Montag, 21. Juni 2010

78. Besuche in Leoben und Graz

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     Am 4. Mai 1890 war für den in Pension tretenden 83-jährigen Herrn Pfarrer eine grosse Abschiedsfeierlichkeit anberaumt. Die Feuerwehren von Aflenz, Grassnitz und Thörl zogen in Parade in den grossen Hof vor dem Pfarrhof. Die Musiker spielten einige Stücke. Beinahe alle zur Pfarre gehörenden Bewohner waren zugegen. Herr Bezirksrichter nebst Amtspersonale, Steueramt, Bürgermeister, viele anwesende Bürger und die Werksbeamten von Thörl etc. machten ihre Abschiedsvisite beim Herrn Pfarrer, welcher dann herabkam und tief gerührt dankte, da auch Herr Dr. Fürst eine Abschiedsrede hielt.

     Nach der Zeremonie wurde beim Bezirksgericht die erste gegründete Aflenzer Bezirkssparkasse eröffnet. Herr Dr. Euard Neuhold fungierte als Direktor.

     Auf Anregung des hier wohnenden Herrn Dr. Kutschera, der sich für die Anlegung der neuen Spazierwege sehr interessierte, wurde ein Kurverein errichtet.

     Nachdem nun bald Pfingsten heranrückte, kam mir wieder der Gusto, wie schon mehrmals, wieder nach Wien zu fahren. Mein Herr Sohn riet mir davon jedoch ab wegen meiner mehrfachen Unpässlichkeiten. Auch war wegen der ungestümen Witterung die Reise nicht ratsam. Als er aber sagte, dass zu Pfingsten Herr Major Plank mit seinen Schwestern, Frl. Domenika, nach Leoben kommen werde, so fuhr ich am 25. Mai dahin und hatte lange nicht mehr gesehene Verwandte meiner verstorbenen Gattin, Herrn Johann Maister, Hafnermeister in Pettau und dessen Gemahlin zu begrüssen. Sie kamen eben auf Besuch zu deren hübscher, freundlicher und mit einem gutherzigen Beamten zu Leoben verehelichten Tochter. Zur Bewillkommnung ihrer Eltern war auch sie am Bahnhof. Herr Plank und Mina kamen mit dem Abendzuge. Diese und ich wohnten bei der werten Familie Wawrinek, wo es allen vortrefflich ging. Herr und Frau Maister wohnten bei der Tochter.


     (190)  Die unfreundliche Witterung war auch hier so, dass nur Ausflüge in die nähere, dennoch herrliche Umgebung gemacht werden konnten. Am 27. Mai fuhren Herr Plank, Mina, Frau Wawrinek und Hans Sommeregger nach Vordernberg, machten von dort den vier Stunden weiten Weg zu Fuss zu dem berühmten grünen See und kamen abends wieder nach Hause.


     Am 29. Mai fuhren Herr Plank und Frl. Mina nach Graz. Und weil ich nach zwei Jahren meine Vaterstadt wieder sehen wollte, fuhr ich mit der Bahn ebenfalls nach Graz und zurück und zahlte dafür 2 Gulden 8 Kreuzer. Ich speiste dort zu Mittag bei Kathi Stadler, Zimmermädchen beim pensionierten Oberst, Herrn Belegishanin. Während dem Essen entlud sich über der Stadt ein heftiges Gewitter, der Blitz schlug dreimal ein, ohne jedoch zu zünden.


     Zweimal sass ich zu Mittag bei Herrn Plank. Ich benützte die Pferdebahn bis zum Hilmteich und zurück, besah auch die Warte auf der Höhe, und am Grab meiner unvergesslichen Gattin kamen mir die Tränen. Ich glaubte, im vernichteten Johanneum-Garten schon einige Neubauten zu erblicken, aber es war erst ein Haus zum Bauen angefangen.

     Zwei Nächte schlief ich in der Wohnung der Frau Ressler, meiner im Jahre 1830 gewesenen Kranzljungfer. Sie war inzwischen 78 Jahre alt geworden, schon sehr altersschwach, und kam wegen Mattigkeit der Füsse seit mehreren Monaten nicht mehr aus dem Bette. Ich wurde bei ihr abends und morgens mit vortrefflichem Kaffee bewirtet. Ich wollte den Herrn Franz Kiebeger, Nachfolger des ehemaligen Seifensieders Knaupert Valentin besuchen. Da aber in dessen Haus um 7 Uhr früh noch Stille war und mir niemand begegnete, so war ich in der Meinung, es schläft noch alles oder jemand ist krank. Frau Ressler sagte mir, dass ihr Bruder Knaupert, Seifensieder in Leibnitz kürzlich verstorben ist. Er war 74 Jahre alt.

