Sonntag, 31. Januar 2010

30. Von Abstall nach Mureck

     Nach allen von uns ausgestandenen Mühseligkeiten hatten wir uns entschlossen, die Taverne zu verlassen und irgendwo eine Realität anzukaufen, da wir hier ungeachtet allen Fleisses nicht vorwärtskamen.

     (76)  Als nun zufällig wieder der erwähnte Riemenmeister Schreiber im Schloss Arbeit hatte, redete er uns nochmals zu, das vormals Kirbisch, nun Gruber'sche ebenerdige, gut ausgebaute und mit Ziegeln gedeckte Binderhaus samt Gewerbe und vier Joch Grundstücken zu kaufen, und zwar in Mureck.

Wir sind dann richtig hingefahren und wurden mit Gruber vorläufig mit 1180 Gulden einig, ohne jedoch eine Anzahlung zu geben. Da gab es wieder Leute, die die Realität recht verdächtigten und uns vom Kaufe abhielten. Ich fuhr sogar nach Graz um die Meinung meiner Eltern. Besprach mich auch mit dem in dem obigen Hause gebürtigen Sensenwirt Kirwisch an der Wiener Strasse. Überall erhielt ich aber den Rat, das Binderhandwerk in Mureck nicht zu kaufen, da darauf noch jeder Besitzer zu Grunde gegangen wäre.

     Nun plagte mich wie immer der ewige Zweifel, was ich tun sollte. Herr Schreiber tröstete mich und hatte mir zum Kauf geraten. Als wir nun nach einigen Tagen mit dem festen Vorsatz nach Mureck kamen, den Kauf abzuschliessen, sagte der uns begegnende Riemenmeister, dass wir schon zu spät kämen, indem Gruber soeben mit Heinrich Götze, einem Preussen, welcher neun Jahre als Bindergeselle in Rackersburg arbeitete, wegen Kaufabschluss am Rathaus sei. Da kam uns wirklich ein Herzweh und die Reue, dass wir uns vorher so abreden liessen und nicht rechtzeitig zum festen Entschluss gekommen sind. Nachträglich sagte Gruber, wenn er von unserer Anwesenheit gewusst hätte, so wäre er noch von der Amtskanzlei fort und hätte lieber mit uns den Kauf abgeschlosssen, statt – wie er sich ausdrückte – mit dem protestantischen Dickschädl, obwohl dieser die Realität um 1260 Gulden hatte, somit um 80 Gulden mehr als wir verhandelten. Nun, was war geschehen?

     Da zufällig am Ende der Gasse die Eheleute Kruschitz ihr stark gemauertes, jedoch mit Stroh gedecktes, vormals Wirtshaus samt Garten mit 2 Joch Grundstücken zu verkaufen hatten, so übernahmen wir diese Realität um 750 Gulden. Wir hatten den Plan, das Binderhaus in Graz zu verkaufen und den Hauskaufschilling zu tilgen.

     Am letzten April 1833 hatten wir die Taverne an den neuen Pächter Egel, Bruder des Abstaller Bäckers übergeben. Nach Abschiednahme im Schloss sind wir nach Mureck gezogen.

     Ich habe noch einiges über unseren vormaligen Aufenthalt in Graz zu berichten:  (77)  Der erwähnte Hollenstein hatte eine reiche Grudbesitzerstochter von Waltendorf geheiratet. Ich und Hollenstein waren bei dem 1831 wieder neu errichteten, uniformierten Bürgerkorps. Als von Graz alles Militär an die Grenze gegen Ungarn wegen der dort herrschenden Cholera dirigiert wurde, mussten alle Bürger in Graz die Wachen übernehmen.

     Da ich mit Hollenstein einst Tag und Nacht die Wache im Strafhaus hatte, kamen die Frauen Hollenstein und die meinige gegen Mitternacht mit Kaffee, um uns zu laben.

     Nach dem Tode dieses Hollenstein heiratete die Wittwe den Bäckermeister und Ziegeleibesitzer Portugal in Premstätten, aus dessen Ehe der im Jahre 1885 zum Bürgermeister von Graz ernannte Dr. Portugal entstand.

     In Freudenau wurden wir auch mit dem Gefällen-Respizienten Lueff bekannt, der nachher bei der Verzehrsteuer-Pachtung in Graz Kassier war, in Gasselsdorf bei Dobelbad einen Bauerngrund besass, und einer unserer besten Freunde war in Graz.

     Von Mureck ging ich nach Graz und fand glücklicherweise in der Person der Bäkerswittwe Stigler eine reale Käuferin meiner realen Fassbindergerechtssame für ihren Sohn Jakob, welcher dann das Gewerbe in der Zinsendorfstrasse ausübte.

     Herr Schreiber in Mureck hatte es mit uns wirklich gut gemeint. Herr Grundbuchführer Benedicter gab uns den Rat, unser Haus beim Verwalter und Distriktskommissär securieren zu lassen, und das Gesuch um Wirtshaus-Kommission bereit zu halten. Als Herr Verwalter Gatti in Brunnsee fragte, was wir mit dem Hause machen wollten, übergab ich ihm das Gesuch, dessen Bewilligung er freundlich zusagte. Ich nahm wieder bei dem von der Taverne her bekannten Semlitschmüller den Wein, denn mit diesem Herrn war ich sehr gut dran.

     Ich durfte nur Post schicken durch den von Mureck in das Stainztal mit Brot und Semmeln hausierenden Knecht des Bäckers, Kröll. Ich bekam unverzüglich die gewünschten Sorten: Pölleschberger, Fröhlichsberger und Radenberger. Und wenn in Mureck Jahrmarkt war, kam der Müller um die Bezahlung, welche stets ohne Anstand und zum beiderseitigen Einverständnis vor sich ging.

     Aber im September 1833 verursachte die Mur eine grosse Überschwemmung. Nur ein kleiner Platz vor dem Rathaus blieb trocken. Kein Haus, Stall oder Keller blieben vom Wasser verschont. (78)  In unserer Küche reichte dasselbe fast zur Höhe des Herdes. In die höher gelegene Tenne postierte ich die Kuh und die Schweine. Das zufällig mit einem verstauchten Fuss behaftete Pferd musste ich im Stall stehen lassen. Hinter dem Haus wogten die grössten Ströme, als ob die sonst eine viertel Stunde entfernte Mur sich ein neues Bett graben wollte. In den kleinen Zimmern hatte ich die Fussböden durch Querbalken und Bolzen gegen Aufreissen früh genug gesichert, aber im grossen Gastzimmer kam ich mit der Vorkehrung zu spät, der Fussboden wurde vom Wasser ganz aufgerissen, so dass ich denselben grösstenteils neu herstellen musste. Als nach einigen Tagen das Wasser ablief, war der überstauchte Fuss unseres Pferdes ganz gesund.


     Der Markt Mureck liegt sehr niedrig und hatte beim hohen Wasserstande der Mur sehr viel zu leiden. Die ebenerdigen Wohnung können von einer Überschwemmung bis zur anderen selten vollständig austrocknen, daher dort viele Krankheiten herrschen.

     Finken, Amseln, Lerchen und wie die Vögel alle heissen, sangen lustig und freuten sich des Frühlingswetters.
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Freitag, 29. Januar 2010

29. Tabakschnupfergesellschaft - Der Pfarrer von Abstall

     Meine arme Gattin hatte im Jahre 1832 den Schmerz über den Tod ihrer 68jährigen Mutter zu bestehen.

     Aus Veranlassung des Kaplan Lippusch wurde eine Tabakschnupfergesellschaft errichtet. Jedes Mitglied musste mit einer mit Tabak gefüllten Dose ausgestattet bei Begegnung mit einem Miglied die Dose hervorziehen, darauf klopfen und sprechen: «Also wirklich!» – und dann schnupfen. (74) Wer auf einen oder den anderen Punkt der Statuten vergass, musste einige Kreuzer Strafe zahlen. Die Strafgelder wurden dann bei mir verwixt. Auch wurde beschlossen, im Schlosse einen Landtag abzuhalten, wozu jedes Mitglied in einem selbst verfertigten und bis dahin geheimgehaltenen Kostüm erscheinen sollte.

     In einem im orientalischen Geschmack dekorierten Zimmer war ein Thronhimmel aufgeschlagen. Die Kammerjungfer, als Sultanin verkleidet, war mit fürstlichem Geldschmuck und Perlen überladen. Als jedes Mitglied in besonderer Maske erschien, gab es wohl viel zu lachen und zu bewundern. Kaplan Lippusch als Husarenoberst erregte wirklich grosses Aufsehen. Aber alle waren von dem Glanze und der Pracht, Schönheit und reizvollen Anmut der Sultanin entzückt. Als das allseitige Lachen und Bewundern endigte, wurde gerichtlich ernst über die Vergehen jedes Einzelnen gegen die Statuten verhandelt, und wer die meisten Strafvermerkungen hatte, wurde zur Tragung der Kosten verurteilt. Natürlich kam das Urteil über die Sultanin, weil sie gar nicht schnupfte. Zum Schlusse wurde auf Kosten der Herrschaft festlich geschmauset.

     Im Parke war eine Art Tempel, oben mit einer Terrasse. Wenn auf dieser manchmal unsere musikalischen Produktionen abgehalten wurden, hörte meine liebe gute Frau beim Haustore der Taverne gerne zu. Und da der Park das Echo zurückgab, so nahm sich die Musik besonders in mondhellen Nächten sehr angenehm aus.

     Ich hatte überhaupt sehr angenehme Stunden im Schlosse, und es war nicht Recht von mir, dass ich am Abend die ganze Tavernenwirtschaft und Plage mit dem allerliebsten, nudeldicken Kinde meiner viel geplagten und umsichtigen Frau überliess. Im Ganzen hatten wir wohl sehr viele Unannehmlichkeiten auszustehen.

     Da ich auch eine Spekulation mit Getreide versuchen wollte, erkannte ich, dass mir hiezu die gehörige Redekunst fehlte. Ich musste den armen Bauern sehr lange zureden, bis sie sich herbeiliessen, mir etwas käuflich zu überlassen. Dann hatten sie aber einen Preis bestimmt, der mir im Verhältnis zum Verkaufe – mit Rücksicht auf die bedeutenden Reisespesen an Zehrung, Mauten, Stallgeld und Verzehrungssteuer – nicht  gefiel.

     (75)  Der Pfarrer von Abstall war ein alter, sonderbarer Kauz. Auf der Kanzel zeterte er über die Zuhörer, die zu seiner Predigt kamen, um nur darüber zu lachen. Man konnte sich der Lachlust nicht verwehren, wenn er an seinen Fingernägeln kaute, oder einem während des Kanzelvortrages eintretenden und die Kirchentüre offenlassenden Bauern heftig zuschrie: «Mach zu!!!» Der Pfarrer erzählte von der Kanzel herab teilweise Lebensgeschichten einiger Pfarrereiinsassen, setzte aber jedesmal bei, er kenne sie nicht. Die Zuhörer aber flüsterten sich lächelnd die Namen derjenigen zu, auf die er es abgesehen und die er soeben verrissen hatte. Seine Wirschafterin und Köchin Greza war ein echter Zankteufel; wollte der Pfarrer in seinem Zimmer mit jemandem unter vier Augen sich besprechen, so ging sie trotz wiederholter Aufforderung nicht vom Flecke, sondern machte sich im Zimmer bald da und bald dort etwas zu schaffen, damit ihr ja kein Wort der Besprechung entging.

     Er gab jedem um Almosen Ansprechenden einen Kreuzer, kam aber zufälig die Köchin dazu, so schummelte sie den Armen vor die Türe und zeigte mit grober Gebärde auf das gegenüber befindliche Rezeksche Einkehrhaus und schrie: «Da, da, da gehn Sie hin! Da ist ein Wirtshaus!»

     Der Pfarrer hielt nie einen musikalischen Gottesdienst und sagte immer, er brauche keine Kerzenbrenner. Sehr oft hatte er den Wunsch, von der bösen Greza loszukommen und versprach sogar dem Wittwer Franzl, wennn er sie heirate, 2000 Gulden. Dieser wollte sehr schlau die Aussteuer vor der Hochzeit, aber der Pfarrer war vorsichtig.

