Samstag, 8. Mai 2010

70. Kuverts und Kartandeln

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    Als meine Tochter Marie mit Ella Hayek nach Wien übersiedelte, kam von meinen noch in Graz verbliebenen Gerätschaften manches auf den Hausboden des Herrn Wawrinek. Ich musterte die Bücher aus, von denen ich sehr viele der lesebegierigen Frau Wangert überliess, packte die besseren nebst Werkzeugen, Pappendeckel und neu eingekaufte Papiere für Kuverts in eine Kiste und machte dann Spaziergänge.

     Nach sechs Tagen Aufenthalt bei der werten Familie Wawrinek fuhr ich am 15. Juli ab, zahlte für Transport der 70 kg Kiste zum Bahnhof 30 Kreuzer und von dort nach Kapfenberg 77 Kreuzer, dann für meine Fahrt von Bruck nach Kapfenberg 22 Kreuzer. Dort war zufällig des Aflenzer Seifensieders Knecht samt Fuhrwerk. Weil er mich kannte, erbot er sich sogleich, meine Kiste, 1 Ries Papier und die Schachtel mit Polster und Krone von der goldenen Hochzeit mitzunehmen. Er war mit 30 Kreuzern zufrieden. Ich fuhr dann mit der Post für 1 Gulden 28 Kreuzer plus 20 Kreuzer. Nun hatte ich mit Briefkuverts für Graz und für Herrn Dr. Gmeiner in Bruck sehr viel zu tun. So blieb mir den ganzen Sommer und Herbst keine Zeit, in unseren grossen Obst- und Gemüsegarten zu kommen.

Alle Arbeiten dort, Pflanzungen und Ernten etc., wurden durch Sträflinge und von der Magd sowie von der fleissigen, in der Gärtnerei erfahrenen Frau Bezirksrichtersgattin besorgt. An Obst gab es eine hübsche Menge für den Winter.

Über den Sommer waren hier einige Wochen viele Fremde und der Postverkehr war bedeutend. Als ich vom Spaziergang nach Emissl zurückkam, war der als Sommergast beim Wirt Wedl in Palbersdorf befindliche Herr Kohlfürst, Kassebeamter der Gemeinde-Sparkasse, samt Frau, Kinder und Bruder, überrascht, mich hier anzutreffen. Er wusste wohl, dass Eduard in Aflenz Bezirksrichter war; dass ich bei ihm wohne, war ihm jedoch unbekannt. Ich hatte sogleich für Herrn Kohlfürst 850 Kuverts zu machen. Dann kaufte er von meinen Figurenbildern 4 Stück à 60 Kreuzer. Diese liebe Familie Kohlfürst besuchte ich mehrmals.

     Der Herbst war leidlich und kurz und der Winter recht stürmisch. Ich war mit Kuvert- und Kartandl machen, Späne kleben und mit verschiedenen häuslichen Arbeiten beschäftigt und verfertigte für die am Silvesterabend zu Gunsten des Aflenzer Armenfonds  (173)  veranstaltete Tombola eine Mühle für Kinder, dann 10 Kartandl, eins in das andere passend, und gab auch das von mir im Jahre 1841 nach dem Hochaltarbild im Ort Heilige Dreifaltigkeit in Windischbüheln gmalte und noch gut erhaltene Bild «Heilige Dreifaltigkeit».

     Die Mühle gewann der Kaufmann Petschthaler, die Kartandln erhielt der Oberlehrer Kroi und das Bild gewann die Schuhmachersgattin Hödl. Der Herr Bürgermeister hat ihr das Bild gleich abgekauft, da es ihn besonders interessierte.

     In einer Zwischenpause der von Kroi geschulten Musik deklamierte ich das alte Gedicht «Der Jude und der Offizier» oder «Der Wechselfresser». Um halbzwei Uhr nachts ging ich mit dem Herrn Sohne bei überaus wundervollem Sternenhimmel und grimmiger Kälte nach Hause.


     Im Frühling 1887 nahm ich mir aber Zeit, bei der Gartenarbeit mitzuhelfen so viel ich konnte; denn da trachtete ich, den schotterigen Gartengrund von den grösseren Steinen zu befreien und das übermässig wuchernde Unkraut auszurotten.
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