Samstag, 19. Dezember 2009

2. "Für meine hinterlassenen Angehörigen"


Johann Neuhold

Nach der Schreibmaschinenfassung von Heribert (Blinzi) Winkler, als Abschrift der vom Urgrossvater mütterlicherseits verfassten handschriftlichen Lebensbeschreibung.
Neu erfasst als digitale Niederschrift von Eberhard Winkler.

Der Tausendkünstler

Schon lange drängte es mich, meine zwar unbedeutenden Erlebnisse zu Papier zu bringen; und warum sollte ich dies nicht tun; - wenn berühmte Persönlichkeiten der Vergangenheit entzogen werden, so kann auch meine Wenigkeit aufgeschrieben und wenigstens für meine hinterlassenen Angehörigen ein kleines Andenken bestehen.

     Ich kann jedoch nicht umhin, anderweitige Umstände einzuflechten, weil solche meine Ereignisse betreffend beeinflusst hatten, und muss bemerken, dass der Kürze halber jede poetische Ausschmückung vermieden wird.

     Wie mir mein Vater Mathias Neuhold erzählte, war er im Jahre 1770 als Sohn eines Schmiedes und Grundbesitzers zu Liebenau bei Graz geboren, erlernte bei seinem Vater das Schmiedehandwerk, und war – wie fast alle gesunden Burschen am Lande – lustig und zu kleinen Streichen aufgelegt. Von solchen teilte er mir folgendes mit:

Am Ruckerlberg bei Graz war mit einer hübschen jungen Frau namens Marianne ein pensionierter Militär ansässig. Dieser erlaubte seiner Gattin nur jene Speisen zu geniessen, die er zuvor selbst gesehen und geprüft hatte; und in diesem Punkte war er so misstrauisch, dass er heimlich sogar den Leibstuhl untersuchte, um sich zu überzeugen, ob die Ehegattin das Verbot übertretten und ohne Wissen ihres Gemahles etwas genossen habe. Als bei solcher Anatomie einst Spuren von Ribisl gefunden, rief er im höchsten Grade erbost in seiner ratschenden Sprechweise: «Marianne, komm heraus, Du hast Ribisl gfressen, ich kenn es in Deinem Drrrrreck!» – und verehrte ihr mit der Reitgerte einige militärische, tiranische Zärtlichkeiten.

     Wie nun solche aussergewöhnlichen Fälle – von Nachbarn gehört – weiterbesprochen wurden, so war es unvermeidlich, dass die Erzählung hievon gar nach Liebenau gelangte; (2) und gleich fassten mehrere aufgeregte Burschen – darunter Mathias Neuhold – den Beschluss, den obigen Pensionisten gegenüber seiner undelikaten Ribisl-Ausdrücke zu necken.

     Mehrere Nächte riefen sie vor seinem Hause: «Xarrrriandl, komm herrrrraus, du hast Ribisl gfrrrrressen» und liefen dann, was sie konnten, wenn er mit der langen Peitsche herauskam, die nächtlichen Ruhestörer zu verjagen. Einst gelang ihm doch, einen davon zu erwischen, welcher durch Vermittlung dieses Saaras sogleich unters Militär gesteckt wurde, aber gegen seine nachtschwärzerischen Kollegen doch so gut war, keinen zu verraten.

     Als der Schmiedmeister zu Liebenau starb, war Mathias Neuhold noch zu jung und nicht Willens, das Schmiedegeschäft fortzuführen, und die noch rüstige und gesunde Mutter heiratete einen vermöglichen Bauern, der sich mit der Beförderung von Lasten und Frachten aller Art im gossen Massstabe befasste.

     Mathias Neuhold hatte nun die beste Gelegenheit, seinen längst erwachten Wunsch, fremde Länder zu bereisen, erfüllt zu sehen, und so kam er als Begleiter und Aufseher-Schaffner über die seiner Leitung anvertrauten Fracht-Güterzüge nach Triest, Venedig, Mailand, Wien, Passau, München, Augsburg, Köln etc. Kaum hatte er die Welt ein wenig kennengelernt, starb sein Stiefvater; und die Mutter, die an dem Frächter-Geschäfte keinen Gefallen fand, hatte alle Pferde samt Wagen verkauft und sich nochmals, und zwar an einen Landtierarzten verehelicht.

     Nachdem nun Mathias Neuhold beschäftigungslos war, im Vaterhause kein Behagen mehr fand und seine Ersparnisse verbraucht waren, suchte er einen neuen Erwerb und fand bei der Herrschaft Gleichenberg als Amtsdiener-Gehilfe einstweilen ein Unterkommen; und später kam er zu der in den 1790er Jahren errichteten sogenannten Kleinen Post in Graz zur Austragung der Briefe und Zeitungen im Stadtgebiete und in den nächsten Umgebungen, bei welchem Geschäfte er auch oft nach Gösting zum Grafen Attems kam, und dann von ihm zur Vermehrung seiner Dienerschaft als Bedienter aufgenommen wurde; er hatte es sehr gut und wurde überaus korpulent. Und da Graf Attems mit seiner Gemahlin im Fasching auch nach Graz kam, die Redoute zu besuchen, die gräfliche Dienerschaft aber nicht in den Saal durfte, dieses Vergnügen jedoch unbemerkt kennen (3) lernen wollte, ging Mathias Neuhold in seinem Domino maskiert unter die Gesellschaft, bei welcher Gelegenheit er zufolge der Maskenfreiheit sich auch die gnädige Herrschaft zu hänseln erlaubte. Natürlich wurde er nicht erkannt und durfte nicht versäumen, wieder den Bedientenplatz am Kutschbock einzunehmen, wenn die Herrschaft sich zur Heimkehr anschickte.

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