Mittwoch, 10. November 2010

88. Hier also meine letzten Aufschreibungen

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     Gegen Ende Dezember 1893 fasste ich den Entschluss, mit dem Kuvertmachen aufzuhören, da meine Augen schon recht kritisch wurden.

     Ich hatte seit Advent 1891 bis Oktober 1893  !!!  43'921  !!!  Kuverts gemacht. Die Langeweile trieb mich aber immer wieder zu dieser Arbeit, da sich auch manche Parteien wegen der guten Gummierung auf meine Erzeugnisse kaprizierten.

     Wegen meiner kranken Augen, besonders des rechten, riet mir der Uhrmacher Vischner, den berühmten Augenartz Dr. Othmar Purtscher in Klagenfurt aufzusuchen. Ich fuhr also am 7. Mai 1894 per Bahn für 1 Gulden 28 Kreuzer über Judenburg dort hin. Dieser freundliche Herr erkannte sogleich an meinem rechten Auge den grauen Star und hätte die Operation sogleich vorgenommen, wenn ich mich dazu hätte entschließen können. Ich ersuchte ihn um ein Mittel zur möglichen Erhaltung des linken, bereits sehr geschwächten Auges, wonach er mir ein Rezept für Tropfen verschrieb und für eine Salbe zur Einreibung oberhalb dem linken Auge und an den Schläfen. Für die Besprechung verlangte er 2 Gulden. Abends um 10 Uhr war ich wieder zurück daheim.

     Zu Pfingsten 1894 war ich in Leoben, wo mir die Lust ankam, die neue Bahn nach Aflenz zu sehen. Ich nahm eine Karte von Leoben nach Kapfenberg und zurück für 80 Kreuzer. Von dort fuhr ich mit der neuen Bahn bis zur Station Aflenz nächst Pabersdorf für 33 Kreuzer. Dann per Post für 30 Kreuzer hinauf nach Aflenz, wo ich um 11 Uhr mittags ankam und überall  (209)  freundlich begrüßt wurde. Eine Nacht schlief ich bei Herrn Grabner, unserem gewesenen gemütlichen Nachbarn. Beim über 25 Jahre dort gewesenen Bürgermeister, Herrn Willibald Schmid, hatte ich andern Tags herrlich zu Mittag gespeist und dann gut geschlafen. Ich machte dann mehrere Besuche. Herr Dr. Winkler trieb mich an, die neue Bahn auch bis Seebach Au zu befahren. Ich ging nun bergab, besuchte den Wirt Firstner, vulgo Wedl, in Palbersdorf, ging von dort zur nächsten Haltestelle Wappenstein Kammerer und fuhr mit dem ankommenden Zug zur Endstation der Bahn Seebach Au für 28 Kreuzer. Nach einer halben Stunde war die Rückfahrt nach Kapfenberg.

     In Leoben erfuhr ich, dass Herr Maister in Pettau vom Schlag getroffen einige Tage danach starb. In den Schulferien im Juli war Ella Hajek mit ihren zwei Kindern in Leoben bei Wawrinek und dannn einige Tage bei uns in Knittelfeld. Ihr Gemahl holte sie in Leoben ab und war eine Nacht hier. Er beeilte sich wieder nach Wien, und Ella reiste mit den Kindern am 16. September über Selztal und Amstetten nach Wien. Ich begleitete sie bis St. Michael, gab ihr 3 Gulden Reisekostenbeitrag und fuhr zur Abwechslung nach Graz. Dort besuchte ich Herrn Kaufmann Hansel Kohlfürst und Herrn Major Plank und noch andere. Über Maria Grün und Stoffbauer gings dann zur Rose. Dort wollte ich die Wirtsleute Tropetz besuchen, die uns als unsere Nebenpartei in der Sterngasse sehr zugetan waren. Jedoch fand ich sie dort nicht mehr. Zwei Nächte schlief ich wieder im vormals Redler'schen Hause. Im Oktober 1894 kam meine Tochter von Wien hierher auf Besuch. Am 18. Oktober 1894 fuhr sie nach Graz, von dort nach Pola und dann zu ihrem Sohn Viktor Wilkowitz in Mähren.   ......

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    Hier enden die »Aufschreibungen«  von Johann Neuhold und vermutlich auch sein reich gespicktes Leben.
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Montag, 8. November 2010

87. Zurück nach Graz

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     Am 10. September 1893 fuhr Fräulein Hulda zurück und ich nach Graz. Vorher besuchte ich in Bruck den Herrn Dr. Gmeiner und den Spitalarzt Dr. Bertha, welcher meinen erwähnten und immer wieder entstandenen Dippel untersuchte und gleich wieder operieren wollte.  (208)  Ich sagte jedoch, solange dieses Übel keine Schmerzen verursacht, ließe sich wohl eine Operation hinausschieben.


     Durch Kathi Stadler hatte ich erfahren, dass ich noch immer im vormals Anna-Stadler-Haus in Graz über Nacht bleiben könne. So blieb ich dort am 10. und 11. September und gab dem Gärtner Pächter Freiberger für 2 Nachtlager, für 2mal Frühstück und 2 Abendkaffee, dann für 4 halbe Semmeln einen Gulden.


     Da er mir sagte, dass ich mich über die vielen Neubauten verwundern werde, ging ich über die Schlachthausbrücke und war wirklich sehr erstaunt über die Menge neuer ein-, zwei- und dreistöckiger Häuser von der Neuholdau bis zur Münzgrabenskirche.

Das neue Strafgerichtsgebäude in der verlängerten Jakominigasse befindet sich in diesem Häusermeer. Ich musste nach dem nächsten Weg zum Hafner Riegel fragen, um von dort in die Petersgasse und zum Grab meiner Gattin zu gelangen.

Vom Friedhof weg ging ich über Waltersdorf durch die Schillerstrasse zur Herz-Jesu-Kirche und musste wegen plötzlichem starkem Nebel einen Herrn ansprechen, mir den Weg in das Innere der Stadt zu zeigen, da das Häusermeer auch in dieser Gegend immer grösser wurde.
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Mittwoch, 3. November 2010

86. Meine beeiferte Kuvertmacherei

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     Wegen der beeiferten Kuvertmacherei trat in diesen meinen Aufschreibungen eine Pause ein. Ich wollte am 30. Juni 1893 weiterschreiben. Allein die Sehkraft meiner Augen und die Beweglichkeit meiner Hand ist seit einem Jahr so geschwächt, dass ich wohl recht anstrengend die Feder führen muss.

     Am 20. und 21. August 1892 war der nun pensionierte Sparkassenbeamte, Herr Kolfürst samt Frau und Frl. Töchtern mit Rundreisekarten nach Villach hierher gekommen. Er kehrte im Hotel Finze ein und ließ sich mich sogleich auf einen Plausch zu sich bescheiden.  (206)  Er nahm von mir 9 Pakete Kuverts, und ich musste ihm versprechen, ihn zu besuchen, im Falle ich nach Graz kam.
    
     Am 12. September 1892 war ich mit Kuverts in Judenburg und am 13. September fuhr ich nach Graz und nahm auch 16 Pakete mit, die ich teils in St. Michael und teils in Graz verkaufte.

     An diesem Tag wurde dort die im orientalischen Stil neu und hübsch erbaute Synagoge in der Zweiglgasse, abwärts der Radetzkybrücke am rechten Mur-Ufer eingeweiht.

     Ich besuchte Herrn Kohlfürst und erhielt von ihm den Auftrag für 1100 Kuverts. Mein Nachtlager hatte ich bei Herrn Major Plank. Am nächsten Tag besuchte ich das Grab meiner Gattin, nahm bei Leidersdorf ein Ries Papier und fuhr abends mit gemischtem Zug nach Leoben und arbeitete an den Kuverts für Herrn Kolfürst, welche ich am 25. Oktober 1892 an ihn sandte.

     Mein Kuvert-Eifer war jedoch Schuld, dass ich erst am 25. Februar 1894 zur Fortsetzung dieser meiner Schreiben kam.

     (Rückblende:)  Am 17. November 1892 war ich wieder in Judenburg, sowie am 23. März 1893 und am 30. März in Zeltweg. Am 29. April 1893 fuhr ich nach Leoben und am 26. Mai 1893 ließ ich mich fotografieren und sandte mein Bildnis an Herrn Maister in Pettau, an Kaufmann Petschaller in Aflenz, an Maria Schidan und Ella Hajek in Wien, dann an Wawrinek in Leoben, an Messner in Pola , an Optiker Bernhardt in Karlsbad und an die 73 Jahre alte Lederermeisterswitwe Anna Steurer in Mureck. Ein Bild erhielt mein Herr Sohn und eines der Uhrmacher und Dichter Wischner.

      Am 25. Juni und 1. Juli 93 war ich wieder in Judenburg. Die Herren Heinrich Plank, k.k. Major, und Anton Kohlfürst, dann Frau Zeitler in Graz und Frau Holzer in Aflenz erhielten auch eine Fotografie.

Am 23. Juli 1893 sandte ich mehrere Bilder aus der Zeitschrift       »Zur Guten Stunde« nach Pola für die Kinder der Eheleute Messner. Am 12. August kamen aus allen Gegenden der Steiermark auch aus Friesach in Kärnten fesche Turner, sogar aus Laibach Deutsche Turner hier an. Am 13. August war bei schönem Wetter von der Turnhalle her  durch die Herrengasse auf den Hauptplatz ein prächtiger Einzug mit mehreren Musikbanden.

     Vor dem Rathaus war eine Tribüne aufgeschlagen, auf welcher der Herr Bürgermeister von allen Honoratioren und vielen schönen Ehrenfräuleins umgeben die vor der Tribüne aufmarschierenden Turner feierlich begrüßte.  (207)   Aber während der alle Turner und Turnfreunde ergreifenden Rede des Bürgermeisters sandte der Regengott plötzlich eine kleine Wolke daher, welche in ihrer Laune sich auf die grosse Menschenansammlung ergoss. Die Eingänge in die Häuser konnten die Schutzsuchenden nicht alle aufnehmen, und die lieben Ehrenfräulein wurden halb durchnässt ehe sie sich von der Tribüne herabflüchten konnten.

     Nach kaum zwei Minuten war die kritischen Regenwolke verschwunden. Jeder eilte wieder auf seinen Platz und der Bürgermeister konnte seine markige Ansprache fortsetzen und vollenden.

     Dann eilten alle zum Mittagsimbiss, wonach von den einheimischen und fremden Turnern auf dem geräumigen, mit Tribünen und Sitzplätzen reichlich versehenen Feuerwehr-Übungsplatz die herrlichsten Turnübungen ausgeführt wurden. Desgleichen auch des anderen Tages am Nachmittag. 

     Am 14. August sandte ich 10 Gewehrpatronenschachteln, die ich von Aflenz mitgebracht hatte, an den Kaufmann Petschaller und erhielt hierfür am 14. September 2 Gulden 50 Kreuzer.

In einer Zeitungsnotiz hieß es, dass am 8. September aus allen Gegenden der Steiermark Abordnungen der freiwilligen Feuerwehren nach Leoben kommen werden. Also begab ich mich am 7. August mit der Cousine Hulda dahin zu Herrn und Frau Wawrinek, um das Fest anzusehen. Am 8. August früh versammelten sich die Feuerwehrleute am Bahnhof, von wo aus dann ein prächtiger Einzug in die festliche geschmückte Stadt erfolgte. Währenddessen von der Anhöhe hinter dem Bahnhof 100 Böllerschüsse losgingen. Hier wie in Knittelfeld wurden die Einziehenden mit zahllosen Blumensträußen begrüßt.

