Im Jahre 1816 wollte Knaupert eine Kälberschlächterei-Befugnis erwirken. Hiezu benötigte er aber mehrere Dokumente aus seiner Heimat Zweibrücken. Er machte sich dahin zu Fuss auf die Reise und schrieb von dort, dass seine Mutter über die in der Flur des Vaterhauses erschallte Nachricht seiner Ankunft von der Wohnung im ersten Stock vor Freuden wie ein junges Mädchen über die Stiege gehüpft sei.
Nach Wochen kam Knaupert zurück und brachte eine Mappe im Elternhaus verfertigter Stoffe für Bettzeug mit, dass sich jeder wunderte, wie er solches Gepäcke, von welchem wir einen Anteil erhielten, so mit sich schleppen konnte. Bald darauf hatte er seinen Kalbfleisch-Verkaufsstand nicht weit vom Rathause hier.
Im Herbst 1817 und 1819 nahm mich der Vetter von Hartberg, welcher mit Salpeterlieferungen öfter nach Graz kam, in den Schulferien zu sich, wo ich ein sehr gutes Leben hatte, und wegen der prächtigen Mahlzeiten und sonstigen ländlichen Freuden für immer zu bleiben wünschte.
Daselbst war im Gasthause eine stabile Bühne errichtet, auf welcher von Dilettanten und zugereisten Komödianten Theaterstücke aufgeführt wurden. Ich kam mit dem Sohne des Vetters fast alle Abende dahin, und da ich schon frühzeitig Wohlgefallen an Romanen und Schauspielen fand, so war das Theater meine grösste Freude.
Da ich einst als Knabe mit fünf Jahren zufällig von unserem Dachfenster aus die um die Stadt liegenden Berge erblickte, fragte ich meinen Vater, ob es wohl darüber hinaus auch eine solche Welt gäbe wie diese, und hatte namenslose Sehnsucht dahin, dass ich nach einiger Zeit in Abwesenheit der Eltern mit meinem jüngeren Bruder Franz durch die sogennannte Einöde in die Berge einen Spaziergang machte und mit einer aufgeregten Fantasie Ruinen von Ritterburgen zu finden träumte.
Genofeva, Eulenspiegel, der Daumenlange Hansl, Heinrich der Stolze, Herzog von Sachsen, Werthers Leiden etc. waren nacheinander meine erste Lektüre. Wo ich nur einen von der Schule freien Augenblick erhaschen konnte, war ich immer im Lesen und Notieren (15) von gesehenen Theaterstücken aus dem Gedächtnis vertieft. So bildete sich unvermerkt in meinem ganzen Wesen ein unglücklicher Hang zur Sentimentalität und Schwärmerei, Überströmung des Gefühles und der Tränendrüsen und übertriebene Weichherzigkeit, welche Eigenschaften lebenslang an mir haften blieben, die jedoch für das praktische von Nahrungssorgen gequälte Leben durch nicht passten.
Von rührenden und hinreisenden Gedichten wurde ich überwältigt, dass ich mich heftig danach sehnte, eben auch solches Glück zu finden, wie es in Romanen, welche ich für pure Wirklichkeit hielt, zu lesen war.
Ich fing an, selbst Verse zu dichten
und konnte fast alles,
und konnte fast alles,
was ich sah, nachmachen.
Der Hang zum Zeichnen,
Malen und Schnitzen,
dann die Orthographie
Malen und Schnitzen,
dann die Orthographie
schien mir wie angeboren zu sein.
Man nannte mich überall
den Tausendkünstler.
Auf einer ordinären Schwebpfeife spielte ich jeden selbsterlernten Ländler oder Marsch, den ich hörte. Sah ich einen Seiltänzer die verschiedenen Sprünge machen, ahmte ich zuhause alle nach und gewann dadurch elastische Behendigkeit der Glieder.
Der Messner an der Tollhauskirche hatte in einem grossen Lokale neben derselben ein schönes und künstlich gebautes, sehr grosses, mechanisches Krippenspiel mit hunderten beweglichen Figuren und hatte zur Winterzeit an Sonn und Feiertagen nachmittags ungeheuren Zuspruch von zahlenden Zuschauern à drei Kreuzer, sodass am Eingange zwei Grenadiere Wache hielten, welche sobald eine Vorstellung begonnen, die Nachgekommenen innerhalb von Schranken zurückhalten mussten und erst dann einliessen, wenn die erste Aufführung vorüber war.
Vormittags wurde sechs mal gespielt, und weil der Andrang so stark war, mein Vater sich auch nicht gerne drücken wollte und auf seine Söhnlein Acht geben konnte, so hatte ich Sonntag vormittags die beste Zeit und Gelegenheit, alles genau zu betrachten, wonach ich ein ähnliches Krippenspiel in kleinerem Massstabe verfertigte und zu Hause vor zahlreichen Kindern für Geld sehen liess.
Nach der Schule musste ich mit unseren Zuchtschweinen in der Nähe der Leinwandbleiche auf die Weide. Dort herrschte Tag für Tag ein Geplemper der zu Tambours abzurichtenden Rekruten. (16) Einst räsonierte der Abrichter mit einem derselben, der den einfachen Zapfenstreich nicht begreifen wollte. Erzürnt rief der Korporal: «Ich glaube, der Kleine wird es besser machen als der grosse Taugenichts», und ich trommelte den Zapfenstreich ohne Fehler. Mich dauerte aber der arme Gemeine, denn über dessen Rücken sauste ein paarmal der Haslinger des groben Korporalen.
Einst lagerten sich am Karlauerplatze einige 100 Mann am Transporte gegen Marburg befindliche Soldaten. Nach deren Abmarsch suchten wir Knaben, ob nicht etwas zu finden wäre. Da fand ich eine Brieftasche mit 9 Gulden und lief der Truppe nach, erreichte sie erst in der Nähe von Puntigam und übergab dem Transportführer meinen Fund. Der Herr Offizier liess die Mannschaft anhalten, dass sich der Verlustträger melde, wonach ein Soldat sein Eigentum erhielt. Der Offizier machte mir vor der Front eine Lobrede, und dies machte mein schon lange erwachtes Ehrgefühl noch mehr rege.
In unserer Nachbarschaft war die Habel'sche Steingutgeschirrfabrik, in welcher unter vielen Arbeitern ein sehr geschickter Zeichner, Anton Hernegger, bedienstet war. Diese beiden, die an meinen Talenten und stillem Wesen Gefallen fanden, hatten mich oft eingeladen, die vielen in der Fabrik an den Wänden aufgeklebten Zeichnungen zu besehen; denn Bilder machten mir schon immer eine grosse Freude. Da lag ich oft vor dem an der Drehscheibe arbeitenden Hernegger am Boden, mit Papier und Bleistift und horchte aufmerksam auf dessen Sittensprüche, herzlichen Gedichten und Gratulationen, welche ich notierte und dann auswendig lernte. Und von da an datiert sich der Umstand, dass ich an Benehmen und Gemütsart von meinen übrigen Geschwistern sehr verschieden war.
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