     Während einer dortigen grossen Feuersbrunst liess er seine Geldtruhe in die Kirche schleppen und setzte sich darauf mit den Worten: «Hier will ich sterben!» Er konnte nur mit Gewalt entfernt werden, als die vom Feuer ergriffene Kirche mit dem Einsturz drohte. Der Kaplan Lippusch hatte mit seiner Schwester einen Weingarten bei Spielfeld und konnte sich zu einer schmalen Kost beim Pfarrer eine Aufbesserung verschaffen. Als Lippusch einst abends beim Rezek ein Glas Wein trank und wegen des Nachlesens ins Pfarrhaus geholt wurde, sagte er: «Der Pfarrer soll seinen Brei selbst fressen!»
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Donnerstag, 28. Januar 2010

28. Wo Fuchs und Hase ... / Gurgelbein-Operation

     Als meine Mutter einst an einem Sonntage zu uns auf Besuch kam und in das Theater im Schlosse geführt wurde, wo ich in der 'Teufelsmühle' das Kasperle spielte schlug sie die Hände über dem Kopfe zusammen und sagte in jammerndem Tone zu meiner Frau: «Ach, mein lieber Sohn muss hier den Leuten den Narren abgeben» und sie ging entrüstet fort. Da ich ein besonderer Freund vom Theater war und in Graz die Teufelsmühle drei mal sah, so konnte ich den Kasperle aus Passion und mit grösstem Beifalle darstellen.

Der herrschaftliche Kutscher Jakob Taupe war in seinen freien Stunden Jäger und schenkte mir einmal einen grossen Fuchs. Meine Gattin hatte diesen drei Wochen lang in starker Beize liegen lassen. Da wir dann einen Primling abgestochen und das Schlosspersonal samt Kaplan und Chirurgen zu einem fetten Bissen eingeladen hatten, veranstalteten meine Frau und ich ohne Vorwissen anderer, dass zuerst der Fuchs geschmackvoll gespickt gebraten und mit delikaten Rahmsossen als Hase aufgetischt werden sollte, und im Nu alles von der Tafel verschwinden und mit frischem Gedecke der Schweinsbraten serviert werden musste. (71) Mit sichtlichem Appetit fing jeder an, von Herzen zu speisen, selbst der Jäger erkannte sein Geschenk nicht. Vor lauter Plaudern war Antonia die letzte, die von gustios daliegendem Hasen ein Stück in den Mund nahm. Aber sogleich nahm sie den Brocken aus dem Gaumen und schrie: «Pfui Teufel, das ist ein Fuchs!» Und es war komisch zu sehen, wie ein Gast nach dem anderen den noch im Mund befindlichen Bissen herausnahm und unter den Tisch warf. Ehe sich alle von der Überraschung erholt hatten, war keine Spur der Ursache mehr vorhanden, und das Jungschweinerne mit famosem Bratengeruch auf dem Tische. Jeder versuchte, den Fuchsgeschmack mit Wein hinabzuschwemmmen. Nur der leicht zum Erbrechen gereizte Chirurg musste zuerst mit einem Glas Slivowitz getröstet werden. Nachdem die Gäste mit launigen Äusserungen einander und uns recht hänselten, liessen sich alle den Primling recht gut schmecken. Überhaupt waren diese Herren nebst der Kammerjungfer gern gesehene Gäste, und ich bemühte mich, alle durch Anekdoten, Deklamationen, Stegreif- und sonstige Lieder bestens zu unterhalten.

     Besonders Kaplan Lippusch war grosser Freund von zweideutigen Gesängen.  Recht zotige Texte sang er selber am liebsten. Bei dieser Gelegenheit fiel mir ein, dass der erwähnte Kaplan Dirschedl auch nicht sehr sittenrein war, denn in seinem Zimmer hingen acht den Sklavenhandel darstellende Bilder mit vielen weiblichen, nackten Figuren, welche ich schon früher als damaliger Schulknabe selbst sehr gern sah.

     Ich und meine fleissige Gattin hatten unser Getreide selbst ausgedroschen. Und da der Herr Fürst Rosenberg bei seinen täglichen Spaziergängen uns öfter besuchte, wunderte er sich über unsere Tätigkeit beim Dreschen und tags darauf sah er uns beide an der Stickrahme sitzen, da meine Gattin wieder eine dringende Bestellung hatte. Ich kaufte einen neuen Wagen und ein Pferd, weil wir auch einen Handel mit Geflügel für meine Eltern nach Graz unternahmen. Meine äusserst tapfere Frau fuhr sehr oft allein gegen Luttenberg zum Einkaufen, wobei sie die slowenische Sprache sehr gut gebrauchen konnte.

    Nebenbei verdiente ich gar manches in der Binderei, dann als Tischler, Maler, Bildhauer, Sänger.

     Als einst vom oberen Orte Schöpfendorf ein Hochzeitszug bei uns vorbeikam und ein Brautführer losfeuerte, zersprang ihm der ganze Schaft der Pistole und ich hatte diese wieder brauchbar hergestellt.

     (72)  In unserer nächsten Nachbarschaft war ein dicker Bauer, Florian Stachel, gewesener Artillerie-Feuerwerker. Bei seinen täglichen Besuchen unterhielt er sich gerne mit uns, besonders mit der geistreichen Frau, wie er sagte. Der Bauer und Handelsmann, vulgo Kroatenmüller, benahm sich dienstfertig und liebevoll gegen uns, als ob wir seine Kinder wären. Er machte mich mit dem braven Weingarten- und Mühlenbesitzer Semlich im Stanzthal bekannt, von dem ich die nötigen Weine zu mässigen aber festgesetzten Preisen, samt Fass ins Haus gestellt, bezog.

     So oft Kroatenmüller nach Graz kam, meldete er sich bei meinen Eltern und hatte uns von diesen geschenkte und in unserer Wirtschaft brauchbare Artikel ins Haus gebracht.

     Von Wien kam einst der Wiener Meister Schreiber zu Arbeiten bei den herrschaftlichen Riemenzeugen. Als er erfuhr, dass ich ein Binder sei, riet er uns, das wegen Schulden verkäufliche Grubersche Binderhaus samt Gewerbe und 4 Joch Grundstück zu kaufen. Ich hatte eben im Schlosspark eine neue Einsiedelei in der Arbeit, wobei ich dem Gesellen des Tischlers zu Hilfe kam. Dieser war ein Tiroler und an mitunter zweideutigen Anekdoten unerschöpflich.

Obwohl die Fürstin, geborene Gräfin Brandis, sehr religiös war, hörte sie den Erzählungen des Tirolers gerne zu. Fand sie der Fürst den schlüpfrigen Reden lauschend, zog er sie gleich fort. Aber bald war sie wieder da und fragte den Tiroler: «Wissens nichts mehr?»

     Einst erkundigte sich der Fürst, der eine Comtesse bei zehn Jahren besass und sehr gerne einen Prinzen haben wollte bei dem Tischlermeister: «Sagen Sie mir doch, wie stellen Sie es denn an, dass Ihre Frau alle Jahre einen festen Buben hat?» (Es waren schon 9 Stück). «Durchlaucht», antwortete der Meister, «ich bin oft Monate auswärts auf der Stör, aber wenn ich nach Hause komme, spring ich um das Bett herum wie ein Hahn um die Henne und dann – hast Du nicht gesehen – aber nicht alle Tage, so und so!!» Der Fürst schlug seinen am Leib hängenden Mantel fester zusammen und –– ging.

     Die Fürstin Kunigunde Rosenberg war eine kleine liebliche und freundliche Dame. Ich hatte für ihre Wirtschaft manche Binderarbeit. Ich hatte auch die Kapelle aussen an der Parkmauer mit Betstühlen, dann mit geschnitzten Wandleuchtern zu versehen. Das fürstliche Ehepaar begab sich öfters auf Wallfahrten, um einen Sohn zu erbitten; aber alle diese diesfälligen frommen Wünsche blieben unerfüllt.

     (73)  Die Comtesse hatte am Gurgelbeine einen kleinen Auswuchs, welchen die Eltern beseitigt wünschten. Sie liessen daher den Kreisfisiker von Marburg und den Chirurg von Abstall kommen. Der Kammerdiener kam zu mir mit der Frage, ob ich blutscheu wäre und ich platzte mit der Antwort heraus, dass ich mit dem Teufel raufe, wenn es sein müsste. «Also kommen Sie!», sagte er.

     Im ersten Stock des Schlosses lag auf einem mit Matratze belegten Tische das arme weinende Kind, in Patschen gewickelt, dass es sich nicht mehr rühren konnte. Ich wurde angewiesen, Kopf und Schultern des Kindes der Comtesse festzuhalten, und der Kammerdiener war zum Festhalten ihrer Füsse bestimmt. Der Kreisfisiker machte an der Haut ihres Halses einen kleinen Schnitt, zog mit einem silbernen Häkchen den Auswuchs in die Höhe, welchen der Chirurg mit einem silbernen Messer vom Gurgelbein löste. Während dieser Prozedur sprudelten am Halse des schreienden Kindes rechts zwei und links drei kleine Fontänen Blut hervor, die mich schaudern machten, obwohl ich mich herzhaft zusammennahm.

     Vor dieser Operation war die Herrschaft zur Kirche gegangen und das Schlosspersonal begab sich in die unterirdischen Räume, um nicht den Schmerzensschrei der armen Comtesse zu hören. Nur die Kammerjungfer hielt stand, um nötigenfalls mit Labungen bei der Hand zu sein. Sie musste meine Ergriffenheit bemerkt haben, denn als ich mich entfernte und im Vorzimmer zusammenbrach, war über das Gepolter die Kammerjunger schon da, um mich mit dargereichten Spirituosen wieder aufzurichten. Nachträglich wurde ich über meine Lust, mit dem Teufel raufen zu wollen und über meine nachträgliche Schwäche ausgelacht und erkannte, dass ich zu keinem Soldaten getaugt hätte. Die Operation war glücklich vorüber, und beide Herren Ärzte machten der von der Kirche zurückgekehrten Herrschaft an der Einfahrt ein tiefes Kompliment. Nach mehren Jahren wurde Comtesse Kunigunde im Schlosse mit dem Grafen Platz vermählt. Nach Hinscheiden ihrer Mutter ehelichte der Fürst eine Comtesse Wurmbrand, mit welcher er einen Sohn zeugte. 
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Dienstag, 26. Januar 2010

27. Ein gesunder Körper muss auch Luft haben

     In unserer Nachbarschaft war ein Bäckermeister namens Singer, er war auch meine Kundschaft. Dessen Sohn hatte an der Krankergasse eine Bäckerei, wo er auch noch eine Hauswirtin benötigte. Als ich schon verehelicht war, kam der alte Singer zu mir, um sich zu erkundigen, was denn die Josefa Reinholz, mit welcher ich einige Jahre Umgang gepflogen hatte und ihr zur Heirat mit seinem Sohne geraten hatte, für eine Person sei. Ich gab ihm nur den Rat, sie auf einen Kaffee einzuladen, (68) zu einem Kaffee, wo dann ihre Gemütsart und sonstige Eigenschaften bemerkt würden. Nach einigen Tagen kam der alte Singer wieder zu uns und erzählte, dass er meinen Rat befolgte und der Josefa Reinholz zum Kaffee einen grossen Teller voll mürber Kipferln vorgesetzt habe. Sie liess sichs vortrefflich schmecken und während des Gesprächs kam ihr von ungefähr ein kleiner Pumper aus. Der alte Herr daraus zum Spass: «Ein gesunder Körper muss auch Luft haben», worauf sie erwiderte: «muss aber auch seine Nahrung haben und griff nach dem siebten Kipferl. «Nein, mein Herr», sagte Singer zu mir, «mit dieser ist nichts, die frässe meinen Sohn arm und ich danke ihnen für den guten Rat, den sie mir gegeben haben».