Vom Balkon des Rathauses, vor welchem der ganze Zug Aufstellung nahm, wurden die wackeren Männer vom Bürgermeister feierlich bewillkommt. Tags darauf wurden am Hauptplatz in der Höhe einiger großer Häuser Feuerwehrübungen vorgenommen, welche jedoch vom nachhaltigen Regen vereitelt wurden.

     Eine angenehme Überraschung für mich war es, als von der Aflenzer Feuerwehr Schneidermeister Ortner, Lebzelter Schmölzer, Schuster Hödl und Kaufmann Petschaller auf mich zukamen und mich freundlich begrüßten. Ich musste versichern, dass ich, sobald die im Bau befindliche Bahn von Kapfenberg nach Aflenz fertig sein würde, auf Besuch nach Aflenz zu kommen.
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Donnerstag, 28. Oktober 2010

85. Ach, wie viele Leiden ...

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     Nach dem Schnee von Anfang November 1891 war die Witterung bis Mitte Dezember lau und angenehm. Viele Leute befürchteten, dass es nicht Winter werde, denn von Eisbildung war keine Spur und diese abnormen Witterungsverhältnisse waren wahrscheinlich schuld daran, dass die in vielen Ländern grassierende Krankeit Influenza auch in der Steiermark heftig auftrat. Wo sonst in Graz pro Tag 8 bis 12 Verstorbene in der Zeitung zu lesen waren, kamen kurz vor Weihnachten 1891 20 bis 27 Todesfälle vor. Diese Seuche raffte meistens Hochbetagte dahin und verschonte weder Rang noch Würden.

     Am 28. Dezember ging ich nachmittags, da die Kälte mäßig war und kein Wind wehte, in das Leuthnersche Gasthaus »Zum Grünen Anger«. Dort trank ich ein Achtel Wein. Aber beim Nachhausegehen schüttelte mich eine gewaltige Kälte. Ich zitterte heftig und begab mich zu Bett, und sogleich empfand ich ein sehr schmerzhaftes Stechen und Reißen durch den ganzen Körper.

     Zum Glück hatte ich gegen den zeitweiligen Krampf in den Beinen einen Gläger Branntwein vorrätig. Mit diesem rieb ich den ganzen Körper ein, soweit ich langen konnte. Nach 3 Tagen war alles Stechen und Reißen vorüber. Ich war nun sehr erfreut, in der Meinung, dass diese böse Krankeit überstanden war.

     An Silvester abends um halbzehn kam die freundliche Frau meines Herrn Sohnes und rief an der geöffneten Zimmertüre: »Prosit Neujahr!«, worauf ich von ihr ein Glas warme Limonade erhielt. Als ich diese getrunken hatte, fing ein heftiger Husten an, der mir eine schlaflose Nacht bescherte. Die Frau Bezirksrichter sagte anderen Tages, dass der Husten ein Teil der Influenza wäre. Sie wissen es von ihrem ersten Bruder, Notar in Millstadt in Kärnten, welcher auch an dieser so peinlichen Krankheit gelitten habe.

     Am Neujahrstag blieb ich noch im Bett und hoffte, der Husten werde wohl von selbst aufhören. Da er aber immer ärger wurde und ich bei Appetitlosigkeit ermattete, ließ mein guter Herr Sohn am 7. Jänner den Herrn Dr. Pölz kommen, der mir 9 Pulver verschrieb und Tee verordnete. Ich musste wieder zu Bett gehen, dabei hatte ich großen Durst und durfte nichts trinken. Nach Bier und Wein hatte ich kein Verlangen, sondern nach frischem Wasser. Alle Ärzte rieten, als Getränk Tee mit dem unter Wohlhabenden gebräuchlichen Cognac zu nehmen; aber ich konnte auf diese teure Spezies verzichten.

     (204)  Am 20. Jänner fühlte ich mich vom lästigen Husten ganz befreit. Die Furcht vor einer Lungenentzündung war vorüber und ich kam wieder zu Appetit, sowie zum ersten Wassertrinken.

     Während dem heftigen Husten hatte ich noch 10 Pulver zu nehmen. Herr Dr. Pölz hatte hier im Orte selbst 200 Patienten zu behandeln. Als ich ihm am 2. Februar die Rechnung mit 5 Gulden bezahlte, sah er sehr angegriffen aus, da auch er gegen diese verwünschte Krankheit zu kämpfen und sich zu wehren hatte. Wie in den Zeitungen zu lesen war, sind an dieser bösartigen Krankheit sehr viele Leute – hoch in den Jahren – u. a. Kardinäle, Reiche, Generäle und Prinzen gestorben.

     Ich hatte schon erwähnt, dass ich Frau Anna Resler versprechen musste, zu ihrem Begräbnis zu erscheinen. Zufällig las ich da am 16. Oktober 1891 im Grazer Tagblatt das Partezettel über das am 13. Oktober erfolgte Ableben der Anna Resler. Sie starb an Altersschwäche, 78 Jahre alt. Hätte ich hierüber von Graz eine Nachricht erhalten, ich wäre gewiss gerne dahin.

     Die Nachwehen der überstandenen Influenza blieben bei mir nicht aus. Hören und Sehen ist bei mir seit Anfang März 1892 bedeutend schwächer. Wenn zwei Personen zwei Schritte von mir entfernt miteinander sprechen, verstehe ich kein Wort. Zeitung lesen ist schon eine Anstrengung, besonders da für mich kein Augenglas existiert. Es ist wohl traurig und schmerzlich, im hohen Alter alle Unannehlichkeiten durchzumachen.

     Ach, wie viele Leiden können noch über mich kommen bis ich geendet haben werde!!

     So wie ich mich in Graz und Aflenz mit Briefkuvert-Erzeugung beschäftigte, wollte ich dieses Geschäft auch in Knittelfeld versuchen, teils die Langeweile zu töten und teils, um für Schnupftabak und dann und wann für einen Schluck Wein noch etwas zu verdienen. Gegen Weihnachten 1891 hatte ich 1400 Kuverts verkauft. An den drei Feiertagen machte ich sehr viele Kuverts, in der Hoffnung, diese gegen Neujahr zu verwerten. Jedoch, wie erwähnt, machte die Influenza einen Strich durch die Rechnung. Ich machte und verkaufte nachträglich bis zum 1. April 1892 2840 Kuverts. Nachdem in Knittelfeld das brauchbare Papier hierzu nicht immer zu haben war, musste ich dieses schon zweimal von Graz kommen lassen.

     Es schmerzt mich noch immer, dass ich meiner armen, am 11. Dezember 1882 verstorbenen, mir unvergesslichen Gattin den Argwohn und Zweifel an meiner unverbrüchlichen ehelichen Treue nicht nehmen konnte.


     (205)  Herr Buchbindermeister Kneschaureck, Buch- und Galanteriewaren-Händler   außerdem Hausbesitzer am Hauptplatz in Knittelfeld, fragte mich, wofür ich die bei ihm gekauften Papiere benötige. Ich antwortete, dass ich für Herrn Bezirksrichter vieles zu rubrizieren habe. Es war freilich unwahr; ich mochte ihm ja nicht sagen, dass ich Briefkuverts  mache. Bis 13. Mai brachte ich es im ganzen auf 6375 Kuverts und hatte erfahren, dass Herr Kneschaurek wegen meiner Beschäftigung auf mich sehr böse sei.

     Zur Abwechslung fuhr ich am 14. Mai nach mehrfacher Einladung nach Leoben zu Herrn und Frau Wawrinek und blieb nur drei Tage dort, denn die Kuvert-Vorbereitung für die Pfingswoche trieb mich nach Hause. Ich hatte dann bis Samstag, 4. Juni vor Pfingsten wieder 1660 Kuverts verkauft.

     Am 14. Mai verehrte ich Frau Wawrinek 150 Kuverts für Visitenkarten und 160 für Briefe. Am 18. Mai gratulierte ich Herrn Wawrinek zu seinem Namenstag. An Christi Himmelfahrt, 26. Mai, fuhr ich nach Judenburg zu Herrn Frank Egyd, Gastwirt »Zur Schönen Aussicht«. Ich wollte mich wegen der Töchter des Georg Dunkel, Bruder meiner Mutter, erkundigen, konnte jedoch nichts erfahren. Aus Spekulation nahm ich am15. Mai die Anzahl Kuverts mit, welche ich bei Franks Gästen und in drei Gewölben sogleich verkaufte. Mehr als nochmal so viele hätte ich anbringen können, wenn ich sie bei mir gehabt hätte.

     Als unser Verwandter, Herr Johann Maister zu Pfingsten vorigen Jahres in Leoben war, wurde dort die Heirat seiner zweiten Tochter mit dem Lederhändler Lois Someregger beschlossen, und da Herr Maister meine Hinfälligkeit bemerkte, sagte er zu mir: »Wir werden uns schwerlich wieder sehen.«

     Als er aber zu Pfingsten 1892 zum Besuche seiner Töchter wieder dahin kam, ergriff ihn doch die Sehnsucht, mich noch einmal zu sehen. Und so kam er am 10. Juni mit Herrn Wawrinek hierher, was mich unendlich freute. Ich hatte soeben einen Brief an ihn fertiggemacht, welchen ich ihm nebst zwei Landschaftsbildern: 'Stadt und Schloss Legovia in Spanien' und 'Stadt Janina in Griechenland' als Andenken von mir übergab.
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Montag, 18. Oktober 2010

84. Über die Freundschaft

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     Nachträglich fällt mir noch manches aus früheren Jahren ein. Als nämlich ich und meine Gattin im Mai 1839 die Lebenbauer-Realität  (Immobilie)  in Mureck erkauften, wurden uns zur Bestreitung aller nötigen Hausreparaturen von den gutmütigen erwähnten Herren Kaufmann Kolletnig und Riemenmeister Rogathin einige Darlehen bereitwilligst vorgestreckt.

     Als ich dann im Oktober darauf um das angesuchte und bewilligte Sparkassen-Darlehen nach Graz ging, las ich dort in der Zeitung, dass das von Moritz Sigrist verfasste Gedicht »Glaube, Hoffnung, Liebe« am Sonntagmorgen vom Chor gesanglich vorgetragen werde. (202)  Ich lauschte dort diesem Gesang, der mir so sehr gefiel, dass ich nach der aufgefassten Melodie während der Heimreise das Gedicht »Die Freundschaft« verfasste. Dann schrieb ich es zweimal auf Goldschnitt-Papier, und bei Berichtigung des Guthabens obiger Bürgen, überreichte ich jedem eine Abschrift mit größtem Dank.

     Ich war und bin noch jetzt von meiner Dichtung und der Melodie so eingenommen, dass ich nicht umhin konnte, den Text hier anzubringen:


D I E   F R E U N D S C H A F T

-1-
Die Freundschaft blüht so göttlich schön;
ein treuer Freund ist Gold und Schätze wert,
sein Herz kann nirgends einen Kummer sehn,
es macht ihm Freude, wenn er Trost gewährt.
Und trifft ein hartes Schicksal das gebeugte Herz,
hebt man den Blick vertrauend, hoffend himmelwärts;
so heilt die Freundschaft, so heilt die Freundschaft
helfend, liebreich, tröstend jeden Schmerz

-2-
Wo ist ein Glück, das seiner Freundschaft gleicht,
das treu und liebend uns die Hände reicht?
Wie selig macht den Freund nur Gutes tun
und schnell zu helfen lässt ihn fast nicht ruhn.
Ja, nur ein Edler, holder, guter, warmer Freund,
der redlich helfend, warnend, schützend gut es meint,
der redlich helfend, warnend, schützend gut es meint,
In dem sich Tugend und Gefühl vereint.

