Sonntag, 30. Mai 2010

76. Wieder kam mich die Reiselust an

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     Für die Tombola am Silvesterabend 1888 hatte ich eine grosse Schachtel mit 27 kleineren, dann einen Hampelmann und aus König Ludwigs Album den prächtigen Stahlstich «Christus mit seinen Jüngern im Seesturm» beigesteuert. Dazu habe ich 3 kleinere Gedichte deklamiert.

     Am 21. September 1888 sandte ich an Karoline Hauzendorfer, Handelsfrau in Greifenburg in Oberkärnten, eine grosse mit 27 kleineren Schachteln. Nachdem ich darauf  keine Antwort erhielt, wünschte ich dieser Cousine zu Ostern 1889 angenehme Feiertage, worauf sie mir 2 Halbliter selbst erzeugten Schwarzbeer-Branntwein und 3 Paar Kärntner Salami sandte und zugleich bekannt gab, dass sie wegen langer Krankheit an mich zu schreiben, verhindert war.

     Seit vielen Jahren war in Aflenz kein so schöner Mai wie 1889. Es war abwechselnd warm, dann Regen und warm und wieder Regen und warm. Wiesen und Felder und die Obstbäume zeigten sich herrlich, dass es eine Freude war. Auf dem erwähnten Zickzackweg wurden Kastanienbäume gesetzt, welche sich aber auf dem schlechten Boden nicht üppig zeigten.

     Im heurigen Fasching wurde in Aflenz ein Ball unter dem Namen «Narrenabend» veranstaltet. Jeder hierzu Geladene konnte in beliebiger Kleidung erscheinen. Und so kamen die meisten in wirklich hübschen Kostümen: Der Herr Bezirksrichter als Beduinenhäuptling, dessen Tochter Hulda als Tirolerin, die Medizindoktorsgattin als Amazonenhäuptling, er selbst als altdeutscher Magister und meine Wenigkeit als Landstreicher. Ich bin nicht imstande, all die hundert Masken zu beschreiben.

     (185)  Diese grossartige Unterhaltung wurde im Hotel Gasthaus und Fleischerei Marie Wieser bei netter Musik abgehalten. Die feschen und unermüdlichen Tänzer und lieblichen Tänzerinnen hielten an bis es Tag war.

     Am Aschermittwoch darauf war der so genannte Häringsschmaus. An diesem Abend hielt der Gesangsverein von Thörl und Aflenz eine sehr gelungene Liedertafel ab. An beiden Festen war die Unterhaltung und die Stimmung grossartig.

     Nun kam mir gegen Pfingsten, wie schon dreimal vorher, wieder die Lust an, mit dem von Graz nach Wien abgehenden Zug mitzufahren. Dieser Zug wurde gewöhnlich schon acht Tage vorher in den Grazer Zeitungen, sowie durch die in den Postämtern ersichtlichen Plakaten bekannt gegeben, diesmal jedoch nicht. Um hierüber Gewissheit zu erlangen, ersuchte ich mit doppelter Korrespondenzkarte am 4. Juni den Herrn Stationschef in Kapfenberg um sofortige Bekanntgabe, ob kommenden Samstag vor Pfingsten am 8. Juni abends wohl ein Vergnügungszug abgeht oder nicht; denn ich sollte nach zweimaliger brieflicher Anfrage meiner Enkelin Hayek bekanntgeben, ob ich zu den Pfingstfeiertagen nach Wien kommen werde. Nachdem ich aber bis 7. Juni mittags von Kapfenberg keine Antwort erhielt, so schrieb ich an Ella, dass meine Abreise unbestimmt sei.

     Am 7. Juni abends um 8 Uhr erhielt ich durch den hiesigen Fuhrknecht die Antwort des Stationschefs, dazu ein Plakat für den Postmeister in Aflenz; so erfuhr ich also, dass der Vergnügungszug wie gewünscht verkehrt. Da abends von Aflenz nach Kapfenberg keine Fahrgelegenheit abging, musste ich nun um 3 1/4 Uhr mit dem Eilwagen für 1 Gulden 28 Kreuzer fahren, mit dem ich dort um 6 Uhr abends ankam. Aber 6 Stunden auf den um 12 Uhr nachts ankommenden Zug zu warten, ist wirklich lästig.

     Diesmal fuhr nur ein Zug, aber dieser war gedrängt voll. Ankunft in Wien war um 6 Uhr früh. Herr Hayek wollte mich dort in Empfang nehmen, wir hatten uns aber bei dem Gedränge am Südbahnhof beide ganz übersehen. So ging ich also zu Fuss in die Maria-Hilfer-Strasse Nr. 41 zu Hayek.

