betrachtung der 5 herrlichen Landschaften und der 4 Bilder mit naturnahen Figuren aus dem wirklichen Leben versunken und so ergriffen, dass mir die nassen Augen lästig waren.

     Einst kam ich an der ungarischen Grenze zu einem Wirtshaus, vor welchem des Wirtes Mutter, eine sehr gemütlich dreinsehende, alte Frau beim Spinnrad sass. Ich nahm Papier und Bleistift und zeichnete die Alte ab, ohne dass sie es merkte. Da ich noch etliche Striche zu machen hatte, kamen drei Grenzjäger, und einer davon schrie: «Geschwind, 1 Mass Wein auf den Neuhold sein Konto!» «Ei, ei» sagte ich, «warum?» Da kam der Oberaufseher zu mir und zeigte auf jenen, der zufällig auch Neuhold hiess. Als er die Zeichnung sah, war er ganz entzückt über die frappante Ähnlichkeit mit der Spinnerin und ersuchte mich um das Bild, wonach bei der von ihm bezahlten zweiten Mass Wein alle nebst der Alten recht heiter wurden.

     Und so ergeben sich viele Gelegenheiten, bei welchen mich mein Schmerz plagte, nicht ein Maler geworden zu sein. Die Schwester des Rafald war dann zu Draiskirchen in Österreich mit einem Schuhmachermeister glücklich verheiratet. 30 Jahre lang hatte ein Werkelmann die Walzer gespielt, die 1830 bei meiner Hochzeit gezeigt wurden. Und so oft ich diese mir noch im Kopfe steckenden Walzer hörte, gab ich in seligster Erinnerung dem Werkelmann 4 Kreuzer.

     Seit dem 18 März des Jahres habe ich an diesem Anhang geschrieben. Ich hätte noch manches zu sagen, aber Augen und Hand sagen: «Es ist genug.»

     Aflenz in Obersteier am 23. April 1886

     gez. Johann Neuhold         ( Aber Achtung, es geht weiter.... )
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2 Kommentare:

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  2. Das ist nur ein vorläufiges Ende. Neuhold schrieb trotz Handschmerzen weiter an seinen Memoiren.

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