Montag, 28. Dezember 2009

8. Über den Hernegger und die Kapauner

   Hernegger war ein moralischer, edler Karakter und bei alledem überaus lustig und fröhlich. Als Tiroler hatte er immer eine sogenannte Nationalkleidung, in welcher er als äusserst flinker Busche seine Tiroler Gesänge produzierte, sich ein benachbartes Wäschermädel abrichtete und ihr aus eigenen Mitteln ein gleiches Kostüm verschaffte. Gab es wo eine Hochzeit, einen Gesellschaftsball, so musste der fesche Tiroler dabei sein, und da kam gewiss eine grosse Anzahl Gäste zusammen. Er fungierte bei Hochzeiten immer als Brautführer, und als solcher musste er nach damaliger Sitte die Gäste in deren Wohnungen abholen und dem Hause der Braut, wo sich alle versammelten, zuführen. (17) Da stand er im schnellfahrenden Fiakerwagen, schwenkte seinen Tiroler Hut und jauchzte aus vollem Halse, was dann für die neugierige Menge in allen Gassen ein wahres Vergnügen war. Und niemandem fiel es ein, gegen diesen harmlosen Lärm zu protestieren.


     Wo sich Hernegger zeigte und seine lustigen Lieder, Schwänke und sittlichen Vorträge hören liess, war alles heiter und erbaut, und überall wurde er kostenfrei bewirtet. Kein Musikant war imstande, anhaltend so geschwind zu musizieren, als Hernegger tanzen konnte, und stets ermatteten die Geiger früher als er. Sein Ruf als feschester Tänzer verschaffte ihm sogar die Gunst, im Redoute-Saale mit der Gräfin Attems, einer Tirolerin von Geburt, solo zu tanzen.

     Vom Orchester aus wurde ein Zeichen gegeben und das Publikum ersucht, für ein paar Tänzer für einige Minten hübsch Raum zu lassen. Aus Ehrfurcht gegen die Gräfin trat jeder beiseite und ergötzte sich an den netten, anmutigen Bewegungen der Solotänzer. Hernegger machte mitunter vor und neben der Gräfin die tollsten Sprünge und Purzlbäume, schlug mit sicherer Gewandtheit Räder über den ganzen Saal, stand dann da plötzlich wieder an der Seite der graziösen Tänzerin und machte mit ihr die weiteren Tiroler Tänze gemütlich fort, sodass am Schlusse derselben der Applaus kein Ende nehmen wollte.


     Nachdem in der Folge dieser Hernegger sozusagen mein Mentor wurde und seine Güte und Einsicht und Bescheidenheit auf mich Einfluss hatten, war ich doch neugierig, welches heitere oder geistige Wesen er sich einmal zur Gattin erwählen werde. Aber welche Enttäuschung, er erwarb sich um ein ganz einfaches, stilles, anspruchsloses, betendes, aber in der Wäscherei erfahrenes, nicht mehr sehr junges, ländliches Geschöpf von Bachdorf zum Eheweibe und lebte mit ihr in dem unteren Grazbache in einem später erworbenen Häuschen, sehr kirchlich gesinnt, recht zufrieden.

     Inzwischen ging es den erwähnten Binderleuten Gutmacher so schlecht, dass sie nicht mehr den Wohnzins erschwingen konnten. Und da die Tante Theres als Köchin beim Höck war, für sich ein grosses Zimmer zur Verfügung hatte, nahm sie dahin mit Einwilligung der braven Herrenleute aus Barmherzigkeit die Binderfamilie auf, welche auch so wie wir aus der wohlbestellten Küche manche gute Überbleibseln erhielten.

     (18)  Nach dem lange darauf erfolgten Tode des alten, mühseligen Binders kam dessen Wittwe auf die Idee, durch die Hilfe guter Menschen das Johannis-Wirtshaus im Münzgraben zu pachten und mit dem Töchterchen zu betreiben. Ihre Habseligkeiten wurden gegen Ende Fasching lizitiert, und ich selbst hatte mehrere dabei von meinen Eltern erstandenen Effekten im eben stattgehabten Patschwetter auf einem Handschlitten nach Hause geführt.
Gutherzig, wie meine Eltern schon waren, nahmen sie die nun ganz Verarmten auf, welche sich still und zurückgezogen mit Nähen und Stricken ernährten.

     Im nächsten Advente wurde der Einfall in Betracht gezogen, ob es wohl geraten sei, mit steirischen Kapaunen ein Handelsgeschäft nach Wien zu wagen; und Frau Gutmacher nahm, von dieser Idee ergriffen, den Vorschlag sogleich an. Meine Eltern rüsteten diese Frau samt Tochter zur Reise aus, stellten ihr 4 Kisten mit 100 Kapaunen nebst 20 Gulden Reisegeld zur Verfügung und wünschten ihr und sich ein glückliches Gedeihen dieser Spekulation.
Damals brauchte ein Landkutscher nach Wien 3, bei schlechtem Wetter dreieinhalb Tage. Nach voraus erhaltenem Schreiben der Frau Gutmacher, dass sie in Wien glücklich angekommen und der Verkauf gut gehe, sandte sie gleich darauf den Reisevorschuss zurück nebst der Schuld für die 100 Kapauner, und hatte damit schon so viel erworben, dass sie Quartier samt Lebensunterhalt bestreiten konnte und eilig weitere Bestellungen machte.
Sie fand an diesem einträglichen Handel Gefallen, verehelichte sich in Wien zum 3. Male mit dem verwittweten Greisler Reichgruber und führte die Geschäftsverbindung mit meinen Eltern noch lange fort.

