Donnerstag, 28. Oktober 2010

85. Ach, wie viele Leiden ...

      .
     Nach dem Schnee von Anfang November 1891 war die Witterung bis Mitte Dezember lau und angenehm. Viele Leute befürchteten, dass es nicht Winter werde, denn von Eisbildung war keine Spur und diese abnormen Witterungsverhältnisse waren wahrscheinlich schuld daran, dass die in vielen Ländern grassierende Krankeit Influenza auch in der Steiermark heftig auftrat. Wo sonst in Graz pro Tag 8 bis 12 Verstorbene in der Zeitung zu lesen waren, kamen kurz vor Weihnachten 1891 20 bis 27 Todesfälle vor. Diese Seuche raffte meistens Hochbetagte dahin und verschonte weder Rang noch Würden.

     Am 28. Dezember ging ich nachmittags, da die Kälte mäßig war und kein Wind wehte, in das Leuthnersche Gasthaus »Zum Grünen Anger«. Dort trank ich ein Achtel Wein. Aber beim Nachhausegehen schüttelte mich eine gewaltige Kälte. Ich zitterte heftig und begab mich zu Bett, und sogleich empfand ich ein sehr schmerzhaftes Stechen und Reißen durch den ganzen Körper.

     Zum Glück hatte ich gegen den zeitweiligen Krampf in den Beinen einen Gläger Branntwein vorrätig. Mit diesem rieb ich den ganzen Körper ein, soweit ich langen konnte. Nach 3 Tagen war alles Stechen und Reißen vorüber. Ich war nun sehr erfreut, in der Meinung, dass diese böse Krankeit überstanden war.

     An Silvester abends um halbzehn kam die freundliche Frau meines Herrn Sohnes und rief an der geöffneten Zimmertüre: »Prosit Neujahr!«, worauf ich von ihr ein Glas warme Limonade erhielt. Als ich diese getrunken hatte, fing ein heftiger Husten an, der mir eine schlaflose Nacht bescherte. Die Frau Bezirksrichter sagte anderen Tages, dass der Husten ein Teil der Influenza wäre. Sie wissen es von ihrem ersten Bruder, Notar in Millstadt in Kärnten, welcher auch an dieser so peinlichen Krankheit gelitten habe.

     Am Neujahrstag blieb ich noch im Bett und hoffte, der Husten werde wohl von selbst aufhören. Da er aber immer ärger wurde und ich bei Appetitlosigkeit ermattete, ließ mein guter Herr Sohn am 7. Jänner den Herrn Dr. Pölz kommen, der mir 9 Pulver verschrieb und Tee verordnete. Ich musste wieder zu Bett gehen, dabei hatte ich großen Durst und durfte nichts trinken. Nach Bier und Wein hatte ich kein Verlangen, sondern nach frischem Wasser. Alle Ärzte rieten, als Getränk Tee mit dem unter Wohlhabenden gebräuchlichen Cognac zu nehmen; aber ich konnte auf diese teure Spezies verzichten.

     (204)  Am 20. Jänner fühlte ich mich vom lästigen Husten ganz befreit. Die Furcht vor einer Lungenentzündung war vorüber und ich kam wieder zu Appetit, sowie zum ersten Wassertrinken.

     Während dem heftigen Husten hatte ich noch 10 Pulver zu nehmen. Herr Dr. Pölz hatte hier im Orte selbst 200 Patienten zu behandeln. Als ich ihm am 2. Februar die Rechnung mit 5 Gulden bezahlte, sah er sehr angegriffen aus, da auch er gegen diese verwünschte Krankheit zu kämpfen und sich zu wehren hatte. Wie in den Zeitungen zu lesen war, sind an dieser bösartigen Krankheit sehr viele Leute – hoch in den Jahren – u. a. Kardinäle, Reiche, Generäle und Prinzen gestorben.

     Ich hatte schon erwähnt, dass ich Frau Anna Resler versprechen musste, zu ihrem Begräbnis zu erscheinen. Zufällig las ich da am 16. Oktober 1891 im Grazer Tagblatt das Partezettel über das am 13. Oktober erfolgte Ableben der Anna Resler. Sie starb an Altersschwäche, 78 Jahre alt. Hätte ich hierüber von Graz eine Nachricht erhalten, ich wäre gewiss gerne dahin.

