Donnerstag, 11. März 2010

52. Dr. Wasserfallen und seine Frauen

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     Als infolge meiner erwähnten schriftlichen Ansuchen vom Advokaten Dr. Anton Wasserfall, Edler von Rheinbrausen, eine Einladung kam, trat ich am 15. November 1850 in dessen Kanzlei am Mehlplatz im Hause Café Spieler gegen monatliche 12 Gulden den Dienst an. Aber beim Auszahlen des halbmonatigen Gehaltes hatte der Herr Doktor den Monatsgehalt auf 18 bestimmt, da er meine Brauchbarkeit erkannte. Vor Antritt dieses Dienstes hatte ich beim Magistrate in Graz um eine Stelle angesucht, wurde aber abgewiesen, da ich nicht nachweisen konnte, beim Militär gewesen zu sein.

    Herr Dr. Wasserfall erhöhte nach und nach aus eigenem Antriebe meine Besoldung als Sollizitator auf 25 Gulden, dann auf 30 Gulden CM (Convertierte Münze), dann im November 1858 auf 32 Gulden und später auf 35 Gulden Wiener Währung.

     Er hatte unter seiner Frau, geb. Rossmann, Verwaltungstochter von Gutenberg viel Vermögen erworben, hatte drei Töchter, und die zwei Söhne studierten. Das Violinzel   (wahrscheinlich Violoncello) war sein Lieblingsinstrument.

     Aber von seiner neuen Geliebten, in die er unbändig vernarrt war, liess sich nichts Gutes erwarten. Sie war die Frucht aus dem erwähnten Schmiedsohn Leistentritt und der frechen Köchin beim «Goldenen Ross» bestandenen Verhältnisse, war dann beim Beamten und Vormunde Testales, dessen Gattin vorher einen höchst zweideutigen liderlichen Lebenswandel führte und jetzt Hebamme war, in Erziehung.

(127)  Sie wusste bei ihrer Schönheit und üppigen Gestalt fast alle Studenten zu betören und dann den Herrn Dr. Wasserfall in ihr Netz zu ziehen. Ungeachtet aller Warnungen von Seiten der Schwiegersöhne, Bezirkskommissar Professor Bauer und Dr. med. von Kottowitz, liess sich Herr Dr. Wasserfall, der damals der berühmte Advokat war, von der Kreatur umgarnen, dass er alle ihre Wünsche erfüllte und sie endlich heiratete, und zwar nach Übersiedlung in das Radschillersche Haus am Mehlplatz. Hier war es der frechen Person zu langweilig und der Herr Dr. musste am Hauptplatz im Lugeck eine teure Wohnung nehmen, damit sie recht unverschämt mit offener Brust am Fenster liegen, mit den im Café Nordstern gegenüber befindlichen Offizieren liebäugeln und sich von ihnen begaffen lassen konnte. Der Gehalt des Herrn Dr. als Landesausschuss per 2000 Gulden kam ihrer Verschwendungssucht sehr zustatten. Sie betrieb dieselbe so wie ihre Untreue grossartig. Was er bei seiner ersten, sehr wirtschaftlichen Frau erworben hatte, suchte die zweite in höchst ehrvergessener Weise zu vergeuden. Wenn sie in der Wohnung Gesellschaften und Konzerte veranlasste, kamen die Kosten jedesmal auf 100 Gulden. Sie mietete sogar in einem anderen Hause ein Zimmer, wohin sie ihre besonderen Besucher zitierte.

     Einst ging sie in ihrem Mutwillen einem Offizier in Marburg nach. Als der Herr Dr. sie von dort in schonendster Weie abholen wollte, schrieb sie ihm von Vöslau um Geld. Herr Dr. war wieder so gefällig, ihr einmal 50 Gulden, dann 70 Gulden zu senden, wo sie dagegen nur verdient hätte, ber Schub expidiert zu werden. Ich konnte mich nicht entschliessen, dieser schamlosen Ehrfurcht zu heucheln.