     Sie heiratete nachher einen Färbermeister in St. Gerorgen bei Wildon. Als sie sich gleichsam für unsere platonische Liebe entschädigen wollte, hatte sie mit jedem Gesellen intime Beziehungen, tafelte grossartig mit denselben, und wenn der arme Mann sich einen Einspruch erlaubte, sagte sie zu ihm: «Du hast nichts zu reden, das Vermögen ist von mir». Auf solche Art ging die Wirtschaft zugrunde und nach einigen Jahren wüsten Lebens starb sie trotz der elterlichen Erbschaft per 7000 Gulden als Einlegerin.

     Zu Ostern 1831 hatten wir von meinen Eltern das einspännige Fuhrwerk zu einer Vergnügungsfahrt nach Landsberg entlehnt, wo wir uns bei Fräulein von Sailer herrlich unterhielten. Als wir am Ostermontag zurückfuhren, kam in Stainz eben ein Trupp Rekruten aus der Kirche. Übermütige Burschen davon umzingelten uns sogleich, zwei stiegen rückwärts auf und zwei wollten das Pferd aufhalten. Ich hieb mit der Peitsche tapfer herum und auf das Pferd, welches die zwei vorne niederriss und wir dann glücklich entkamen.

     Nun kam die Fürstin Rosenberg nach Graz und liess uns fragen, ob wir nicht gesonnen wären, ihre Taverne beim Schloss Freudenau in Pacht zu nehmen. Da wir des fortwährenden Notleidens beim Binderhandwerke schon überdrüssig waren, ich auch sah, dass mehrere Bindermeister nacheinander starben, ich aber noch länger leben wollte, so entschloss ich mich, abzureisen und vorläufig die Pachtobjekte und Bedingnisse einzusehen. Nach vorgenommenem Augenscheine wurde mir in der herrschaftlichen Amtskanzlei, ohne mich zu fragen, ob ich pachten wolle oder nicht, sogleich der Kontrakt zur Unterschrift vorgelegt. (69) Ich dachte nun, mehr als gefehlt kann es nicht sein, und unterschrieb in Gottes Namen aufs Geradewohl.

     In Graz fand ich als Pächter des Bindergewerbes den früheren Gesellen Anton Matzer. Aber meine arme Frau kam in die Wochen, lag unter unsäglichen Schmerzen bei ihren im Engelswirtshaus am Lendplatz wohnenen Eltern, wo am 15. Oktober 1831 ein Mädchen zur Welt kam und auf den Namen Maria Theresia getauft wurde.

     Ich und die Schwester meiner Frau, Maria, dann ein Mädchen, Maria, aus der Plank'schen Familie, sind dann am 30. Oktober 1831 unter Mitnahme mehrerer Effekten in einer Plätte auf der Mur nach Freudenau gefahren und die Pachtung wurde am 1. November angetreten.

     Vorläufig, für den Anfang, hatte ich die Weinreste des früheren Pächters Simmel, vorher Knecht im Schlosse, namens Keuschler, hinter dem Schlosspark nächst der Mur übernommen und vorher noch einen Halbstartin Windischbichler eingeschafft. Nach acht Tagen hatte sich meine liebe Frau so weit erholt, dass sie mit dem Kinde nachkommen konnte.

     Hier hatten wir aber neuerdings mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen. In Erwartung, dass am Lande alle Lebensmittel billiger sein werden als in der Stadt, hatten wir von Graz einen kleinen Rest Schmalz mitgenommen. In den nächsten Dörfern Schirmdorf, Abstall, Marchersdorf wunderten sich die Leute über uns, im Kleinen etwas verkaufen zu sollen. Auf vieles Bitten bekam ich einen halben Laib schwarzes Brot und vom nächsten Müller Hölzl gegen Geld nur eine halbe Mass grobes Haidenmehl.

     Dem Kinde zuliebe war die nötige Milch im Schlosse zu haben. Für Tanzmusiken hatte ich im grossen Gastzimmer selbst ein Orchester gezimmert. Und als ich einst zur Bezirksherrschaft Obmureck um eine Ball-Lizenz ging, wurde ich vom Verwalter Slatschek sehr derb angefahren und sogar mit dem Schub bedroht, weil ich von Graz keine Bewilligung zur Reise nach Untersteier und zur Pachtung vorweisen konnte. Wahrscheinlich wollte er seinen Ingrimm zeigen, weil ich ihm nicht gleich nach Übernahme der Pachtung meine Aufwartung machte. Die Lizenz wurde beim ersten Versuche verweigert, nachher aber doch erteilt.

     (70) Wir hatten viele Gäste, und es schien, als ob sich das Geschäft rentieren würde. Allein nur die Wohlhabenden bezahlten die Zeche sogleich. Die weniger Bemittelten waren Hauptspieler und machten Schulden, besonders der vulgo Zeschko, der bei seinem grossen Grundbesitz und, kinderlos nachher, als er nichts mehr hatte, wegen Verschwendung unter Kuratel gesetzt wurde.

     Nachdem im Schlosse wahrgenommen wurde, dass ich zu Spässen aufgelegt und musikalisch sei, wurde ich zur Gesellschaft daselbst beigezogen. Maler Steurer von Radkersburg und der jetzige Kaplan Lippusch von Abstall waren Verehrer der reizenden, bildhübschen, fürstlichen Kammerjungfer Antonia Kröpfl. Diese erhielt ihre Guitarrenlektion vom Kaplan gewöhnlich im sogenannten Wäschezimmer bei verschlossenen Türen. Steurer spielte die erste, der Grundbuchführer Paner die zweite Violine, der Chirurg Leonardo das Waldhorn, der Kaplan das Passetel und ich die Flöte. So gab es zu den fürstlichen Geburts- und Namenstagen recht niedliche Konzerte.



     Im sehr geräumigen Wäschezimmer wurde sogar ein Haustheater errichtet. Zu den musikalischen Mitgliedern und den gegebenen Musikstücken kam die gräfliche Familie Wurmbrand von Oberradkersburg, dann die umliegenden, angesehenen Grundbesitzer und Müller als Publikum.
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Montag, 25. Januar 2010

26. Annas Jugendgeschichte

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 Der närrische Mandel

     Unser Hausherr, Lebzelter Mandel, war ein besonderer Kauz. Die Realität samt Gewerbe und ein Haus in der Stadt am Hauptplatze besteht seit langer Zeit als Fidei Comiss. Ehe ich daselbst einzog, war ein Bruder des Bindermeisters Rucker, der Elefanten-Wirtin Plackel und der Zahnarztensgattin Staminger, auf dem Fidei-Commiss-Gute, wurde aber durch die Ränke dieser drei zärtlichen Schwestern zu Gunsten eines jungen, aufbrausenden und in der Fremde befindlichen Mandel auf dem Prozesswege vertrieben. Dieser Josef Mandel hatte bei seiner Rückkunft sogleich das Fidei Commiss Besitz- und Genussrecht übernommen, ohne den vorigen, alten Mandel das Warenlager abzulösen. Am Allerheiligentage richtete dieser vor dem Friedhofe einen Stand auf, um dort den Wachs- und Lebzeltervorrat zu verkaufen. Da kam der wutschnaubende neue Mandel, warf den Verkaufsstand um und zertrat alle am Boden liegenden Gegenstände, und der alte Mandel hatte kein Vermögen, um im Klagewege auf Entschädigung zu drängen.



     (65) Er übersiedelte dann nach Wien und übernahm nächst der Paulanerkirche eine Greisslerei. Wenn ich zufällig dringende Arbeit hatte, so musste ich auf herrischen Befehl dieses tollen Sturmjackls Mandel in Gesellschaft mehrerer anderer mitfahren und an seinen oftmaligen schwelgerischen Gelagen in der Schönau, in Baierdorf oder in seinem Vorratskeller auf seine Kosten mitmachen, wo ich viel lieber zu Hause bei der Arbeit geblieben wäre, denn mich hatte es nie zu Saufgelagen gelüstet.


     Dieser närrische Mandel hatte vom Büchsenmacher Schreiber in der Feuerbachgasse die hübsche und jüngste Tochter, eine überspannte und durch Romane Lesen übergeschnappte, fade Nocken, geheiratet und 800 Gulden Mitgift als Versprechen erhalten. Herr Schreiber war aber so vorsichtig, kein Geld herzugeben, da mutmasslich bei Mandels tollem Treiben die junge Gattin dem Vater zur Verpflegung anheimgefallen wäre. Ich hatte für die Mandels nebst Binderarbeiten bald Transparente zu machen, bald etwas zu schreiben und zu malen. Er war ordentlich aufgebracht, dass er nichts darauf zu zahlen hatte, wenn ich zur Begleichung des vierteljährigen Mietzinses per 15 Gulden conv. Münze von meinem dick geschriebenen Konto vorlegte. Wollte man alle Narrheiten des Tollkopfs Mandel zu Papier bringen, so könnte ein daumendickes Buch entstehen.

     Die liederliche Wirtschaft bei ihm dauerte drei Jahre, dann kam alles unter Sequester. Mandel erhielt für seine Person volle Verpflegung und als Rekration täglich 20 Kreuzer. Da quälte er oft den Sequester auch um einen Silberzwanziger für morgen, und verputzte sogleich noch alles. Die Gattin kam zu ihrem Vater zurück und die zwei Kinder lebten zum Glücke nicht mehr.



Annas Jugendgeschichte

     Jetzt erst komme ich dazu, die Jugendgeschichte meiner lieben Frau, welche sie mir treuherzig erzählte, aufzuzeichnen.


     Sie kam, dreizehn Jahre alt, zur verheirateten Schwester Theres Plank in das alte Schloss Deutschlandsberg und musste dort alle Garten- und Feldarbeit mitmachen, sowie auch Kühe und Schweine füttern. Sie wuchs beim ländlichen Mahle und in frischer Luft kräftig heran und war gesund und lustig. Nach vier Jahren kam von Graz die Stiftsdame, Fräulein von Sailer, welche in Deutschlandsbeg beim vulgo Bruckenschuster eine Wohnung mietete und dann Verlangen trug nach einem gemütlichen Mädchen, (66) teils als Bedienerin und teils als Gesellschafterin. Da fiel ihre Wahl auf die kerngesunde Anna Knölly.

     Fräulein von Sailer hatte grösste Zuneigung zu diesem talentvollen Naturkinde. Sie  lehrte sie alle feinen Arbeiten, weissnähen, sticken, dann stricken und spinnen. Dann konnte Anna auf Kosten des Fräuleins in Graz auch das feine Kochen lernen. Wenn die Dame zum Besuche ihrer alten Freundinnen, Baronin Rothkirch und Hofratswitwe von Moshart nach Graz kamen, so nahm sie die Anna überall mit, bei welcher Gelegenheit sie sich auch ein vornehmes Benehmen aneignete.

     Als sie dann wieder nach Deutschlandsberg kam, verliebte sich der dortige Steuereinnehmer Bernhard Edler von Mangold in sie, und sie sich in ihn. Daraus entstand ein zartes Liebesverhältnis. Er hatte als Adeliger freien Zutritt zur Stiftsdame und weil er täglich auf die ErLangung der ihm versprochenen Rentmeistersstelle bei der Fürstlich Lichtensteinischen Herrschaft Riegersburg wartete, machte er der Anna einen förmlichen Heiratsantrag. Sie konnte ja bei ihrem noblen Benehmen und allen Kenntnissen wirklich eine vornehme Frau darstellen.

     Jedoch wurde unversehens in den Kassen Revision vorgenommen und ein bedeutendes Defizit entdeckt. Infolgedessen wurde Mangold verhaftet und nach einigen Monaten aus besonderer Gnade zum Gerichtsdiener in Leoben degradiert. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurde eine Schublade voll kleiner und grosser Lotteriezettel gefunden.


     Die arme, um ihr erhofftes Glück unschuldig gekommene Anna ging in Scham und Verzweiflung von der gütigsten der Damen fort zu ihre Onkel, dem Überfuhrbesitzer in Sauritsch, namens Maister. Dieser verhalf ihr zu einem Dienst bei einem reichen, pensionierten Staatsbeamten, Coradi in Friedau, der drei schöne erwachsene Töchter hatte, welche die Anna sehr zärtlich wie eine Schwester behandelten. Herr Coradi selbst war von ihrem himmlischen Wesen so bezaubert, dass er ihr im grössten Ernste einen Heiratsantrag machte. Aber Anna konnte es in ihrer Sanftmut nicht übers Herz bringen, den drei Mädchen, die bereits älter waren als sie, eine Stiefmutter abzugeben.

