Mit dem 15. März 1848 kam für mich wieder eine verhängnisvolle Zeit heran. (118) Als die revolutionären Unruhen begannen, getraute sich fast niemand mehr aus der Stadt heraus. Wir sassen aus Mangel an Gästen wieder in einer fatalen Soss. Mich drängte es öfter, in die Stadt zu gehen, um zu sehen, was es Neues gab. Alles war in grösster Aufregung und Verwirrung und niemand war sich klar bewusst, was bezweckt werden sollte. Die Nationalgarde wurde errichtet. Patrouillen durchstreiften die Stadt und massenhaft zog Militär bei uns vorbei nach Ungarn, welches sich empörte und sich vom Haus Österreich ganz lostrennen wollte.
Wir hatten durch Einquartierung sehr viel zu leiden und die Nachtkreuzer für das Bett der Soldaten steckte der Gemeinderichter ein. Sogar unser Acker wurde von berittenen Militär-Kommissionen wegen allfälliger Errichtung von Schanzen besichtigt. Der Grazer Schlossberg wurde mit Palisaden, Schiessscharten und sonstigen Befestigungen versehen. Es gab immer viel zu schauen und zu hören. Studenten hatten sich bewaffnet und zogen mit Säbel schleppend mit drohenden Gebärden umher. Der vom Duell beim Brunnsee bekannte Petritsch war einer der eifrigsten Anführer.
Ein Gemälde von Johann Neuhold (Original bei Brigitte Winkler in München)
Goldarbeiter Benedetti und Dr. Emperer hielten dem Gouverneur Grafen Wickenburg den Strick, mit welchem sie ihn zu erhängen drohten, unter die Nase, wenn er nicht das allgemeine Aufgebot erlasse, den durch Windischgrätz bedrohten Wienern zu Hilfe zu kommen. Auf Veranlassung des Gouverneurs erdröhnten dann am Schlossberge mehrere Kanonenschüsse als Aufruf zum Landsturm. Und sehr viele Studenten und andere zogen nach Wien.
Nicht lange darauf kam in meinem Hause am Mühriegel zu Graz Feuer aus. Ich ging zum Nachbar Goigner, da von dessen Hause das Feuer beobachtet werden konnte. Da erscholl von der Kaserne in der Leonhardgasse her ein furchtbarer Lärm; 100 Husaren entkamen samt Pferden, sprengen über die an der Leonharder Maut zugezogenen Schranken und gallopierten über die Ries, da sie ihren Landsleuten zu Hilfe kommen wollten. Als ich von Goigner weg durch den stockfinsteren Wald hinaus auf die Strasse kam, gallopierten die Desserteure eben vorüber. Zwei davon ritten zurück, als sie mich erblickten, nahmen sie mich in ihre Mitte und mit gezogenem Säbel kommandierten sie: «Vorwärts!» Ich musste zwischen beiden wie ein Gefangener dahinschreiten. Als ich aber heftig protestierte und nur langsam ging, die Truppe auch schon weiter trappte, sagte einer der Kerle: «Geh zum Teufel!» und sie jagten den anderen nach. (120) Uns und dem Fuchswirt geschah von dieser Rotte nichts. Aber weiter hinaus begehrten sie bei den Gasthäusern den Wein gleich schäffelweise mit dem Bedeuten: «Gott wirds zahlen!»
Von der erwähnten Familie Plank kam im Jahre 1847 der 17jährige Sohn Heinrich zu uns auf die Ries. Er kam dann unter Vermittlug des Dr. Lener, Arzt im Transportsammelhaus zur Artillerie als Tambur, wurde nach Einnahme der Festung Ofen Leutnant und nach mehreren Jahren als Major pensioniert.
Als im Jahre 1849 die traurigen Begebenheiten in Ungarn stattfanden, kamen von dort viele kranke Soldaten, wovon manche nicht mehr weiterkonnten und bei uns liegen blieben. Daher wir solche durch einige Tage aus Barmherzigkeit pflegten. Es war schauderhaft zu sehen, wenn in der Abenddämmerung lange Wagenzüge kranker, plessierter und toter Kroaten aus Ungarn bei uns vorbei nach Graz kamen. Die Begleitung derselben hatten in Molltönen Trauerlieder gesungen.
Dann wurden in unserer Gegend viele gefangene Honveds einquartiert. Die Eskorte derselben waren lauter Stockpolen aus Galizien, welche kein Wort Deutsch verstanden aber ungemein erfreut waren, dass ihnen meine liebe Gattin in der zu Friedau erlernten, mit der polnischen verwandten slowenischen Sprache verkehrte.
Als von den Ungarn 20 000 Kroaten nächst Hartberg nach Steiermark versprengt wurden, war die Angst vor diesen als Räuber und Mörder verrufenen Truppe auf das Höchste gestiegen. Da dem Vernehmen nach diese Versprengten den Weg in ihre Heimat über Graz nehmen sollten, hatten auf der ganzen Strecke hierher die Gemeindeorgane befohlen, alles Vieh und auch Wertvolles in Sicherheit zu bringen.
Aus Angst über das Leben unserer Kinder hatte ich diese zum Schwager Peter Stadler, Bahnwärter in Spielfeld, gesendet und glaubte sie dort am besten gesichert, falls die Kroaten, die – wie alle Leute mit Bestimmtheit wissen –, auch Kinder ohne Barmherzigkeit umbringen, bei uns vorbeikämen. Die einzige Kuh hatte ich bereits viel früher verkauft.
Ich hatte in der im Keller für Bierlager bestimmten tiefen Grube unsere besten Sachen versteckt, und leere Fässer darübergestellt. Aber alle Ängste und Mühen hätte ich mir ersparen können, denn da die Grazer Bürgerschaft unaufhörlich den Herrn Gouverneur bedrängte, die Kroaten-Invasion von unserer Gegend abzuwenden, und eine Stafette nach der anderen bei uns vorbeisauste, gelang es dem Gouverneur, zu bewirken, dass der gefürchtete Zug von Gleisdorf über Feldbach und Gleichenberg marschierte und sich in der Miseldorfer Haide teils in Natura und teils in Barem bestreiteten. So musste ich, da wir (121) das Haus in Mureck noch besassen, einen Kostenanteil von 1 Gulden, 25 Kreuzer als Brotgeld beisteuern.
Von dort kam der ganze Schwarm, mehrenteils barfuss und zerlumpt durch Mureck nach Spielfeld über Marburg in den Tesenwald zum weiteren Rastlager. Wir hatten so viele Angst vor den Kroaten. Unsere nach Spielfeld gesendeten Kinder hatten von dem auf einer Anhöhe gelegenen Bahnwärterhäuschen den ganzen Zug ohne alle Unannehmlichkeiten mit angesehen. Marie erzählte oft von dem erbärmichen Aussehen dieser Karawane.
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Nachträglicher Kommentar von Eberhard am 7. März 2010:
Brigitte in München schreibt zu dem Bild von Johann Neuhold (siehe weiter oben):
"Das schöne Bild, das bei mir an der Wand hängt,
ist ein Aquarell, wie alle anderen auch.
Ich glaube nicht, daß ich mich irre."
Eberhard dazu: Ich vermute, es ist nicht ein Aquarell, sondern ein Guasch- bzw. Gouache-Bild, also nicht mit lasierenden (durchschimmernden) Farben, wie im Aquarell, sondern mit deckenden Farben. Sicher bin ich nicht. E.W.
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