Mittwoch, 30. Dezember 2009

11. In der Normalschule


   Peter Kaufmann wurde sehr dick und fett und starb als Benefiziat des Siechenhauses in Graz gegen Ender der 70er-Jahre. Da es in der zweiklassigen Pfarrschule für mich nichts mehr zu lernen gab, erwirkte ich den Besuch in der Normalschule in der Stadt, wo ich wohl bedeutende Fortschritte machte. In der Zeichnungsabteilung wurden jedoch nur Blumen, Arabesken und Architektur gelehrt; mein Hang war nach Figuren und Porträts, worüber nur in Privatstunden Unterricht erteilt wurde.

     Im Jahre 1820 ging ich zu einem alten Herrn Reichmaier in die Flötenschule. Dieser Herr gab noch zwei anderen Kindern, den Brüdern Josef und Martin Eder und dann dem Wirtssohne Schmölzer Unterricht. Meine Eltern – obwohl nicht bei Vermögen – wollten, dass ich studieren soll. Ich aber war der Meinung, dass alle, die studieren, Schwarzröcke werden müssten, was mir durchaus nicht passte, da ich gerne tanzte und hübschen Kindern sehr in die Augen guckte. Mit meinem Flötenstudium wurde es sehr bald gar; denn, weil ich nicht sogleich die besten Steirischen hören lassen konnte, Instruktor und Noten den Eltern zu kostspielig und sie stets ohne grössere Geldmittel waren, musste ich nach drei Monaten den Musiklehrer aufgeben. Meine Flötenmitspieler – Martin Eder wurde Oberst der uniformierten Bürgerwehr, Josef Eder produzierte sich noch viele Jahre als Flöten- und Guitarre-Spieler und Schmölzer ging nach sechs Jahren Unterricht als Virtuose auf Reisen und wurde nachher als Güterinspektor und gefeierter Komponist Vorsteher des Mürzthaler Sängerbundes.

     Ich profitierte von meinen Anfangsgründen doch so viel, dass ich fast jede Melodie nach dem Gehöre und Noten aufsetzen und die mir vorgelegten leichten Stücke einstudieren und spielen konnte.

     Mit vierzig ging Johann Dunkel, Sohn des Vetters aus Hartberg, als Kostgänger bei Josefa Gruber, Schwägerin derselben, dann Jos Pilz, Stiefsohn des Schmiedemeisters Wacker am Gries, und Josef Wadiasch, Sohn einer Schwester des Hacker, in die Normalschule. Wir Viere waren unzertrennliche Freunde. Josef Dunkel wurde aber von seinen Eltern ganz verzogen, hatte immer Geld im Überfluss zur Verfügung und führte uns nach der Schule in das Gasthaus zu Bier, Salami und Käse und abends ins Theater.

     (26)  Einst machte ich ihm Vorwürfe über seine Geldverschwendung, da kam ich aber schief an. «Schau», sagte er, «wenn Dir das gute Leben nicht recht ist, so werde ich statt deiner schon einen andere Kameraden finden.» Nun dachte ich wohlweislich stille zu sein; denn sonst wäre mein Liebstes, das Theater, in Verlust geraten.

     Wenn ich früh zur Stadt in die Schule ging, hatte ich stets einen Korb voll Verkaufs-Artikel meiner Mutter auf den Kapaunplatz zu tragen, lernte da dann aus meinen Büchern am Glacis, wo ich nebstbei den militärischen Übungen gerne zusah.

     Der erwähnte Herr Erler war nun Inhaber der Mohrenapotheke in der Murvorstadt und sehr vermögend, und kaufte das zu seinen Mahlzeite nötige Geflügel stets bei meiner Mutter aus treuer Erinnerung seiner Jugendliebe, und sagte ihr sehr oft: «Du bist halt immer noch meine liebe dicke Mirzl.» Wenn ich dann zufällig zugegen war, musste ich die von ihm gekauften Hühner, Tauben, Spanferkel etc. in seine Küche tragen, wofür ich jedesmahl einen Silberzwanzeger erhielt.


Einst sass ich am Sonntag Nachmittag neben meiner Mutter beim Fenster, und ich sah die vornehme Welt nach Puntigam, ein vielbekannter Erholungsort bei Graz, kutschieren, als der Apotheker Erler in seiner prachtvollen Equipage vorbeifuhr und meine Mutter bitterlich zu weinen begann. Nach vielem Zureden, mir den Grund ihres Kummers anzugeben, sagte sie endlich: Ja, in dem Wagen könnte jetzt sie mitfahren und eine vornehme Frau sein, wenn sie sich den Heiratsanträgen des Herrn Erler gefügt hätte. Und da er sie aus alter Bekanntschaft am Kapaunplatze täglich besuchte und zeitlebens ledig blieb, und sie sich wohl stets nach einem besseren, sorgenfreien und ruhigeren Leben sehnte, mochte sie ihren Irrtum wohl einsehen.

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Dienstag, 29. Dezember 2009

10. Theaterspiel - Ja, diese Pfarrer

    Nun wurde mit der Zeit Mam Theres schwer krank, musste den Dienst aufgeben und nahm Zuflucht bei uns. Nach ihrer Genesung wollte sie keinen Dienst mehr antreten und widmete (22) sich dem Kaupaunerhandel in Wien durch viele Jahre, machte bei ihrer Genügsamkeit grosse Ersparnisse, dass sie ihrer hier erwähnten Tochter Caroline, die bisher bei ihrem Vater, Peter Kocher, lebte, 3600 Gulden conv. Münze bei Verehelichung mit Herrn Schmiedemeister Scholl in Marburg, nachher Hausbesitzer vor dem Sacktore in Graz, mitgeben konnte, und im Alter noch zu leben hatte. Peter Kocher, welcher der Mahm Theres von Jahr zu Jahr die Ehe versprochen hatte, wurde inzwischen Eigentümer der einträglichen sogenannten Steinermühle am nie zufrierenden Andritzbache auf der Andritz, heiratete in seinem Alter zwischen 50 und 60 Jahren die reiche Bäckerswittwe Walenta vom Gries und hatte die Absicht, mit deren Sohne die Tochter Caroline zu verbinden. Ihr bisheriges Wesen aber hielt damals jeden Freier fern, bis ein Jakob Scholl ihrem Gelde zuliebe und wegen reicher Erbschaft nach Peter Kocher kam.

     In der Pfarrkirche bei den sogenannten Weiss-Spaniern in der Karlau verdiente ich beim Ministrieren, dann als Windlichtträger bei Kindesleichen etc. manchen Groschen, Sechser und auch Silberzwanzger, und hatte am Geldzusammensparen meine Lust. Schon als Knabe von zehn Jahren hatte ich nie weniger als 20 Gulden im Vorrate, was damals schon viel Geld war.
Zudem hatte ich eine besondere Vorliebe zu Theater und Soldatenspielen und verbrachte viel Zeit zur Verfassung geeigneter Possenspiele, Abrichten der Mitspielenden und Herrichtung der selbstgemachten Dekorationen auf unserem Hausboden. Von den damaligen Kollegen beim eigenen Theater weiss ich mich nur an einige mehr zu erinnern, u. a. König, nachheriger, vermöglicher Buchbinder in Feldbach, und Eduard Rabitsch, Stiefsohn des Kontrollors Graffl in der Karlauer Mauth.

     Der Rabitsch war der Sohn des verstorbenen Silberarbeiters Rabisch und wurde Kuperschmied, Grenzjäger und Korporal beim Grazer Regiment, hatte ein gutes Mundstück, wusste am Theater aus dem Stegreife die köstlichsten Spässe vorzubringen, war aber als Lehrjunge äusserst boshaft. Und wenn ich ihm dann die Unzukömmmlichkeiten vorwarf, sagte er stets: «Schau, jetzt kann ich meine Bubenstreiche und Schelmenstücke ausüben, als Geselle darf ich ohnedem nichts.» (23) Seine Mutter, die Frau Kontrollorin, war gegen ihn zärtlich und verschaffte uns sonntags oft den Besuch des landschaftlichen Theaters.
Der Herr Kontrollor war ein leidenschaftlicher Jagdfreund. Er übergab seine Jagdbeute meiner Mutter zum Verkaufe und ich erhielt von ihm bei Abgabe des Erlöses bedeutende Trinkgelder.

     Ich hatte auch die Gabe, den Inhalt jedes gesehenen Theaters beinahe wörtlich anderen mitzuteilen und musste meiner Mutter, die bei meiner Nachhausekunft bereits im Bette war, jedesmal den Gang des Schauspieles erzählen.

     Aus meiner Nachbarschaft hatte ich bei zwei Knaben meines Alters um mich, für welche ich Gewehre und Säbel schnitzte und Tschakos und Patronentaschen aus Pappendeckel aus eigenem Selbst verfertigte. Auf der nahen Leinwandbleiche hielten wir unsere Exercitien und Manöver, welche damals Schanze genannt wurde. Einst vollführten wir an einem Sonntage nach Mittag eine Schwimmproduktion, in dem wir an der Mankert'schen Knoppernstampfe mit von mir aus Wachsleinwand verfertigten Tierköpfen maskiert und mit geladenen Pistolen versehen ins Wasser stiegen und jeder mit einer Hand schwimmend durch die steinerne Brücke fort losknallte und im Wasser viele Ziggen machte. Zuschauer und Gelächter gab es eine Menge.