     Auf ihre Veranlassung wurde der so schöne, erträgliche sogenannte Doktorhof in Neustift oberhalb Andritz, dem Dr. Wasserfall gehörig, verkauft und dafür um 25000 Gulden ein grosser Weingarten bei Marburg samt schönem Herrenhause gekauft. Die in dasselbe nachgeschafften Möbel und Luxusgegenstände kosteten 5000 Gulden.

     Sie hatte die Kapritze, immer einen grossen Hund um sich zu haben. Da dieser jeden in das Haus Eintretenden grimmig anfiel, verlangte der Hausherr, Ritter von Warnhausen, entweder den Hund zu entfernen oder eine andere Wohnug zu suchen. Aber ehe sie ihrem Liebling entsagte, wurde eine andere Wohnung in der Herrengasse in dem Hause des Kaufmanns Stoklasa genommen. Dort hatte sie eine neue Bekanntschaft mit einem Offizier aus Prag, namens desLoges. Sie hielt dessen Schwester, eine wahre Meerkatze, längere Zeit bei sich als Gesellschafterin und vermochte sogar den Doktor zu überreden, dass alle zusammen zum Besuche der Eltern des Offiziers nach Prag reisten.

     (128) Nachdem dem grossen Hund von irgendjemanden Gift beigebracht wurde, kam die vierfüssige Bestie in das Tierspital, wo sie nach einigen Tagen verendete.

     Zufällig konnte aus einem an eine Freundin über den Tod des Hundes geschriebenen und schlecht versiegelten Briefe der Doktorin herausgelesen werden, dass sie im unermesslichen Schmerze um den Hund diesem einen grossen Kranz angeschafft und wegen Unzukömmlichkeiten mit demselben die Übersiedlung in die Schmiedgasse, Griesslersches Haus bewerkstelligte.


Als die Kanzlei noch im Radschiller'schen Hause am Mehlplatz war, lagen in einer besonderen Kammer die Akten in grösster Verwirrung durcheinander. Sooft die Conzipienten einen Akt benötigten, stöberten sie in der Rumpelkammer oft halbe Tage bis das Gesuchte gefunden wurde. Da nahm ich mir grosse Mühe, nach und nach den ganzen Kram Blatt für Blatt zu sondieren. Ich musste ein Register anfertigen und brachte über 100 Akten faszikel zusammen, wovon allein 17 den reichen Josef Sessler betrafen. Als der Herr Dr. meine sehr nötige und sehr zweckmässige Registratur bemerkte, rief er freudig aus: «Nun wird Licht!»

     Herr Dr. Wasserfall war ein grosser Bilderfreund und beschäftigte sich selbst als halber Künstler mit der Ölmalerei. Manchen Tag kam er nicht in die Kanzlei, und wenn er sich zur Durchsicht und Signierung der zu expidierenden Akten bequemte, wurde er von der nur auf Verschwendung und Zerstreuung sinnenden, aber keineswegs geistreichen Gattin zur Spazierfahrt abberufen.

     In der Kanzlei am Lugeck ging die Advokatur am stärksten. Das Personal bestand aus den Conzipierten Dr. Bartl und Dr. Karner, den Doktoren Glass und Maurer, aus mir als Sollizitator und aus 4 Schreibern.

     Die mit einem Fusse etwas hinkende Doktorin wusste einen kaum der Schule entwachsenen Bengel, Klumer, in die Kanzlei als Schreiber zu bringen. Der bekam von ihr den geheimen Befehl, das ganze Personal zu kontrollieren und ihr Bericht zu erstatten. Nachdem Dr. Maurer und Schreiber Prettenhofer entlassen waren, erfrechte sich der Bube Klumer zu sagen, dass er noch mehr wegbringe werde. Da erfasste ich ergrimmt ein Lineal, um ihn zu züchtigen. Schreiber Kreft wollte den Gauner bei seinen dichten Schopfhaaren ergreifen. Dieser aber ergriff die Flucht und kam anderntags mit glattgeschorenem Schädel, weil er sich doch vor dem Gerissenwerden fürchtete.

     Da mir einfiel, dass Klumer mutwilligerweise eine Schelmerei ausgeübt haben dürfte, und ich diesen Verdacht sogleich meiner lieben Frau mittteilte, hatte sie bei der mit uns gut bekannten Beschliesserin im Polizeihause, namens Maninger, sogleich erfahren, dass Klumer abends vorher in der Annenstrasse einem Geistlichen den Hut angetrieben habe und deshalb arretiert worden sei.

