Samstag, 19. Dezember 2009

4. Gespenster- und andere Geschichten

   Einmal wohnten wir in der Unteren Karlau im Hause der dicken, bissigen, schadenfrohen Viktualienhändlerin Schnabl. Infolge der Stänkereien von Seiten meiner Mutter wurde hier wieder gekündigt. Da sie aber dagegen grimmig protestierte, kam die Schnabl gerade am Neujahrstage mit einem Wagen, liess vor unserer Wohnung bei der eben herrschenden furchtbaren Kälte alle Türen, Fenster und Balken ausheben und fortführen, mit der liebenswürdigen Äusserung «verfluchtes Gesindel, jetzt werdet ihr wohl gehen müssen!»

     Von da weg wurde eine Wohnung nächst dem Siechenhause gemietet, wo ich über eine sehr lange Stiege purzelte.  (6)  Nun kam ich, vier Jahre alt, schon in die Schule. Als ich aber das ABC-Taferl verlor und mit dem Herumwandern viel Zeit versplittert wurde, verging wieder ein Jahr bis ich wieder zur Schule kam. Wir wohnten dann im sogenannten Neuburger- oder Dengenhof, wo jetzt die Triester Linie sich befindet. Dort befand sich ein alter, pensionierter Genieoffizier, welcher oft vom Geisterspuke in seiner Wohnung erzählte und meinen Vater beredete, bei ihm einmal eine Nacht zuzubringen, um den furchtbaren Lärm selbst zu hören und sich von der Gespensterei, an die mein Vater, der keine Furcht kannte, nicht glauben wollte, sich zu überzeugen. Im Zimmer an der Wand hingen zwei alte, in den Scheiden fest verrostete Säbel.

     Als mein Vater im Bette neben dem alten Herrn in einer mondhellen Nacht Gesellschaft leistete und die Mitternachtsstunde schlug, begann der Rumor. Von unsichtbarer Hand wurden aus dem Schreibtische Papiere genommen, dieselben nach hörbarem, eifrigen Gekritzel darauf heftig zerrissen, Schubladen wurden auf- und zugestossen, und rasch in Büchern geblättert. Dann wurden die Säbel aus den Scheiden gezogen und wie beim Duell gegeneinander geschlagen und bei aller Anstrengung meines Vaters, die Ursache dieses Tumultes zu ergründen, konnte er nicht darauf kommen. Der alte Herr war dies zeitweilige Getöse schon gewohnt. Und als beide Männer nach ein paar Stunden Schlaf des Morgens erwachten, fanden sie alles in schönster Ordnung, keine Spur von Papierfetzen, und die beiden Säbel hingen voll Staub an der Wand wie früher!


     Als mein Vater einst auf dem unserer Wohnung gehörenden Hausbodenanteile etwas zu tun hatte, und ich dort dabei herumsprang, fand ich in einem Winkel einen menschlichen Totenschädl, und sagte dies dem Vater. Er forschte darnach vergeblich und meinte, ich wollte ihn zum Besten halten. Und erst als ich ihm den Totenschädl zutrug und ihm einhändigte, ersah er denselben, steckte ihn in einen Sack und trug ihn abends über die Felder fort zum Friedhofe, wo er den Totenkopf über die Mauer hineinwarf. Und seit dieser Zeit hörte der Spuk beim Genieoffizier auf, worüber er sich durch oftmalige Geschenke an uns Kinder erfreute. Als ich grösser wurde, hatte ich den Vater um Aufklärung dieser Begebenheit ersucht, doch das Rätsel blieb ungelöst.

     (7)  Im Hofe war zwischen Bäumen ein Seil als Hutsche angebracht; und da im Hause sehr viele Kinder waren und jedes sich schaukeln wollte, so ergab es manchen Streit unter den Fratzen und danach auch Verdruss zwischen den Eltern derselben.

     Mittlerweile ward ein Bruder meiner Mutter, namens Johann Dunkel, auf einer schönen Besitzung, eine Tagesreise von Graz, in der Stadt Hartberg, wo eine bedeutende Salpetererzeugung bestand, durch Heirat mit der älteren Tochter des Salleiterers reich und ansehnlich geworden. Er war somit in der angenehmen Lage, seinen armen Geschwistern zu helfen, was er auch gerne tat. Und da er einsah, dass meine Eltern bei dem kargen Taglohn nicht leicht vier Kinder ernähren konnten, nahm er, der einen kleinen Knaben hatte, meine dreijährige Schwester Anna mit nach Hartberg, wo es ihr sehr wohl ging.