     Die Älteste der drei ehelichte den dortigen reichen Lederer Steinkowitsch und nahm die gute Anna mit sich. Da in diesem Hause lauter windische Dienstboten waren, lernte sie dort die slowenische Sprache, die ihr in der Folge sehr zu statten kam.

     (67) Nach einigen Jahren war sie Köchin bei den Grafen Bathiany und Mazuschelle in Graz. Von jedem Kammerdiener dieser Herrschaften wurde sie mit Heiratsanträgen überschüttet. In Friedau wollte sie auch der Sattlergeselle Kapmaier, welcher sein Vaterhaus zu Dreifaltigkeit in Windischbüheln zu übernehmen hatte, zur Gattin haben. Ebenso auch der Fleischerssohn Göbl in Stainz. Ein Lehrer in Landsberg und ein Lehrer in Trahütten, hoch im Gebirge, waren von Anna ebenfalls hochbegeistert.

     In Graz kam sie zum Fürsten Rosenberg auf der Herrschaft Freudenau, wo auch wieder der Kammerdiener Bernhard Taupe in Liebe gegen sie entbrannte. Nachdem sie dann dort, von heftigem Fieber geplagt, sich zur verehelichten Schwester Constanze Grimmer zu St. Andrä im Lavanttale wegen Luftveränderung und Erholung begab, wurde sie daselbst mit der Karoline Rohrau, Tochter des dortigen k. u. k. Pflegersadministrator recht innig befreundet.

     Als beide Mädchen in der Kirche nebeneinander sassen, bemerkte Anna, dass Fräulein Rohrau statt des Gebetbuches Lessings 'Natan, der Weise' vor sich hatte und andächtig darin las. Auf die Vorstellung der Anna, dass weltliche Bücher doch nicht in die Kirche gehören, erwiderte Fräulein Rohrau, dass es ihr unmöglich sei, ein Gebetbuch in die Hand zu nehmen, seitdem sie 'Natan, der Weise' gelesen habe.

     In St. Andrä waren besonders zwei Beamte und ein Schneidermeister, welche ausserordentlich in die Anna verliebt waren, obwohl sie von der Krankheit noch immer sehr bleich und matt aussah. Sie bezeigten ihr die grösste Ehrfurcht und begehrten sie wegen ihres Liebreizes zur Lebensgefährtin. Sie aber blieb fest an ihrem Vorsatze, in keine Liebelei mehr einzugehen, da ihr das erste Heiratsprojekt mit Mangold verunglückte.

     Als sie dann 1829, noch bleich und doch voll Grazie und Liebreiz, zu ihren Eltern nach Graz kam, war es kein Wunder, dass ich als ihr dreizehnter Verehrer sterblich in sie verliebt wurde.
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Samstag, 23. Januar 2010

25. Der Rucker, der Fledersbacher und die Tante Theresa


     Das Eisenhandlungshaus Gamilscheks Erben benötigte von meinem Lehrmeister Rucker sehr viele Fässer von weichem Holze zum Verpacken von Sensen, Sicheln und sonstigen kleinen Eisenwaren. Da ich dort ohnehin sehr gut bekannt war, so ersuchte ich den Handlungschef, Herrn Hochegger, auch von mir eine Ladung Fässer zu kaufen. Auf diese Zusicherung sagte er, ich soll mit einer Fuhre um 6 Uhr früh kommen, damit Herr Rucker, welcher täglich um 7 Uhr früh dort vorsprach, nichts davon wahrnehmen könne. Als ich anderstags schon um halb 6 Uhr früh dahin kam mit einer grossen Ladung Packfässer, kam zufällig auch Herr Rucker und wurde sehr zornig, wie ich so viele Fässer vom Wagen herabnahm. Er gebärdete sich wie wahnsinnig und schrie, er könne nicht Kapauner spendieren wie ich ... und trollte sich in grösster Aufregung fort.

     Hochegger wollte wissen, was denn der Rucker mit den Kapaunern gemeint habe. So erzählte ich ihm, dass ihm meine Eltern während meiner Lehrzeit manches Geflügel gratis überlassen haben. Hochegger lachte und sagte: «Da hat ja nur der Rucker die Kapauner gegessen, nicht wir.»

     Am nämlichen Tage musste Rucker mit dessen Schwager Kajetan Plachl, damaliger Eigentümer der grossen Realität Puntigam dahin fahren, um die in den dortigen Kellern befindlichen grossen Fässer in Reparatur zu nehmen. Der Zorn über mich war dem Rucker noch nicht vergangen, er meinte, ihn durch mehrere Fässer Wein zu dämpfen, zog sich aber eine heftige Lungenentzündung zu, und nach wenigen Tagen war er eine Leiche. Dessen Witwe gab mir die Schuld an seinem Tode. Hätter er aber auf den Zorn nicht so viel Wein genossen, sondern frisches Wasser, wäre es für ihn besser gewesen.

     (63) Nach einiger Zeit kam der erwähnte Geselle Fledersbacher, welcher nach meinem Weggehen vom Schwarzen Tor in Wien meine Stelle als Kellermeister übernommen hatte, nach Graz und nahm auf einige Wochen bei mir Arbeit. Auf einmal wurde dieser, seit neun Jahren Rekrutierungsflüchtling, erhascht, und wurde zur Strafe statt auf 14 Jahre, auf 18 Jahre, und noch dazu zum Fuhrwesen assentiert. Seine hübsche und geläufige Handschrift und sein solides Wesen trugen dazu bei, dass er bald Korporal wurde.


     Als er einst von einem Transport nach Innsbruck zurück kam, zeigte er mir eine silberne und eine goldene Sackuhr, die er sich auf dem Transporte verdient habe. Mir fiel es aber nicht ein, zu fragen, auf welche Weise ihm dies Ersparnis gelungen sei. Mir fiel es überhaupt nicht ein, einen Nebenverdienst zu ermitteln, wenn die Fassbinderei schlecht ginge, obwohl ich die 13 grossen Fässer á 50 Eimer für den Baron Mandell beim Meister Sorger auf der Lend gesehen habe, und ein Geselle von ihm, ein Pastor, guter Sänger und Guitarspieler, auf jedem Fasse einen Apostel und auf dem dreizehnten die Legende vom Heiligen Eustachius zierlich und kunstvoll schnitzelte.


     Als die Tante Theresa in Wien meine Vermählung mit einer Armen erfuhr, konnte sie es nicht unterlassen, uns zu kränken. Sie übersandte als Brautgeschenk für meine Frau ein Paar Schuhe aus Stroh, mit dem Bemerken, diese wären gut genug für ein Bettelkind. Die Wiener Putzmacherin Fels spendierte eine sogenannte Krachtorte, da es im Ehestande gar viele harte Nüsse zum Aufbeissen gäbe. Als meine liebe, gutherzige Frau den Schmerz wegen der Strohschuhe überwunden hatte, schrieb sie der Tante einen zum Herzen dringenden Brief, worüber diese sehr viel weinte, und in einem darauf folgenden Schreiben innigst um Verzeihung bat. Beide Frauen wurden nachträglich die besten Freundinnen.

     Etwas später fällt mir ein, dass ich in den Fensterbalken meiner Werkstätte kleine, unbemerkte Löcher bohrte, durch welche ich und der erwähnte Zeidlmaier in der Zeit, als wir uns mit den zwei liebenswürdigen Schwestern Anna und Maria Knölly freundnachbarlich unterhielten, so gerne diese Herzensköniginnen betrachteten, wenn beide emsig am Fenster bei der Arbeit sassen.

     (64) So viel ich mir Mühe gab, grosse Kundschaften zu erwerben und eine namhafte Tätigkeit zu entfalten, somit mehr Einkommmen zu erzielen, wollte es mir doch nicht gelingen. Die kleinen Beschäftigungen reichten zur Bestreitung aller Ausgaben nicht hin; wir mussten uns grossartig einschränken und traurig zusehen, wenn sich sonntags alles unterhielt und wir kaum einen Groschen bar in der Tasche hatten. Zum Glück war meine liebe Gattin sehr anspruchslos und genügsam, befasste sich mit Sticken und Kleidermachen und ertrug das harte Geschick mit Geduld und Ergebung.


Als Kaiser Ferdinand als König von Ungarn in Pressburg gekrönt werden sollte, mietete eine vornehme Grazer Dame dort zwei Fenster, um den Krönungzug zu sehen und bestellte bei meiner Holden zwei Fensterpolster mit leichter Stickerei. Um diese rechtzeitig fertig zu bringen, half ich mit am Stickrahmen, meiner Frau gegenüber, emsig mit.

     Die benachbarte Schlossermeistersgattin Lerch war ebenso fleissig am Spinnrade, und beide Frauen hatten gemeinschaftlich die Leinwand auf der Wiese am Mühlbache nächst der Rösslmühle abwechselnd gebleicht.
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Freitag, 22. Januar 2010

24. Mein Schutzgeist und mein Alles

     Ein gutes Zeichen war es auch, dass unsere Hände mit der von Anna gestickten Stola auf ewig verbunden wurden. Nun war die überseelige Braut mein, und sie wurde mein Schutzgeist, mein Alles. Ich hatte mich nie mit der Lotterie abgegeben, habe aber doch den grössten Terno gemacht. Beim Anfange des Balles tanzten wir viel, als aber der Saal zu voll wurde, konnten wir von der Tafel aus nur Zuschauer abgeben.


     Pepi Beinholz und Anna Pilz waren auch bei der Kopulation in der Kirche, und erstere sagte nur zur zweiten: «Wenn es mir beschaffen ist, bekomme ich ihn noch!» Sie war vielleicht der Meinung, ich würde noch am Altare zurücktreten. Doch die Neuvermählten hatten sich am Altare ewige Treue, unverbrüchliche Liebe geschworen. Weil Mathias Pilz einer unserer Brautführer war, kam dessen Schwester, Anna Pilz, aus Neugierde zu diesem Feste und tanzte unbändig.


     Meine Anna hatte das Eigene, dass ihr liebes Gesicht stets mit einem Glorienschein umgeben war und dass es bei Kerzenlichte immer herrlicher strahlte. (61) Wenn ich allein durch einen Saal schritt, hörte ich mehrseitig vom Publikum die mich entzückenden Worte: «Oh, die schöne Braut!»

     Um 2 Uhr nachts kehrten wir nach Hause. Als ich nach einigen Tagen des Wirtes Forderung von 30 Gulden berichtigen wollte, wurde dieselbe nach vielen Hin- und Herreden mit 25 Gulden conv. Münze beglichen. Um nun zu unseren Nahrungsorgen etwas beizusteuern, ging meine Frau zum Kaplan Kukenschinig und ersuchte ihn, den Conto mit 14 Gulden, 24 Kreuzer für die ihm gelieferten Arbeiten zu begleichen. Er aber stemmte seine Hände in die Seite und sagte: «Wie können Sie sich unterstehen, von einem Geistlichen etwas zu verlangen?» Und da er sich zu keiner Bezahlung herbeiliess, kam unsere Vermählung sehr teuer, indem auch beim Pfarrer in St. Andrä die Kopuliertaxe erlegt werden musste. Bisher hatten mir meine Eltern die Kost gratis ins Haus geschickt; nun hatte ich selbst darum zu sorgen. War für mich, dann für den Gesellen genug Arbeit vorhanden, so ersah ich das nötige Auskommen. Genügende Arbeit war jedoch nicht immer vorhanden.Mir fehlte die Rednergabe; wenn ich mir grössere Kunden erwerben wollte, sagte jeder, er habe ehedem seinen Binder und sei mit ihm zufrieden.