     Meine Tochter Marie, verwittwete Schidan, welche bisher bei den Kindern der Ella die Obsorge hatte, ist mit Zustimmung der Ella am 28. März 1889 zu einer reichen und vornehmen Familie in Wien als Kinderfrau eingetreten. Sie schrieb mir, dass es ihr sehr gut ginge, dass sie delikate Verpflegung habe, keine Anstrengung und monatlich 15 Gulden Lohn bekomme. Ihre Herrschaft hat in Markt Schönhübel bei Melk an der Donau eine eigene Besitzung, im Volksmund «Taverne» genannt, ein geräumiges ein-Stock-hohes Haus in schönem Garten auf einem sanft ansteigenden hohen Berge mit herrlicher Aussicht über die Donau und nach Melk.


     (186)  Ich hatte von der Tochter Marie und ihrer gnädigen Frau, welche mit ihrem Gatten und einem einjährigen Knaben eben auf ihrer Besitzung in der Sommerfrische waren, die Einladung bekommen, falls ich nach Wien kommen sollte, die Reise nach Schönhübel zu machen. Ich nahm nun am 16. Juni am Westbahnhof eine 8 Tage gülige Tour-Retour-Karte nach Melk für 2 Gulden 80 Kreuzer.  Abfahrt war um 6 Uhr früh, Ankunft in St. Pölten um 8:46, Abfahrt und schliesslich Ankunft in Melk um 10:08 Uhr.

      Da mir aber auf die Abfahrt der Post nach Schönhübel bis um 12:50 Uhr zu warten, nicht behagte, machte ich den Weg dahin zu Fuss, wo ich gegen 12 Uhr mittags in der grössten Hitze ankam und von der Herrschaft freundlich empfangen wurde. Ich hatte dort mein eigenes Zimmer, und die gnädige Herrschaft besuchte mich zweimal und fragte mich, wie es mir geht.

     Am 16. Juni, Sonntagnachmittag machte ich mit Marie eine Fahrt per Dampfschiff stromabwärts nach dem nächsten Ort Aggsbach, pro Person für 25 Kreuzer. Indessen war das Kind der Herrschaft, ein einjähriger herziger, freundlicher Knabe beim Zimmermädchen in Obsorge geblieben.

     Sehr angenehm ist die Aussicht über die Donau und nach Melk. Viele Flosse mit Brettern beladen fuhren gegen Wien. Von Aggsbach zurück machten wir einen Weg, eine gute Stunde zu Fuss, und dabei auf halbem Wege überraschte uns ein tüchtiger Regen.

     Montag nach Tisch nahm ich Abschied von allen mit vielem Dank, bestieg an dem unterhalb der Pfarrkirche befindlichen Landungsplatz das Dampfschiff und fuhr nach Melk, und um 3:20 per Bahn nach Wien, wo ich gegen 7 Uhr ankam.

     Dort stiefelte ich mit meinen alterssschwachen Füssen – 81-jährig – halt langsam aber viel herum. Mitunter benützte ich die Pferdeeisenbahn, war zweimal im herrlichen Prater, dann auch in Schönbrunn. Von dort machte ich den Rückweg zu Fuss, trank in Fünfhaus guten und billigen Wein, 1/8 für 4 Kreuzer österreichische Währung, sowie im Prater so genanntes Abzugsbier, den 1/2 Liter für 7 Kreuzer.


     Von Herrn Knap, Hayeks Schwager, erhielt ich eine Karte zu ermässigtem Preis für 20 Kreuzer zum Besuch des berühmten Panoramas im Prater. Meine Augen sind jedoch so schwach und kurzsichtig, dass ich von dem grossartigen Schlachtengemälde nichts ausnehmen konnte und mir um die 20 Kreuzer leid war.


    Am 20. Juni war ich mit Herrn Hayek in der Kärntnerstrasse auf der Frohnleichnamsprozession. Voraus kam eine grosse Menge Stiftsknaben, dann die Geistlichkeit aus allen Pfarren mit unzähligen Fahnen, alle kaiserlichen Ämter, alle Hofämter und Chargen, Magnaten und Kavaliere in reichen, goldstrotzenden Uniformen, die deutsche und die ungarische Leibgarde und dann kam die Dompfarre mit den Musikern und Sängern und dem Hochwürdigsten unter dem Himmel,  (187)  und gleich hinter demselben Seine Majestät, der Kaiser, alle Behörden etc. Um den Himmel und dem Kaiser war die Hofburgwache und den Schluss bildete eine Abteiung berittener Husaren, mehrere Battalions Infanterie standen überall Spalier.



     Mir kam es sonderbar vor, dass nach dem Himmel oder nach dem Kaiser nicht eine Person sonst so vieler tausender andächtiger Betender nachkam. Mir schien, dass das Ganze nur eine Schaustellung war.
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