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Als Dr. Wasserfall im Mai 1871 starb, suchte ich – 63 Jahre alt, aber noch gesund und kräftig – nochmals um eine Stelle beim Magistrat an. Ich wurde aber mit der lügenhaften Behauptung: «Der Magistrat ist keine Versorgungsanstalt» abgewiesen, obwohl damals mehrere im gleichen Alter mit mir dort bedienstet waren. Da bemerkte ich, dass keiner sehr angestrengt war; ich selbst fühlte noch die Kraft in mir, bei meinem Fleisse das Doppelte zu leisten. Meine Schrift war zwar zierlich, doch flink und leserlich.
Im Monat Juni 1871 war ich beim knauserigen Dr. Blamer, der alles selbst verrichten wollte, um 25 Gulden Monatsgeld. Vom 1. Juli 1871 bis Ende Juni 1880 war ich 9 Jahre in der Kanzlei des sehr geschickten Dr. Reddi für ein Monatsgeld von 35 Gulden. Da hier anfangs nicht viel zu tun war, fing ich in den müssigen Stunden und in Abwesenheit des Herrn Dr. Reddi an, meine Erlebnisse niederzuschreiben, kam aber nur bis zum Doppelstrich.
Nachdem jedoch dieser Herr Dr. Reddi die meiste Zeit im Kaffeehaus zubrachte und mit den für Parteien eingegangenen Geldern sehr gewissenlos umging, verlor er nach und nach das Vertrauen und alle seine Klienten, so dass er sein Geschäft in Graz aufgeben musste und nach Windischfeistritz übersiedelte.
(145) Am 31. Juli 1876 gingen ich und meine Frau, dann die Enkelin Gabriele und Wawrinek Elisa früh nach Gösting zum Annenfest. An diesem Tag war die grösste Hitze des ganzen Sommers. Wir besichtigten die Kapelle, den lieblichen Garten und das Glashaus. Bei Dr. Wasserfall war immer sonn- und feiertags die Kanzlei geschlossen. Dr. Reddi hatte aber die Kaprizze, dass auch an diesen Tagen alle Schreiber um 9 Uhr in der Kanzlei sein mussten. Ich konnte also nicht bei meiner Frau bleiben, trug ihr aber recht ernstlich auf, wenn sie noch länger dableiben wollte, bei dieser Hitze ja nicht zu fuss, sondern per Stellwagen den Rückweg zu nehmen.
Ich eilte zur Stadt und die liebe Gattin ging mit den Kindern in das Göstinger Bräuhaus. Da sie aber bei ihrer gewohnten Sparsamkeit die Kosten der Stellwagenfahrt ersparen wollte, ging sie mit den Kindern bei der Hitze gegen Mittag nach hause. Da kam die Nachricht, dass von Pettau der mit meiner lieben Gattin verwandte Hafnermeisterssohn des bereits verstorbenen Johann Maister samt Familie nach Graz kam, und dass wir nachmittags zum Gasthaus Köflacher Bahnhof kommen sollten. Familie Wawrinka kam auch, und so war eine heitere Gesellschaft von 17 Personen beisammmen. Alle waren sehr fröhlich. Da gleichzeitig beim Gasthaus Häuslbauer eine Art Volksfest stattfand, ging die ganze Gesellschaft da hin. Wir alle unterhielten uns sehr gut, denn es gab zu schauen und zu lachen.
Auf einmal wurde meine liebe Frau ganz still. Ihre sonst so heiteren und lebensfrohen Gesichtszüge waren momentan auffallend verändert, entstellt und fremd. Mein Schrecken und meine Traurigkeit hierüber war grenzenlos. Ich zitterte am ganzen Körper und die ganze Gesellschaft wollte von mir erfahren, was sie denn verdrossen oder wer sie etwa beleidigt haben könnte. Sie gab keine Antwort und verlangte, gleich nach hause zu gehen. Ich war bis in das Innerste der Seele betrübt und brachte sie in unserer Wohnung gleich zu Bett und weinte bitterlich, in der Vorahnung, dass ich so aus meiner Seligkeit gerissen, mein liebes Weib, meinen Schutzengel bald verlieren würde.
Andern Tages kamen alle Bekannten, um sich über das Befinden meiner armen Frau zu erkundigen, sie bedauerten sie herzlich. Unbegreiflich war es, dass selbst unser sonst so braver Arzt Rauch ihren Zustand nicht begriff. Die arme Frau verlor allen Appetit und wurde entsetzlich mager. Seit langer Zeit weinte sie wieder und bat mich, mit ihr Geduld zu haben. Wenn mir meine Angst und Trostlosigkeit häufig Tränen entlockten, frug ich mich, warum ich so viel weinte, worauf ich ihr meinen Schmerz über den baldigen Verlust meines innigst geliebten Weibes vorstellte. Sie kannte keine Uhr und kein Geld mehr.
(146) Bis jetzt hatte ich ihr seit 1850 all meinen Verdienst gewissenhaft übergeben und sie hatte auch damit getreu gewirtschaftet. Ich selbst hatte keine eigenen Bedrüfnisse ausser Zeichnen und Farben zur passionierten Malerei. Ich musste die ganze Wirtschaft selbst besorgen.
Da las ich einst in der Zeitung, dass in St. Pölten beim Exerzieren 9 Mann am Sonnenstich erkrankten. So kam ich auf den Gedanken, dass der unselige Zustand meiner armen Frau auch durch die übermässige Hitze am 31. Juli entstanden sei. Im darauffolgenden September hatte sie sich wieder so weit erholt, dass sie wieder kleinere Spaziergänge machen konnte. Aber das unergründliche Schicksal hörte nicht auf, uns zu quälen. Wenn wir Steinkohle benötigten, nahm ich immer auf einmal 20 Zentner, zerkleinerte sie und schleppte sie korbweise allein in die Holzlege.