     Als ich mit meiner Ehegattin und mit meiner Mutter einst im Gastgarten des Apostelsaales war, befand sich dort auch die Ehefrau eines Obermühl-Jungen, Wiesler. Diese bemerkte unsere gegenseitige innige Zuneigung und sprach zu meiner Mutter: «Das liebe Ehepaar schaut so stillvergnügt und selig drein, und ahnen nicht, welche Leiden und Widerwärtigkeiten oft im Ehestande vorkommen». Meine Mutter tröstete mich, dass meine Frau nicht viele Kinder bekommen werde, da sie dazu schon zu alt sei.


     Ich lernte nun erst den echten Wert einer anspruchlosen, genügsamen, häuslich gestimmten Frau kennen. Wir erhielten als Bettgeher in volle Verpflegung einen Sohn des Schuhmachermeisters Brandstätter von Voitsberg und den unehelichen Sohn einer Müllersmagd Finster bei St. Florian, dann die Bauernsöhne Super und Klement aus Gussendorf. Alle vier waren hier im Gymnasium.

     (62) Meine Frau war nun kerngesund, nahm an Körperfülle zu, hatte eine volle, junoische Gestalt, von der ich entzückt war. Früh vier Uhr war sie schon beim Spinnrade emsig beschäftigt, brachte so viel Leinwand als wir selbst benötigten zusammen, von einem Pfund Flachs vier Ellen á vier Gulden Wiener Währung, die Ellen zu 40 Gulden conv. Münze. Anton Finster wurde Bezirksgericht-Adjunkt und der Josef Brandstätter Techniker.
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Montag, 18. Januar 2010

23. Doch lieber eine Reiche - Die Kopulation

   In der Lazarettgasse zu Graz war ein grosser Gast- und Einkehrgasthof für Landfuhrwerker. Im ersten Stock war ein grosser, ausser dem Redoutensaale der grösste Saal in Graz, unter dem Namen Apostel-Saal, wo sehr oft Tanzmusik abgehalten wurde.

     Ich hatte sogar den Mut, bei den Eltern meiner herrlichen Nachbarin um Erlaubnis zu bitten, diese am 15. November 1829 in den vorerwähnten Saal zum Balle führen zu dürfen, und erlangte die Bewilligung von den Alten erst nach langem Für und Wider.


Welche nie empfundene Wonne durchbebte elektrisch alle meine Nerven, als ich die Überselige um die schlanke Taille fasste und mit ihr in himmlischem Entzücken im Tanzsaale dahinschwebte. Ich fühlte beim Berühren ihrer Hand und bei Wahrnehmen ihres überaus würzigen Atems die grösste Seligkeit. Wir unterhielten uns bis zwei Uhr früh sehr gut. Unsere Gespräche waren mindeste Andeutung von Liebe, bloss freundschaftlich-nachbarlich. Aber bei Ankunft an ihrer Wohnung wurden herzliche Küsse gewechselt, welche mich bestimmten, ihren Besitz als mein grösstes Glück zu betrachten. Uns unsere nachbarliche Freundschaft, bei welcher ich dieses holden Engels sanfte Gemütsart, ihre schöne Seele und ihr aufrichtiges, zartfühlendes Herz, dann ihren reifen Verstand kennenlernte, machte mir unendliche Freude. So kam ich zu dem festen Entschlusse, dass ich durch den Umgang mit dieser Unvergleichlichen und ihrem überlegenen Geiste mich bilden und erst durch ihre Hand wahrhaftig glücklich werden könnte.

     (57a)  Am Frauentage, 8. Dezember 1829, leitete ich beim Besuche bei meinen Eltern das Gespräch auf meine Verhältnisse, dass ich nämlich als Bürger und Meister wirklich eine Frau zur Wirtschaftsführung benötige, es mir aber sehr schwer fällt, eine pekuniär vorteilhafte Wahl zu treffen. Endlich platzte ich mit meinem Geheimnisse heraus, dass ich den wahren Gegenstand meiner Wahl und meines Herzens in der Person der ganz unbemittelten und meinen Eltern unbekannten Anna Knölly gefunden hätte.


     Mein Vater sagte:
«Du bist gescheiter als ich,
und du wirst wissen,
was du zu tun hast.»

     Doch die Mutter und die Schwestern kamen mit einem Donnerwetter über mich, in punkto der Armut. «Es wäre doch vernünftiger», sagte die Mutter, «du nimmst eine mit ein paar tausend Gulden, denn was man heiratet, darf man nicht erwirtschaften. Bettest dich gut, liegst auch gut! Nimmst eine ohne Vermögen, so bleibst dein Lebtag ein Märtyrer, der bei angestrengter Arbeit mit genauer Not sein kummervolles Dasein durchkrautern muss. Es wäre dir und uns allen eine Schande, wenn du dich mit einer armen Familie verbindest. Lass dir die verliebten Grillen vergehen und trachte, durch eine Verbindung aus dem angesehenen Bürgerstande auch im Ansehen zu einem Ansehen zu kommen! Gehe hinaus zum Schmiedemeister Hacker, der dich kennt und dir eben die von einem Schuldner zurückgezahlten 3000 Gulden schon gezeigt hat; er gibt dir seine Stieftochter, die Anna Pilz mit diesem Geld recht gerne; und mit 3000 Gulden lässt sich etwas machen».


Diese gewichtige, von der Mutter fast im Zorne vorgetragene Epistel hatte ich wirklich erwartet und erkannte, dass sie nicht Unrecht hatte. Aber alle Vorstellungen dagegen halfen nichts, denn ich erhielt immer die Weisung, mich bei der Anna Pilz zu melden.

     Nun dachte ich, den Versuch, einen Korb zu holen, kann ich wagen, damit Mutters Wille befolgt würde. Und falls meine Werbug nicht ungünstig ausfiele, wollte ich in Gottes Namen alles aus mir machen lassen. Am nämlichen Abend ging ich hin und bekam über meinen Antrag zum Troste für mein durch diesen sauren Gang beschwertes Herz einen Korb mit der Äusserung, dass ich ihr lieb und wert sei, sie meine Werbung sehr freue, sie aber ohnehin auch den Jakob zum Liebhaber besitze, von dem sie schon sehr viel Gutes genossen und (58) er ihr das Heiraten versprochen habe, und dass es doch Unrecht wäre, ihn zu verlassen.

     Oh, wie war ich über diese Abneigung heimlich erfreut. Mir fiel es wie ein zentnerschwerer Stein vom Herzen, und ich dankte dem lieben und mir so barmherzigen Gott dafür aus innigster Seele. Am nämlichen Abend ging ich noch zu Anna Knölly und nach mehreren Gesprächen wünschte ich, den nächsten Abend mit ihr allein sein zu wollen, da ich ihr unter vier Augen etwas Wichtiges zu eröffnen habe.


     Nächsten Abend, Donnerstag, den 9. Dezember 1829, nahm sie den Vorwand, eine alte Freundin, Hofratswitwe von Moshart, zu besuchen. Und da ich nun fest entschlossen war – komme, was da wolle –, der Anna Knölly meinen innigsten Wunsch, nur mit ihr durch dieses Erdenleben gehen zu wollen, zu erkennen zu geben, wanderten wir in schönster Mondnacht bei grimmiger Kälte über das Glacis. Die bange Erwartung meiner zu eröffnenden Wichtigkeit machte uns beide warm, und ohne viel Umschweife bat ich dringend um ihre Hand. Dass ich schon ihr Herz besässe, glaubte sie mir, seit mehreren Tagen einbilden zu dürfen.

     Oh, wie viele Einwendungen hatte sie aber dagegen, sie wolle überhaupt nicht heiraten; ihre Armut und das vorgerückte Alter hielten sie davon ab, auch habe sie Anträge als Industrielehrerin in Deutsch-Landsberg, als Pfarrers Köchin in Stainz oder wieder bei der Fürstin Rosenberg als Köchin einzutreten, wo sie überall ein sorgenfreies Leben führen könne.

     Als sie siebzehn Jahre alt war, kam sie in Deutsch-Landsberg zur dort wohnhaften Stiftsdame, Fräulein von Sailer, als Gesellschafterin, und diese Dame habe ihr versprochen, in ihrem Testamente ihrer zu gedenken. Nach allen vernünftigen Weigerungen der Anna Knölly quälte mich die Furcht, ob ich wohl ein wertvolleres Geschöpf je zu finden imstande wäre, und ich hörte nicht auf, um ihr Jawort zu bitten, bis ich es zu meinem unaussprechlichen Glücke erhielt, worauf wir dann beim damaligen Gartnerwirt nächst der Waisenhauskaserne bei einem Glas Wein unsere Verlobung feierten.

     Am 20. und 25. Dezember führte ich die Auserwählte bei meinen Eltern auf, wo sie von allen mit schiefen Blicken und kalter Höflichkeit aufgenommen wurde. Ich musste Anna trösten, dass meine Angehörigen von ihr eine bessere Meinung haben werden, sobald sie ihren hohen Wert erkennen würden.

     (59)  Inzwischen zog ich meinen Mentor und alten Freund Hernegger zu Rate, welcher bei Aufführung meiner Verlobten meine Wahl billigte und sich mit seiner Beredtsamkeit bei meinen Eltern um deren gütliche Einwilligung verwendete.

     Ich und Anna unternahmen am 28. Dezember 1829 zu Fuss eine Reise nach Deutschlandsberg in der Absicht, bezüglich der von Fräulein von Sailer der Anna gegebenen Zusicherung einer allfälligen Beisteuer zur Heirat oder eines Legats Ansprache zu pflegen. Doch, je näher wir kamen, desto weiter entfernte sich unser Entschluss, dem ehrwürdigen Fräulein von Sailer die Ursache unseres in so stürmischem Schneegestöber und strenger Kälte unternommenen Besuches vorzubringen.

     Doch wir wurden sehr gut aufgenommen, und mit Glücks- und Segenswünschen wieder entlassen. Ganz erschöpft am 30. Dezember abends in Graz wieder angekommen, statteten wir am 1. Jänner 1830 bei meinen Eltern wieder einen Besuch ab, wobei über meine Verehelichung nochmals sehr wichtig und nachdrücklich debattiert wurde. Ich erklärte ihnen, dass sie sich in Anbetracht aller vorzüglichen Eigenschaften dieser Anna keine bessere Schwiegertochter wünschen könnten.

     Durch eifrige Mitwirkung des Anton Hernegger, der den hohen Wert der gemütsreichen Anna erkannte, erhielt ich am 3. Jänner die volle elterliche Einwilligung, wonach wir mit den Beiständen, Anton Hernegger und Valentin Knaupert, am 13. Jänner in den Pfarrhof zu St. Andrä zum Vorsprechen gingen und am 17. Jänner das erste Aufgebot von der Kanzlei erfolgte.     

     Als ich bei den alten Eltern meiner lieben Braut um ihre Hand warb, wollte die gute alte Frau besonders einwenden, dass Anna nicht zur Karlauer Fürstin, wie meine Mutter wegen ihrer ausserordentlichen Korpulenz allgemein hiess, wohl nicht passe. Doch meine unendlich geliebte Anna wusste alle Einwendungen zu entkräften.

     Der Besitzer des Gasthauses zum Apostel-Saal war als gewesener Bindergeselle namens Hollenstein mit mir sehr gut bekannt. Noch ledig seiner Wirtschaft stand die Schwester, verehelichte Painer, vor. Und damit unsere Hochzeit in diesem grossen Saale bei Gelegenheit eines öffentlichen Balles stattfinden könne, wollte ich mit Hollenstein früher akkordieren, aber er versicherte, dass er mich als seinen guten Freund nicht überhalten und recht billig bedienen werde.

     (60)  Sonderbar war es, dass es bei allen in Angelegenheiten unserer Ehe unternommenen Schritte heftig schneite. In der Wohnung des Herrn Knölly war die Zusammenkunft aller Hochzeitsgäste, und zwar 18 grosse Personen und 8 Kinder. Die arme Braut hatte ihren Anzug und Schmuck von der Freundin Kajetan Weisensteiner entliehen, und ich hatte geflickte Stiefel, dann den nämlichen Rock an, in welchem ich Geselle, dann Bürger und Meister wurde.