     Wie schon erwähnt, war ich in der Pfarrkirche als Ministrant beschäftigt. Ich hielt mich oft bei dem dortigen, sich gerne mit häuslichen Arbeiten beschäftigten Herrn Pfarrer Stradner – ihm in allem helfend – auf, und kam dabei zur Überzeugung, dass die dem Volke gepriesene Heiligkeit der Religion, Gebräuche und ihrer Lehrer wohl mit sehr viel Heuchelei und Lüge gespickt sei, denn Pfarrer, Kaplan, Lehrer, Messner und Messnerin machten unter sich über heilig sein sollende Sachen, Evangelien und Bibelsprüche allerhand Glossen und gemeine Spässe, und behandelten kirchliche Gegenstände und Zeremonien so ordinär und alltäglich, wie der Professionist sein Handwerkszeug. Weil es mir dort aber manchen Silberzwanziger eintrug, so heuchelte ich gerne mit.


     Der Herr Kaplan Dirnschädl kam oft zu uns auf Besuch; und da die Mam Theres einmal anfing: «Wissen sie noch, geistlicher Herr, als sie zu Herrn Höck als Bettelstudent kamen, die weibliche Dienerschaft liebkosten und neckten und wir Ihnen dafür die Hose abgezogen und den nackten Hintern durchpeitschten?» Da lachter er aus vollem Halse und sagte lustig: «Ja damals, das war wohl eine schöne Zeit!»

     Dieser Kaplan war ein besonders aufgeweckter und auf die Schulkinder sehr guter Herr. Er suchte unter diesen die intelligentesten heraus und gab aus eigenem Antriebe unentgeltlich Mittwoch und Samstag Nachmittag Unterricht in Geografie und biblischer Geschichte, zu welch letzterer er sehr viele schöne Kupferstiche erklärte. Und bei dieser Gelegenheit kam ich an Lernbegierde und Kenntnissen vielen anderen voraus, unter welchen es manche gab, denen ich beim Aufgabenmachen und Examenlernen half, wofür ich besonders vom Dornschneider Wirtssohne Karl Stindl mit geniessbaren Artikeln reichlich belohnt wurde.
Dieser hatte mich einst und den Peter Kaufmann, ein witziger, talentvoller und zu kindlichen Streichen aufgelegter Sohn eines Geflügelhändlers, zum Kirschenbrocken eingeladen. Stindl und Kaufmann stiegen auf den mit herrlichen Früchten beladenen Baum und ich blieb unten, um die gepflückten Kirschen in einen Korb zu bringen. «Schau, nur zum Klauben!» hiess es von oben, und ich sammelte emsig, ohne aufzuschauen. Aber auf einmal regnete es, untermischt mit halbweichen Brocken auf meinen Rücken, und vom Baume herab erscholl ein gellendes Lachen, denn Kaufmann hatte sich oben durch Umkehren seiner Hosen den unreinlichen Scherz erlaubt. Ich machte gute Miene zum bösen Spiele und lief dafür mit dem schon mit Kirschen gefüllten Handkorb nach Hause.

     Peter Kaufmann kam durch eigenen Fleiss und mehrseitige Unterstützung in die Lage, studieren zu können. Und da dessen Ränke und das schwänkevolle Benehmen von dem Katecheten Dirnschädl erkannt wurde, bestimmte er ihn, den geistlichen Stand zu wählen und versprach ihm, die Primitz auszuhalten, wenn er, Dirnschädl, bis dahin Pfarrer sein würde.

     Als die Zeit der Primitz des Kaufmann herannahte, erinnerte er den inzwischen als Pfarrer in Maria Trost befindlichen Dirnschädl an sein Versprechen; dieser aber, habsüchtig und eigennützig, gab ihm den grossmütigen Betrag von 5 Gulden, und Kaufmann musste alles zur Primitz zusammenbetteln.

     Als Dirnschädl in den 40er-Jahren starb, als Dechant in Grossflorian, vermachte er seiner Köchin 60 000 Gulden und seinem Bruder, einem armen Keuschler in der Pfarre Kirchbach, 60 Gulden (25)

9. So jung ich noch war ...


    So jung ich noch war, so erkannte ich schon, dass das Stubenmädchen bei Dr. Funk, Johanna Seidnitzer, Schmiedemeisterstochter von der Schmiedgasse, eine der ersten, vorzüglichsten Schönheiten war: jung, mittelgross und von junoischer Körperfülle, aus ihrem seelenvollen Auge sah der lieblichste Himmel und ihr niedliches, freundliches Benehmen bezauberte alle Herzen, sogar der damalige Kaspelwegführer ward davon halb verhext. Sie las auch gerne Romane, und da sie meine Wissbegierde bemerkte und ich eben auf die vom Einkauf rückkehrende Köchin Therese wartete, gab sie mir einstweilen die Geschichte vom patriotischen Gelübte zu lesen. Nachdem Johanna einen Hang zur Abwechslung hatte nahm sie Dienst in Wien an.

     An deren Stelle kam aus der Marburger Gegend eine andere namens Luise, die auch sehr hübsches Äusseres nachwies.

     Am Hauptplatze vor dem Weiss'schen Hause hatte ein junger, netter Mann einen Verschleissstand mit Kerzen und Seifen. Dieser Herr Karl Koller hatte kaum die am Fenster der Funk'schen Wohnung mit emsiger Näherei beschäftigte Luise gesehen, als er in sie unsterblich verliebt wurde. Er war nebenbei ein vortrefflicher Kopf und hatte – um seine Geschicklichkeit vor Luisen zu zeigen – in einem Winter neben seinem Kerzenstande aus einer Masse zusammengehäuften Schnees eine  (21)  kollossale Reiterstatue formiert, die allseitig Bewunderung erregte, und ich sah dieser Bildnerei gern zu. Selbst die Magistrate, Herren und Offiziere hatten Gefallen daran, sodass, solange die Kälte anhielt,von der Hauptwache aus ein Mann zum Schutze der Natur dafür postiert wurde.

     Koller hatte dann die Luise geheiratet, mietete in der Sporgasse ein Gewölbe und befasste sich später auch für meine Eltern mit dem Kapauner Verschleiss in Wien. Wie es aber kam, dass er dabei in Schulden geriet, und meine Eltern bei ihm vieles verloren hatten, weiss ich nicht.

     Nach seinem Tode kam Luise in die grösste Not, bereute es bitter, den guten Dienst verlassen und geheiratet zu haben, besserte nun in verschiedenen Häusern Wäsche und Kleider aus, um sich und ihr Kind halbwegs durchzubringen, und erhielt noch von uns und der Tante Theres manche Unterstützung.

     Weil meine Eltern ohne Wienerhandel nicht mehr sein konnten, so traten sie mit Josef Birnstingel, gemeinhin Wixerl genannt, Bruder der Wirtin Kaiser, beim Häuslbauer, nachher beim Schwarzen Rössl in der Rösslmühlgasse und Hiebler beim Florianiwirt, in Verbindung.

     Dieser Wixerl handelte auch mit Schweinehäuten und sonstigen Rohstoffen für einen Lederer nächst dem Mühlgange in der Lazaretgasse. Wixerl war aber ein leichtsinniger, unredlicher, liderlicher, versoffener Bursche und wies meine Elern mit deren Forderung von 400 Gulden gegen ihn an den Lederer, welcher jede Woche einen Gulden erlegte, welchen immer ich bei ihm beim Häuslbauer abholen musste. Nun kann man sich denken, wie lange diese stets mit mürrischen Bemerkungen begleiteten Abschlagszahlungen dauerten und welche Pein dies für mich, dem es an Mut und Redegabe fehlte, sein musste.

     Einst kam eine Frau Elise Fels vom Schanzlgrunde in St. Leonhard in Graz gebürtig, gewesene Schulkameradin meiner Mutter und nun Putzmacherin, in Wien etabliert, nach Graz zu meinen Eltern, schloss mit ihnen eine Geschäft zur Lieferung von Kapaunen für Josef Rücker in Wien, und machte den Antrag, dass bei ihr jedes von uns, das nach Wien kommen sollte, Unterkunft und Verpflegung haben könne.

Montag, 28. Dezember 2009

8. Über den Hernegger und die Kapauner

   Hernegger war ein moralischer, edler Karakter und bei alledem überaus lustig und fröhlich. Als Tiroler hatte er immer eine sogenannte Nationalkleidung, in welcher er als äusserst flinker Busche seine Tiroler Gesänge produzierte, sich ein benachbartes Wäschermädel abrichtete und ihr aus eigenen Mitteln ein gleiches Kostüm verschaffte. Gab es wo eine Hochzeit, einen Gesellschaftsball, so musste der fesche Tiroler dabei sein, und da kam gewiss eine grosse Anzahl Gäste zusammen. Er fungierte bei Hochzeiten immer als Brautführer, und als solcher musste er nach damaliger Sitte die Gäste in deren Wohnungen abholen und dem Hause der Braut, wo sich alle versammelten, zuführen. (17) Da stand er im schnellfahrenden Fiakerwagen, schwenkte seinen Tiroler Hut und jauchzte aus vollem Halse, was dann für die neugierige Menge in allen Gassen ein wahres Vergnügen war. Und niemandem fiel es ein, gegen diesen harmlosen Lärm zu protestieren.