     Die Nachwehen der überstandenen Influenza blieben bei mir nicht aus. Hören und Sehen ist bei mir seit Anfang März 1892 bedeutend schwächer. Wenn zwei Personen zwei Schritte von mir entfernt miteinander sprechen, verstehe ich kein Wort. Zeitung lesen ist schon eine Anstrengung, besonders da für mich kein Augenglas existiert. Es ist wohl traurig und schmerzlich, im hohen Alter alle Unannehlichkeiten durchzumachen.

     Ach, wie viele Leiden können noch über mich kommen bis ich geendet haben werde!!

     So wie ich mich in Graz und Aflenz mit Briefkuvert-Erzeugung beschäftigte, wollte ich dieses Geschäft auch in Knittelfeld versuchen, teils die Langeweile zu töten und teils, um für Schnupftabak und dann und wann für einen Schluck Wein noch etwas zu verdienen. Gegen Weihnachten 1891 hatte ich 1400 Kuverts verkauft. An den drei Feiertagen machte ich sehr viele Kuverts, in der Hoffnung, diese gegen Neujahr zu verwerten. Jedoch, wie erwähnt, machte die Influenza einen Strich durch die Rechnung. Ich machte und verkaufte nachträglich bis zum 1. April 1892 2840 Kuverts. Nachdem in Knittelfeld das brauchbare Papier hierzu nicht immer zu haben war, musste ich dieses schon zweimal von Graz kommen lassen.

     Es schmerzt mich noch immer, dass ich meiner armen, am 11. Dezember 1882 verstorbenen, mir unvergesslichen Gattin den Argwohn und Zweifel an meiner unverbrüchlichen ehelichen Treue nicht nehmen konnte.


     (205)  Herr Buchbindermeister Kneschaureck, Buch- und Galanteriewaren-Händler   außerdem Hausbesitzer am Hauptplatz in Knittelfeld, fragte mich, wofür ich die bei ihm gekauften Papiere benötige. Ich antwortete, dass ich für Herrn Bezirksrichter vieles zu rubrizieren habe. Es war freilich unwahr; ich mochte ihm ja nicht sagen, dass ich Briefkuverts  mache. Bis 13. Mai brachte ich es im ganzen auf 6375 Kuverts und hatte erfahren, dass Herr Kneschaurek wegen meiner Beschäftigung auf mich sehr böse sei.

     Zur Abwechslung fuhr ich am 14. Mai nach mehrfacher Einladung nach Leoben zu Herrn und Frau Wawrinek und blieb nur drei Tage dort, denn die Kuvert-Vorbereitung für die Pfingswoche trieb mich nach Hause. Ich hatte dann bis Samstag, 4. Juni vor Pfingsten wieder 1660 Kuverts verkauft.

     Am 14. Mai verehrte ich Frau Wawrinek 150 Kuverts für Visitenkarten und 160 für Briefe. Am 18. Mai gratulierte ich Herrn Wawrinek zu seinem Namenstag. An Christi Himmelfahrt, 26. Mai, fuhr ich nach Judenburg zu Herrn Frank Egyd, Gastwirt »Zur Schönen Aussicht«. Ich wollte mich wegen der Töchter des Georg Dunkel, Bruder meiner Mutter, erkundigen, konnte jedoch nichts erfahren. Aus Spekulation nahm ich am15. Mai die Anzahl Kuverts mit, welche ich bei Franks Gästen und in drei Gewölben sogleich verkaufte. Mehr als nochmal so viele hätte ich anbringen können, wenn ich sie bei mir gehabt hätte.

     Als unser Verwandter, Herr Johann Maister zu Pfingsten vorigen Jahres in Leoben war, wurde dort die Heirat seiner zweiten Tochter mit dem Lederhändler Lois Someregger beschlossen, und da Herr Maister meine Hinfälligkeit bemerkte, sagte er zu mir: »Wir werden uns schwerlich wieder sehen.«

     Als er aber zu Pfingsten 1892 zum Besuche seiner Töchter wieder dahin kam, ergriff ihn doch die Sehnsucht, mich noch einmal zu sehen. Und so kam er am 10. Juni mit Herrn Wawrinek hierher, was mich unendlich freute. Ich hatte soeben einen Brief an ihn fertiggemacht, welchen ich ihm nebst zwei Landschaftsbildern: 'Stadt und Schloss Legovia in Spanien' und 'Stadt Janina in Griechenland' als Andenken von mir übergab.
.

