Dienstag, 29. Dezember 2009

10. Theaterspiel - Ja, diese Pfarrer

    Nun wurde mit der Zeit Mam Theres schwer krank, musste den Dienst aufgeben und nahm Zuflucht bei uns. Nach ihrer Genesung wollte sie keinen Dienst mehr antreten und widmete (22) sich dem Kaupaunerhandel in Wien durch viele Jahre, machte bei ihrer Genügsamkeit grosse Ersparnisse, dass sie ihrer hier erwähnten Tochter Caroline, die bisher bei ihrem Vater, Peter Kocher, lebte, 3600 Gulden conv. Münze bei Verehelichung mit Herrn Schmiedemeister Scholl in Marburg, nachher Hausbesitzer vor dem Sacktore in Graz, mitgeben konnte, und im Alter noch zu leben hatte. Peter Kocher, welcher der Mahm Theres von Jahr zu Jahr die Ehe versprochen hatte, wurde inzwischen Eigentümer der einträglichen sogenannten Steinermühle am nie zufrierenden Andritzbache auf der Andritz, heiratete in seinem Alter zwischen 50 und 60 Jahren die reiche Bäckerswittwe Walenta vom Gries und hatte die Absicht, mit deren Sohne die Tochter Caroline zu verbinden. Ihr bisheriges Wesen aber hielt damals jeden Freier fern, bis ein Jakob Scholl ihrem Gelde zuliebe und wegen reicher Erbschaft nach Peter Kocher kam.

     In der Pfarrkirche bei den sogenannten Weiss-Spaniern in der Karlau verdiente ich beim Ministrieren, dann als Windlichtträger bei Kindesleichen etc. manchen Groschen, Sechser und auch Silberzwanzger, und hatte am Geldzusammensparen meine Lust. Schon als Knabe von zehn Jahren hatte ich nie weniger als 20 Gulden im Vorrate, was damals schon viel Geld war.
Zudem hatte ich eine besondere Vorliebe zu Theater und Soldatenspielen und verbrachte viel Zeit zur Verfassung geeigneter Possenspiele, Abrichten der Mitspielenden und Herrichtung der selbstgemachten Dekorationen auf unserem Hausboden. Von den damaligen Kollegen beim eigenen Theater weiss ich mich nur an einige mehr zu erinnern, u. a. König, nachheriger, vermöglicher Buchbinder in Feldbach, und Eduard Rabitsch, Stiefsohn des Kontrollors Graffl in der Karlauer Mauth.

     Der Rabitsch war der Sohn des verstorbenen Silberarbeiters Rabisch und wurde Kuperschmied, Grenzjäger und Korporal beim Grazer Regiment, hatte ein gutes Mundstück, wusste am Theater aus dem Stegreife die köstlichsten Spässe vorzubringen, war aber als Lehrjunge äusserst boshaft. Und wenn ich ihm dann die Unzukömmmlichkeiten vorwarf, sagte er stets: «Schau, jetzt kann ich meine Bubenstreiche und Schelmenstücke ausüben, als Geselle darf ich ohnedem nichts.» (23) Seine Mutter, die Frau Kontrollorin, war gegen ihn zärtlich und verschaffte uns sonntags oft den Besuch des landschaftlichen Theaters.
Der Herr Kontrollor war ein leidenschaftlicher Jagdfreund. Er übergab seine Jagdbeute meiner Mutter zum Verkaufe und ich erhielt von ihm bei Abgabe des Erlöses bedeutende Trinkgelder.

     Ich hatte auch die Gabe, den Inhalt jedes gesehenen Theaters beinahe wörtlich anderen mitzuteilen und musste meiner Mutter, die bei meiner Nachhausekunft bereits im Bette war, jedesmal den Gang des Schauspieles erzählen.

     Aus meiner Nachbarschaft hatte ich bei zwei Knaben meines Alters um mich, für welche ich Gewehre und Säbel schnitzte und Tschakos und Patronentaschen aus Pappendeckel aus eigenem Selbst verfertigte. Auf der nahen Leinwandbleiche hielten wir unsere Exercitien und Manöver, welche damals Schanze genannt wurde. Einst vollführten wir an einem Sonntage nach Mittag eine Schwimmproduktion, in dem wir an der Mankert'schen Knoppernstampfe mit von mir aus Wachsleinwand verfertigten Tierköpfen maskiert und mit geladenen Pistolen versehen ins Wasser stiegen und jeder mit einer Hand schwimmend durch die steinerne Brücke fort losknallte und im Wasser viele Ziggen machte. Zuschauer und Gelächter gab es eine Menge.

