Samstag, 27. März 2010

56. Die Turner-Reise nach Judenburg

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     Am Pfingstsamstag 1866 machten 90 Grazer Turner einen Ausflug nach Judenburg, welchen Eduard als Turner und ich als unterstützendes Mitglied mitmachten. Mit dem Köflacher Zug ging die Fahrt nach Köflach, wo Nachtlager gehalten wurde. Anderntags fuhren wir durch Lankowitz über die Stubalpe. Auf der Höhe derselben wehte ein gewaltiger Sturm, dass ein Mann allein nicht imstande war, fortzukommen. Drei und drei, Arm in Arm – nur so war es möglich, dem Sturm Trotz zu bieten. In einer Stunde jenseits, abwärts steht ein grosser Bauernhof «Zum Stübler», damals dem Judenburger Baumeister Zerro gehörig, wo uns eine Depudation der Judenburger Turner bewillkommte und auf Veranlassung des Bürgermeisters Habiantschitsch eine Mittagstafel hergerichtet war. Da gab es Schinken, Käse, Salami, Brot, Eier und Wein im Überfluss. Jeder konnte vertilgen, was er wollte – eine Gebirgsreise macht ja einigen Appetit. Nach einigen, vom Grazer Musikvereins-Lehrer Genser dirigierten Gesangsvorträgen setzte sich die gestärkte Gesellschaft nach Ausser-Feistritz am Fusse der Stubalpe in Bewegung, wo wieder für jeden Mann eine Halbe Bier samt 1 Stück Brot gratis bereit war. Auf 18 Leiterwägen mit darauf angebrachten Sitzen kam der ganze Zug – die Weisskirchner Musikbande voran – zu diesem Markte, wo sich die Musiker aufstellten und wir vorbeidefilierten. Dann ging es in grösstem Trapp in starker Sonnenhitze und heftigem Staube gegen Judenburg.

     Vor der Stadt erwarteten und bewillkommten uns die Judenburger Turner mit Fahnen und einem schönen Gedichte. Dann hielten wir – die gut geschulten Musiker, 12 Mann in Bergmannstracht voran, in militärischem Schritt – unsern feierlichen Einzug in die Stadt, wo nach beendigtem Abendgottesdienst noch eine ungeheure Menge Menschen von nahe und fern versammelt war, um den Einzug zu sehen.

     Alle Gassen, durch welche wir marschierten, waren mit Fahnen und Blumen geschmückt; wir wurden mit Blumen beworfen und vom Bräuhause herab kam ein grossartiger Blumenregen. Die Frontaufstellung geschah am Hauptplatze, da wurden Quartierkarten ausgeteilt. Ich kam zu einer freundlichen Professorenfamilie und Eduard mit einem Handlungs-Comis zu einem Kaufmann. (142)  Abends war sogenannter Zapfenstreich und dann auf der Post grosse Tafel, wie bei einer reichen Hochzeit. Bewillkommnungs-Deklamationen, Gesang und Tanz kamen abwechselnd vor, und die jugendliche, schöne Welt war zahlreich vertreten.


     Für das Gastmahl zahlte jeder Turner 60 Kreuzer. Am andern Tage früh zog die Musikbande durch die Stadt. Dann wurde ein Ausflug über einen nahen, niedrigen Berg und zurück zur Schiessstätte organisiert. Im grossen Hof des ehemaligen Klosters war herrliches Schauturnen, bei welchem die Judenburger und Grazer Turner an Künsten und Körperkraft wetteiferten.

     Mittags war wieder reich besetzte Tafel. Dann, nach herzlichem Abschiednehmen von den überaus freundlichen Judenburgern, platzierten wir uns wieder auf den bereitgehaltenen 18 Leiterwägen. Unter Jubel, Jauchzen und Hüte Schwenken kam der Zug fort nach Ausser-Feistritz. Dort machte ich auf den näheren Weg über die Stubalpe aufmerksam, den ich vor 45 Jahren gegangen war. Die Hälfte der Gesellschaft machte mit dem Tambour den Weg über die Strasse, die andere Hälfte mit dem Trompeter entschied sich für den Feistritzgraben. Nach ein paar Stunden kamen wir zum kleinsten Pfarrorte, Klein- oder Innerfeistritz.

Hier trat uns der Pfarrer entgegen und sagte: «Meine Herren, Sie dürfen hier nicht still vorbeiziehen, ein kleiner Imbiss wird nicht schaden, denn ich bin ein Turnerfreund!» Er bewirtete uns mit delikatem Bier, Käse, Brot und 2 Mass sehr guten Weins. Drei herzige Mädchen von 10, 12 und 14 Jahren bedienten uns abwechselnd. Herr Pfarrer sagte, diese Kinder wären seine Cousinen, für die er zu sorgen habe.

     Die andere Gesellschaft hoch oben auf der Strasse bemerkte uns, und der Trommler meldete sich, worauf unser Trompeter Antwort gab. Nach ein paar Gesangsvorträgen erstatteten wir dem freigebigen Herrn Pfarrer unseren Dank. Dann ging es jäh bergauf. Um 12 Uhr nachts kamen wir auf der höchsten Höhe mit der anderen Gesellschaft zusammen. Ich war immer der erste voraus und alle wunderten sich, wie ich mit 58 Jahren so tapfer marschieren konnte. Um 4 Uhr früh waren wir in Köflach. Um 5 Uhr ging es per Bahnzug nach Graz. Nach Begrüssung meiner Kinder und zärtlicher Liebkosung meiner braven Gattin nahm ich den Kaffee und ging dann in die Kanzlei. Mittags machte ich ein Schläfchen.

     Diese Reise bleibt mir wohl unvergesslich. Um den Judenburgern ein Andenken zu geben, sendete ich an den Turner Egyd Frank, Cousin der Anna Frank von den «Biertrinkern» 2 Bilder, eines für ihn und eines mit dem Wunsche, dass dasselbe im Bräuhause, wo wir so sehr mit Blumen überschüttet wurden, angebracht werde. Nach 2 Jahren schrieb Edyd Frank, dass alle Jahre am Pfingstsonntag das Bild im Bräuhause mit frischen Blumen gekränzt werde.
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