     Wo sich Hernegger zeigte und seine lustigen Lieder, Schwänke und sittlichen Vorträge hören liess, war alles heiter und erbaut, und überall wurde er kostenfrei bewirtet. Kein Musikant war imstande, anhaltend so geschwind zu musizieren, als Hernegger tanzen konnte, und stets ermatteten die Geiger früher als er. Sein Ruf als feschester Tänzer verschaffte ihm sogar die Gunst, im Redoute-Saale mit der Gräfin Attems, einer Tirolerin von Geburt, solo zu tanzen.

     Vom Orchester aus wurde ein Zeichen gegeben und das Publikum ersucht, für ein paar Tänzer für einige Minten hübsch Raum zu lassen. Aus Ehrfurcht gegen die Gräfin trat jeder beiseite und ergötzte sich an den netten, anmutigen Bewegungen der Solotänzer. Hernegger machte mitunter vor und neben der Gräfin die tollsten Sprünge und Purzlbäume, schlug mit sicherer Gewandtheit Räder über den ganzen Saal, stand dann da plötzlich wieder an der Seite der graziösen Tänzerin und machte mit ihr die weiteren Tiroler Tänze gemütlich fort, sodass am Schlusse derselben der Applaus kein Ende nehmen wollte.


     Nachdem in der Folge dieser Hernegger sozusagen mein Mentor wurde und seine Güte und Einsicht und Bescheidenheit auf mich Einfluss hatten, war ich doch neugierig, welches heitere oder geistige Wesen er sich einmal zur Gattin erwählen werde. Aber welche Enttäuschung, er erwarb sich um ein ganz einfaches, stilles, anspruchsloses, betendes, aber in der Wäscherei erfahrenes, nicht mehr sehr junges, ländliches Geschöpf von Bachdorf zum Eheweibe und lebte mit ihr in dem unteren Grazbache in einem später erworbenen Häuschen, sehr kirchlich gesinnt, recht zufrieden.

     Inzwischen ging es den erwähnten Binderleuten Gutmacher so schlecht, dass sie nicht mehr den Wohnzins erschwingen konnten. Und da die Tante Theres als Köchin beim Höck war, für sich ein grosses Zimmer zur Verfügung hatte, nahm sie dahin mit Einwilligung der braven Herrenleute aus Barmherzigkeit die Binderfamilie auf, welche auch so wie wir aus der wohlbestellten Küche manche gute Überbleibseln erhielten.

     (18)  Nach dem lange darauf erfolgten Tode des alten, mühseligen Binders kam dessen Wittwe auf die Idee, durch die Hilfe guter Menschen das Johannis-Wirtshaus im Münzgraben zu pachten und mit dem Töchterchen zu betreiben. Ihre Habseligkeiten wurden gegen Ende Fasching lizitiert, und ich selbst hatte mehrere dabei von meinen Eltern erstandenen Effekten im eben stattgehabten Patschwetter auf einem Handschlitten nach Hause geführt.
Gutherzig, wie meine Eltern schon waren, nahmen sie die nun ganz Verarmten auf, welche sich still und zurückgezogen mit Nähen und Stricken ernährten.

     Im nächsten Advente wurde der Einfall in Betracht gezogen, ob es wohl geraten sei, mit steirischen Kapaunen ein Handelsgeschäft nach Wien zu wagen; und Frau Gutmacher nahm, von dieser Idee ergriffen, den Vorschlag sogleich an. Meine Eltern rüsteten diese Frau samt Tochter zur Reise aus, stellten ihr 4 Kisten mit 100 Kapaunen nebst 20 Gulden Reisegeld zur Verfügung und wünschten ihr und sich ein glückliches Gedeihen dieser Spekulation.
Damals brauchte ein Landkutscher nach Wien 3, bei schlechtem Wetter dreieinhalb Tage. Nach voraus erhaltenem Schreiben der Frau Gutmacher, dass sie in Wien glücklich angekommen und der Verkauf gut gehe, sandte sie gleich darauf den Reisevorschuss zurück nebst der Schuld für die 100 Kapauner, und hatte damit schon so viel erworben, dass sie Quartier samt Lebensunterhalt bestreiten konnte und eilig weitere Bestellungen machte.
Sie fand an diesem einträglichen Handel Gefallen, verehelichte sich in Wien zum 3. Male mit dem verwittweten Greisler Reichgruber und führte die Geschäftsverbindung mit meinen Eltern noch lange fort.

     Ihre Tochter Caroline heiratete einen Uhrenfabrikanten und da er nach einigen Jahren starb, gab sie die Fabrik auf und errichtete in einem Gewölbe im sogenannten Deutschen Haus ein Handelsgeschäft mit Rosshaar, Pomade und Geflügel – als Wittwe Rechel.

     In der Folge wollten meine Eltern den Wiener Handel erweitern. Und da dem Herrn Knaupert, der das Gassenhauer'sche Haus weggab und anfangs der Herrgottwiesgasse das Gutjahr'sche Fleischerhaus an sich brachte, die Kälbestecherei nicht recht von statten ging, unternahm er einen Winter lang für meine Eltern den Kapauner Verschleiss in Wien und erwarb sich dabei den nötigen Fond zum Betriebe des Fleischergeschäftes.

     (19)  Meine Eltern hatten einst eine grosse Menge von Kapaunern beisammen; von Wien aber kam die Weisung, wegen der warmen Witterung nichts zu senden, und in Graz ging der Verkauf schlecht. Da mietete der Vater noch ein Pferd, packte bei 300 Stück Kapauner ein, und wir fuhren damit nach Wien, machten aber miserable Geschäfte, verschleuderten die Stücke weiter gegen Korneuburg und warfen auf dem Rückwege noch neun in Faulung übergegangene Kapauner weg, sodass in jenem Winter Verlust und Gewinn sich gegenseitig aufhob.

     Die Tante Elise Hauzendorfer in Greifenburg, die ihrer Hauswirtschaft trefflich vorstand, hatte mit der Zeit – ihrer traurigen Ahnung nach – wirklich keine gute Ehe. Ihr Gatte, welcher in hohem Ansehen stand, beim dortigen Privattheater das eifrigste Mitglied, Violinspieler und sogar Direktor war, machte – durch gute Gewerbe übermütig – allerlei Seitensprünge, dass Elise nach erteilten Vorwürfen und dafür erlittenen Misshandlungen das Haus verliess und im Orte einen abgesonderten Wohnort suchte. Und da er nach gerichtlicher Weisung ihren Unterhalt bestreiten musste, so trachtete er auf jede mögliche Art, sie zu verkürzen, sodass meine Eltern und übrigen Verwandten eine Summe von 36 Gulden in Gold der bedrängten Elise zukommen liessen.

     Als Hauzendorfer – dem Scheine nach – seine Liebschaften aufgab und beide Ehegatten wieder zusammenlebten, machte mein Vater einen Besuch dahin zu Fuss, um sich in allem zu erkundigen, wobei er zur Überzeugung gelangte, dass der Hauzendorfer das wüste Leben noch ärger, aber im Geheimen betrieb.

     Und als Elise die Schandtaten und Kränkungen von Seiten ihres Mannes nicht länger ertragen konnte und zum Glücke mehrere ihrer Kinder starben, zog sie nach Graz zu meinen Eltern, wo sie vom benachbarten Instruktor Grescher erst lesen und schreiben lernte, um noch selbst einen Brief oder eine Rechnung aufsetzen zu können. Sie begab sich dann statt Knaupert nach Wien, den Kapaunerhandel für meine Eltern zu betreiben, und brachte auf diese Art von ihrem Mann entfernt 3 Jahre teils in Wien und teils in Graz zu.


     Indessen liess er das Radl laufen, hatte eine lüderliche Weibsperson aus Villach bei sich und verübte Schändlichkeiten aller Art. Wenn seine Konkubine gerichtlich auf den Schub kommen sollte, wusste er es immer dahin zu bringen, dass sie durchaus nicht zu Fuss ging, und niemand ein Fuhrwerk beistellte, sodass er sie dann immer mit eigener Fahrgelegenheit (20) selbst fortexpidierte und nachts wieder zurückführte.

     Alle brieflichen Vorstellungen und Ermahnungen von Seiten sämtlicher Verwandten waren vergeblich. Nun nahm sich der Vetter von Hartberg die Courage und schwur, den ehrvergessenen Hauzendorfer derb durchzuprügeln, wenn er nicht parieren wollte, packte die arme Lisi samt ihren Habseligkeiten auf den Wagen und führte sie ihrem Manne zu. Ihr eheliches Leben schien sich nun besser zu gestalten. Sie erhielt wieder ein Kind um das andere und wirtschaftete wieder so gut wie früher.

     Mittlerweile übersiedelte der Dr. Funk hier, wo Tante Therese schon länger Köchin war, in das sogenannte Weiss'sche Haus. Von der reichbesetzten Tafel des Herrn Dr. kamen durch die Güte der Tante – gewöhnlich von uns Mahm Theres genannt – wohl sehr viele gute Bissen zu uns und Knaupert, und ich musste mancherlei für Schweine benützbare Abfälle aus der Küche abholen und auf einem Karren nach Hause schleppen.