-3-
Die Freundschaft ist des Himmels Sonnenstrahl,
erquickt den Armen hier im Erdental.
Viel tausend Dank gebührt dem Mann,
der Segen spendet, wie und wo er kann.
Oh, welche Wonne, Freude, Glück und Seligkeit
ist uns von einem echten wahren Freund bereit';
denn Freundes Hilfe, denn Freundes Hilfe und Trost
versüßt des Lebens Bitterkeit.


     Am 19. November sandte ich an meine Tochter in Wien obigen Text mit der Melodie auf Noten gesetzt, nebst dem erwähnten Lied »Das Hoamweh«, dass sie beides ihrem Sohne Viktor, Obmann des Chorgesangsvereins zu Witkowitz in Mähren zur allfälligen Verwendung zufertigen wolle.

     (203)  Erst am 25. November fühlte ich mich von dem besagten Blasenleiden befreit, währenddessen mit dem Urin Blut mitfloss.
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Sonntag, 17. Oktober 2010

83. Schmerzen beim Urinieren -- 83 Jahre alt


     Der letzte Winter 1890-91 war sehr stürmisch, überhaupt hier in Knittelfeld um zwei Grad kälter als in Leoben. Am 30. April und am 1. und 2. Mai wurde es nach vorangegangenem Regen, kalten Winden und Schneegestöber plötzlich sehr heiß, wonach sich die schauerlichen Gewässer in die Tiefen stürzten. Dazu kam noch anhaltender schwerer Regen, so dass eine furchtbare Überschwemmung entstand und gräulichen Schaden anrichtete. Das ganze Murtal glich stellenweise einem See. In der  Gemeinde Weinzödl bei Graz wurde an Grundstücken und Gebäuden arger Schaden angerichtet. Die Weinzödl-Brücke wurde so ruiniert, dass dieselbe erst ab Mitte Juli für Fußgänger und nur bei Tag passierbar war.  (200)  Alle Wehre für die Floßfahrt und zu den beidseitigen Mühlgängen, um deren Brücken stromabwärts, wurden von den Gewalten des Hochwassers zerrissen. Zur Unterstützung der am meisten beschädigten Insassen von Weinzödl wurde in der Industriehalle zu Graz ein großartiges Konzert abgehalten. Die traurige Witterung, trüb, kühl und Regen dauerte fast den ganzen Juni.


     Meine Tochter Marie schrieb am 22. Juni 1891 aus Franzensbad in Böhmen , dass die Witterung dort bis jetzt immer sehr kritisch war, stets kalter Wind und Regen und wenig heitere Tage. Daher seien auch viel zu wenig Badegäste anwesend. Später schrieb sie mir, dass sie mit ihrer Herrschaft, Frau von Brentano samt dem herzigen Knaben am 12. Juli das Bad verlassen und nach Wien und dann auf das Gut in Schönbichl bei Melk reisen werde und von dort aus zu uns nach Knittelfeld auf Besuch kommen wolle.

     Am 18. Juli 1891 fuhr nun meine Tochter mit der Westbahn von Melk nach Amstetten und von dort per Staatsbahn über Admont etc. nach St. Michael und kam abends halbsechs an, hielt sich am 19. Juli, einem Sonntag, bei uns auf, und ich ging mit ihr zum Männergesangskonzert im Kindergarten. Am 20. früh fuhr sie weiter nach Leoben und ich fuhr mit. Es drängte sie, die seit fünfeinhalb Jahren nicht mehr gesehenen Eheleute Wawrinek zu besuchen. Da der Urlaub nur vier Tage dauerte, ist Marie Schidan am 21. Juli früh um 5 Uhr abgereist über St. Michael, Asmont, Amstetten nach Melk. Von dort musste sie nach Schönbichl eine besondere Gelegenheit benützen.


     Am 22. Juli fuhr ich per Bahn früh um halbsieben von Leoben nach Graz, hin und zurück für 2 Gulden 65 Kreuzer. Ich besah mir die Stadt mit vielen Neubauten und der herrlichen neuen Brücke. Ich machte Besuche am Grab meiner mir unvergesslichen Gemahlin und bei Bekannten. Mein Nachtlager hatte ich zweimal im Hause der Frau Resler, welche bei meiner Hochzeit am 31. Januar 1830 als Brautjunger fungierte. Jetzt war sie altersschwach und hinfällig, zum Erbarmen. Ich musste ihr versprechen, zu ihrem Begräbnis zu erscheinen. Aber wer kann es wissen, ob nicht ich vorher abgerufen werde, da ich um vier Jahre älter bin.

     Am 25. Juli wollte ich auf den schönen Schlossberg, da sich aber ein Landregen einstellte, fuhr ich per Bahn um 1 Uhr Mittag wieder nach Leoben, wo ich nachmittags um 4 ankam und wegen des vielen Regens vom Bahnhof in die Stadt mit dem Omnibus fuhr.

     (201)  Am 25. Juli kam von Wien über Amstetten, Admont etc. die Gattin des Arztes Rauch aus Graz mit dem Töchterchen Hermine zu Wawrinek auf Besuch. Ich blieb noch zwei Tage dort und begab mich am 27. Juli nach Knittelfeld, wo ich um halbacht abends ankam und von meinen Angehörigen freundlich bewillkommt wurde. Die waren zufällig am Bahnhof.

     Am 26. August 1891 machte ich wieder einen Spaziergang nach Grosslobming, am 27. August zum Bad Rachau, zwei Stunden weiter. Am 13. September war ich in dem drei Stunden von hier entfernten auf einem hohen Berg gelegenen Ort Seckau. Am 27. September fuhr ich per Bahn nach Zeltweg für 10 Kreuzer und ging dort eine halbe Stunde zur Brauerei Forrach. Am 6. Oktober war ich wieder in Zeltweg und ging von dort fünfviertel Stunden nach Weisskirchen. An jedem dieser Orte verzehrte ich bloß ein Glas Bier und eine Semmel, denn ich fühlte keine weiteren Bedürfnisse.

     Die Monate September und Oktober waren sehr lieblich, aber am 29. Oktober bis zum 2. November fiel recht viel Schnee. Dann war es mehrere Tage frostig mit kaltem Wind, danach wie lau.

     Am 9. November fühlte ich Schmerzen beim Urinieren und Herr Dr. Pölz erklärte meinen Zustand als Blasenkatharr. Ich konnte das Entstehen desselben nicht ergründen und musste zur Vermeidung aller sauren Speisen und aller Getränke nur Tee aus der Apotheke zu mir nehmen. Leider nahmen in mir alle Kräfte so ab, dass es noch ein Wunder war, wenn ich noch am Leben bin. Harthörigkeit, Augenübel, und Krampf in den Beinen belästigten mich schon seit mehreren Jahren. Und seit einem Jahr quälte mich ein kleiner Schmerz am unteren Teil des Rückgrats, der oft verhinderte, dass ich ganz aufrecht gehe.

     Nachdem ich heute, den 4. Dezember 1891, 83 1/2 Jahre alt bin, darf ich mich über Altersschwäche nicht zu sehr grämen.
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Samstag, 9. Oktober 2010

82. Der Knabe Heinrich - Altersprobleme - Ausflüge

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     Im Jahr 1840, ich war 32 Jahre alt, hatte meine stets fleißig gewesene Frau von weißer Baumwolle für mich zwei Unterjacken gestrickt, welche mir bei meinen Reisen im Verzehrsteuerjahr sehr gute Dienste taten. Eine dieser Jacken ist seit einigen Jahren schon ganz zerfetzt, die andere ist noch einen Winter lang verwendbar.

     Als wir in Graz im 1. Sack, im Nagl'schen Haus im 4. Stock einzogen, wohnte daselbst im 4. Stock gassenseitig der Hausarzt Dr. Kammerhuber, ein sehr verständiger und braver, geschickter Herr mit Frau, einem Töchterchen und einem Knaben Otto. Im 3. Stock wohnte Schneidermeister Fröhlich, dessen Knabe Heinrich stets heraufkam, um mit Otto und unserem Sohn Eduard in der Vorhalle zu spielen, wobei der Schneiderssohn ständig kommandierte. Da sagte meine Gemahlin sehr oft, sie möchte gerne wissen, was aus diesem Knaben etwa werden würde. Und weil Heinrich stets mehr zu sein sich einbildete, so glaubte man, aus ihm werde etwas großes. Er wurde aber als das einzige Kind von seiner Mutter sehr verhätschelt, ging als gelernter Schneider in die Fremde, kam nach Paris und Berlin und hatte seine Eltern große Summen gekostet und sich dann zu Hause wenig um die Schneiderei gekümmert. Er befasste sich mit Agentschaften. Da er aber bei einem Verein als Kassier Gelder veruntreute, bekam er viele Monate Arrest.

     Otto Kammerhuber kam in die Kadettenschule zu Liebenau bei Graz. Sein Vater starb am 11. Januar 1891, 80 Jahre alt an Altersschwäche. Laut dessen Partezettel ist Otto bei der Österreischen Staatsbahn Vizedirektor und verehelicht. Die Schwester ist noch ledig.

     Wie ich schon erwähnte, dass meine Wunde wieder zuheilte, war meine Freude darüber nur von kurzer Dauer; denn die Wunde verwandelte sich wieder in einen nussgroßen Dippel, der auch schmerzte. Herr Dr. Pölz verordnete ein Bruchband, welches 3 Gulden kostete und mir vom Bandageur in dessen Wohnung am Montag nach Palmsonntag abends appliziert wurde. Während ich mich anschickte, zu Bett zu gehen und mich hinlegte, packte mich eine furchtbare Kälte, die mich während eineinhalb Stunden grässlich schüttelte. Ich verlor jeden Appetit und wurde sehr matt, erholte mich aber soweit, dass ich zu Ostern in die Kirche konnte. (198)  Die Neubehandlung des Bruchbandes ist jedoch lästig.

     Nun erkannte ich, dass die Altersschwäche bei mir sehr zunahm. Meine Tochter Marie schrieb an Herrn Dr. Eduard Neuhold, dass er mich heuer nicht nach Wien lassen solle, denn sie wollte uns diesen Sommer besuchen.

     Ich machte sonach gegen Pfingsten einen Ausflug nach Leoben zu Wawrinek und war 13 Tage dort. Da ich Lust hatte, Vordernberg zu sehen, so nahm ich eine Karte dorthin und zurück für 70 Kreuzer. Als während der Fahrt die Karten abverlangt wurden, zeigte es sich, dass ich in dem nach St. Michael und nicht nach Vordernberg fahrenden Zug Platz genommen hatte. Ich musste nun für diese Station 15 Kreuzer draufzahlen und dort zur Rückfahrt nach Leoben eine Karte zu 10 Kreuzer lösen. Ich machte mir nichts daraus; mir gefiel diese Spazierfahrt schon deshalb, weil in St. Michael immer Züge zusammenkommen, von Leoben, von Pontafel in Kärnten und vom Ennstal herab, und das bewegte Leben ist dann interessant. Da die Karte nach Vordernberg 8 Tage gültig war, so benützte ich dieselbe 4 Tage lang.

Der Knabe Viktor Sommeregger zu Leoben lernte Violine. Da habe ich für ihn im März aus purer Langeweile auf 4 Bogen Notenpapier 1 Mazurka, 3 Märsche, 16 Lieder, 2 Jagdlieder und 2 Serenaden geschrieben, wie ich solche mit meiner Flöte immer gerne spielte. Wegen meiner krummen Finger konnte ich jedoch nicht mehr die Flöte gebrauchen. Ich hatte ein gutes Musikgehör, und so blieb mir alles im Gedächtnis. Von obigen Märschen ist einer, den ich acht Jahre alt am Exerzierplatz in Graz aufgefasst hatte und erst jetzt zu Papier brachte. Unter den Walzern ist auch einer von meiner Hochzeit, die am 31. Jänner 1830 war. Alle diese 45 Jahre alten Stücke sind noch immer angenehm und ich bildete mir ein, dass es doch schade wäre, wenn dieselben ganz vergessen würden.