     Wir waren zufrieden, wenn wir uns nur ehelichen konnten. Meine Eltern hatten zur Bestreitung der Hochzeitstafel Kapauner, Indianer, Kalb- und Schweinefleisch samt Mehl und Schmalz zu Krapfen beigestellt. Sonach hatte der Wirt bloss die Zubereitung und den Wein zu besorgen.



Am 31. Jänner 1830 war nun der glückliche Tag unserer Hochzeit, unserer beiderseitig ersehnten Verbindung. Nachdem von beiden Eltern mit Weihwasser erhaltenen Segen ging der Zug unter eben wieder begonnenem Schneien zur Kirche.

Der früher bezeichnete Garnisonskaplan Kukenschinig hatte seinem Versprechen gemäss die Kopulation vollzogen, und dabei eine durchdringende Rede gehalten, dass kein Auge trocken blieb. Die arme Anna weinte zum Erbarmen, ich aber biss die Zähne fest zusammen, dass mir keine Träne kommen sollte, sodass der Kaplan sogar bemerkte, dass ich ungerührt blieb, und in seiner Rede Anspielung darauf machte.
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Samstag, 16. Januar 2010

22. Meine Zukünftige

     Einst, während meiner Abwesenheit von der Werkstatt, übergab ein Mädchen aus der Nachbarschaft – in der Meinung, hier sei ein Tischlergeselle – dem Gesellen eine Strickrahme zur Reparatur. Ich wusst nichts davon, der Geselle aber vergass darauf, und so blieb die Rahme liegen. Als die Nachbarin wieder kam, dieselbe abzuholen und ich eben ohne den Gesellen anwesend war, bat sie etwas befangen um baldige Herstellung der Rahme, da dringende Bestellung von Stickereien gekommen seien. Ich versprach, die Reparatur sogleich zu besorgen.

     In der Meinung, eine galante Redensart anzubringen, sagte ich noch: «Sie werden einmal einen braven Mann bekommen», und ohne hierauf irgendetwas zu erwidern, ging sie errötend eilig fort.


Nach mehreren Tagen bemerkte ich sie meiner Werkstätte gegenüber am Fenster eifrig an der inzwischen restaurierten Stickrahme arbeiten und erbat mir gleich vor ihrem Fenster die Erlaubnis, die Stickerei, wenn sie angefertigt ist, in Augenschein nehmen zu dürfen. Als ich deshalb nach einiger Zeit in die Wohnung ihrer Eltern kam, bemerkte ich hier wohl die höchste Einfachheit und Ärmlichkeit. Ihr Vater, Paul Knölly, ein noch rüstiger Greis von 78 Jahren, war als Brief- und Zeitungsausträger bei der kleinen Post beschäftigt. Die Mutter war eine von Kummer und Entbehrung gebeugte, 63 Jahre alte Frau. Aber noch eine 19jährige Tochter, Marie, war vorhanden, schön frisch, kerngesund und gesellig. Obwohl die an der Stickrahme emsig beschäftigte Anna bereits im 29. Jahre stand, sehr hager und nicht besonders schön war, so fühlte ich mich doch aus begreiflichen Gründen dieser mehr zugeneigt; denn sie hatte einen unerklärlichen, besonderen Liebreiz, und aus ihren schmachtenden Blicken wähnte ich die reinste, himmlische Seligkeit zu schauen.

     (55) Und so entspann sich eine nachbarliche Freundschaft zwischen uns dreien. Beide Schwestern waren wirkliche Juwele weiblicher Zartheit, Herzensgüte, Innigkeit, reiner Sitte und schwesterlicher Zuneigung. Ich machte den stillen Beobachter und hatte hier Gelegenheit, bei Spaziergängen mit diesen holden Geschöpfen, die aus den Äusserungen des erwähnten jungen Bindergesellen Peter mir im Gedächtnis gebliebenen Andeutungen aus Lavaters Physiognomik zu erforschen. Jetzt erst erkannte ich den himmlischen Unterschied und Abstand der Deutungsart und Benehmungsweise zwischen dieser zart und innig fühlenden Anna Knölly, dem derben Klotze Pepi Rosenholz und der träumerischen Anna Pilz. Und während die Mädchen bei Frau Fels in Wien stets in jugendlichem Mutwillen und heiteren Genüssen dahinlebten, lernte ich hier in Anna Knölly eine Perle echter Weiblichkeit und höchstem Seelenadel kennen. Da ich aber mit beiden Schwestern gleich artig war, so wusste keine zu bestimmen, welcher ich den Vorzug gab.

     Die holde Anna hatte mir treuherzig erzählt, dass sie seit ihrem 13. Lebensjahre im Dienste war, in Fidau Slovenisch lernte, schon mehrere, mitunter annehmbare Werber gehabt, und zuletzt bei der Fürstin Rosenberg in Freudenau in Untersteier als Köchin in Ansehen stand. Dort wurde sie aber von einem hartnäckigen Fieber befallen, und ist auf ärztliche Anregung zur Luftveränderung ausgetreten. Sie verblieb einige Zeit bei der mit dem bischöflichen Kammerdiener Grimmer zu St. Andrä in Kärnten verheirateten Schwester Constanze. Am 1. September 1829 kam sie in noch kränklichem Zustande von dort zurück und erhielt die Stickerei für die dortige Domkirche bestellt.

     Unweit des Schlosses Freudenau an der Pfarre Abstall war ein lebenslustiger Kaplan, namens Ignaz Kukenschinig. Dieser hatte der herrschaftlichen Köchin Anna Knölly versprochen, sie, wenn sie einst heirate, zu kopulieren.

     Er kam nachher als Garnisonskaplan nach Graz und bestellte für sich eine Stola, die reich mit Blumen verziert sein sollte.

     Aus nachbarlicher Freundschaft war ich der fleissigen Anna bei Zusammenstellung der zu stickenden Girlanden behilflich. Die Stola wurde ein Meisterwerk. Für diesen Kaplan hatte Anna dessen Leibwäsche, dann Decken und Leintücher teils neu zu machen, teils zu reparieren. Inzwischen hatte die Kammerjungfer der Fürstin Rosenberg, Antonia Kröpfel, eine gewesene Novize des Nonnenklosters in Klagenfurt, wegen (56) grossem Hang zu weltlichen Freuden von dort durchgegangen, bei der Anna Kölly mehrere Stickereien angeblich für das Kloster in Klagenfurt bestellt. Als letztere einst mehrere Wäschestücke an den Kaplan ablieferte, zeigte er ihr einen Beutel mit hundert Dukaten und sagte, er müsse sparen, dass er, wenn er einmal Pfarrer werde, zum Antritte Vermögen habe. In seiner Neigung, Anna wisse von dem zwischen ihm und Antonia Kröpfl bestandenen und noch bestehenden Liebesverhältnisse, zeigte er der Anna viele Briefe der Toni, und in jedem stand: «Lieber Ignaz ...!!!» Wie war Anna erstaunt, als sie hier alle ihre angeblich für das Kloster in Klagenfurt gemachten Stickereien sah. Beide Verliebten wussten im Schlosse Freudenau, wo er täglich Zutritt hatte, ihre Vertraulichkeiten so geheim zu halten, dass die Köchin Anna nichts wahrnehmen konnte.


     Als ich Anna Knölly das erste Mal erblickte, empfand ich eine wonnevolle Erregung in der Gegend meines Herzens, ein unerklärliches Etwas zog mich an diese holde Erscheinung, und Kopf und Herz flüsterten mir fortwährend zu: «Diese wird Deine Braut, Deine Gattin, Deine Lebensgefährtin.» So oft ich bei meiner Werkstätte aus- und einzugehen hatte, konnte ich es nicht unterlassen, einen möglichst freundlichen Blick an ihr Fenster zu werfen, wo sie von morgens bis abends bei der Nadel sass.

     Auch ihrem Herzen drohte eine geheime Ahnung; sie hielt es für unmöglich, nicht nach mir zu blicken, wobei sich dann unsere Blicke begegneten.

     Es war Sonntag, der 27. März 1829, als ich von ihr aus ihrem Fenster die für mich erfreuliche Einladung erhielt, ihre vollendete Stickerei zu besehen, welchen Hochgenuss, in ihrer Nähe zu sein, ich gleich unternahm.


     Ein gewesener Schulkamerad, Josef Zeidelmaier, war nun bei seinem Stiefvater, Lang, Kotzenmacher. Josef war ein guter Sänger und Guitarspieler. Wir hatten uns bei mir manchen Abend bei Flötenspiel, Guitar und Gesang gut unterhalten. Und die zwei Schwestern, Anna und Maria, erhielten von ihren Eltern Erlaubnis, an diesen Unterhaltungen teilzunehmen. Bei solcher Gelegenheit entbrannte Zeidelmaier in Liebe zur hübschen Maria, und wir machten sonntags gemeinschaftliche Spaziergänge.

     (57) Das seelenvolle Auge, die samtweiche Hand und die innigste Zutraulichkeit des wahren Engels Anna hatten mich vollständig bezaubert. Obwohl sie, wie sie erzählte, durch vier Jahre bei ihrer Schwester Plank in Deutsch Landsberg alle Feld- und Gartenarbeit mitmachte, hatte sie feine Hände und zierliche kleine Füsse.

     Durch näheren Umgang mit ihr hatte ich ihr feines Wesen und ihren Reichtum an Geist, Gemüt und Herzlichkeit erkannt, und nahm mir fest vor, wenn möglich, dieses unvergleichliche Wesen an mich zu fesseln.
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Freitag, 15. Januar 2010

21. Der damische Mandl - Heiratsabsichten

(50)  Von der Murvorstadt weg bezog ich ein Lokal nebst Wohnung in der Feuerbachgasse beim Lebzelter Josef Mandl. Diesen kannte ich von der Normalschule als einen guten Kerl, der jetzt aber, im Gefühle seines Ansehens als Fidei-Comiss-Besitzer – wie man sagt – sehr obenaus und übermütig war, und nur mit Durchsetzung eines ränkevollen Prozesses in den Genuss dieses Fidei-Commisses kam.


     Von den Narrheiten dieses Mandl liesse sich ein dickes Buch schreiben. Er heiratete die jüngste Tochter des Büchsenmachers Schreiber in derselben Gasse, ein in der Hauswirtschaft höchst unerfahrenes und nur in Romanen träumendes Geschöpf. Er hatte zwei Gesellen, eine Kindsmagd, ein Ladenmädchen und einen Hausknecht, welche Leute fast gar nichts zu tun hatten. Dann hatte er immer vier bis sechs Arbeiter im Küchengarten, die das zeitige Gemüse, wo arme Familien wochenlang zu leben gehabt hätten, in die Düngergrube werfen und wieder neu stechen und pflanzen mussten. Mandl hatte ein junges Pferd, strapazierte dasselbe vormittags mit Reiten und nachmittags mit Fahren. Der Hausknecht musste oft mich, den nächsten Schlosser Lerk, Tischler Knotz und viel andere sehr dringend zu äusserst nötigen Arbeiten im Keller zusammenberufen. Mandl sperrte dann innerhalb zu und wir mussten trotz aller Proteste essen und trinken, was wir konnten.


     Je mehr Jux und Lärm entstand, desto behaglicher und fröhlicher fühlte er sich und liess die Zecher nicht früher fort, bis er sie selbst vor Rausch nicht mehr erkannte. Oft nahm er bei seinen Ausfahrten mich und mehrere Bekannte mit, die er immer bei den grössten Gelagen zechfrei hielt und war überglücklich, wenn es nur recht Spektakel gab. Kam Mandl in ein Gasthaus in der Stadt, so brachte der Kellner, der ihn schon kannte, Wein, Bier, Brot, Würste und Käse im Überflusse, denn wer nur da war, musste bei Vermeidung der Ungnade und Grobheiten zugreifen und sichs schmecken lassen.