     Wie schon erwähnt, war ich in der Pfarrkirche als Ministrant beschäftigt. Ich hielt mich oft bei dem dortigen, sich gerne mit häuslichen Arbeiten beschäftigten Herrn Pfarrer Stradner – ihm in allem helfend – auf, und kam dabei zur Überzeugung, dass die dem Volke gepriesene Heiligkeit der Religion, Gebräuche und ihrer Lehrer wohl mit sehr viel Heuchelei und Lüge gespickt sei, denn Pfarrer, Kaplan, Lehrer, Messner und Messnerin machten unter sich über heilig sein sollende Sachen, Evangelien und Bibelsprüche allerhand Glossen und gemeine Spässe, und behandelten kirchliche Gegenstände und Zeremonien so ordinär und alltäglich, wie der Professionist sein Handwerkszeug. Weil es mir dort aber manchen Silberzwanziger eintrug, so heuchelte ich gerne mit.


     Der Herr Kaplan Dirnschädl kam oft zu uns auf Besuch; und da die Mam Theres einmal anfing: «Wissen sie noch, geistlicher Herr, als sie zu Herrn Höck als Bettelstudent kamen, die weibliche Dienerschaft liebkosten und neckten und wir Ihnen dafür die Hose abgezogen und den nackten Hintern durchpeitschten?» Da lachter er aus vollem Halse und sagte lustig: «Ja damals, das war wohl eine schöne Zeit!»

     Dieser Kaplan war ein besonders aufgeweckter und auf die Schulkinder sehr guter Herr. Er suchte unter diesen die intelligentesten heraus und gab aus eigenem Antriebe unentgeltlich Mittwoch und Samstag Nachmittag Unterricht in Geografie und biblischer Geschichte, zu welch letzterer er sehr viele schöne Kupferstiche erklärte. Und bei dieser Gelegenheit kam ich an Lernbegierde und Kenntnissen vielen anderen voraus, unter welchen es manche gab, denen ich beim Aufgabenmachen und Examenlernen half, wofür ich besonders vom Dornschneider Wirtssohne Karl Stindl mit geniessbaren Artikeln reichlich belohnt wurde.
Dieser hatte mich einst und den Peter Kaufmann, ein witziger, talentvoller und zu kindlichen Streichen aufgelegter Sohn eines Geflügelhändlers, zum Kirschenbrocken eingeladen. Stindl und Kaufmann stiegen auf den mit herrlichen Früchten beladenen Baum und ich blieb unten, um die gepflückten Kirschen in einen Korb zu bringen. «Schau, nur zum Klauben!» hiess es von oben, und ich sammelte emsig, ohne aufzuschauen. Aber auf einmal regnete es, untermischt mit halbweichen Brocken auf meinen Rücken, und vom Baume herab erscholl ein gellendes Lachen, denn Kaufmann hatte sich oben durch Umkehren seiner Hosen den unreinlichen Scherz erlaubt. Ich machte gute Miene zum bösen Spiele und lief dafür mit dem schon mit Kirschen gefüllten Handkorb nach Hause.

     Peter Kaufmann kam durch eigenen Fleiss und mehrseitige Unterstützung in die Lage, studieren zu können. Und da dessen Ränke und das schwänkevolle Benehmen von dem Katecheten Dirnschädl erkannt wurde, bestimmte er ihn, den geistlichen Stand zu wählen und versprach ihm, die Primitz auszuhalten, wenn er, Dirnschädl, bis dahin Pfarrer sein würde.

     Als die Zeit der Primitz des Kaufmann herannahte, erinnerte er den inzwischen als Pfarrer in Maria Trost befindlichen Dirnschädl an sein Versprechen; dieser aber, habsüchtig und eigennützig, gab ihm den grossmütigen Betrag von 5 Gulden, und Kaufmann musste alles zur Primitz zusammenbetteln.

     Als Dirnschädl in den 40er-Jahren starb, als Dechant in Grossflorian, vermachte er seiner Köchin 60 000 Gulden und seinem Bruder, einem armen Keuschler in der Pfarre Kirchbach, 60 Gulden (25)

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