     Am 31. Mai fuhr ich von Graz wieder nach Leoben, wo ich für Wawrinek 3 1/2 Tage lang mit Reparaturen schadhafter Nähschatullen und Kartandeln beschäftigt war. Ich sah dort auch zwei goldene Hochzeiten, eines Eisenwerksarbeiters ud eines Zimmermeisters. Am 4 Juni 1890 erlebte ich meine 83. Geburtstag und am 7. Juni reiste ich wieder nach Hause. Am 30. Mai ist Herr Maister samt Frau zurück nach Pettau gereist. Für Sonntag, den 8 Juni hatte ich drei Körbe Brennholz zu besorgen. Dann machte ich nach und nach Kuverts für die Aflenzer Sparkasse und den Kurverein. Der erwähnte Franz Kienberger starb am 22. Juni 1890, 59 Jahre alt, am Speiseröhrenkrebs.

     (191)  Am 31. Oktober 1890 schrieb ich wieder weiter an meinen Aufzeichnungen. Am 9. Juni kam ein Klafter Holz. Wenn Sträflinge vorhanden waren, hatten diese das Brennholz mit der Säge zu zerschneiden, welches ich dann mit der Hacke zerkleinerte. Seitdem jedoch Verpflegungsstationen errichtet worden waren, wo die reisenden Allmosenempfänger verpflegt wurden, kamen keine Bettler oder Vagabunden mehr zur Haft, und so kam die ganze Holzarbeit auf mich.

     Dann und wann hatte auch der Herr Bezirksrichter einige Scheiter durchgesägt. Vom 9. Juni 90 bis Ende Oktober wurden 5 Klafter verbraucht. Am 13. Juni kam meine Enkelin Ella Hajek von Wien mit ihren Mädchen von 3 und 4 Jahren hierher auf Besuch. Diese Kinder hatten kurz vorher in Wien die Masern überstanden. Sie kamen hier in Waldes- und Gebirgsluft sehr zu Kräften.
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Dienstag, 8. Juni 2010

77. Wie ich mich selber kurierte

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     Nach eingetretener Pause schreib ich erst am 13. Jänner 1890 weiter.

     Am 21. Juni 1889 fuhr ich von Wien mittags ab nach Bruck. Früher fuhr ich direkt nach Graz, wo ich mich stets einige Tage aufhielt, und zwar bei den Eheleuten Johann und Elise Wawrinek. Da diese aber nach Verkauf ihres Hauses für 15 000 Gulden, und des Warenlagers nach Leoben übersiedelten, fuhr ich statt nach Graz mit der Tour-Retour-Karte für 64 Kreuzer nach Leoben, wo ich am Bahnhofe von allen Bekannten freundlich bewillkommt wurde. Tags darauf fuhren Wawrinek's nach Graz, um das Einpacken ihrer Möbel und den Transport derselben nach Leoben zu besorgen. Ich musste bis zu deren Rückkunft dableiben und unterhielt mich mit den Sommereggschen Kindern Elsa, Hans, Viktor, Hulda und Erika. Nach sechs Tagen kamen beide Eheleute zurück. Ich musste noch dableiben bis zur Ankunft der Möbel. Die Hälfte meiner Fahrkarte verkaufte ich am Bahnhof an einen nach Bruck fahrenden Reisenden für 30 Kreuzer.

     Nach weiteren vier Tagen hatten vier starke Dienstmänner die Möbel vom Bahnhof herein in den 2. Stock des Sommeregg'schen Hauses zu schleppen. Ich hatte vollauf zu tun, die 27 Kolli in Papier und Stroh sorgfältig gepackten und in Sackleinen eingenähten Spiegel, Bilder, Tische, Lampen, Kästen etc. aufzumachen.

     Ich hätte noch länger dableiben können, aber eine geheime Ahnung zog mich fort. Und so fuhr ich am 3. Juli per Bahn nach Bruck und von dort um 1/2 9 per Post für 1 Gulden 60 Kreuzer mit dem Postillon nach Aflenz, nachdem ich von dort 26 Tage abwesend war.


     Nachdem ich schon seit langer Zeit in der grossen Zehe des rechten Fusses dann und wann Schmerzen verspürte, hatte ich für die Reise nach Wien ein Fläschchen Slivovitz für Einreibungen mitgenommen, was für die 25 Tage wirklich nötig war. Merkwürdig aber, kaum zu Hause angelangt, liess der heftige Schmerz ganz nach und meldete sich nicht mehr.