     Stand er mit Lebzelterwaren bei den Kirchtagsfesten, so benahm er sich dort gegen die ländlichen Schönen auf das Schamloseste. Wenn er dafür auch vom Verkaufsstande weg geholt und mehrere Stunden im Arrest angehalten wurde, so lachte er darüber, hatte er doch seine närrischen Streiche ausgeübt. Kam aber während des Teilhabens ein Regen, so war Mandl wütend, fluchte und schimpfte unbändig wie der roheste Bengel, packte die Lebzelterwaren samt Plache, warf alles in die Warenkisten und trat und stampfte darauf herum wie ein  (51)  Besessener, ohne zu achten, welchen Schaden er hatte.

     Nach drei Jahren dieses wüsten Lebens hatte er schon solche Not, dass seine Gattin beim Mangel eines Dienstboten um dreiviertel auf zwölf ein Kind auf der Strasse ansprach, vom Greissler vier Lot Schmalz zu holen, damit sie das bescheidene Mittagsmahl fertigmachen konnte.

     Aus der erfolgten Sequestration des Fidei-Commiss-Gutes, wozu auch das Haus neben dem Kaufmann Koch am Hauptplatze gehörte, erhielt Mandl nebst Verpflegung für seine Person noch täglich einen Silberzwanzger. Die Gattin kam ins Elternhaus zurück, und nach dem, durch Sauferei und bald erfolgtem Tode des damischen Mandl, kam das Fidei Commiss an den Lebzelter Mandl Johann, da laut Fidei-Commiss-Urkunde der Besitzer nur ein gelernter Lebzelter und geborener Mandl sein musste.

     Nach dieser kleinen Abweichung von meinen eigenen Angelegenheiten muss ich doch wieder meine Heirats-Affairen besprechen. Wie es in solchen Fällen schon geht, waren mir von verschiedenen Seiten Partien angeraten worden.


     Zum Gastwirt Schauer anfangs Karlauerstrasse, wohin ich oft mit meinen Eltern kam, ging auch ein pensionierter Hauptmann, namens v. Beck, mit seiner Nichte, die sechstausen Gulden Vermögen hatte. Die Wirtin Schauer drang sehr in mich, diese Reiche nicht auszulassen, da der Alte ihrer Obsorge überdrüssig und sie mir zu geben willens sei. So viel Einsicht hatte ich aber doch, dass eine Adelige nicht für einen armen Binder passt. Ich hatte zwar immer noch den herzigen Käfer, die Wagnerstochter Pepi Schwarzmann, in seliger Erinnerung und hatte auch der Frau Fels eine kleine Andeutung brieflich zugesendet, jedoch, wie schon so oft gesagt, fehlte mir immer die Redegabe, und der Mut, um Ernst zu machen, obwohl ich die Schwarzmann bisher als die Solideste kannte.

     An einem Sonntag früh erhielt ich von meinen Eltern die Weisung, Punkt zehn Uhr zum Floriani-Wirt zu kommen, um dort die mir bestimmte Zukünftige in Augenschein zu nehmen und das Weitere zu besprechen, da von Hitzendorf eine Schulmeisterstochter mit ihren Verwandten und um diese Stunde auch meine Elter dahin kämen.

     (52)  Ich erkundigte mich aber dort viel früher und machte unerkannt die Bemerkung, dass die eben ankommende Hitzendorferin wegen ihrer grossen Schönheit und den leidenschaftlichen Blicken im Gegensatz zu meiner Schüchternheit und Unerfahrenheit meine Partie nicht sein könne. Ich machte mich vor Ankunft meiner Eltern aus dem Staube, liess die Gesellschaft vergeblich warten und hatte dafür nachträglich scharfe Verweise zu erdulden.

     Mir selbst war es gerade nicht darum zu tun, verheiratet zu sein, doch wegen der eigenen Wirtschaftsführung war mir eine einsichtsvolle Ehegattin höchst wünschenswert.


     Beim Goldenen Ross in der Maria-Hilfer-Gasse war eine fesche Köchin, die mir auch mehrseitig als gute Partie mit einigen hundert Gulden angeraten wurde. Da sie aber sehr lebenslustig war und den gegenüber befindlichen Schmiedsohn Leistentritt, welcher während seiner Tierarztstudien in Wien sich auch mit der erwähnten Johanna Seidnitzer unterhielt und ein bekannter Don Juan war, mit einem Mädchen beschränkte und ich im ganzen Wesen der Köchin ein zu leichtfertiges, schnippisches Benehmen bemerkte, so wollte ich mich da gar nicht der Gefahr eines Korbes aussetzen. Sie heiratete dann den erwähnten Schmied Horitzer, einen Böhmen, führte mit ihm im eigenen Hause nächst dem sogenannten Weissnegerhofe gute Wirtschaft, hatte aber aus extra Barmherzigkeit immer Gesellschaften aus dem Barmherzigen-Kloster bei sich.

     Mein alter Freund Hernegger hatte zur Kundschaft auch eine Bäckerstochter aus Obersteier, welche in Graz lernen sollte, was eine bürgerliche, tüchtige Hausfrau benötigt. Hernegger machte mich auf diese Anna aufmerksam und es wurde verabredet, dass er samt Frau und Anna nächsten Sonntag in den Garten zum Johanniswirt in Münzgraben gehen werde und ich dann wie zufällig dahin kommen sollte.

     Da hatte ich nun die beste Gelegenheit, die Anna zu beobachten. Ja, sie war hübsch, in jugendlicher Fülle, voll gewinnender Freundlichkeit, mit herzigen Grübchen in den Wangen, doch aus ihrem sehr gesprächigen Schnabel kamen mitunter sehr zweideutige Wendungen, die vermuten liessen, dass sie an Bekanntschaften keinen Mangel gehabt und sich dann als Gattin manche Freiheiten erlauben dürfte; (53) denn sie wusste vom flatterhaften Bäckermeister Egel sehr viel zu erzählen und hatte somit sehr leichte Grundsätze.

     Ei, dachte ich mir wie bei der Hitzendorferin, ich sollte dann fleissig arbeiten, mich scherren und rackern, während die saubere Gattin auf meine Kosten sich von Schmetterlingen umflattern liesse. Das gibts nicht! Und da ich den Abgang an Kraft fühlte, gegen weibliche Übergriffe energisch auftreten zu können, so leitete mich mein guter Stern aus diesem Zauberkreise.

     Nachträglich erzählte mir der über fünfzigjährige Johann Mierender, Lerchenwirt am Griesplatze, dass er auch Heiratsabsichten mit dieser Anna hatte, jedoch rechtzeitig gewarnt wurde, und mich sehr bedauert hätte, wenn ich aufgesessen wäre.


     Der früher in der Karlau und nun am Gries etablierte reiche Bäckermeister Walenta, ein Tscheche, hatte eine viel jüngere Schwester bei sich, die war klein und vernünftig, in häuslichen Wirtschaftssachen kenntnisreich, flink, unermüdet, arbeitsam und hatte durchaus im Sinne, mich mit ihrer Liebe zu bestricken. Ich hatte für Walenta die Binderarbeiten zu besorgen und damit die Möglichkeit, dass die kleine Böhmin nur recht oft zu mir kommen konnte, weil im Hause Walenta bald Schaffl, Zuber, Bottich oder sonstiges Gefäss schadhaft und reparaturbedürftig war. Und da ich Walenta von Kindheit her kannte und er mir sehr geneigt war, hätte ich hier keine schlechte Partie machen können, aber ich konnte mich für diese böhmische Landschaft nicht begeistern.

     Mit einem Kollegen aus der Normalschule, Josef Wadiach und Mathias Pilz, hatte ich die Kameradschaft fortgesetzt. Ersterer war als gelernter Maurer nun gut angestellter Zeichner bei einem Baumeister und Letzterer war Schmiedegeselle bei seinem Stiefvater Hacker am untern Gries. Die Schwester des Mathias Pilz, auch namens Anna, hatte auch alles Nötige für eine Hausfrau gelernt, war nicht übel aber beschränkten Geistes, sehr putzsüchtig und nicht haushälterisch, und hatte unter mehreren Verehrern sich den Wirtsohn Rauch als Erwählten erkoren. Und da ich sehr oft ihren Bruder besuchte, und Herr Hacker wusste, dass ich eine Gattin benögigte, zeigte er mir die Vermögens-Ausweise der Anna Pilz per dreitausend Gulden, wenn ich zugreifen wollte.

     (54)  Obwohl ich ihr in nur nachbarlicher Freundschaft nicht abgeneigt war, ihr eigenes Vermögen mir sehr angenehm gewesen wäre und ihr nach ihrer drei Häuser mit grossen Gärten besitzenden Tante Schnitzer vulgo Lakenhiaslin einst auch eine hübsche Erbschaft in Aussicht stand, so konnte ich mich doch nicht entschliessen, mit dieser Anna Pilz eine ernstliche Verbindung anzuknüpfen.
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Donnerstag, 14. Januar 2010

20. Flucht - Gscheiter als der Vater - Meister mit 20

    Um drei Uhr früh gingen meine Eltern in Handelsgeschäften aufs Land, und um vier Uhr früh begehrte eine Patroullie Einlass, indem sie gewiss wüsste, dass ich in dieser Nacht nach Hause gekommen sei.

     Meine Schwester Marie, die von meiner Ankunft nichts wusste, diskutierte mit den mich am Boden suchenden Gerichtspersonen, während ich mich am Dache hinter dem Rauffange dukte; und die Kommision musste leer abziehen. Ich sagte dann der Schwester, dass ich mich in die Eggenberger Allee begeben werde und stieg über unseren und des Nachbars Zaun, schlich über die Wiesen und Felder fort ins Freie. Und da zum Besitze und Betriebe des für mich angekauften Bindergewerbes meine Grossjährigkeitserklärung nötig war, kam mein Vater nach und ging mit mir in die Kanzlei zu Eggenberg als Vormundschaftsbehörde.

     Auf die Frage des Rentmeisters Johann Nepomuk Weber, ob ich wohl zur eigenen Vermögensgebahrung die nötigen Kenntnisse besitze und Fähigkeiten dazu habe, sagte mein Vater: «Mein Sohn ist gescheiter als ich selbst!»

     (48)  Ich hatte bisher wohl erstaunlich viel gelesen, war von der Normalschule her gut unterrichtet und aus Büchern in der Länderkunde sehr erfahren, sowie zum Betriebe meiner Profession vollständig kundig. Was aber nötig war, eine selbständige Häuslichkeit zu begründen und zu behaupten, das mussten erst Zeit und Umstände lehren. Spät abends gingen wir zu dem erwähnten Anton Hernegger, Wäscher am unteren Grazbach, wo ich 14 Tage in Verborgenheit lebte und in dieser Zeit beim Wäsche Rollen und Bügeln fleissig geholfen habe.

     Mittlerweile wurde die Grossjährigkeitserklärung erledigt und ich an den Besitz des Realgewerbes geschrieben, und erst jetzt durfte ich aus meinem Verstecke hervorkriechen und mich wieder ohne Anstand auf die Gasse wagen.

     Ein Abenteuer während meines Exils beim Hernegger sei hier erwähnt: Dessen Arbeitsleute hatten eines Abends sehr viel zu bügeln und dabei sehr viel Durst, aber niemand hatte Zeit, einen Trunk zu holen. Es war stockfinster und ich wagte es, zum nächsten Gasthause um Bier zu holen. Kaum zehn Schritte entfernt erscholl ein furchtbarer Ruf: «Halt wer da?» Bald hätte ich vor Schreck den Krug fallen lassen und ich glaubte, entweder die geheime Polizei oder der Teufel hat mich schon am Kragen. So viel Geistesgegenwart hatte ich aber doch «gut Freund» zu antworten, wonach ich frei passieren konnte. Am Rückwege jedoch wurde ich wieder angeplärrt. Die Sache erhielt ihre Aufklärung dadurch, dass dem Wäscher gegenüber eine dem Militär als Wagenremise verpachtete Hütte nur des nachts von Soldaten bewacht wurde, bei Tage aber keine Schildwache dort stand. Ich hatte nun die Winkler'sche Binderwerkstätte samt allen Werkzeugen und dem Gesellen Jakob Matzer in der Kurvorstadt, dem Elefanten gegenüber übernommen, und musste sogleich ein zwanzigeimriges Fass als mein Meisterstück in die Arbeit nehmen. Zugleich mit den Bindern Johann Zorn auf der Lend und Anton Mauchart im dritten Sack wurde ich –  erst zwanzig Jahre alt – Meister, und bald darauf mit den Kürschnern Gottschaber und Auss, auch Bürger, wonach ich auch wieder dem neu errichteten uniformierten Bürger-Korps beitrat.