Samstag, 26. Dezember 2009

7. Man nannte mich überall ...

   Durch die in den Jahren 1815, -16 und -17 eingetrettenen Missernten entstand eine furchtbare Teuerung aller Lebensbedrüfnisse. Ein Viertel Bauweizen oder ein Paar Stiefel kostete 40 Gulden, 1 Laib Brot 1 Gulden, 1 Mass Wein sonst 2, jetzt 4 Gulden 33 Kreuzer. So klein ich noch war, wurde ich täglich früh in die Kaserene geschickt, um für uns fünf Kinder und eine Magd Brot zu holen. Konnte ich eines erhaschen, so hatten wir diesen Tag zu essen, brachte ich kein Brot nach Hause, mussten wir Hunger leiden und bei dem Andrange von 300 bis 400 Menschen, die alle Kommissbrot kaufen (14) wollten, wurde ich verzagter Knabe oft beiseite gedrängt und kam mit leeren Händen weinend zurück. Zuweilen kochte die Mutter Sterz aus lauter Kleien, und zur Aushilfe schenkte uns der Vetter in Hartberg manchen Sack Kartoffel.

     Im Jahre 1816 wollte Knaupert eine Kälberschlächterei-Befugnis erwirken. Hiezu benötigte er aber mehrere Dokumente aus seiner Heimat Zweibrücken. Er machte sich dahin zu Fuss auf die Reise und schrieb von dort, dass seine Mutter über die in der Flur des Vaterhauses erschallte Nachricht seiner Ankunft von der Wohnung im ersten Stock vor Freuden wie ein junges Mädchen über die Stiege gehüpft sei.

     Nach Wochen kam Knaupert zurück und brachte eine Mappe im Elternhaus verfertigter Stoffe für Bettzeug mit, dass sich jeder wunderte, wie er solches Gepäcke, von welchem wir einen Anteil erhielten, so mit sich schleppen konnte. Bald darauf hatte er seinen Kalbfleisch-Verkaufsstand nicht weit vom Rathause hier.

     Im Herbst 1817 und 1819 nahm mich der Vetter von Hartberg, welcher mit Salpeterlieferungen öfter nach Graz kam, in den Schulferien zu sich, wo ich ein sehr gutes Leben hatte, und wegen der prächtigen Mahlzeiten und sonstigen ländlichen Freuden für immer zu bleiben wünschte.

     Daselbst war im Gasthause eine stabile Bühne errichtet, auf welcher von Dilettanten und zugereisten Komödianten Theaterstücke aufgeführt wurden. Ich kam mit dem Sohne des Vetters fast alle Abende dahin, und da ich schon frühzeitig Wohlgefallen an Romanen und Schauspielen fand, so war das Theater meine grösste Freude.



     Da ich einst als Knabe mit fünf Jahren zufällig von unserem Dachfenster aus die um die Stadt liegenden Berge erblickte, fragte ich meinen Vater, ob es wohl darüber hinaus auch eine solche Welt gäbe wie diese, und hatte namenslose Sehnsucht dahin, dass ich nach einiger Zeit in Abwesenheit der Eltern mit meinem jüngeren Bruder Franz durch die sogennannte Einöde in die Berge einen Spaziergang machte und mit einer aufgeregten Fantasie Ruinen von Ritterburgen zu finden träumte.

     Genofeva, Eulenspiegel, der Daumenlange Hansl, Heinrich der Stolze, Herzog von Sachsen, Werthers Leiden etc. waren nacheinander meine erste Lektüre. Wo ich nur einen von der Schule freien Augenblick erhaschen konnte, war ich immer im Lesen und Notieren (15) von gesehenen Theaterstücken aus dem Gedächtnis vertieft. So bildete sich unvermerkt in meinem ganzen Wesen ein unglücklicher Hang zur Sentimentalität und Schwärmerei, Überströmung des Gefühles und der Tränendrüsen und übertriebene Weichherzigkeit, welche Eigenschaften lebenslang an mir haften blieben, die jedoch für das praktische von Nahrungssorgen gequälte Leben durch nicht passten.

     Von rührenden und hinreisenden Gedichten wurde ich überwältigt, dass ich mich heftig danach sehnte, eben auch solches Glück zu finden, wie es in Romanen, welche ich für pure Wirklichkeit hielt, zu lesen war.


Ich fing an, selbst Verse zu dichten
und konnte fast alles,
was ich sah, nachmachen.
Der Hang zum Zeichnen,
Malen und Schnitzen,
dann die Orthographie
schien mir wie angeboren zu sein.
Man nannte mich überall 
den Tausendkünstler.



     Auf einer ordinären Schwebpfeife spielte ich jeden selbsterlernten Ländler oder Marsch, den ich hörte. Sah ich einen Seiltänzer die verschiedenen Sprünge machen, ahmte ich zuhause alle nach und gewann dadurch elastische Behendigkeit der Glieder.

     Der Messner an der Tollhauskirche hatte in einem grossen Lokale neben derselben ein schönes und künstlich gebautes, sehr grosses, mechanisches Krippenspiel mit hunderten beweglichen Figuren und hatte zur Winterzeit an Sonn und Feiertagen nachmittags ungeheuren Zuspruch von zahlenden Zuschauern à drei Kreuzer, sodass am Eingange zwei Grenadiere Wache hielten, welche sobald eine Vorstellung begonnen, die Nachgekommenen innerhalb von Schranken zurückhalten mussten und erst dann einliessen, wenn die erste Aufführung vorüber war.

     Vormittags wurde sechs mal gespielt, und weil der Andrang so stark war, mein Vater sich auch nicht gerne drücken wollte und auf seine Söhnlein Acht geben konnte, so hatte ich Sonntag vormittags die beste Zeit und Gelegenheit, alles genau zu betrachten, wonach ich ein ähnliches Krippenspiel in kleinerem Massstabe verfertigte und zu Hause vor zahlreichen Kindern für Geld sehen liess.


Nach der Schule musste ich mit unseren Zuchtschweinen in der Nähe der Leinwandbleiche auf die Weide. Dort herrschte Tag für Tag ein Geplemper der zu Tambours abzurichtenden Rekruten. (16) Einst räsonierte der Abrichter mit einem derselben, der den einfachen Zapfenstreich nicht begreifen wollte. Erzürnt rief der Korporal: «Ich glaube, der Kleine wird es besser machen als der grosse Taugenichts», und ich trommelte den Zapfenstreich ohne Fehler. Mich dauerte aber der arme Gemeine, denn über dessen Rücken sauste ein paarmal der Haslinger des groben Korporalen.

     Einst lagerten sich am Karlauerplatze einige 100 Mann am Transporte gegen Marburg befindliche Soldaten. Nach deren Abmarsch suchten wir Knaben, ob nicht etwas zu finden wäre. Da fand ich eine Brieftasche mit 9 Gulden und lief der Truppe nach, erreichte sie erst in der Nähe von Puntigam und übergab dem Transportführer meinen Fund. Der Herr Offizier liess die Mannschaft anhalten, dass sich der Verlustträger melde, wonach ein Soldat sein Eigentum erhielt. Der Offizier machte mir vor der Front eine Lobrede, und dies machte mein schon lange erwachtes Ehrgefühl noch mehr rege.

     In unserer Nachbarschaft war die Habel'sche Steingutgeschirrfabrik, in welcher unter vielen Arbeitern ein sehr geschickter Zeichner, Anton Hernegger, bedienstet war. Diese beiden, die an meinen Talenten und stillem Wesen Gefallen fanden, hatten mich oft eingeladen, die vielen in der Fabrik an den Wänden aufgeklebten Zeichnungen zu besehen; denn Bilder machten mir schon immer eine grosse Freude. Da lag ich oft vor dem an der Drehscheibe arbeitenden Hernegger am Boden, mit Papier und Bleistift und horchte aufmerksam auf dessen Sittensprüche, herzlichen Gedichten und Gratulationen, welche ich notierte und dann auswendig lernte. Und von da an datiert sich der Umstand, dass ich an Benehmen und Gemütsart von meinen übrigen Geschwistern sehr verschieden war.
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Dienstag, 22. Dezember 2009

6. Die Familie meiner Mutter

   Der Grenadier Rupp war ein gelernter Müller, wollte nach seinem Abschiede nicht mehr arbeiten und wurde sogenannter Strommer oder Speckjäger. Lorenz Rupp blieb noch länger Soldat, verübte aber Schlechtigkeiten und Diebereien.

     (12) Michael Rupp heiratete ein wunderschönes Mädchen, wurde Kaffeesieder in Bruck, machte gute Geschäfte und sandte jede Woche an meine Mutter 1 Gulden und dann und wann Kleider oder Stiefel für den alten Vater Rupp. Dieser aber vergeudete alles in Schnaps bis er einmal auf einem Misthaufen todt gefunden wurde.


     Da konnte mein Vater auf seinen Gängen über Land die Muskelkräfte anspannen, er trug die eingekauften Enten, Kapauner, Spanferkel etc. am Rücken oder über den Schultern und oft auf einmal 20 gemästete Gänse, drei bis vier Stunden weit, nach Hause. Als dann später ein Fuhrwerk angeschafft wurde, hatten wir von der Stainzer Gegend 12 Viertel Wein am Wagen. Ich wollte absteigen und bergab das Rad einsperren, da sagte mein Vater, wer wird sich mit dem Absteigen plagen und griff hinaus nach dem Hinterrade und er hielt es den ganzen Berg hinab, als ob ein Radschuh eingelegt worden wäre.