     Da der Bube zu seinem nächtlichen Ausfluge sogar den feinen Kanzleirock  (129) des neuen Konzipienten Dr. Decrinis anzog und dessen Regenschirm mitnahm, wurde die gänzliche Entlassung des Arretierten aus der Kanzlei begehrt und auch erwirkt. Den schon im Arrest gewesenen feinen Rock wollte Dr. Decrinis nicht mehr tragen und schenkte denselben mir. Mein Sohn Eduard hatte daran lange Zeit ein hübsches Kleidungsstück.

     Ich erkannte schon lange, dass die Doktorin auch meine Entfernung beabsichtigte, weil ich ihr nicht schmeichelte und huldigte, was bei meiner Abscheu aller Laster eine Unmöglichkeit war.

     Als einst sich die Kanzleiarbeiten sehr häuften, wollte der Herr Dr. noch einen Schreiber aufnehmen. Ich machte aber den Antrag, über Haus Schriften mitzunehmen und die Mundierung zu besorgen, was er bewilligte und ich dabei monatlich 5 – 6 Gulden, einmal sogar 18 Gulden verdiente.

     Alle möglichen Gelder gingen durch meine Hand. Ich hatte alle Besorgungen und Besoldungen auszuzahlen und die eingegangenen Summen an die Parteieen abzuführen, wobei ich manchen Gulden von Ihnen als Douceur erhielt. Der Herr Dr. hatte den beiden privat studierenden Schreibern Kreftet und Kratochwill zu guter Anstellung im Lande verholfen und hatte auch mir eine solche versprochen. So oft ich ihn aber daran erinnerte, sagte er immer: «Nur Zeit lassen, wird schon werden».

     Nachdem die ehrvergessene Doktorin Veränderung liebte, wurde für Wohnung und Kanzlei in der Paradeisgasse im Novak'schen Hause der 2. Stock gemietet. Nachdem sie sich hier an der Aussicht in die belebte Murgasse satt gesehen hatte, wurde in das Murmaier'sche Haus am Fliegenplatz überwandert. Da der Herr Dr. hier bei Dr. Murmaier seine Praxis einst begonnen hatte, wollte er auch in diesem Hause vollenden. Ich erinerte ihn nicht oft wegen einer guten Anstellung für mich im Landhause, aber er wollte mich nicht weglassen, weil er dann keinen so Verlässlichen mehr habe.

     Dr. Wasserfall war schon hoch in den Jahren. Da er seiner unersättlichen Fuchtel nicht mehr gewachsen war und ihre Liebhaber sich zurückzogen, wurde sie wegen unbefriedigter Leidenschaft wahnsinnig und starb an Tobsucht im Spital der Irrenanstalt. Durch ihre Verschwendug hatte sie es dahin gebracht, dass der grosse Weingarten bei Marburg samt dem schönen Hause und teurem Mobiliar wegen einer Forderung des reichen Sesslers per 16000 Gulden exekutive verkauft wurde.

     Über alle Schandtaten der nebenbei sehr dummen Doktorin könnte ein dickes Buch geschrieben werden. In der Kanzlei am Fliegenplatz war als Conzipient der Obersten-Sohn Dr. von Hofer, nachmals Advokat in Mureck.  (130)  Dessen die Medizin studierender Bruder war nachmittags Schreiber. Beide waren überaus freundliche Herren.

     Inzwischen kam der gute Dr. Wasserfall um seine durch 6 Jahre innegehabte Stelle als Landesausschuss. Da sonach die jährliche Besoldung per 2000 Gulden wegfiel und das Kanzlei-Erträgnis zur Bestreitung aller seiner Bedürfnisse nicht hinreichte, wurde er darüber so erregt, dass er im Mai 1871 am Herzschlage starb. Ich war nun nach einundzwanzigeinhalb Jahren brotlos. Ehe er seine oftmals gemachten Versprechungen, mich im Landhause unterzubringen, erfüllen konnte, hatte ihn der der Tod ereilt.
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