     Meine Eltern haben einstweilen mich samt Gesellen und dem Lehrbuben mit der nötigen Kost versorgt, jedoch auch gedrängt, mich um eine reiche Braut umzusehen, mit deren Vermögen ich ein Haus kaufen könnte.


     (49)  Ich hatte zwar das platonische Herzensverhältnis mit der benannten Reinhold Pepi fortgesetzt, obwohl ich infolge der zwischen den beiderseitigen Eltern herrschenden Abneigung kein Resultat erhoffen durfte, und den Wankelmut der Pepi kannte. Denn sobald die von ihren Eltern begünstigten Freier, der Weissgärber Hoffmann und der Schmiedemeister Thomas Horitzer – jeder über vierzig Jahre alt – ihr den Hof machten, brach sie mit mir das Verhältnis ab, in der Meinung, bei anderen eher unter die Haube zu kommen, als bei mir. Und als ihre Heiratsprojekte in Nebel zerfielen, war ich verblendet genug, ihr noch weiter den Narren abzugeben und konnte sehr böse werden über solche Personen, die ihr näher waren, ihren Karakter kannten und über sie wenig Gutes zu sagen wussten.

     Mein Vater war so gutmütig, sonntags vier Uhr früh die eigene einspännige Gelegenheit in Stand zu setzen, wenn ich um sechs Uhr früh wieder mit der dicken Pepi eine kleine Lustfahrt machen wollte. Da fuhren wir beide auch am 29. Juni nach St. Peter bei Graz und sahen dort auch den Schmied Horitzer.


Als wir am Gasthause weg- und zurückfuhren, riefen uns mehrere Leute nach, dass ein hinteres Wagenrad sogleich von der Achse sich löse. Ich suchte eine Strecke weit zurück nach der verlorenen Achsschraube und hatte Verdachte, auf den Schmied Horitzer, dass er während wir in der Kirche waren, aus Eifersucht in boshafter Weise die Schraube abgenommen habe, damit wir, wenn das Rad abginge, aus dem Wagen fallen sollten.

     In St. Peter war kein Schmied zu Hause, um eine andere Schraube herzugeben und wir mussten langsam bis zur Reitschulgasse, wo wir beim dortigen Schmied eine passende Schraube um dreissig Kreuzer erhielten. Dann konnten wir erst richtig weiterfahren.

     Zu meinem Glücke fielen mir rechzeitig die Schuppen von den Augen, als der taube fünfzigjährige Schmiedmeister in der Karlau als neuer Freier auftrat und ich ihr dann ernstlich für immer entsagte. Da erkannte ich, dass ich mit der Pepi, die ein besonders dickes, fettes Genick hatte, wohl nicht glücklich werden könnte.
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Dienstag, 12. Januar 2010

19. Wiener Erfahrungen - Rückreise nach Graz

    Da kehrte ich diesem Krauterer den Rücken, ging zur Tante Theres am alten Fleischmarkt Nr. 687 neben dem grossen Hotel Stadt London und erzählte ihr lachend den Spass. Sie lachte mit und richtete mir aus einem vom Fasching erübrigten und nun im Rauchfange gehangenen steirischen Kapaun eine geniessbare Mahlzeit. Als ich Dienstag darauf wieder beim Meister arbeiten wollte, sagte er, dass er aus Mangel an Arbeit den Böhm und den Schwaben entlassen und auch mich nicht mehr zu beschäftigen habe.

     Ich suchte eine Woche lang Unterkommen, schlief abwechselnd bei dem auf der Wieden beschäftigten Bindermeisterssohne, Peter Rücker aus Radkersburg, dann auf der Herberge unter 60 arbeitslosen Gesellen und in der Wohnung meiner Tante. Bei dieser wohnte auch eine pensionierte Herrschaftsköchin, die ihre Freude an befiederten Sängern hatte. In neun Käfigen waren Rotkehlchen, Schwarzblattl, Amseln, Kanari etc. und ein abgerichteter Star, welche zusammen einen Höllenlärm machen konnten. Und als der zu diesem Konzert einmal geladene Peter Rucker die Spässe der Stare hörte, musste ich bald befürchten, dass Peter aus dem Lachkrampfe nicht mehr herauskäme.

     Auf die Fürsprache der Tante bei ihrer Kundschaft, dem Herrn Hotelbesitzer Leitgeb in der Leopoldstadt, und sonach durch dessen Vermittlung wurde ich in der zweiten Osterwoche in der Weinhandlung des Johann Ruprecht zum Schwarzen Thore an der Ecke des Minoritenplatzes als Kellermeister aufgenommen und kam hier in einen ganz neuen Wirkungskreis. Hier war zugleich grossartiges Gasthaus. Die Masse Dienerschaft aller in der Nähe wohnhaft gewesenen Gesandten kamen hierher zur Mittags- und Abendkost. Ich hatte die Aufsicht über die Weinvorräte von ca. 5000 Eimern und musste mit einem Gehilfen die damit verbundenen Arbeiten besorgen. Wir waren im ganzen dreizehn: die Dienstleute und in der Küche noch ein niedliches Lehrmädchen mit appetitlichen Grübchen und Rosenwangen.

     (45)  Der Herr war ein mittelgrosser, hagerer, jähzorniger aber sehr umsichtiger Mann aus Feldsberg und die Frau von kolossaler Statur und – ungeachtet einer geborenen Wienerin  – in sehr langsamer Redeweise und Bewegung. Durchschnittlich wurden täglich zehn Eimer Wein und zwanzig Eimer Bier vom Fasse, dann noch eine Menge Weine und Biere in Boutaillen an die Gäste abgegeben.

     In  der Küche wurden täglich eineinhalb Zentner Fleisch, wöchentlich drei Zentner Butter, zwei Eimer Essig und ein Klafter Holz und eine Unmasse Gemüse verbraucht. In den Gastzimmern wurden noch grosse Quantitäten an Käse und Schinken aufgechnitten. Das Haus war ausser dem hohen Erdgeschosse drei Stock hoch und ebenso tief unter der Erde, denn es waren drei Keller untereinander gebaut, mit grossartigen Gewölben und mächtigen Pfeilern und Quadern.

     Von der Gasse aus führte eine sechs Schuh breite, steinerne Stiege mit zwanzig Stufen in den ersten Keller, dann zwanzig Stufen in den zweiten und fünfundzwanzig Stufen in den dritten Keller. Über jedem war eine Falltüre, dann vor dieser noch nach links und rechts ungeheure Räume. Ankommende Weine wurden vom Wagen herab mittels lederner Schläuche durch die Keller herabgelassen und in die Fässer expidiert. Im dritten Keller lagen zehn Hunderteimerfässer und eines mit hundertdreissig Eimern. Verkaufte, volle Fässer zu je zehn bis zwölf Eimer wurden mit einem eigenen, am Zahnrade befestigten Seil, über die Stiege hinaufgezogen.

    Ich wurde von den mir obliegenden Arbeiten wohl sehr erschöpft, und obwohl ich gewöhnlich erst um ein Uhr nachts zur Ruhe kam, war ich um vier Uhr früh bis halbsechs schon vor der Stadt, da ich dem Volksgewühle und dem Verkehr am Donaukanale gern zusah.

     Ich hatte keine besonderen Bedrüfnisse, wohl aber Freude am Sparen, so dass ich bald hundert Gulden Wiener Währung beisammen hatte und diese meinen Eltern sandte, während mein in Brünn als Schuhmacher befindlicher Bruder Franz immer um Geld nach Hause schrieb. Inzwischen erhielt ich vom Magistrate Graz eine Vorladung zur abermaligen Stellung; und da nach damaligen Rekrutierungsgesetzen der Besitz und Betrieb eines Realgeschäftes vom Militär befreite, so hatten mein Eltern für mich vom alten Bindermeister Johann Winkler dessen Gerechtsame um sechshundert Gulden erkauft.

     (46)  Da Herr Ruprecht mich nicht fortlassen wollte, so kehrte ich mich nicht um die Vorladung. Da las ich aber zufällig in der Wiener Zeitung meine Einberufung und beachtete sie wieder nicht. Da jedoch nach dem darauffolgenden Edicte alle Behörden aufgefordert wurden, die Zitierten und nicht Erschienenen, wo immer gleich aufzugreifen und einzuliefern, ich hier sonach als Flüchtling ertappt werden konnte, so liess ich mein Wanderbuch nach Graz vidieren und machte mich auf die Beine, wunderte mich aber nachträglich, dass ich nicht im Polizeiamte gepackt wurde.


     Ich machte meine Rückreise wieder auf dem Bocke eines Landkutschers, für die Fahrt per vier Gulden Wiener Währung. Ein Sitz innerhalb des Wagens kostete vierzehn Gulden. Im selben war wieder ein Kaufmann, ein alter, gemütlicher Herr, dann eine Militärarztensgattin, die von Prag ihrem nach Graz übersetzten Manne mit einem fünf Monate alten Kinde nachreiste,  und ihre schwäbisch redende Mutter. Das Kind war krank, schrie erbärmlich und beschmutzte sich unaufhörlich. Die Herbstwitterung war unfreundlich und kalt, so mussten die Wagenfenster geschlossen bleiben. Konnte der alte Herr den Gestank im Wagen nicht aushalten, so machte er ein Fenster auf, als ob er die Gegend betrachten wollte; aber gleich polterte die Alte, das Fenster zuzumachen. Auf halbem Wege der schnurgeraden Strasse zwischen Neustadt und Neunkirchen spät abends überfiel mich ein lästiger hinterpommerscher Zustand. Ich musste absteigen und ersuchte den Kutscher, langsam zu fahren, dass ich ihn leicht einholen könne, aber der Kerl fuhr gewissenlos im Tab weiter, und ich musste nach überstandenen, hinteren Ängsten in der finsteren Nacht und in der einsamen, verrufenen Gegend, wo manche Mordtat geschah, eine Stunde lang nachlaufen und konnte den Wagen, den ich immer von hinten hörte, erst an der Maut zu Neunkirchen erreichen.

      Da ich wusste, dass wieder im nämlichen Gasthause eingekehrt werden würde, wo ich bei meiner Reise nach Wien die teure Zeche hatte, so gab ich hierüber dem Kaufmann und der Arztensgattin einen Wink. Um mich vor grossen Kosten zu bewahren, machte der mir ausnahmsweise freundliche Hausknecht im Stall ein gutes Strohbett zurecht, wofür ich ihn an der von Wien mit erhaltenen Boutaillie Wein nebst Wurst, (47) Käse und Brot teilnehmen liess und dann sehr gut schlief.

     Mit Anbruch des Tages machte mir der Kaufmann den Antrag, ich möge ihm meinen Sitz am Bocke überlassen, da er als alter Mann den unausstehlichen Geruch im Wagen und das Geschrei nicht mehr ertragen könne. Dafür wollte er mich bis Graz zehrungsfrei halten. Aus Rücksicht für das Alter und die Gemütlichkeit des Kaufmannes und um etwas zu ersparen, nahm ich den Vorschlag an und hatte nun selbst alle Unannehmlichkeiten im Wagen durch zwei Tage zu ertragen.

     Bei jeder Station hatte die alte Schwäbin eine Masse Windeln zu waschen. Um etwas den widerlichen Dünsten zu entkommen, machte ich von Schottwien weg bis zur Höhe des Semmerings den Weg zu Fuss. Ohne sonstige Unfälle kam ich nachts elf Uhr in Graz an. Nach leisem Klopfen beim Elternhause liess mich der Vater ein und bedeutete mir, mich still und ruhig zu verhalten, auf dem Hausboden zu schlafen und auf meine Flucht bedacht zu sein, da ich immer als Rekrutierungsflüchtling gesucht würde.
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