     Georg Dunkel, der Bruder meiner Mutter, diente mehrere Jahre als Kellner und Marquer in Wien, war haushälterisch mit seinen Ersparnissen und kaufte nach Anraten des Vetters Johann Dunkel zu Hartberg, welcher bei seiner Salpetersiederei recht empor kam, ein gleiches Geschäft samt Haus und Grundstücken in Judenburg.

     Daselbst stand vor Zeiten bei einem Lederer ein Gesell in Arbeit, welcher mit der Tochter des Meisters ein Liebesverhältnis unterhielt. Als Georg Dunkel an der aus dieser Liebelei entstandenen und sehr hübsch herangewachsenen Anna Gefallen fand, und erfahren hatte, dass der natürliche Vater derselben der nachherige reiche, wie privilegierte Lederfabrikant Lebwohl in Graz sei, hoffte er, mit der Zeit ein dickes Heiratsgut von demselben zu erlangen, verehelichte sich mit dieser Anna Frank und hatte 8 Kinder mit ihr.

     Der gegen Lebwohl geführte Vaterschaftsprozess ging jedoch für Anna Frank, verehelichte Dunkel, in die Brüche, und so hatte der gute Dunkel eine Frau ohne alle Mitgift.

     Der jüngste Bruder meiner Mutter, Franz, lernte auf der Köstenbaummühle das Müllerhandwerk, von wo er uns Kindern, die gerne assen, öfter ein gutes Müllerbrot verehrte. Mittlerweile ging die Tante Theres vom Höck fort und war nun Köchin beim Advokaten Dr. Funk im gemalten Haus in der Herrengasse.

     (13) Eines Tages kam zu ihr der Müller Franz im Sonntagsstaate und erzählte ihr, dass er sich heute zur Rekrutierung stellen müsste und deshalb sein Herr mit ihm auf das Rathaus ging, und Franz ihr diese Nachricht mitteilen wolle. «Aber», sagte sie, «du wirst doch nicht so dumm sein und dich abfangen lassen. Da hast du etliche Gulden, lass den Herrn Rohrbacher, das Militär und das ganze Rathaus stehen und lauf, was du laufen kannst, zur Lise nach Greifenburg, dort bist du gut aufgehoben und darfst nicht Soldat werden.»

     Franz, der gegen Uniformen eine besondere Abneigung hatte, liess sich dies nicht zweimal sagen und entkam glücklich, wurde aber, da er nach seinem Besuche bei Theres nicht mehr zum Vorschein kam, bei ihr vom Rohrbacher und dann polizeilich gesucht, jedoch nicht gefunden, und sie behauptete, ihn nicht gesehen zu haben.

     Nachdem Franz in Greifenburg bei einem Müller und Brauer arbeitete und dort auch die Bräuerei sich eigen machte, aber mit der Zeit ohne Pass nicht mehr recht sicher war, blieb meinen Eltern nichts übrig, als ihn mittels Spendierung von 16 bis 18 Stück der schönsten renomierten Kapauner an Herrn Hefele, Bezirkskommisar der Zuständigkeitsbehörde Commende am Bach, einen Pass zu erwirken.

     Franz reiste nun nach Wien, fand dort als Müller Arbeit, und das Manöver wegen der Passerwirkung musste jährlich wiederholt werden.

     Hefele starb, und sein Nachfolger Weller wollte im nächsten Jahre keinen Pass erteilen, weil er den Franz Dunkel im Passkontrolle nirgends vorgemerkt fand. Da Hefele infolge der Präsente die Eintragung der illegalen Passerteilung unterliess, so mussten bei dem nächsten Bezirkskommissär auch wieder die fetten Kapauner helfen, und die Passausfertigung ging dann regelmässig fort.

Sonntag, 20. Dezember 2009

5. Briefeschreiber mit 7 Jahren - meine Firmung

(9)    Als 1809 die Franzosen in Graz waren, befand sich darunter auch ein Fleischer Valentin Knaupert, der jüngste von neun Brüdern aus Zweibrücken. Als es dem Feinde hier sehr wohl gefiel, blieben beim Abzuge derselben manche heimlich zurück. Auch Knaupert wusste sich bei dem dicken Fleischer Hieber einzuschmeicheln, dass er dort Beschäftigung fand, um täglich zur Kundschaft Höck eine schöne Butte voll Fleisch zu tragen hatte.

     Dort verliebte er sich in die Küchenmagd Anna Dunkel, und bald darauf wussten beide unweit der Lederei die sogenannten Gassenbauer Realität zu erwerben, worauf sie heirateten und die Gärtnerei betrieben.

     Auf der der Lederei gegenüber befindlichen Lösenbaum- oder Rohrbacher Mühle befand sich ein sehr hübscher Oberjunge, welcher mit dem Höck'schen Zimmermädchen Elise ein Herzensbündnis geschlossen hatte, jedoch sein Leben beim Brand dieser Mühle im Jahre 1811 verlor. Als diese Mühle wieder hergestellt und daselbst der neue Oberjunge Peter Kocher bedienstet wurde, ward dessen Herz zur Höck'schen Köchin Therese gezogen, und aus dem Dechtelmächtl dieser beiden Liebenden entkeimte im Jahre 1814 eine Rose, die auf den Namen Caroline getauft wurde.

     Statt des Valentin Knaupert hatte nun ein anderer Knecht des Hieber, Josef Hauzendorfer aus Greifenburg in Oberkärnten, täglich das Quantum Fleisch zum Höck'schen Hause zu tragen. Und da sich das Zimmermädchen Elise in der Trauerzeit über ihren beim Mühlbrande verunglückten Geliebten durch den noch hübscheren, Krausköpfigen Kärntner gerne und wirksam trösten liess und Hauzendorfer nach dessen Vater ein eigenes Anwesen in der Heimat zu übernehmen hatte, so wurden aus vielen Tröstungen Heiratsanträge.

     Je näher die Verehelichung heranrückte, je schwerer wurde es der Lisi ums Herz, da sie nun Schwestern, Heimat und den Ort, wo es ihr so wohl erging, verlassen müsse und 39 Meilen von hier zu lauter fremden Menschen kommen soll.

     Hauzendorfer kaufte ein Pferd samt Kalesche, und nach vollzogener Trauung im Jahre 1813 musste bei der Reise dieser jungen Eheleute nach Greifenburg mein Vater als Kutscher fungieren und dann zu Fuss zurückwandern. (10) Er erzählte dann, dass er in seinem Leben nicht so viel Weinen sah und über die Zukunft jammern hörte wie bei Elise; denn eine unbegreifliche Ahnung quälte sie, dass ihr grosses Leiden bevorstünden.

     Im Jahre 1813 starb in der Karlau im zweiten Hause unterhalb der sogennnten steinernen Brücke rechts die Schneidermeisterin Rupp und hinterliess einen besoffenen Mann mit sieben Kindern. Und da meine Eltern ein Eigentum erwerben wollten, der Wittwer Lorenz Rupp das Verlassenhaus feilbot, und die Kaufbedingnisse günstig waren, so wurde der Handel mit 1350 Gulden oder 540 Gulden conc. Münze bald abgeschlossen. Die intabulierten Schulden wurden übernommen, der alte Rupp sollte lebenslänglich freie Wohnung haben und jedem Kinde derselben waren bei deren erreichter Grossjährigkeit 92 Gulden Wiener Währung auszuzahlen.

     Zu Ostern 1813 zogen wir in die neue Besitzung, worauf meine Eltern in Kompagnie mit Knaupert ein Handelsgeschäft mit Kastanien unternahmen, welche dann meine Mutter im gebratenen Zustande am Griesplatze verkaufte.

     An der Türe des Bodenzimmers, worin ein verehelichter Tuchmachergeselle aus Mähren wohnte, stand neben C.M.B. auch der Vers: «Immer wird es schlimmer, aber besser nimmer; aus 1750».

     Der Tuchmacher wurde gekündet und das Zimmer zum Kastanienmagazin verwendet. Da wegen des Krieges um diese Zeit alles Militär abwesend war, mussten die Zivilisten die Wache besorgen, und so stand auch mein Vater gar oft mit der Hellebarde an der steinerenen Brück als damalige Acciss Linie.


Nun betrat ich – fünf Jahre alt – wieder die Schule, hatte ziemliche Anlagen, sodass ich in meinem siebten Jahre durch Briefeschreiben bei den Nachbarn Geld verdiente.

Drei Söhne des Schneiders Rupp waren bereits beim Militär und im Kriege. Michael, der älteste und solideste bei der Landwehr Feldwebel, Josef Grenadier und Lorenz beim vaterländischen Regiment Chasteler. Der vierte Sohn, Franz, hinkte und verlegte sich aufs Betteln und Stibitzen. Die älteste Tochter Lise betrat den Weg des Lasters. Maria kam aufs Land in Dienst, und Kathi, acht Jahre alt, wurde vom nächsten Bäcker Haas aus Barmherzigkeit aufgenommen.

     (11)  Aber mit dem alten, täglich besoffenen und im Rausche furchtbar excedierenden Rupp hatten meine Eltern eine schreckliche Plage, und sie dachten auf Mittel, seine und seines intabulierten Wohnungsrechtes los zu werden. Daher versprachen sie ihm, als er einst halbbeduselt in guter Laune war, ein für allemal 20 Gulden zu geben, wenn er sich eine andere Wohnung suche.