     Als ich mich in Leoben dem erwähnten Herrn Steuereinnehmer Sing empfahl, sagte dessen freundliche Gemahlin zu mir: »In Knittelfeld werden wir uns öfter sehen«. Hier aber in Leoben nimmt kein Mensch von mir Notiz. Ich besuchte schon sieben Gasthäuser, aber weder Wirt noch Wirtin, Kellnerin noch Gast kümmerten sich bis jetzt um mich. Mir fehlte die Gabe, mich aufzudrängen. Auch hatte ich nie den Mut, die Eheleute Sing mit meiner Wenigkeit zu belästigen. Eine Enkelin meiner verstorbenen Schwester Maria Stadler hat einen Advokaten, Beamten namens Pichler geheiratet und befindet sich seit April 1890 hier. Zu diesem Ehepaar komme ich zweimal die Woche um fünf Uhr abends auf Besuch.

     Um in den nächsten Wald zu kommen braucht man eine halbe Stunde.  (199)  Von meinem Fenster aus sieht man das eine halbe Stunde weit entfernte Schloss nebst kleiner Ortschaft Hauzenbichl. Die umliegenden Ortschaften St. Margarethen, Gobernitz, Landschach, Grosslobming, Pausendorf, Massweg, Sachendorf, Kobenz habe ich alle schon besucht.


     Mein erster weiterer Ausflug war nach Judenburg, da mich die Sehnsucht quälte, diese freundliche Stadt wieder zu sehen und einen alten Bekannten dort aufzusuchen. Als ich nämlich im Jahre 1866 mit den Grazer Turnern nach Judenburg zog (siehe Kapitel 56), wurden wir dort sehr freundlich empfangen und im Brauhaus mit einem Blumenregen überschüttet. Aus Erkenntlichkeit hierüber habe ich von den von mir gemalten 30 Biertrinkern zwei dem Turner Egid Frank geschickt, einen für ihn und einen für das Brauhaus. Frank hat nun dort das sehr gut besuchte Gasthaus »Zur Schönen Aussicht« nebst Badeanstalt. Er sagte, dass sich sein Biertrinker im Turnvereinslokal befinde. Das Bild im Brauhaus fand ich noch frisch im Goldrahmen.


     In Knittelfeld gehe ich öfters gerne zum  Bahnhof.  Dort ist ein bewegtes Leben wenn die Züge ankommen. Man kann am Perron ungehindert auf- und abspazieren. Als ich Anfang März wieder gegangen bin, sprach mich ein Herr sehr freundlich an, er wollte wissen, wie es mir in Knittelfeld gefalle. Ich konnte mich nicht an ihn erinnern und wusste auch nicht den Grund seiner Freundlichkeit zu erraten. Als ich ihn später mit dem Bezirksrichter am Bahnhof sprechen sah, ersuchte ich meinen Herrn Sohn, mir doch zu sagen, wer denn der freundliche Herr wäre. Da ich die Antwort erhielt, er sei der Herr Steuereinnehmer, konnte ich nicht begreifen, dass ich diesen Herrn von Weihnachten her nicht mehr kannte.
    
     Bei einer nachträglichen zufälligen Begegnung erbat ich mir die Erlaubnis, ihm und seiner freundlichen Frau Gemahli einen Besuch machen zu dürfen. So war ich am 15. und 22. Juni dort und übergab ihnen von meinen Landschaftsbildern 4 Stück: Quedlinburg, Terracine, Bern und Schloss Sulinica.

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( Wohlgemerkt: 
Diese Nachträge, Erinnerungen an frühere Ereignisse mit all den Details schreibt er als bald 90jähriger. Was für Gedächtnis! )
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Montag, 16. August 2010

81. Erinnerungen an frühere Jahre

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     Nun habe ich noch manches nachzutragen.

     Als ich noch klein war und öfter zu der bei Dr. Fink gedienten Köchin und Tante Therese Dunkl kam, gab mir das erwähnte Zimmermädchen, Johanna Seidnitzer, ein Theaterstück »Wer weiss, wozu das gut ist?« zu lesen. Und da im Jahre 1847 das Übel mit dem Krummwerden der Finger angefangen hat, kam mir der Gedanke, wer weiss, wozu das gut ist? Ich hatte den glücklichen Einfall, mir über die krummen Finger ärztliche Zeugnisse ausstellen zu lassen, welche dann immer infolge Gesuches um zeitliche Befreiung meines Sohnes von der Militärpflicht berücksichtigt wurden.     

     Als ich, 19 Jahre alt, im Jahre 1827 zur Stellung einberufen wurde, kamen alle Vorgeladenen im Rathaus auf den mit eisernem Gitter versperrten, langen Gang im dritten Stock. Die 36 Stellungspflichtigen machten des Nachts ordentlich Höllenlärm. Der Abmarsch zur Assentierung war auf den nächsten Donnerstag bestimmt.

     Als Verpflegung erhielten wir Arrestanten ein kleines Stück Fleisch auf einem Trögl und dazu einen hölzernen Löffel. Die Rekruten aus besseren Häusern wurden von den Eltern mit besserem Imbiss versorgt. Da im ersten Stock ein geräumiges Kanzlei-Lokal leer war, wurden die Rekruten vom dritten Stock herab in das frisch geweisste Zimmer expidiert. Die Arrestanten mussten alle Strohsäcke für uns heranschleppen. Unter uns befand sich ein eleganter Tiroler, Studierender der Medizin; sein Quartiergeber hatte es bewirkt, dass der feine und nette Herr Student nicht unter den lärmenden Leuten, sondern zu Hause schlafen dürfe. Kaum war er fort, ersuchte ich jeden  (196)  um einen Bleistift und zeichnete an den neugeweissten Wänden die halbe Nacht Soldaten aller Gattungen: Infanterie, Jäger, Kavaliere, Artillerie, Grenadiere, Marquetenderinnen – alle Karikaturen in mehr als Lebensgrösse.

Original dieses Neuhold-Bildes in Privatbesitz in München

     Als um 8 Uhr früh der Gefangenenaufseher die Tür öffnete und die bekritzelten Wände sah, fluchte er entsetzlich und wollte wissen, wer dies getan habe. Wir aber schoben die Schuld auf den Mediziner, der gestern Nacht nach Hause gehen durfte. Gleich kamen zwei Arrestanten mit Kalk und mussten das Lokal überweissen, und wir marschierten unter Anführung des Magistratsrates Bonstingl und seines Amtsdieners zur Assentierung am Nikolaus-Quai.

     Als ich im Herbst 1821, 13 Jahre alt, auf Ferien nach Judenburg kam, liess Onkel Dunkl ein Zimmer neu weissen und einen dunklen Sockel anbringen, welchen ich mittels selbstgemachter Patronen farbig einsäumte. An einer Wand konnte ich zwei Landschaften in schwarzem Rahmen so täuschend malen, als ob sie aufgehangen seien. Manche Besucher wollten die Bilder zur näheren Besichtigung abnehmen. 

Original dieses Neuhold-Bildes in Privatbesitz in München

     Ich spazierte einst mit dem Onkel nach Knittelfeld. Vor dem Wirtshaus, wo wir einkehrten, sass ein Invalid mit der Krücke und einem Stelzfuss, und ich musste auf Verlangen des Onkels sogleich die interessante Invalidenfigur abzeichnen. Als mir diese Portraitierung wirklich gelungen ward, zeigte der Onkel die Zeichnung allen Anwesenden und prahlte mit seinem talentvollen Neffen.

Der Onkel Johann Dunkl in Hartberg war Oberschützenmeister der bürgerlichen Schiessstätte. Er hatte einen Glaskasten voll gewonnener wertvoller Preise. Als ich zu Ostern 1822, 14 Jahre alt, auf Ferien dort weilte, musste ich auf Wunsch des Onkels alle in der Schiessstätte anwesend gewesenen Schützen, darunter den Stadtpfarrer und einen Pfarrer aus der Umgebung, insgeheim abzeichnen, worüber dann viel gelacht und ich allseits mit freundlichen Blicken beehrt wurde.

     Als ich beim Bindermeister Rucker Geselle war, wurde auch ein Geselle aus Radkersburg aufgenommen. Dieser erzählte, dass er dort gar oft über die Mur geschwommen sei und auch hier einen Versuch wagen möchte, wenn ich mittäte. An einem Sonntag Nachmittag zogen wir bei der Werkstätte unsere Kleider aus und sprangen vor derselben, nur mit Schwimmhosen bekleidet, in die Mur und bemühten uns, möglichst gerade hinüber zu kommen. Am jenseitigen Rasenplatze lagerten wir uns, um ein wenig auszuruhen. Da kamen von unten herauf zwei Polizeimänner im ärgsten Lauf auf uns zu und wollten uns fassen, da in der Mur das Baden verboten war. Wir liessen sie auf fünf Schritte herankommen und hüpften dann wie die Frösche in Wasser.

    (197)  Die Polizisten liefen dann zur unteren Murbrücke, in der Hoffnung, uns diesseits zu erwischen. Als wir ganz getrocknet und schnell angekleidet im Sonntagsstaate vor das Haus traten, kamen die beiden Polizeibeamten voll Schweiss daher, und da sie uns natürlich nicht erkannten und die Umstehenden auch keine Auskunft geben konnten, so war das Laufen und Schwitzen der Polizisten umsonst und uns machte es ein Vergnügen, dieselben gefoppt zu haben.
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Sonntag, 25. Juli 2010

80. Der Herr Sohn zieht um

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     Die Obstbäume in dem von uns in Aflenz benützten Garten waren heuer voll reich mit Früchten. Sobald ein Beet des 100 Schritte langen und 40 Schritte breiten Küchengartens leer wurde, hatte ich zum Zeitvertreib die Beete nacheinander umgestochen und die hervorgegrabenen Steine beseitigt. Als ich mit dieser Arbeit fertig war, erhielt ich vom Herrn Sohne, k.k. Bezirksrichter, die Nachricht, dass er nach Knittelfeld übersetzt werde. Da hatte ich nun viele Vorbereitungen wegen der Übersiedlung und zum Einpacken viel und angestrengt zu tun.



     Als ich im Sommer 1888 an meinem Unterleibsbeschwerden mit Blutegeln behandelt wurde, entstand dort, wo die sassen, mit der Zeit eine Art Verhärtung, die nicht schmerzte, aber nach und nach grösser wurde. Dr. Lichtenegger wusste Mittel dagegen.

     In der Zeit nun, da ich wegen der Übersiedlung so sehr beschäftigt war, fing die vorerwähnte Verhärtung zum Eitern an. Ich hatte furchtbare Schmerzen und liess am 2. Oktober 1890 früh den Arzt Dr. Winkler holen. Dieser sah meinen Zustand als höchst gefährlich an und drang sogleich auf Abreise nach Bruck ins Spital. Mein Herr Sohn, besorgte gütigst sogleich den Wagen. So fuhr ich gegen 11 Uhr per Post in Begleitung von Enkelin Hulda nach Bruck, nachdem ich vorher noch eine Suppe zu mir genommen hatte.

     Im Spital wurde mein Leiden von drei Doktoren untersucht und die Öffnung des beinahe faustgrossen Tippels beschlossen. Zur Jause erhielt ich ein Glas warme Milch und auf den Tippel Umschläge.