     Meine Mutter aber wurde nach einem Jahr von einer unnennbaren Sehnsucht nach ihrer Anna befallen, dass sie nach Hartberg ging, um das Kind zurückzubringen. Anna aber, welche von der Tante Dunkel daselbst zärtlich geliebt und gepflegt wurde, wollte von der Grazer Mutter nichts mehr wissen und liess sich durchaus nicht zur Rückreise bewegen. Nicht lange darauf starb die kleine Anna an den Blattern, worüber die Mutter fast nicht zu trösten war, sodass wir von da wieder wegzogen und im Rieger'schen Hause in der Betlehemgasse einzogen.

     Nachdem die ebenerdigen Wohnungen alter Gebäude gewöhnlich feucht und ungesund sind, so hatten wir Kinder an dem sogenannten Grind zu leiden. Da steckte die Mutter uns in einen mit Lauge und gekochten Kräutern gefüllten Zuber und fuhr mit einer Bürste so unbarmherzig über unsere Köpfe, dass das Blut und Eiter herabrann und wir vor Schmerzen schrien, und ich gebe diesem Umstande auch die Schuld, dass kein sehr heller Kopf aus mir wurde.

     Infolge der Kriegsjahre sollte mein Vater, der bis jetzt vom Militärdienst verschont war, zur Landwehr eintretten. Er versteckte sich daher in den Feldern nächst dem Dominikanerriegel, wohin ihm die Mutter heimlich das Essen brachte.

     Nach vierzehn Tagen wagte er sich in die Stadt, um zu hören, was es Neues gibt, las ein am Murtore angeschlagenes Plakat, nach welchem nur Pulver und Salpeterarbeiter vom Militär und der Landwehr befreit wären, und begab sich sogleich zum Vetter (8) Dunkel nach Hartberg, wo er als Salleiterknecht verblieb bis der ärgste Kriegsrummel vorüber und keine weitere Belästigung zu besorgen war.

     In unserer Nähe wohnte ein Pferdehändler namens Kaiser, welcher durch Lieferungen für unsere und die französische Armee zu Vermögen kam. dieser Kaiser hatte ein frisches, aufgewecktes, vierjähriges Mädchen, das sich gerne unter alle Kinder der Nachbarschaft mischte. Kam es zu Streitigkeiten, so schrie sie stets: «Ös Bubn dürft mir nichts tun, denn ich gehöre dem Kaiser zu!» Und in dieser Idee führte sie immer die Oberherrschaft über alle Gespielen. Dieses Mächen verheiratete sich dann an den Wertner'schen Strumpfwirker-Gesellen Haas, welcher in Anwartschaft und Überkommung reicher Mittel, nächst der welschen Kirche ein Einkehrgasthaus führte. Sie aber wurde sehr verdriesslich, wenn ihr nicht von allen Seiten der Hof gemacht wurde. Die sehr solide Tochter dieser Eheleute Haas ehelichte dann einen Uhrmacher und Hausbesitzer im 3. Sack zu Graz.


     Inzwischen verstarb der erwähnte Kapellmeister Süssmeier, und dessen Wittwe heiratete dann einen bejahrten, nur auf eigene Faust arbeitenden Bindermeister. Dessen Erwerb zeigte sich jedoch sehr schmal. Das Häuschen in der Harrachgasse wurde verkauft und diese Bindersleute Gutmacher zogen dann in das letzte Haus am unteren Griess rechts in unserer Nachbarschaft, und so wurde die alte Freundschaft zwischen meinen Eltern und der Gevatterin Süssmeier, nun verehelichte Gutmacher, erneuert. Die Bindersleute Gutmacher waren mit dem sechsjährigen Töchterlein Caroline Süssmeier nach Graz umgezogen. Caroline wusste durch ihr ernstes, sanftes und bescheidenes Wesen unter uns Kindern ein gewisses Übergewicht zu behaupten, und ich fühlte – viereinhalb Jahre alt – für dieselbe schon Achtung und Ehrfurcht, seit welcher Zeit ich hübsche und solide Mädchen stets für höhere Geschöpfe ansah.

     Nicht weit von uns, wo gegenwärtig das Beschäll-Departement sich befindet, war die grossartige Lederei Möck, wo sechzehn Gesellen arbeiteten und ein vornehmes Haus mit eigenem, mit Uniform und Degen versehenen Hausarzt geführt wurde. Daselbst waren die Schwestern meiner Mutter bedienstet, Theresie als Köchin, Anna als Küchenmagd und die jüngste Elise als Stubenmädchen. Wie es aber in der Welt schon geht, so hatten auch diese drei ihre Verehrer.

1 Kommentar:

  1. Danke, Eberhard! Ich bin schon gespannt wie das so weitergeht. Marion

    AntwortenLöschen