     Der Alte in der Voraussicht, sich einen guten Tag abzutun, nahm den Vorschlag und die 20 Gulden an, unterschrieb mit Zeugen die Löschungserklärung und somit wurde die Höllenpein beseitigt.

     Der alte Rupp war aber in der Wahl der Wohnung oder Liegerstatt nicht heiklich, denn bald lag er in einem Stalle am Heuboden oder Düngerplatze, den Unterhalt fand er beim Ausbessern fremder Kleider, welche auch manchmal auf Nimmerwiedersehen von ihm versetzt wurden und er den Erlös vertrank. Seine Äusserung des Wohlbefindens war der seelenvergnügte Ausdruck: «Hog tschariwari tschun tschum, hog tschariwari tschum!»

     Der Sohn Michael kam mit Abschied vom Feldzuge heim und schenkte mir einen Soldatenfrack, von welchem ich die Aufschläge abtrennte. Mein schmutzig graues, leinernes Beinkleid machte ich mit 2er Hosenschwärze manierlich und in diesem Aufzuge auf geflickten Bundschuhen kam ich zur Firmung.


     Zum Firmpaten wählte ich den nächsten mit der Rohrbacher Tochter verheirateten Wagnermeister Josef Besler; denn da er reich und kinderlos war und am Klavier sehr kundig und sich bei mir eine Freude zur Musik regte, war ich der Meinung, da schaut doch was raus und er werde mir vielleicht Unterricht am Fortepiano geben. Weit gefehlt, Besler war ein Knicker, als Patengeschenk gab er drei Silberzwanzger, die vom Brand der Köstenbaummühle noch Spuren hatten. Ich musste ihm dafür für das Frühstück täglich Kipferln vom Bäcker holen und tat dies auch gerne. Ich lernte die schönsten Verse, um dem Paten und seiner Gemahlin zu Neujahr, Geburtstag und Namenstagfesten zu gratulieren, und erhielt dafür dann und wann ein halbes Kipferl. Da mir dieser Geiz nicht gefiel, unterliess ich die weiteren Kratzfüsse.
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Samstag, 19. Dezember 2009

4. Gespenster- und andere Geschichten

   Einmal wohnten wir in der Unteren Karlau im Hause der dicken, bissigen, schadenfrohen Viktualienhändlerin Schnabl. Infolge der Stänkereien von Seiten meiner Mutter wurde hier wieder gekündigt. Da sie aber dagegen grimmig protestierte, kam die Schnabl gerade am Neujahrstage mit einem Wagen, liess vor unserer Wohnung bei der eben herrschenden furchtbaren Kälte alle Türen, Fenster und Balken ausheben und fortführen, mit der liebenswürdigen Äusserung «verfluchtes Gesindel, jetzt werdet ihr wohl gehen müssen!»

     Von da weg wurde eine Wohnung nächst dem Siechenhause gemietet, wo ich über eine sehr lange Stiege purzelte.  (6)  Nun kam ich, vier Jahre alt, schon in die Schule. Als ich aber das ABC-Taferl verlor und mit dem Herumwandern viel Zeit versplittert wurde, verging wieder ein Jahr bis ich wieder zur Schule kam. Wir wohnten dann im sogenannten Neuburger- oder Dengenhof, wo jetzt die Triester Linie sich befindet. Dort befand sich ein alter, pensionierter Genieoffizier, welcher oft vom Geisterspuke in seiner Wohnung erzählte und meinen Vater beredete, bei ihm einmal eine Nacht zuzubringen, um den furchtbaren Lärm selbst zu hören und sich von der Gespensterei, an die mein Vater, der keine Furcht kannte, nicht glauben wollte, sich zu überzeugen. Im Zimmer an der Wand hingen zwei alte, in den Scheiden fest verrostete Säbel.

     Als mein Vater im Bette neben dem alten Herrn in einer mondhellen Nacht Gesellschaft leistete und die Mitternachtsstunde schlug, begann der Rumor. Von unsichtbarer Hand wurden aus dem Schreibtische Papiere genommen, dieselben nach hörbarem, eifrigen Gekritzel darauf heftig zerrissen, Schubladen wurden auf- und zugestossen, und rasch in Büchern geblättert. Dann wurden die Säbel aus den Scheiden gezogen und wie beim Duell gegeneinander geschlagen und bei aller Anstrengung meines Vaters, die Ursache dieses Tumultes zu ergründen, konnte er nicht darauf kommen. Der alte Herr war dies zeitweilige Getöse schon gewohnt. Und als beide Männer nach ein paar Stunden Schlaf des Morgens erwachten, fanden sie alles in schönster Ordnung, keine Spur von Papierfetzen, und die beiden Säbel hingen voll Staub an der Wand wie früher!


     Als mein Vater einst auf dem unserer Wohnung gehörenden Hausbodenanteile etwas zu tun hatte, und ich dort dabei herumsprang, fand ich in einem Winkel einen menschlichen Totenschädl, und sagte dies dem Vater. Er forschte darnach vergeblich und meinte, ich wollte ihn zum Besten halten. Und erst als ich ihm den Totenschädl zutrug und ihm einhändigte, ersah er denselben, steckte ihn in einen Sack und trug ihn abends über die Felder fort zum Friedhofe, wo er den Totenkopf über die Mauer hineinwarf. Und seit dieser Zeit hörte der Spuk beim Genieoffizier auf, worüber er sich durch oftmalige Geschenke an uns Kinder erfreute. Als ich grösser wurde, hatte ich den Vater um Aufklärung dieser Begebenheit ersucht, doch das Rätsel blieb ungelöst.

     (7)  Im Hofe war zwischen Bäumen ein Seil als Hutsche angebracht; und da im Hause sehr viele Kinder waren und jedes sich schaukeln wollte, so ergab es manchen Streit unter den Fratzen und danach auch Verdruss zwischen den Eltern derselben.

     Mittlerweile ward ein Bruder meiner Mutter, namens Johann Dunkel, auf einer schönen Besitzung, eine Tagesreise von Graz, in der Stadt Hartberg, wo eine bedeutende Salpetererzeugung bestand, durch Heirat mit der älteren Tochter des Salleiterers reich und ansehnlich geworden. Er war somit in der angenehmen Lage, seinen armen Geschwistern zu helfen, was er auch gerne tat. Und da er einsah, dass meine Eltern bei dem kargen Taglohn nicht leicht vier Kinder ernähren konnten, nahm er, der einen kleinen Knaben hatte, meine dreijährige Schwester Anna mit nach Hartberg, wo es ihr sehr wohl ging.

     Meine Mutter aber wurde nach einem Jahr von einer unnennbaren Sehnsucht nach ihrer Anna befallen, dass sie nach Hartberg ging, um das Kind zurückzubringen. Anna aber, welche von der Tante Dunkel daselbst zärtlich geliebt und gepflegt wurde, wollte von der Grazer Mutter nichts mehr wissen und liess sich durchaus nicht zur Rückreise bewegen. Nicht lange darauf starb die kleine Anna an den Blattern, worüber die Mutter fast nicht zu trösten war, sodass wir von da wieder wegzogen und im Rieger'schen Hause in der Betlehemgasse einzogen.

     Nachdem die ebenerdigen Wohnungen alter Gebäude gewöhnlich feucht und ungesund sind, so hatten wir Kinder an dem sogenannten Grind zu leiden. Da steckte die Mutter uns in einen mit Lauge und gekochten Kräutern gefüllten Zuber und fuhr mit einer Bürste so unbarmherzig über unsere Köpfe, dass das Blut und Eiter herabrann und wir vor Schmerzen schrien, und ich gebe diesem Umstande auch die Schuld, dass kein sehr heller Kopf aus mir wurde.

     Infolge der Kriegsjahre sollte mein Vater, der bis jetzt vom Militärdienst verschont war, zur Landwehr eintretten. Er versteckte sich daher in den Feldern nächst dem Dominikanerriegel, wohin ihm die Mutter heimlich das Essen brachte.

     Nach vierzehn Tagen wagte er sich in die Stadt, um zu hören, was es Neues gibt, las ein am Murtore angeschlagenes Plakat, nach welchem nur Pulver und Salpeterarbeiter vom Militär und der Landwehr befreit wären, und begab sich sogleich zum Vetter (8) Dunkel nach Hartberg, wo er als Salleiterknecht verblieb bis der ärgste Kriegsrummel vorüber und keine weitere Belästigung zu besorgen war.

     In unserer Nähe wohnte ein Pferdehändler namens Kaiser, welcher durch Lieferungen für unsere und die französische Armee zu Vermögen kam. dieser Kaiser hatte ein frisches, aufgewecktes, vierjähriges Mädchen, das sich gerne unter alle Kinder der Nachbarschaft mischte. Kam es zu Streitigkeiten, so schrie sie stets: «Ös Bubn dürft mir nichts tun, denn ich gehöre dem Kaiser zu!» Und in dieser Idee führte sie immer die Oberherrschaft über alle Gespielen. Dieses Mächen verheiratete sich dann an den Wertner'schen Strumpfwirker-Gesellen Haas, welcher in Anwartschaft und Überkommung reicher Mittel, nächst der welschen Kirche ein Einkehrgasthaus führte. Sie aber wurde sehr verdriesslich, wenn ihr nicht von allen Seiten der Hof gemacht wurde. Die sehr solide Tochter dieser Eheleute Haas ehelichte dann einen Uhrmacher und Hausbesitzer im 3. Sack zu Graz.