     Anderntags wurde der Tippel vom Spitalarzt Dr. Bertha, in Gegenwart des Herrn Dr. Schmid und noch eines Herrn Doktor aufgeschnitten. Nach Entleerung von Blut und Eiter wurde der Tippel gereinigt, besalmt und überbunden. Vier Spital- oder Kreuzschwestern gingen  mit Salben, frischem und lauwarmem Wasser und schliesslich mit Verbandzeug zu Werke.

     Die Verpflegung 2. Klasse mittags  (194)  und abends war vortrefflich und stets mehr als genügend. Der Jausenkaffee am Morgen war recht gut, und zwischen Frühkaffee und Mittagsmahl gab es gute Suppe und eine Semmel. Die Schwestern waren sehr freundlich und sorgsam. Die Wunde wurde alle Tage von Herrn Dr. Bertha frisch überbunden, aber die Heilung derselben ging sehr lansam voran. Er erzählte mir, dass er, als er in Graz studierte, meine Bilder beim Ladenwirt auf der Ries gesehen uns sie ihm gefallen haben und dass er selbst gern zeichnete. Da beschloss ich, ihm einige meiner vorrätigen Bilder zu verehren.

     Am 22. Oktober zahlte ich für 21 Tage Verpflegung per Tag 1 Gulden 50 Kreuzer und an Trinkgeldern 1 Gulden 22 Kreuzer.

     Am 30. November kam der neue Bezirksrichter nach Aflenz und am 1. Dezember traf dessen Einrichtung auf Möbelwägen von Graz her ein. Nach dem Abladen derselben wurden unsere Möbel aufgepackt, welche am 6. Dezember per Bahn in Knittelfeld ankamen.

     Am 3. Dezember fuhr Herr Dr. Eduard Neuhold samt Frau und Tochter Grete und der Köchin von Aflenz fort. Sie kamen zusammen mit ihrer Tochter Hulda, die sich am zweiten Tag über Nacht bei einer Gräfin in Bruck aufhielt, gegen Abend nach Knittelfeld, wo die ganze Familie bis zur Ankunft der Möbel in einem Hotel bleiben musste.

     Vor der Abreise von Bruck am 3. Oktober war Herr Dr. Neuhold so gütig, mich im Spital noch vor der Operation zu besuchen. Auch kam Herr Wawrinek viermal zu Besuch, und da ich so gerne schnupfte, brachte er eine Portion Tabak mit. Am 22. Dezember nachmittags fuhr ich nach Leoben für 35 Kreuzer und kam gegen 5 Uhr dort an. Am 24. kam auch Major Plank mit Schwester Dominika dahin und am 26. Herr Dr. Neuhold. Bei Wawrinek wurde in den Weihnachtsfeiertagen herrlich geschmaust.

     Im Sommergger'schen Haus befindet sich eine Gastwirtschaft »Zur Stadt Graz«. Eine Tochter dieser Wirtin, Stefi, ist mit dem Herrn Steuereinnehmer in Knittelfeld verehelicht. Da dieses Ehepaar über die Feiertage bei der Mutter war, so wurde ich mit ihnen im Gastzimmer bekannt.

     Am 26. Oktober abends fing meine wahrscheinlich nicht gut verheilte Wunde zu schwitzen an. Daher reiste ich am 28. früh per Bahn für 40 Kreuzer nach Knittelfeld und traf dort um 11 Uhr am Bahnhof ein, wo ich von Herrn Dr. Eduard und Enkelin Hulda freundlich bewillkommt wurde. Edi fuhr mit diesem Zuge nach Judenburg und kam abends wieder zurück. Enkelin Grete Neuhold hatte mich auch recht freundlich empfangen und mich in das für mich sehr nett bereitete Zimmer gewiesen.

     Dr. Lichtenegger in Aflenz hat mir für den Fall, dass mir in Knittelfeld etwas fehlen sollte, den Dr. Pölz empfohlen. Am 31. ging ich zu ihm. Er besichtigte meine Wunde und verschrieb kalte Umschläge, die in der Apotheke 46 Kreuzer kosteten, aber vergeblich waren. (195)  Erst nach fortgesetztem Gebrauche einer Salbe wurde das Übel beseitigt. Ich blieb noch 20 Tage bettlägerig. Inzwischen konnte ich noch Briefe an meine Tochter in Wien schreiben und auch Briefe nach Karlsbad und Mureck schicken. Auch gab ich 3 Bilder für Dr. Bertha in Bruck auf die Post, dann noch 4 Bilder für die Maister'schen Töchter in Leoben und für Hans Sommeregger.

     Nachdem ich zu dem am 29. November 1890 zu Ehren des von Aflenz scheidenden Herrn Bezirksrichter Dr. Eduard Neuhold veranstaltetem Abschiedfeste wegen meiner heillosen Schmerzen nicht erscheinen und somit mich nicht verabschieden konnte, so schrieb ich an den Herrn Grabner und Kaufmann Petschaller mit der Bitte, alle Aflenzer von mir schönstens zu grüssen und mich bei allen zu entschuldigen. Mit dem Schreiben an Petschaller sandte ich ihm zwei Landschaftsbilder und für Lebzelter Schmölzer als Andenken zwei Figurenbilder.

     Daraufhin erhielt ich von Herrn Petschaller eine zarte und freundliche Danksagung. Auch von Herrn Dr. Bertha kam an mich eine sehr freundliche Zuschrift.

     Der im zweiten Buch meiner Erlebnisaufzeichnungen erwähnte Gastwirt Haas starb am 10. September 1990 90 Jahre alt.
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Samstag, 17. Juli 2010

79. Das Unwetter in Aflenz 11. August 1890

     Am 28. Juli machten ich und Ella einen Spaziergang, zwei Stunden weit bis Etmissl. Im August waren hier sehr scharfe Gewitter. Am 11. August blitzte und donnerte es den ganzen Tag. Um 8 Uhr abends war das Gewitter schon ganz furchtbar und es entlud sich vom Hochschab her über die Bürgeralm und die nächsten Hochgebirge ein fürchterlicher Wolkenbruch, welcher beinahe zwei Stunden dauerte. Ich war von jeher gewohnt, abends bei Gewitter so lange aufzubleiben und wach zu sein, bis sich das Gewitter verzogen oder ausgetobt hat.

     Als ich am nämlichen 11. August 1890 abends das herannahendes Gewitter bemerkte, legte ich mich in der ebenerdigen Wohnung angekleidet auf mein Bett. Gleich darauf rasselte es vor meinem Fenster, als ob mehrere Fuhren Steine abgelagert würden. Ich sprang auf und sah beim Leuchten der Blitze, wie vom Bürgergraben herab ein furchtbarer Strom Wasser daherbrauste und die grössten Bäume daherschwemmte. Wir hatten Angst, dass durch den Anprall so vieler mächtiger Hölzer, Steine und Geröll die westliche Seite des von uns bewohnten Hauses unterwaschen werden könnte, so dass ein Einsturz zu befürchten war. Daher flüchteten wir mit unseren wertvollen Sachen in die östliche Hälfte des Hauses. Grosse Massen von Bäumen, Bau- und Brennholz trug die rasende Flut mit sich und staute sich im Orte Aflenz stellenweise an den Häusern. In vielen ebenerdigen Wohnungen stand das Wasser nebst Schlamm und Geröll einen Meter hoch. Schöne Gärten wurden zerrissen und mit Geröll überschüttet. Erst am anderen Tage konnte man das wirklich grosse Unglück und die furchtbare Verheerung überblicken.


     Die schönsten Felder und Wiesen wurden massenhaft mit Steingeröll überflutet. Ich ging öfters in den ziemlich bergauf liegenden Bürgergraben spazieren und zählte so weit ich kam 23 Wehre, welche  (192)  dafür bestimmt waren, das beim Schmelzen des Schnees oder bei Regengüssen sich sammelnde Geröll aufzuhalten, so dass es nicht in den Markt herbkomme. Nun kann man sich von der Gewalt des entfesselten Elementes einen Begriff machen, da alle obigen Wehre nebst Brücken und Stegen verschwunden sind und der Bürgergraben in ein steinernes Meer verwandelt wurde.

     An einem Punkt war ein Tor mit starken Säulen, und es war ein grosses Wunder, dass sich an diesen Säulen eine grosse Masse Gerölls staute, sonst wären drei bis vier Häuser völlig zerstört worden oder weggerissen.

     Diese furchtbaren Regengüsse erstreckten sich über fünf gegen Süden ziehende Täler oder Gräben: St. Ilgen, sodann Fölz-, Bürger-, Jauring- und Feistritz-Graben. Ganz furchtbar sah es in dem beinahe zwei Stunden langen, mehr eben gelegenen Fölzgraben aus. Die Strassen wurden hie und da bei 2 – 3 m hoch weggerissen. Im Fölzgraben lagen ungeheure Mengen Holz, stellenweise fast 3 - 4 m hoch übereinander geschemmt. Der Fölzbach suchte dort und da ein neues Bett. Eine Mahlmühle und die Bodenstampfe wurden ruiniert und können erst nach vielen Monaten wieder benützt werden.

     Herr Graf von Meran hat in dieser Gegend grosse Jagdbarkeit und ein hübsches Jägerhaus. Zur baldigen Wiederinstandstellung der dorthin führenden und von der Überschwemmung gräulich verwüsteten Strasse hatte Graf Meran viele Arbeiter dahin beschieden. Alle vorher erwähnten Wässer nebst denen von Seewiesen und Turnau kommen im Ort Thörl zusammen. Alle Brücken daselbst bis Kapfenberg wurden zerstört. Zur Herstellung der Brücken kamen sogleich 50 Pioniere, da die Poststrasse fahrbar gemacht werden musste.

     Da um diese Zeit ungefähr tausend Personen Wallfahrer nach Maria Zell pilgern wollten und alle Brücken zerrissen und die Strassen schwer beschädigt waren, musste – statt über Aflenz – ein anderer Weg über das Gebirge gesucht werden. Bis die Wallfahrer später zurückkamen, konnten sie ja bereits wieder über Aflenz marschieren.

     Nicht mal die ältesten Leute konnten sich an keine so grosse Überschwemmung erinnern. Über alle vorgefallenen Verwüstungen liesse sich ein dickes Buch schreiben.

     In der Hauptstrasse in Aflenz bestehen vier Brunnen. Zu diesen fliesst das Quellwasser über Röhren vom Gebirge herab. Alle die schweren Tröge bei diesen Brunnen, die zur Viehtränkung stets mit Wasser voll gefüllt waren, wurden durch die Gewalt der Wasserflut fortgeschwemmt. Die Leitungsröhren gerieten teilweise aus der Lage, so dass grosser Mangel an klarem Wasser eintrat. Der der Kirche gegenüber befindliche Brnnen hatte noch klares Wasser, da er von der Überschwemmung verschont blieb.  (193)  Mit grösster Anstrengung und mit Pferden mussten die Brunnentröge sogleich wieder an Ort und Stelle geschafft werden.