     Im Auftrag des Herrn Karl Kreft in Graz hatte ich sogleich für den Notar Schönstein im Cillier Kreise 300 Kuverts für Sparkassenbüchl zu machen. Für Herrn Gmeiner in Bruck machte ich 100 Sparkassenbüchlkuverts und 80 lange Kuverts. Dem Kaufmann Hatzmann in Thörl hatte ich 1100 Kuverts gemacht, und bei den Sommerfrischlern in Aflenz habe ich einige Pakete angebracht. (188) Seit ich hier bin, habe ich bis Ende 1889 21054 Kuverts verkauft.

     Wegen mehrfacher Beschäftigungen an der Fortsetzung meiner Erlebnisse verhindert, kam ich erst am 24. Juni 1890 zum Weiterschreiben. In einem Brief an Karl Kreft über die Sendung der Kuverts nach Schönstein ersuchte ich ihn um fernere Aufträge. Zu meinem Bedauern jedoch las ich in der Zeitung von seinem Ableben im 59. Lebensjahre. Mir war es sehr leid um ihn, da ich ihm sehr viele Kuverts brachte.

     Für die Tombola am Sylvesterabend machte ich wieder eine grosse Schachtel mit 27 kleineren Schachteln, dann einen zierlichen Wandkorb, und gab noch ein Bild in Goldrahmen «Residenzplatz in Salzburg» dazu und deklamierte wie gewöhnlich ein Paar Stücke.

Von Anfang Winter liess der Herr Bezirksrichter, Herr Dr. Eduard Neuhold in unserem Obstgarten eine Eisbahn errichten, auf welcher sich die Herren Beamten, Geistlichen und mehrere Bürger, so lange das Eis anhielt, sich mit Eisschiessen trefflich unterhielten.

Wegen Preiserhöhung der Zigarren gewöhnten sich mehrere Raucher an Tabakspfeifen. Und da der Pfeifenclub am Faschingssonntag in Franz Wiegers Gasthaus einen Juxabend veranstaltete, malte ich hierzu auf starkes Papier ungefähr 2 m hoch und 1 1/2 m breit das alte Lied «Vom blauen Hansl» in 36 Figuren und trug das Bild wie eine Art Moritat vor, welches allen gefiel.

     Als der gefrorene Boden aufgetaut war, wurden über den nächsten Berg wieder neue leichte, gangbare Wege hergerichtet und mit vielen Bänken und Tischen versehen. Alle Wegweiser zu angenehmen Punkten: Waldhauch, Koplitz-Brunnen, Augusten-Ruhe, Elisen-Brunnen, zum Pierer, Finareck, zur Wald-Idylle, zum Bürger-Graben. An geeigneten Stellen wurden beschriebene Blechtafeln angebracht, wonach sich die Sommerfrischler beim Besteigen der Berge überall zurecht finden können. Ein Weg führt auch in den Fölzgraben. Am Anfang all dieser Wege befindet sich eine schattige Laube mit der Bezeichnung «Kaffee-Haus zum Terziären Affen».

     Gleich nach Ostern befiel mich ein so heftiger Lungenkatarrh, an dem ich wohl viel zu leiden hatte. Der entsetzliche Krampf- und Keuchhustenkatarrh marterte mich Tag und Nacht mehrere Wochen lang. Ein benachbarter Sattlermeister hatte die nämlichen Zustände und sein Arzt sagte, dies wären die Nachwehen zur Influenza. Diese Krankheit belästigte vor vielen Jahren unter dem Namen Grippe fast die ganze Stadt Graz. Als ich den Anfall auch an mir wahrnahm, schleppte ich aus der Holzlage ein dickes Buchenscheit in meine Wohnung im 4. Stock und hobelte daran aus Leibeskräften, so dass mein ganzer Körper in tüchtigen Schweiss gebadet war. (189)  Nach Anziehen eines frischen Hemdes waren alle Anzeichen der Grippe verschwunden.

     Als im März 1890 in Aflenz die dumme Krankheit Influenza auftauchte, war ich der erste, den sie packte. Aber sogleich griff ich nach der Holzsäge und schnitt mehrere dicke Scheiter durch mit aller Kraft, so dass ich enorm ins Schwitzen kam. Wieder nahm ich ein frisches Hemd, und das Übel war ganz weg. Währenddem kämpften manche Familien wochenlang dagegen an, so dass selbst die Ärzte wegen Überanstrengung marod wurden. Bezüglich meines qualvollen Keuch- und Krampfhustens erwartete ich schon mit Sehsucht, dass im nahen Walde die jungen Fichtensprossen hervorkämen. Ich pflückt davon eine Menge und kochte davon einige Tage lang morgens und abends eine Handvoll, trank dann diesen Tee, und nach zwei Tagen war der grosse Husten vorüber. Ich konnte nun wieder Kuverts machen.
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