     Inzwischen verstarb der erwähnte Kapellmeister Süssmeier, und dessen Wittwe heiratete dann einen bejahrten, nur auf eigene Faust arbeitenden Bindermeister. Dessen Erwerb zeigte sich jedoch sehr schmal. Das Häuschen in der Harrachgasse wurde verkauft und diese Bindersleute Gutmacher zogen dann in das letzte Haus am unteren Griess rechts in unserer Nachbarschaft, und so wurde die alte Freundschaft zwischen meinen Eltern und der Gevatterin Süssmeier, nun verehelichte Gutmacher, erneuert. Die Bindersleute Gutmacher waren mit dem sechsjährigen Töchterlein Caroline Süssmeier nach Graz umgezogen. Caroline wusste durch ihr ernstes, sanftes und bescheidenes Wesen unter uns Kindern ein gewisses Übergewicht zu behaupten, und ich fühlte – viereinhalb Jahre alt – für dieselbe schon Achtung und Ehrfurcht, seit welcher Zeit ich hübsche und solide Mädchen stets für höhere Geschöpfe ansah.

     Nicht weit von uns, wo gegenwärtig das Beschäll-Departement sich befindet, war die grossartige Lederei Möck, wo sechzehn Gesellen arbeiteten und ein vornehmes Haus mit eigenem, mit Uniform und Degen versehenen Hausarzt geführt wurde. Daselbst waren die Schwestern meiner Mutter bedienstet, Theresie als Köchin, Anna als Küchenmagd und die jüngste Elise als Stubenmädchen. Wie es aber in der Welt schon geht, so hatten auch diese drei ihre Verehrer.

3. Der stämmige Papa, die dicke Mirzel und meine Geburt

   Zum Schlosse Gösting gehörte auch das Bräuhaus daselbst. Und nach ein paar Jahren sagte Graf Attems zum gewesenen Briefträger: «Höre, lieber Mathias, nachdem unser Bierführer gestorben und du zu seinem Bedienten viel zu gross und zu stark bist, so glaube ich, du sollst, wenn du Lust hast, die Stelle eines Bierführers übernehmen», wozu nun Mathias Neuhold auch gleich entschlossen war, und dieses Geschäft mehrere Jahre besorgte.

     Ihm gefiel jedoch die Abwechslung, und so überahm er nachher den nämlichen Dienst im Möstl'schen, nachher Jaggl'schen Bräuhause in der Sterngasse am Gries in Graz, bei welcher Gelegenheit er auch den Gasthof Krone in der Landhausgasse mit Bier zu versorgen hatte, und daselbst mit seiner nachherigen Braut bekannt wurde, deren Lebensgeschichte ich doch auch hier vorausschicken muss.

     Gleich ausser St. Leonhard am Fusse des Berges Riess, rechts Gemeinde inner Ragnitz, steht dermal noch ein kleines, ebenerdiges Haus, welches vor Zeiten dem herrschaftlichen Amtmann Dunkel gehörte, und welcher mit 3 Knaben und 4 Mädchen gesegnet war.

     Als die Eltern frühzeitig starben, ehe eines von den Kindern versorgt war, so kamen Letztere an die nächsten Verwandten: Matzl und Bindermichl, und bei Nachbarn in der Ragnitz teils in Versorgung und teils in Dienst.

     Das stärkste und stämmigste dieser drei Mädchen, Maria, kam nachträglich als Küchenmagd zum Flossmeister Grengg in Graz, der damals ein sehr stark besuchtes Gasthaus hatte und in der Küche 4 Mägde beschäftigte, deren jede Marie oder Mirzl hiess. Und da auf den Ruf der Herrenleute die Mägde nicht wissen konnten, welcher der Befehl und der Auftrag anginge, so hiess es immer: «Kleine Mirzl, lange Mirzl, schwarze Mirzl, dicke Mirzl».

     Die dicke Mirzl – Maria Dunkel – kam später in die Gasthausküche zur ungarischen Krone in der Landhausgasse, wo der Provisor der benachbarten Apotheke zu Bären in der Herrengasse, Herr Ehrler, als täglicher Gast speiste und an der dicken Mirzl überaus Gefallen fand, und sie mit Liebes- und Heirats-Anträgen beehrte.

(4)  (Vielleicht wundert Ihr Euch, dass da immerwieder einmal Zahlen in Klammern erscheinen. Die geben mir die Seitenanfänge in der Schreibmaschinenvorlage an) Die dicke Mirzl konnte aber in ihrer ländlichen Einfalt nicht begreifen, wie ein so feiner, vornehmer und nobler Herr ein so einfaches Landmädel zur Gattin erwählen könne, lachte über seine Scherze und liess sich von der Meinung nicht abbringen, dass er sie nur zum Besten halte. Und obwohl er ihr unzählige Male versicherte, für sein ganzes Leben nur sie und sonst keine heiraten zu wollen, oder wenn er von ihr verschmäht würde, konnte sie doch seinen Schwüren,die – wie sie sich zu spät überzeugte – doch aufrichtig und redlich waren, nicht trauen, sondern schenkte ihre Zuneigung dem vorerwähnten, riesenstarken, nur 33jährigen Bierführer, der die Kraft hatte, einen Halbstartin Wein allein von einem Ganter zu anderen zu heben.

     Da er einige hundert Gulden erspart hatte und die dicke Mirzl, mit dreiundzwanzigeinhalb Jahren noch unter Vormundschaft des Landmannes Tauser in der Ragnitz befindlich, auch am väterlichen und mütterlichen Erbe etliche Gulden besass, so vereinigten beide im Jahre 1804 ihre Herzen und Hände samt Vermögen, erkauften in der Harrachgasse ein ebenerdiges Häuschen, worauf sie eine Gastwirtschaft betrieben hatten.

     In der nämlichen Gasse hatte jener Kapellmeister Süssmeier, welcher einst das berühmte Mozart'sche Requiem ergänzte, eine bescheidene Behausung, und Frau Süssmeier wurde als intime Freundin der neuen Eheleute zur Gevatterin erwählt.

     Mathias Neuhold hatte einen Stiefbruder, Josef Friedl, welcher im Markte Mureck in Untersteier eine Schmiede und ein grosses Gasthaus besass. Da Friedl allein beide Wirtschaften nicht ordentlich besorgen konnte und sich nicht verehelichen wollte, so kam er nach Graz und redete den obigen Eheleuten zu, die Besitzung in der Harrachgasse zu verkaufen und in Mureck sein im besten Flor stehendes Gasthaus in Pacht zu nehmen. «Schau,» sagte Friedl, «hier müsst ihr euch um ein bescheidenes Dasei sehr plagen und bei mir könnt ihr zu Vermögen kommen; ich werde nie heiraten, und euer übriges Geld nehme ich als Darlehen, um mein Schmiedhandwerk grossartig betreiben zu können». Er wusste dieses Projekt so angenehm wie möglich zu malen, dass Maria und Mathias Neuhold sich überreden liessen, ihr Eigentum verkauften und im Herbst 1807 nebst zwei Kindern nach Mureck zogen.

     (5) Sie machten dort mit dem Einkehrgasthause wirklich gute Geschäfte, wozu Maria Neuhold, die immer in grossen Gasthäusern bedienstet war, besonders Freude und Geschick besass. Aber im nächsten Fasching kam Fiedl in den Sinn, ein Weib zu nehmen, welche das Geschäft selbst betrieb; daher die Pächter auch nicht länger bleiben konnten und sich wieder nach Graz sehnten. Um das dem Friedl im Vertrauen ohne Schrift und ohne Zeugen geliehene Geld mussten sie gegen ihn Prozess führen, welchen sie durch die von ihm abgelegten falschen Eide gänzlich verloren.

     In Graz angekommen, mussten die pfändlich um ihr Vermögen geprellten Eheleute als Taglöhner sich selbst samt Familie fortzubringen suchen. Mathias stand mit der Hacke am Lugeck und wartete auf Hozarbeiten und Maria Neuhold besorgte Bodenweib-Geschäfte.

     Unter solcher Not wurde die Familie noch um ein Stück vermehrt; denn am 4. Juni 1808 kam ich in einem Kürschnerhause auf der Lend zur Welt. Und wer nur etwas vom armen Familienleben kennt, wird begreifen, was es heisst, bei einfachem Taglohn ein Schöckl Kinder zu ernähren. Dazu kam noch, dass meine Mutter, Maria Neuhold, bei aller Gutherzigkeit eine unfriedliche Eigenschaft besass und gerne zankte. Kaum in eine Wohnung eingezogen, haderte und raufte sie schon mit den Nebenparteien, so dass in den nächsten Tagen wieder ausgezogen werden musste. Und obwohl sie selbst sagte, dass dreimal wandern schlechter, als einmal abbrennen sei, konnte sie ihre Streitlust und Rauflust – als sie noch jung war – nicht lassen. so kam es, dass wir bald hier und bald dort logierten.