     Aus nachbarlicher Freundschaft half ich dem Schneider Ortner einen halben Tag lang Wasser aus dem Keller zu schöpfen. Eine halbe Stunde aufwärts im Bürgergraben von Aflenz besteht ein vor mehreren Jahren in den Berg hineingebauter Keller mit Vorhalle. Auf dem geräumigen Vorplatz desselben sollte zur Unterhaltung der zahlreichen Sommerfrischler am 15. August ein Waldfest abgehalten werden. Das wurde aber wegen der Überschwemmung vereitelt und mehr als die Hälfte des Vorplatzes wurde vom Hochwasser weggerissen, so dass die verbliebene Hälfte vor einem 3 Meter tiefen Abgrunde stand. So wie alle Marktbewohner waren auch alle Sommergäste in grösster Bestürzung, daher auch mehrere der letzteren tunlichst abreisten. 
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Montag, 21. Juni 2010

78. Besuche in Leoben und Graz

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     Am 4. Mai 1890 war für den in Pension tretenden 83-jährigen Herrn Pfarrer eine grosse Abschiedsfeierlichkeit anberaumt. Die Feuerwehren von Aflenz, Grassnitz und Thörl zogen in Parade in den grossen Hof vor dem Pfarrhof. Die Musiker spielten einige Stücke. Beinahe alle zur Pfarre gehörenden Bewohner waren zugegen. Herr Bezirksrichter nebst Amtspersonale, Steueramt, Bürgermeister, viele anwesende Bürger und die Werksbeamten von Thörl etc. machten ihre Abschiedsvisite beim Herrn Pfarrer, welcher dann herabkam und tief gerührt dankte, da auch Herr Dr. Fürst eine Abschiedsrede hielt.

     Nach der Zeremonie wurde beim Bezirksgericht die erste gegründete Aflenzer Bezirkssparkasse eröffnet. Herr Dr. Euard Neuhold fungierte als Direktor.

     Auf Anregung des hier wohnenden Herrn Dr. Kutschera, der sich für die Anlegung der neuen Spazierwege sehr interessierte, wurde ein Kurverein errichtet.

     Nachdem nun bald Pfingsten heranrückte, kam mir wieder der Gusto, wie schon mehrmals, wieder nach Wien zu fahren. Mein Herr Sohn riet mir davon jedoch ab wegen meiner mehrfachen Unpässlichkeiten. Auch war wegen der ungestümen Witterung die Reise nicht ratsam. Als er aber sagte, dass zu Pfingsten Herr Major Plank mit seinen Schwestern, Frl. Domenika, nach Leoben kommen werde, so fuhr ich am 25. Mai dahin und hatte lange nicht mehr gesehene Verwandte meiner verstorbenen Gattin, Herrn Johann Maister, Hafnermeister in Pettau und dessen Gemahlin zu begrüssen. Sie kamen eben auf Besuch zu deren hübscher, freundlicher und mit einem gutherzigen Beamten zu Leoben verehelichten Tochter. Zur Bewillkommnung ihrer Eltern war auch sie am Bahnhof. Herr Plank und Mina kamen mit dem Abendzuge. Diese und ich wohnten bei der werten Familie Wawrinek, wo es allen vortrefflich ging. Herr und Frau Maister wohnten bei der Tochter.


     (190)  Die unfreundliche Witterung war auch hier so, dass nur Ausflüge in die nähere, dennoch herrliche Umgebung gemacht werden konnten. Am 27. Mai fuhren Herr Plank, Mina, Frau Wawrinek und Hans Sommeregger nach Vordernberg, machten von dort den vier Stunden weiten Weg zu Fuss zu dem berühmten grünen See und kamen abends wieder nach Hause.


     Am 29. Mai fuhren Herr Plank und Frl. Mina nach Graz. Und weil ich nach zwei Jahren meine Vaterstadt wieder sehen wollte, fuhr ich mit der Bahn ebenfalls nach Graz und zurück und zahlte dafür 2 Gulden 8 Kreuzer. Ich speiste dort zu Mittag bei Kathi Stadler, Zimmermädchen beim pensionierten Oberst, Herrn Belegishanin. Während dem Essen entlud sich über der Stadt ein heftiges Gewitter, der Blitz schlug dreimal ein, ohne jedoch zu zünden.


     Zweimal sass ich zu Mittag bei Herrn Plank. Ich benützte die Pferdebahn bis zum Hilmteich und zurück, besah auch die Warte auf der Höhe, und am Grab meiner unvergesslichen Gattin kamen mir die Tränen. Ich glaubte, im vernichteten Johanneum-Garten schon einige Neubauten zu erblicken, aber es war erst ein Haus zum Bauen angefangen.

     Zwei Nächte schlief ich in der Wohnung der Frau Ressler, meiner im Jahre 1830 gewesenen Kranzljungfer. Sie war inzwischen 78 Jahre alt geworden, schon sehr altersschwach, und kam wegen Mattigkeit der Füsse seit mehreren Monaten nicht mehr aus dem Bette. Ich wurde bei ihr abends und morgens mit vortrefflichem Kaffee bewirtet. Ich wollte den Herrn Franz Kiebeger, Nachfolger des ehemaligen Seifensieders Knaupert Valentin besuchen. Da aber in dessen Haus um 7 Uhr früh noch Stille war und mir niemand begegnete, so war ich in der Meinung, es schläft noch alles oder jemand ist krank. Frau Ressler sagte mir, dass ihr Bruder Knaupert, Seifensieder in Leibnitz kürzlich verstorben ist. Er war 74 Jahre alt.

     Am 31. Mai fuhr ich von Graz wieder nach Leoben, wo ich für Wawrinek 3 1/2 Tage lang mit Reparaturen schadhafter Nähschatullen und Kartandeln beschäftigt war. Ich sah dort auch zwei goldene Hochzeiten, eines Eisenwerksarbeiters ud eines Zimmermeisters. Am 4 Juni 1890 erlebte ich meine 83. Geburtstag und am 7. Juni reiste ich wieder nach Hause. Am 30. Mai ist Herr Maister samt Frau zurück nach Pettau gereist. Für Sonntag, den 8 Juni hatte ich drei Körbe Brennholz zu besorgen. Dann machte ich nach und nach Kuverts für die Aflenzer Sparkasse und den Kurverein. Der erwähnte Franz Kienberger starb am 22. Juni 1890, 59 Jahre alt, am Speiseröhrenkrebs.

     (191)  Am 31. Oktober 1890 schrieb ich wieder weiter an meinen Aufzeichnungen. Am 9. Juni kam ein Klafter Holz. Wenn Sträflinge vorhanden waren, hatten diese das Brennholz mit der Säge zu zerschneiden, welches ich dann mit der Hacke zerkleinerte. Seitdem jedoch Verpflegungsstationen errichtet worden waren, wo die reisenden Allmosenempfänger verpflegt wurden, kamen keine Bettler oder Vagabunden mehr zur Haft, und so kam die ganze Holzarbeit auf mich.

     Dann und wann hatte auch der Herr Bezirksrichter einige Scheiter durchgesägt. Vom 9. Juni 90 bis Ende Oktober wurden 5 Klafter verbraucht. Am 13. Juni kam meine Enkelin Ella Hajek von Wien mit ihren Mädchen von 3 und 4 Jahren hierher auf Besuch. Diese Kinder hatten kurz vorher in Wien die Masern überstanden. Sie kamen hier in Waldes- und Gebirgsluft sehr zu Kräften.
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Dienstag, 8. Juni 2010

77. Wie ich mich selber kurierte

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     Nach eingetretener Pause schreib ich erst am 13. Jänner 1890 weiter.

     Am 21. Juni 1889 fuhr ich von Wien mittags ab nach Bruck. Früher fuhr ich direkt nach Graz, wo ich mich stets einige Tage aufhielt, und zwar bei den Eheleuten Johann und Elise Wawrinek. Da diese aber nach Verkauf ihres Hauses für 15 000 Gulden, und des Warenlagers nach Leoben übersiedelten, fuhr ich statt nach Graz mit der Tour-Retour-Karte für 64 Kreuzer nach Leoben, wo ich am Bahnhofe von allen Bekannten freundlich bewillkommt wurde. Tags darauf fuhren Wawrinek's nach Graz, um das Einpacken ihrer Möbel und den Transport derselben nach Leoben zu besorgen. Ich musste bis zu deren Rückkunft dableiben und unterhielt mich mit den Sommereggschen Kindern Elsa, Hans, Viktor, Hulda und Erika. Nach sechs Tagen kamen beide Eheleute zurück. Ich musste noch dableiben bis zur Ankunft der Möbel. Die Hälfte meiner Fahrkarte verkaufte ich am Bahnhof an einen nach Bruck fahrenden Reisenden für 30 Kreuzer.

     Nach weiteren vier Tagen hatten vier starke Dienstmänner die Möbel vom Bahnhof herein in den 2. Stock des Sommeregg'schen Hauses zu schleppen. Ich hatte vollauf zu tun, die 27 Kolli in Papier und Stroh sorgfältig gepackten und in Sackleinen eingenähten Spiegel, Bilder, Tische, Lampen, Kästen etc. aufzumachen.

     Ich hätte noch länger dableiben können, aber eine geheime Ahnung zog mich fort. Und so fuhr ich am 3. Juli per Bahn nach Bruck und von dort um 1/2 9 per Post für 1 Gulden 60 Kreuzer mit dem Postillon nach Aflenz, nachdem ich von dort 26 Tage abwesend war.


     Nachdem ich schon seit langer Zeit in der grossen Zehe des rechten Fusses dann und wann Schmerzen verspürte, hatte ich für die Reise nach Wien ein Fläschchen Slivovitz für Einreibungen mitgenommen, was für die 25 Tage wirklich nötig war. Merkwürdig aber, kaum zu Hause angelangt, liess der heftige Schmerz ganz nach und meldete sich nicht mehr.

     Im Auftrag des Herrn Karl Kreft in Graz hatte ich sogleich für den Notar Schönstein im Cillier Kreise 300 Kuverts für Sparkassenbüchl zu machen. Für Herrn Gmeiner in Bruck machte ich 100 Sparkassenbüchlkuverts und 80 lange Kuverts. Dem Kaufmann Hatzmann in Thörl hatte ich 1100 Kuverts gemacht, und bei den Sommerfrischlern in Aflenz habe ich einige Pakete angebracht. (188) Seit ich hier bin, habe ich bis Ende 1889 21054 Kuverts verkauft.

     Wegen mehrfacher Beschäftigungen an der Fortsetzung meiner Erlebnisse verhindert, kam ich erst am 24. Juni 1890 zum Weiterschreiben. In einem Brief an Karl Kreft über die Sendung der Kuverts nach Schönstein ersuchte ich ihn um fernere Aufträge. Zu meinem Bedauern jedoch las ich in der Zeitung von seinem Ableben im 59. Lebensjahre. Mir war es sehr leid um ihn, da ich ihm sehr viele Kuverts brachte.

     Für die Tombola am Sylvesterabend machte ich wieder eine grosse Schachtel mit 27 kleineren Schachteln, dann einen zierlichen Wandkorb, und gab noch ein Bild in Goldrahmen «Residenzplatz in Salzburg» dazu und deklamierte wie gewöhnlich ein Paar Stücke.

Von Anfang Winter liess der Herr Bezirksrichter, Herr Dr. Eduard Neuhold in unserem Obstgarten eine Eisbahn errichten, auf welcher sich die Herren Beamten, Geistlichen und mehrere Bürger, so lange das Eis anhielt, sich mit Eisschiessen trefflich unterhielten.

Wegen Preiserhöhung der Zigarren gewöhnten sich mehrere Raucher an Tabakspfeifen. Und da der Pfeifenclub am Faschingssonntag in Franz Wiegers Gasthaus einen Juxabend veranstaltete, malte ich hierzu auf starkes Papier ungefähr 2 m hoch und 1 1/2 m breit das alte Lied «Vom blauen Hansl» in 36 Figuren und trug das Bild wie eine Art Moritat vor, welches allen gefiel.