Als wir am 17. Oktober mittags wieder 20 Zentner erhielten, machte ich mich gleich an die Arbeit, um noch vor der Kanzleistunde fertig zu werden. Da kam meine liebe Ehegattin vom 2. Stock herab, um mir zu helfen. Ich bat sie wiederholt dringend, in ihrem Zimmer zu bleiben, denn die 20 Zentner waren für mich ein Kinderspiel. «Ja, was würden die Leute sagen und von mir denken, wenn ich untätig im Zimmer bliebe, statt zu helfen», sagte die gute Frau und liess sich durchaus nicht abhalten, die verkleinerten Kohlen in den Korb zu klauben. Doch das mehrfache zu Boden Bücken muss ihr eine Gehirn-Konfusion verursacht haben; denn wie ich abends nach hause kam, lag die arme Frau schwerkrank darnieder und ich erkannte sogleich zu meinem Schrecken, dass jetzt unser Glück für immer dahin sei.
Ich hatte sonst niemand ausser der Enkelin Gabriele, die noch in die Schule ging. Ich nahm sogleich die Schwester der ersten Frau des Herrn Dr. Wawrinek, Viktoria Wengert als Wärterin auf, bis sie Ende Februar 1877 bei der Kranken war und die irtschaft (den Haushalt) führte. Ich hätte sie zur Pflege der armen Gattin noch länger bei uns behalten, aber meiner Frau fiel es ein, dass die Wärterin in ihrer Jugend im Stande war, allen Männern den Kopf zu verrücken, sonach bei mir vielleicht die Gefahr vorhanden wäre. Welche kuriose Vermutung! Die Wärterin war weit über 60 Jahre, von ihrer einstigen Schönheit und sonstigen Reizen war keine Spur mehr vorhanden. Als meine Frau den Typhus hatte, waren alle ihre Kopfhaare ausgefallen, wuchsen dann aber wieder dunkelbraun wie früher nach.
Den Arzt, Dr. Rauch, der meine liebe Gattin behandelte, bat ich während der Krankheit wohl sehr oft und recht dringend, sie vom Sterben zu retten. Er tröstete mich und meinte, dass sie noch fünf bis sechs Jahre leben werde. Er hat mir geraten, die feuergefährliche Wohnung im (147) Dachgeschoss schon wegen des für die arme Frau unbequemen Aufganges zu verlassen. Mehrere Monate gingen wir in das Gasthaus zum Flossmeister Grengg zur Mittagskost, denn die arme Frau konnte sich mit eigener Küche nicht befassen.
Nach vielem Herumsuchen fanden wir endlich im Hause des Herrn Wastian in der Sterngasse nächst dem Griesplatze eine lichte Wohnung im ersten Stock mit 2 Zimmern, Küche und Holzlage für montlich 12 Gulden. Der neben uns wohnhafte Herr war Marqueur und hatte eine kleine, freundliche Frau.
Meine Gattin wollte nun wieder selbst kochen. Als ich einst im Landtafel-Amte zu tun hatte, kam eilig ein Dienstmann mit der Weisung, ich solle sogleich nach hause kommen, denn meine Frau hätte der Schlag getroffen. Man kann sich denken, wie bei dieser Schreckensnachricht mein Herz erbebte. Ich eilte, was ich konnte und fand meine arme Frau noch lebend unter den Händen der braven Marqueursleute, die noch immer die halb Bewusstlose zu laben bemüht waren.
Kaum hatte sich die so schwer betroffene, arme Frau nach einigen Wochen von diesem Schlaganfall etwas erholt, kam der dritte, denn ich rechnete die traurige Begebenheit vom 31. Juli 76 als den ersten. Ich hatte an einem Sonntag früh gerade eine wichtige Schreiberei. Meine Gattin sass ganz stille im Armstuhl nicht weit von mir, da merkte ich im Schreibeifer nicht, dass sie zusammensank. Zufällig ging die Nachbarin an unserer offenen Zimmertür vorüber, und das Zusammensinken gewahrend, eilte sie mit dem Ausruf: «Um Gottes Willen, die arme Frau Neuhold!» zu Hilfe. Wir brachten sie zu Bett, labten sie so viel wie möglich und bemühten uns, sie wieder zu Bewusstsein zu bringen.
Den ganzen Monat Mai 1879 litt ich an Herzkrankheit; der Arzt wollt mir die Herzbeutel-Wassersucht profezeien. Meine liebe Gemahlin, die Bewegung und fleissige Arbeit gewohnt war, siechte nun dahin. sie konnte nichts mehr tun. Der Arzt behauptete, gegen Altersschwäche gebe es kein Mittel.
Das böse Geschick liess meine arme Frau nicht mehr in Ruhe. Plötzlich wurde sie wieder vom Rotlauf befallen. In der Lagergasse fand ich eine Tischlersfrau als sehr brave Krankenwärterin, namens Sininger, deren Mann beim Zimmermeister Pucher arbeitete.
Unsere Tochter Marie war 4 Jahre bei der Gräfin Bathyany als Kindsfrau und als die gräflichen Kinder eine Gouvernante bekamen, wurde Marie als Kindsfrau entbehrlich. so kam Marie nach hause und löste die Wärterin ab.
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Mittwoch, 31. März 2010
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