2. "Für meine hinterlassenen Angehörigen"


Johann Neuhold

Nach der Schreibmaschinenfassung von Heribert (Blinzi) Winkler, als Abschrift der vom Urgrossvater mütterlicherseits verfassten handschriftlichen Lebensbeschreibung.
Neu erfasst als digitale Niederschrift von Eberhard Winkler.

Der Tausendkünstler

Schon lange drängte es mich, meine zwar unbedeutenden Erlebnisse zu Papier zu bringen; und warum sollte ich dies nicht tun; - wenn berühmte Persönlichkeiten der Vergangenheit entzogen werden, so kann auch meine Wenigkeit aufgeschrieben und wenigstens für meine hinterlassenen Angehörigen ein kleines Andenken bestehen.

     Ich kann jedoch nicht umhin, anderweitige Umstände einzuflechten, weil solche meine Ereignisse betreffend beeinflusst hatten, und muss bemerken, dass der Kürze halber jede poetische Ausschmückung vermieden wird.

     Wie mir mein Vater Mathias Neuhold erzählte, war er im Jahre 1770 als Sohn eines Schmiedes und Grundbesitzers zu Liebenau bei Graz geboren, erlernte bei seinem Vater das Schmiedehandwerk, und war – wie fast alle gesunden Burschen am Lande – lustig und zu kleinen Streichen aufgelegt. Von solchen teilte er mir folgendes mit:

Am Ruckerlberg bei Graz war mit einer hübschen jungen Frau namens Marianne ein pensionierter Militär ansässig. Dieser erlaubte seiner Gattin nur jene Speisen zu geniessen, die er zuvor selbst gesehen und geprüft hatte; und in diesem Punkte war er so misstrauisch, dass er heimlich sogar den Leibstuhl untersuchte, um sich zu überzeugen, ob die Ehegattin das Verbot übertretten und ohne Wissen ihres Gemahles etwas genossen habe. Als bei solcher Anatomie einst Spuren von Ribisl gefunden, rief er im höchsten Grade erbost in seiner ratschenden Sprechweise: «Marianne, komm heraus, Du hast Ribisl gfressen, ich kenn es in Deinem Drrrrreck!» – und verehrte ihr mit der Reitgerte einige militärische, tiranische Zärtlichkeiten.

     Wie nun solche aussergewöhnlichen Fälle – von Nachbarn gehört – weiterbesprochen wurden, so war es unvermeidlich, dass die Erzählung hievon gar nach Liebenau gelangte; (2) und gleich fassten mehrere aufgeregte Burschen – darunter Mathias Neuhold – den Beschluss, den obigen Pensionisten gegenüber seiner undelikaten Ribisl-Ausdrücke zu necken.

     Mehrere Nächte riefen sie vor seinem Hause: «Xarrrriandl, komm herrrrraus, du hast Ribisl gfrrrrressen» und liefen dann, was sie konnten, wenn er mit der langen Peitsche herauskam, die nächtlichen Ruhestörer zu verjagen. Einst gelang ihm doch, einen davon zu erwischen, welcher durch Vermittlung dieses Saaras sogleich unters Militär gesteckt wurde, aber gegen seine nachtschwärzerischen Kollegen doch so gut war, keinen zu verraten.

     Als der Schmiedmeister zu Liebenau starb, war Mathias Neuhold noch zu jung und nicht Willens, das Schmiedegeschäft fortzuführen, und die noch rüstige und gesunde Mutter heiratete einen vermöglichen Bauern, der sich mit der Beförderung von Lasten und Frachten aller Art im gossen Massstabe befasste.

     Mathias Neuhold hatte nun die beste Gelegenheit, seinen längst erwachten Wunsch, fremde Länder zu bereisen, erfüllt zu sehen, und so kam er als Begleiter und Aufseher-Schaffner über die seiner Leitung anvertrauten Fracht-Güterzüge nach Triest, Venedig, Mailand, Wien, Passau, München, Augsburg, Köln etc. Kaum hatte er die Welt ein wenig kennengelernt, starb sein Stiefvater; und die Mutter, die an dem Frächter-Geschäfte keinen Gefallen fand, hatte alle Pferde samt Wagen verkauft und sich nochmals, und zwar an einen Landtierarzten verehelicht.

     Nachdem nun Mathias Neuhold beschäftigungslos war, im Vaterhause kein Behagen mehr fand und seine Ersparnisse verbraucht waren, suchte er einen neuen Erwerb und fand bei der Herrschaft Gleichenberg als Amtsdiener-Gehilfe einstweilen ein Unterkommen; und später kam er zu der in den 1790er Jahren errichteten sogenannten Kleinen Post in Graz zur Austragung der Briefe und Zeitungen im Stadtgebiete und in den nächsten Umgebungen, bei welchem Geschäfte er auch oft nach Gösting zum Grafen Attems kam, und dann von ihm zur Vermehrung seiner Dienerschaft als Bedienter aufgenommen wurde; er hatte es sehr gut und wurde überaus korpulent. Und da Graf Attems mit seiner Gemahlin im Fasching auch nach Graz kam, die Redoute zu besuchen, die gräfliche Dienerschaft aber nicht in den Saal durfte, dieses Vergnügen jedoch unbemerkt kennen (3) lernen wollte, ging Mathias Neuhold in seinem Domino maskiert unter die Gesellschaft, bei welcher Gelegenheit er zufolge der Maskenfreiheit sich auch die gnädige Herrschaft zu hänseln erlaubte. Natürlich wurde er nicht erkannt und durfte nicht versäumen, wieder den Bedientenplatz am Kutschbock einzunehmen, wenn die Herrschaft sich zur Heimkehr anschickte.

Freitag, 18. Dezember 2009

1. Ein Vorwort

    Es war irgendwann in den 1990er Jahren. Da sind wir von der Schweiz nach Graz gereist und haben den Onkel Blinzi besucht. Er ist der jüngste Bruder meines Vaters Gerhard. Dieser Onkel Blinzi hiess eigentlich Heribert. Er hatte von dem besagten Johann Neuhold, einem unserer Urgrossväter ein handgeschriebenes Exemplar seiner Lebensbeschreibung - in der alten deutschen Schrift (Sütterlin) - sorgfältig entziffert und mit seiner Schreibmaschine mühsam abgeschrieben. Ich bekam eine Kopie, die wir in unseren drei Wochen Wellness-Ferien mit Genuss gelesen haben. - (Wenn Ihr auf solche unterstrichenen Zeilen oder Wörter draufklickt, passiert etwas Interesantes)
     Erst jetzt kam ich auf die Idee, dass das auch andere Mitglieder unserer weitverzweigten Sippschaft interessieren könnte. So liess ich mir von Fritz Winkler, Onkel Blinzis Sohn in Ampass in Tirol, die 209 Seiten in Schreibmaschinenschrift scannen und zuschicken.

In www.verwandt.de hab ich unseren Stammbaum angefangen, aufzuzeichnen. Damit Ihr dort reinkommt, solltet Ihr mir Eure E-mail-Adresse mailen, dann kann ich Euch einladen, so dass Ihr selber dort Ergänzungen anbringen könnt. (Übrigens solltet Ihr auf die Abbildungen draufklicken, dann werden sie grösser angezeigt.)

     Ihr findet es vielleicht verrückt, aber ich hab angefangen, es nochmal abzuschreiben, und zwar in meinen Computer rein, so dass es irgendwann komplett in digitaler Form vorliegt. Ihr könnt Euch ja vorstellen, dass man dabei Einzelheiten noch besser würdigen kann.

Während einer Amerikareise vor einem Jahr verfasste ich einen sog. Blog, also eine Art Reise-Tagebuch (auf nebenstehenden Rahmen klicken), wobei ich alle paar Tage wieder
einen Reiseabschnitt - Text und Bilder - eintragen konnte. Den konnte dann ein ausgewähltes Publikum aufschalten und unsere Reise auf diese Weise mitverfolgen. Ich benütze dieses Medium, indem ich Johann Neuholds Lebensbeschreibung in einzelnen Abschnitten in diesem Blog einsetze, so dass Ihr immer wieder ein Kapitel lesen könnt. Die Kapitel habe ich willkürlich unterteilt und mit Titeln versehen.

     Ich habe diesen Bericht für jedermann und jedefrau zugänglich gemacht, also nicht nur für ein von mir ausgewähltes Insiderpublikum, so dass jeder und jede von Euch auch andere Familienmitglieder, Bekannte und Freunde mitlesen lassen kann. Ein Tipp für die Nicht-Österreicher: Es gibt ein österreichisches Wörterbuch, wo Ihr manche der von Johann Neuhold gebrauchten Wörter und Ausdrücke nachschlagen könnt. Probierts mal: Was ist ein Greissler?

    Ich hätte gerne die ältesten Beiträge zuerst aufgeschaltet und neuere in entsprechender Folge. Das System bringt aber die neuen Beiträge zu oberst. Ihr solltet Euch im Blog-Archiv in der linken Spalte orientieren und auf jedenfall dieses Vorwort studieren.

    Lasst mich wissen, was Ihr denkt. Das könnt Ihr hier eintragen und jeder Blogsurfer kann es mitlesen. Bitte benützt die am unteren Rand jedes Beitrags vorgesehene Möglichkeit, einen Kommentar zu schreiben. So entsteht vielleicht ein familiärer Austausch über unsere Urahnen.
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