     Als der gefrorene Boden aufgetaut war, wurden über den nächsten Berg wieder neue leichte, gangbare Wege hergerichtet und mit vielen Bänken und Tischen versehen. Alle Wegweiser zu angenehmen Punkten: Waldhauch, Koplitz-Brunnen, Augusten-Ruhe, Elisen-Brunnen, zum Pierer, Finareck, zur Wald-Idylle, zum Bürger-Graben. An geeigneten Stellen wurden beschriebene Blechtafeln angebracht, wonach sich die Sommerfrischler beim Besteigen der Berge überall zurecht finden können. Ein Weg führt auch in den Fölzgraben. Am Anfang all dieser Wege befindet sich eine schattige Laube mit der Bezeichnung «Kaffee-Haus zum Terziären Affen».

     Gleich nach Ostern befiel mich ein so heftiger Lungenkatarrh, an dem ich wohl viel zu leiden hatte. Der entsetzliche Krampf- und Keuchhustenkatarrh marterte mich Tag und Nacht mehrere Wochen lang. Ein benachbarter Sattlermeister hatte die nämlichen Zustände und sein Arzt sagte, dies wären die Nachwehen zur Influenza. Diese Krankheit belästigte vor vielen Jahren unter dem Namen Grippe fast die ganze Stadt Graz. Als ich den Anfall auch an mir wahrnahm, schleppte ich aus der Holzlage ein dickes Buchenscheit in meine Wohnung im 4. Stock und hobelte daran aus Leibeskräften, so dass mein ganzer Körper in tüchtigen Schweiss gebadet war. (189)  Nach Anziehen eines frischen Hemdes waren alle Anzeichen der Grippe verschwunden.

     Als im März 1890 in Aflenz die dumme Krankheit Influenza auftauchte, war ich der erste, den sie packte. Aber sogleich griff ich nach der Holzsäge und schnitt mehrere dicke Scheiter durch mit aller Kraft, so dass ich enorm ins Schwitzen kam. Wieder nahm ich ein frisches Hemd, und das Übel war ganz weg. Währenddem kämpften manche Familien wochenlang dagegen an, so dass selbst die Ärzte wegen Überanstrengung marod wurden. Bezüglich meines qualvollen Keuch- und Krampfhustens erwartete ich schon mit Sehsucht, dass im nahen Walde die jungen Fichtensprossen hervorkämen. Ich pflückt davon eine Menge und kochte davon einige Tage lang morgens und abends eine Handvoll, trank dann diesen Tee, und nach zwei Tagen war der grosse Husten vorüber. Ich konnte nun wieder Kuverts machen.
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Sonntag, 30. Mai 2010

76. Wieder kam mich die Reiselust an

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     Für die Tombola am Silvesterabend 1888 hatte ich eine grosse Schachtel mit 27 kleineren, dann einen Hampelmann und aus König Ludwigs Album den prächtigen Stahlstich «Christus mit seinen Jüngern im Seesturm» beigesteuert. Dazu habe ich 3 kleinere Gedichte deklamiert.

     Am 21. September 1888 sandte ich an Karoline Hauzendorfer, Handelsfrau in Greifenburg in Oberkärnten, eine grosse mit 27 kleineren Schachteln. Nachdem ich darauf  keine Antwort erhielt, wünschte ich dieser Cousine zu Ostern 1889 angenehme Feiertage, worauf sie mir 2 Halbliter selbst erzeugten Schwarzbeer-Branntwein und 3 Paar Kärntner Salami sandte und zugleich bekannt gab, dass sie wegen langer Krankheit an mich zu schreiben, verhindert war.

     Seit vielen Jahren war in Aflenz kein so schöner Mai wie 1889. Es war abwechselnd warm, dann Regen und warm und wieder Regen und warm. Wiesen und Felder und die Obstbäume zeigten sich herrlich, dass es eine Freude war. Auf dem erwähnten Zickzackweg wurden Kastanienbäume gesetzt, welche sich aber auf dem schlechten Boden nicht üppig zeigten.

     Im heurigen Fasching wurde in Aflenz ein Ball unter dem Namen «Narrenabend» veranstaltet. Jeder hierzu Geladene konnte in beliebiger Kleidung erscheinen. Und so kamen die meisten in wirklich hübschen Kostümen: Der Herr Bezirksrichter als Beduinenhäuptling, dessen Tochter Hulda als Tirolerin, die Medizindoktorsgattin als Amazonenhäuptling, er selbst als altdeutscher Magister und meine Wenigkeit als Landstreicher. Ich bin nicht imstande, all die hundert Masken zu beschreiben.

     (185)  Diese grossartige Unterhaltung wurde im Hotel Gasthaus und Fleischerei Marie Wieser bei netter Musik abgehalten. Die feschen und unermüdlichen Tänzer und lieblichen Tänzerinnen hielten an bis es Tag war.

     Am Aschermittwoch darauf war der so genannte Häringsschmaus. An diesem Abend hielt der Gesangsverein von Thörl und Aflenz eine sehr gelungene Liedertafel ab. An beiden Festen war die Unterhaltung und die Stimmung grossartig.

     Nun kam mir gegen Pfingsten, wie schon dreimal vorher, wieder die Lust an, mit dem von Graz nach Wien abgehenden Zug mitzufahren. Dieser Zug wurde gewöhnlich schon acht Tage vorher in den Grazer Zeitungen, sowie durch die in den Postämtern ersichtlichen Plakaten bekannt gegeben, diesmal jedoch nicht. Um hierüber Gewissheit zu erlangen, ersuchte ich mit doppelter Korrespondenzkarte am 4. Juni den Herrn Stationschef in Kapfenberg um sofortige Bekanntgabe, ob kommenden Samstag vor Pfingsten am 8. Juni abends wohl ein Vergnügungszug abgeht oder nicht; denn ich sollte nach zweimaliger brieflicher Anfrage meiner Enkelin Hayek bekanntgeben, ob ich zu den Pfingstfeiertagen nach Wien kommen werde. Nachdem ich aber bis 7. Juni mittags von Kapfenberg keine Antwort erhielt, so schrieb ich an Ella, dass meine Abreise unbestimmt sei.

     Am 7. Juni abends um 8 Uhr erhielt ich durch den hiesigen Fuhrknecht die Antwort des Stationschefs, dazu ein Plakat für den Postmeister in Aflenz; so erfuhr ich also, dass der Vergnügungszug wie gewünscht verkehrt. Da abends von Aflenz nach Kapfenberg keine Fahrgelegenheit abging, musste ich nun um 3 1/4 Uhr mit dem Eilwagen für 1 Gulden 28 Kreuzer fahren, mit dem ich dort um 6 Uhr abends ankam. Aber 6 Stunden auf den um 12 Uhr nachts ankommenden Zug zu warten, ist wirklich lästig.

     Diesmal fuhr nur ein Zug, aber dieser war gedrängt voll. Ankunft in Wien war um 6 Uhr früh. Herr Hayek wollte mich dort in Empfang nehmen, wir hatten uns aber bei dem Gedränge am Südbahnhof beide ganz übersehen. So ging ich also zu Fuss in die Maria-Hilfer-Strasse Nr. 41 zu Hayek.

     Meine Tochter Marie, verwittwete Schidan, welche bisher bei den Kindern der Ella die Obsorge hatte, ist mit Zustimmung der Ella am 28. März 1889 zu einer reichen und vornehmen Familie in Wien als Kinderfrau eingetreten. Sie schrieb mir, dass es ihr sehr gut ginge, dass sie delikate Verpflegung habe, keine Anstrengung und monatlich 15 Gulden Lohn bekomme. Ihre Herrschaft hat in Markt Schönhübel bei Melk an der Donau eine eigene Besitzung, im Volksmund «Taverne» genannt, ein geräumiges ein-Stock-hohes Haus in schönem Garten auf einem sanft ansteigenden hohen Berge mit herrlicher Aussicht über die Donau und nach Melk.


     (186)  Ich hatte von der Tochter Marie und ihrer gnädigen Frau, welche mit ihrem Gatten und einem einjährigen Knaben eben auf ihrer Besitzung in der Sommerfrische waren, die Einladung bekommen, falls ich nach Wien kommen sollte, die Reise nach Schönhübel zu machen. Ich nahm nun am 16. Juni am Westbahnhof eine 8 Tage gülige Tour-Retour-Karte nach Melk für 2 Gulden 80 Kreuzer.  Abfahrt war um 6 Uhr früh, Ankunft in St. Pölten um 8:46, Abfahrt und schliesslich Ankunft in Melk um 10:08 Uhr.

      Da mir aber auf die Abfahrt der Post nach Schönhübel bis um 12:50 Uhr zu warten, nicht behagte, machte ich den Weg dahin zu Fuss, wo ich gegen 12 Uhr mittags in der grössten Hitze ankam und von der Herrschaft freundlich empfangen wurde. Ich hatte dort mein eigenes Zimmer, und die gnädige Herrschaft besuchte mich zweimal und fragte mich, wie es mir geht.

     Am 16. Juni, Sonntagnachmittag machte ich mit Marie eine Fahrt per Dampfschiff stromabwärts nach dem nächsten Ort Aggsbach, pro Person für 25 Kreuzer. Indessen war das Kind der Herrschaft, ein einjähriger herziger, freundlicher Knabe beim Zimmermädchen in Obsorge geblieben.

     Sehr angenehm ist die Aussicht über die Donau und nach Melk. Viele Flosse mit Brettern beladen fuhren gegen Wien. Von Aggsbach zurück machten wir einen Weg, eine gute Stunde zu Fuss, und dabei auf halbem Wege überraschte uns ein tüchtiger Regen.

     Montag nach Tisch nahm ich Abschied von allen mit vielem Dank, bestieg an dem unterhalb der Pfarrkirche befindlichen Landungsplatz das Dampfschiff und fuhr nach Melk, und um 3:20 per Bahn nach Wien, wo ich gegen 7 Uhr ankam.

     Dort stiefelte ich mit meinen alterssschwachen Füssen – 81-jährig – halt langsam aber viel herum. Mitunter benützte ich die Pferdeeisenbahn, war zweimal im herrlichen Prater, dann auch in Schönbrunn. Von dort machte ich den Rückweg zu Fuss, trank in Fünfhaus guten und billigen Wein, 1/8 für 4 Kreuzer österreichische Währung, sowie im Prater so genanntes Abzugsbier, den 1/2 Liter für 7 Kreuzer.


     Von Herrn Knap, Hayeks Schwager, erhielt ich eine Karte zu ermässigtem Preis für 20 Kreuzer zum Besuch des berühmten Panoramas im Prater. Meine Augen sind jedoch so schwach und kurzsichtig, dass ich von dem grossartigen Schlachtengemälde nichts ausnehmen konnte und mir um die 20 Kreuzer leid war.


    Am 20. Juni war ich mit Herrn Hayek in der Kärntnerstrasse auf der Frohnleichnamsprozession. Voraus kam eine grosse Menge Stiftsknaben, dann die Geistlichkeit aus allen Pfarren mit unzähligen Fahnen, alle kaiserlichen Ämter, alle Hofämter und Chargen, Magnaten und Kavaliere in reichen, goldstrotzenden Uniformen, die deutsche und die ungarische Leibgarde und dann kam die Dompfarre mit den Musikern und Sängern und dem Hochwürdigsten unter dem Himmel,  (187)  und gleich hinter demselben Seine Majestät, der Kaiser, alle Behörden etc. Um den Himmel und dem Kaiser war die Hofburgwache und den Schluss bildete eine Abteiung berittener Husaren, mehrere Battalions Infanterie standen überall Spalier.



     Mir kam es sonderbar vor, dass nach dem Himmel oder nach dem Kaiser nicht eine Person sonst so vieler tausender andächtiger Betender nachkam. Mir schien, dass das Ganze nur eine Schaustellung war.
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Mittwoch, 26. Mai 2010

75. ... wo wohl sehr viel geweint wurde.