     Ihre Tochter Caroline heiratete einen Uhrenfabrikanten und da er nach einigen Jahren starb, gab sie die Fabrik auf und errichtete in einem Gewölbe im sogenannten Deutschen Haus ein Handelsgeschäft mit Rosshaar, Pomade und Geflügel – als Wittwe Rechel.

     In der Folge wollten meine Eltern den Wiener Handel erweitern. Und da dem Herrn Knaupert, der das Gassenhauer'sche Haus weggab und anfangs der Herrgottwiesgasse das Gutjahr'sche Fleischerhaus an sich brachte, die Kälbestecherei nicht recht von statten ging, unternahm er einen Winter lang für meine Eltern den Kapauner Verschleiss in Wien und erwarb sich dabei den nötigen Fond zum Betriebe des Fleischergeschäftes.

     (19)  Meine Eltern hatten einst eine grosse Menge von Kapaunern beisammen; von Wien aber kam die Weisung, wegen der warmen Witterung nichts zu senden, und in Graz ging der Verkauf schlecht. Da mietete der Vater noch ein Pferd, packte bei 300 Stück Kapauner ein, und wir fuhren damit nach Wien, machten aber miserable Geschäfte, verschleuderten die Stücke weiter gegen Korneuburg und warfen auf dem Rückwege noch neun in Faulung übergegangene Kapauner weg, sodass in jenem Winter Verlust und Gewinn sich gegenseitig aufhob.

     Die Tante Elise Hauzendorfer in Greifenburg, die ihrer Hauswirtschaft trefflich vorstand, hatte mit der Zeit – ihrer traurigen Ahnung nach – wirklich keine gute Ehe. Ihr Gatte, welcher in hohem Ansehen stand, beim dortigen Privattheater das eifrigste Mitglied, Violinspieler und sogar Direktor war, machte – durch gute Gewerbe übermütig – allerlei Seitensprünge, dass Elise nach erteilten Vorwürfen und dafür erlittenen Misshandlungen das Haus verliess und im Orte einen abgesonderten Wohnort suchte. Und da er nach gerichtlicher Weisung ihren Unterhalt bestreiten musste, so trachtete er auf jede mögliche Art, sie zu verkürzen, sodass meine Eltern und übrigen Verwandten eine Summe von 36 Gulden in Gold der bedrängten Elise zukommen liessen.

     Als Hauzendorfer – dem Scheine nach – seine Liebschaften aufgab und beide Ehegatten wieder zusammenlebten, machte mein Vater einen Besuch dahin zu Fuss, um sich in allem zu erkundigen, wobei er zur Überzeugung gelangte, dass der Hauzendorfer das wüste Leben noch ärger, aber im Geheimen betrieb.

     Und als Elise die Schandtaten und Kränkungen von Seiten ihres Mannes nicht länger ertragen konnte und zum Glücke mehrere ihrer Kinder starben, zog sie nach Graz zu meinen Eltern, wo sie vom benachbarten Instruktor Grescher erst lesen und schreiben lernte, um noch selbst einen Brief oder eine Rechnung aufsetzen zu können. Sie begab sich dann statt Knaupert nach Wien, den Kapaunerhandel für meine Eltern zu betreiben, und brachte auf diese Art von ihrem Mann entfernt 3 Jahre teils in Wien und teils in Graz zu.


     Indessen liess er das Radl laufen, hatte eine lüderliche Weibsperson aus Villach bei sich und verübte Schändlichkeiten aller Art. Wenn seine Konkubine gerichtlich auf den Schub kommen sollte, wusste er es immer dahin zu bringen, dass sie durchaus nicht zu Fuss ging, und niemand ein Fuhrwerk beistellte, sodass er sie dann immer mit eigener Fahrgelegenheit (20) selbst fortexpidierte und nachts wieder zurückführte.

     Alle brieflichen Vorstellungen und Ermahnungen von Seiten sämtlicher Verwandten waren vergeblich. Nun nahm sich der Vetter von Hartberg die Courage und schwur, den ehrvergessenen Hauzendorfer derb durchzuprügeln, wenn er nicht parieren wollte, packte die arme Lisi samt ihren Habseligkeiten auf den Wagen und führte sie ihrem Manne zu. Ihr eheliches Leben schien sich nun besser zu gestalten. Sie erhielt wieder ein Kind um das andere und wirtschaftete wieder so gut wie früher.

     Mittlerweile übersiedelte der Dr. Funk hier, wo Tante Therese schon länger Köchin war, in das sogenannte Weiss'sche Haus. Von der reichbesetzten Tafel des Herrn Dr. kamen durch die Güte der Tante – gewöhnlich von uns Mahm Theres genannt – wohl sehr viele gute Bissen zu uns und Knaupert, und ich musste mancherlei für Schweine benützbare Abfälle aus der Küche abholen und auf einem Karren nach Hause schleppen.

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