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    Nun galt es wieder, allen Fleiss anzuwenden. Vom 10. Juni bis 29. Juli stand ich täglich um halbvier Uhr früh auf. Am 18. Juni sandte ich nach Graz 29 Pakete Kuverts à 25 Stück, am 12. Juli an Herrn Gmeiner 1600 Kuverts und am 29. Juli wieder nach Graz 1240 Kuverts, am 29. Juli dann an Herrn Kohlfürst in Pallersdorf 350 Kuverts. Inzwischen hatte ich für die Gebirgsvereinsektion Aflenz zur Orientierung für Sommerfrischler und Touristen 20 Plakate über den Markt Aflenz samt Umgebung auf Pappendeckel zu kaschieren, ausserdem 4 Pläne dieses Marktes.

     Zum Empfang der Sommergäste wurden alle Vorbereitungen getroffen. Es war wirklich zu bewundern, dass bei der fortwährend rauhen und unfreundlichen Witterung des heurigen Sommers noch jemand hierher anreiste. Und doch kamen sehr viele, die sich mehrere Wochen hier aufhielten und an den seltenen regenfreien Tagen nach allen Gegenden um Aflenz Ausflüge machten. (183)  Am 1. August kam selbst der Herr Statthalter Baron Kübek. Er wohnte im Pfarrhof und begab sich am 23. August wieder nach Graz.

     Im Frühjahr 1888 wurde eine pfarrherrliche, bergauf liegende, nahe Wiese als Spazierweg angelegt und mit Schlingpflanzen eingesäumt. Da jedoch unaufhörlich Wind herrschte und drei Wochen lang kein Regen kam, verdorrte der grösste Teil. Obwohl der September sehr schön war, entfernten sich die fremden Gäste nach und nach. Der im Oktober schon eingetretene Winter war im ganzen sehr streng, aber es gab wenig Schnee.

     Unbegreiflicherweise überfiel mich am 2 Februar 1889 plötzlich ein äusserst heftiger Katharr und ich musste leider wieder medizinieren. In der Magengegend fühlte ich Schmerzen zum Verzweifeln, und der Husten war so gewaltig, dass es mir vorkam, als wollte das ganze Eingeweide heraus. Nach drei Medizinen entsagte ich deren ganz und liess mir ein Leinsamen-Köchel bereiten, welches ich in der Gegend des Magens anlegte, wonach die grossen Schmerzen bedeutend nachliessen. Ich fühlte wohltätige Linderung und nur ein kleines Hüsteln hielt noch ein paar Wochen an.

     Anfangs Jänner 1889 hatte ich erst den Doktor für die Behandlung meiner erwähnten Krankheit mit 18 Gulden bezahlt. Die Ärzte kosteten 30 Gulden.

     Seit vielen Jahren waren wir in Graz mit dem Schuhmachermeister und Hausbesitzer Wawrinek bekannt, welcher mit Elise Fischer, einer Tochter der Schwester meiner Ehegattin, verehelicht war. Seine Tochter aus erster Ehe namens Marie heiratete den strebsamen Lederhändler Johann Sommeregger in Leoben, welche, wie erwähnt, Anfang 1880 an Magenbeschwerden litt und 1888 am Magenkrebs starb.

     Die erwähnte Tochter des Herrn Wawrinek aus der zweiten Ehe, namens Elsa, verehelichte sich im Jahre 1886 mit dem jungen Finanzministerialbeamten Maier v. Myztenhain. Sie gebar einen Knaben in Eien und starb am 4. März 1888 plötzlich wegen heftigem Blutandrang zum Gehirn.

     Die Gattin des Herrn Sommeregger war über die böse Krankheit ihres Mannes und über die Strapazen hierbei so ergriffen, dass sie lungenleidend in Bad Gleichenberg Hilfe suchte. Ihr Leiden wurde ungeachtet aller möglichen ärzlichen Bemühungen immer grösser. Endlich am 28. April 1889 wurde sie durch den Tod erlöst. Während ihrer schmerzhaften Krankheit waren Herr und Frau Wawrinek abwechselnd immer zugegen. Man kann sich die Trauer und den Schmerz des Ehepaares über den Verlust ihrer teuren Kinder vorstellen, für die sie wohl sehr bedeutende Opfer gebracht hatten.

     Da mein Sohn, der k.k. Bezirksrichter in Aflenz, dessen Amtsgeschäfte zu Anfang und am Ende jeden Monats mehr zeitraubend sind, zum Begräbnis der verstorbenen 40 Jahre alt gewesenen Frau Marie Sommeregger nicht kommen konnte, so fuhr ich allein nach Leoben, wo der Leichenzug am 30. April, 5 Uhr abends nach dem sehr entlegenen Kommunalfriedhofe zog, (184) wo wohl sehr viel geweint wurde.

     Von Graz waren auch Herr Major Plank und Kaufmanns Frau Hellmann zugegen, welche tags darauf wieder zurückfuhren. Ich aber blieb noch einen Tag und fuhr um 6 1/2 früh per Bahn für 42 Kreuzer nach Bruck und dann per Post für 1 Gulden 40 Kreuzer und 20 Kreuzer für den Postillon nach Aflenz.

     Frau Wawrinek ist laut Testament ihrer Stieftochter als Erzieherin und Herr Wawrinek gerichtlich als Vormund der 5 lebhaften und intelligenten Kinder, 2 Knaben und 3 hübsche Mädchen, bestimmt worden. Das Lederhandelsgeschäft wird von Alois Sommeregger, Bruder des Verstorbenen, auf eigene Rechnung fortgeführt.
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Samstag, 22. Mai 2010

74. Stehaufmandl

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     Nun kam wieder die Sehnsucht, nach Wien zu reisen, um die dortigen Angehörigen zu besuchen. Erst am 14. Mai fühlte ich mich soweit hergestellt, dass ich mich zur Reise entschliessen konnte. Am 19. Mai abends fuhr ich per Post nach Kapfenberg, nahm dort für 5 Gulden eine Tour-Retour-Karte und kam mit dem von Graz um 12 3/4 nachts ankommenden zweiten Vergnügungszug – eigentlich mit dem Postzug – um 1/2 7 Uhr früh am Pfingstsonntag am Südbahnhof in Wien an, wo mich die Enkelin Gabriele mit ihrem Gatten, Paul Hayek erwartete.

     (181)  Dieser Herr Hayek, von Wien gebürtig, ist ein findiger Mann. Er konnte mich über alle Gegenstände der in der Rotunde stattgehabten Industrie-Ausstellung aufklären. Wir waren mehrmals im Prater, einmal in Schönbrunn und auf der sogenannten Türkenschanze   nächst Weinhaus, wo ich im Gasthaus «Zum Heurigen» noch den besten Wein, 1/4 Liter für 10 Kreuzer getrunken habe. Meine Tochter Marie, verwittwete Schidan, hatte sich schon sehr gefreut, dass sie mit mir viel herumspazieren werde. Wir waren per Tramway nur in Dornbach. Ihr eben wieder erwachtes Magenübel zwang sie ans Bett, wo ich sie am 1. Juni verliess. Nach etlichen Tagen erholte sie sich wieder.


     Am 1. Juni mittags um 1 Uhr 20 fuhr der Postzug von Wien ab nach Graz, wo ich um 9 Uhr abends ankam und mich am Bahnhof die werten Eheleute Wawrinek erwarteten. Jeden 2. Tag war ich bei Herrn k.k. Major Plank als Gast, wo ich wohl herrlich lebte. Ich machte Besuche bei Tropez, jetzt Gastwirt zur Rose am Rosenberg, dann bei Frau Resler, meiner am 31. Jänner 1830 gewesenen Brautjungfer, nun 77 Jahre alt und kränklich. Dann war ich noch bei vielen Bekannten.

     Als ich auf dem Berge Ries, 1 Stunde ausserhalb Graz an der sehr frequentierten Strasse nach Gleisdorf damals noch das vulgo Ladenwirthshaus innehatte, schmückte ich die beiden Gastzimmer mit mehreren von mir selbst in Aquarell erzeugten ländlichen Gasthausbilder, worüber sich die Gäste oft unterhielten.

"Kaffee-Schwestern" Original von Johann Neuhold bei Brigitte Winkler in München

     Als ich diese Realität im Juli 1850 verkaufte, kamen nach drei Jahren die Eheleute Slawitsch aus der Gegend Stainz als dritte Nachfolger in den Besitz obiger Realität. Da ich zusammen mit meiner Gattin diese noch öfter besuchten und den bekannten Eheleuten besonders zugetan waren, malte ich für dieselben als Präsent und zum Andenken, dass ich einst Ladenwirt war, 13 Bilder, und zwar: Schlafende im Gasthaus, Spieler, Sänger, Abschied von der Herberge, die Rekruten, "Kaffee-Schwestern", die Altweibermühle, Keller-Weinschank, Zwei Gastgärten, die Jäger, Liebhaberei und zwei Bilder «Die Raufer», alles von mir selbst entworfen. Aus besonderer Liebhaberei malte ich diese Bilder auch für mich.

"Die Raufer" -  Original von Johann Neuhold bei Brigitte Winkler in München

     Vor drei Jahren war der Dr. med. Till in Graz beim Ladenwirt. Ihm gefielen meine Bilder so sehr, dass er der Wirtin, nun Slawitsch, 100 Gulden bot, wenn sie ihm obige Bilder verkaufe. Da diese von mir ein Andenken wären, so wollte sie sie durchaus nichts hergeben. Ich spekulierte nun, ihm meine Bilder gleicher Art recht billig zu verkaufen, traf ihn aber zweimal nicht zu Hause an. Ich hinterliess in seiner Wohnung an der Münzgrabenstrasse meine Adresse. Dr. Till kam jedoch nicht.

     (182)  So oft mir in Graz Bekannte begegneten, sagten sie zu mir: «Gestern haben wir beim Ladenwirt wieder Ihre Bilder bewundert»; diese Äusserung machte mir immer Freude.

     Nun erzählte mir am 1. Juni 1888 Herr Wawrinek, dass die Ladenwirtin von einem Herrn für ihre Bilder, die doch kein Kunstwerk waren, 130 Gulden bekommen habe. Nach einigen Tagen ging ich zu ihr, um mich zu überzeugen und sie sagte mir, dass ein Herr Reininghaus, Besitzer des Schlosses Rabenstein, zwischen Peggau und Frohnleiten gelegen, ihr diese Bilder um 100 Gulden abgekauft und nach Rabenstein mitgenommen habe. Nachdem ihre Gäste über den Abgang der Bilder räsonierten und ihr mit dem Ausbleiben drohten, lamentierte die Wirtin dem nochmals erschienen Herrn Reininghaus so sehr vor, dass er ihr weitere 30 Gulden draufzahlte. 

     Ich wollte ihr die gleichen Bilder sehr billig verkaufen, aber sie wollte keine anschaffen, da sie gesonnen sei, die Realität innen und aussen zu reparieren und dann zu verkaufen.

     Nachdem ich in Graz mehrere Aufträge zur Brief-Kuvert-Lieferung erhielt, fuhr ich am 9. Juni 1888 per Bahn nach Bruck. Auch bei Herrn Dr. Gmeiner erkundigte ich mich dort wegen Kuverts. Dann ging ich zu Fuss nach Kapfenberg, konnte aber dort keinen Platz im Postwagen erhalten. Da jedoch am Gasthaus Marx der Frachtwagen des Aflenzer Kaufmanns Trimmel stand, trug mir der Kutscher an, mit ihm zu fahren. Ich machte es mir so bequem wie möglich und kam um 7 Uhr abends wohlbehalten zu Hause an.
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