Montag, 18. Oktober 2010

84. Über die Freundschaft

      .
     Nachträglich fällt mir noch manches aus früheren Jahren ein. Als nämlich ich und meine Gattin im Mai 1839 die Lebenbauer-Realität  (Immobilie)  in Mureck erkauften, wurden uns zur Bestreitung aller nötigen Hausreparaturen von den gutmütigen erwähnten Herren Kaufmann Kolletnig und Riemenmeister Rogathin einige Darlehen bereitwilligst vorgestreckt.

     Als ich dann im Oktober darauf um das angesuchte und bewilligte Sparkassen-Darlehen nach Graz ging, las ich dort in der Zeitung, dass das von Moritz Sigrist verfasste Gedicht »Glaube, Hoffnung, Liebe« am Sonntagmorgen vom Chor gesanglich vorgetragen werde. (202)  Ich lauschte dort diesem Gesang, der mir so sehr gefiel, dass ich nach der aufgefassten Melodie während der Heimreise das Gedicht »Die Freundschaft« verfasste. Dann schrieb ich es zweimal auf Goldschnitt-Papier, und bei Berichtigung des Guthabens obiger Bürgen, überreichte ich jedem eine Abschrift mit größtem Dank.

     Ich war und bin noch jetzt von meiner Dichtung und der Melodie so eingenommen, dass ich nicht umhin konnte, den Text hier anzubringen:


D I E   F R E U N D S C H A F T

-1-
Die Freundschaft blüht so göttlich schön;
ein treuer Freund ist Gold und Schätze wert,
sein Herz kann nirgends einen Kummer sehn,
es macht ihm Freude, wenn er Trost gewährt.
Und trifft ein hartes Schicksal das gebeugte Herz,
hebt man den Blick vertrauend, hoffend himmelwärts;
so heilt die Freundschaft, so heilt die Freundschaft
helfend, liebreich, tröstend jeden Schmerz

-2-
Wo ist ein Glück, das seiner Freundschaft gleicht,
das treu und liebend uns die Hände reicht?
Wie selig macht den Freund nur Gutes tun
und schnell zu helfen lässt ihn fast nicht ruhn.
Ja, nur ein Edler, holder, guter, warmer Freund,
der redlich helfend, warnend, schützend gut es meint,
der redlich helfend, warnend, schützend gut es meint,
In dem sich Tugend und Gefühl vereint.

-3-
Die Freundschaft ist des Himmels Sonnenstrahl,
erquickt den Armen hier im Erdental.
Viel tausend Dank gebührt dem Mann,
der Segen spendet, wie und wo er kann.
Oh, welche Wonne, Freude, Glück und Seligkeit
ist uns von einem echten wahren Freund bereit';
denn Freundes Hilfe, denn Freundes Hilfe und Trost
versüßt des Lebens Bitterkeit.


     Am 19. November sandte ich an meine Tochter in Wien obigen Text mit der Melodie auf Noten gesetzt, nebst dem erwähnten Lied »Das Hoamweh«, dass sie beides ihrem Sohne Viktor, Obmann des Chorgesangsvereins zu Witkowitz in Mähren zur allfälligen Verwendung zufertigen wolle.

     (203)  Erst am 25. November fühlte ich mich von dem besagten Blasenleiden befreit, währenddessen mit dem Urin Blut mitfloss.
.

Sonntag, 17. Oktober 2010

83. Schmerzen beim Urinieren -- 83 Jahre alt


     Der letzte Winter 1890-91 war sehr stürmisch, überhaupt hier in Knittelfeld um zwei Grad kälter als in Leoben. Am 30. April und am 1. und 2. Mai wurde es nach vorangegangenem Regen, kalten Winden und Schneegestöber plötzlich sehr heiß, wonach sich die schauerlichen Gewässer in die Tiefen stürzten. Dazu kam noch anhaltender schwerer Regen, so dass eine furchtbare Überschwemmung entstand und gräulichen Schaden anrichtete. Das ganze Murtal glich stellenweise einem See. In der  Gemeinde Weinzödl bei Graz wurde an Grundstücken und Gebäuden arger Schaden angerichtet. Die Weinzödl-Brücke wurde so ruiniert, dass dieselbe erst ab Mitte Juli für Fußgänger und nur bei Tag passierbar war.  (200)  Alle Wehre für die Floßfahrt und zu den beidseitigen Mühlgängen, um deren Brücken stromabwärts, wurden von den Gewalten des Hochwassers zerrissen. Zur Unterstützung der am meisten beschädigten Insassen von Weinzödl wurde in der Industriehalle zu Graz ein großartiges Konzert abgehalten. Die traurige Witterung, trüb, kühl und Regen dauerte fast den ganzen Juni.


     Meine Tochter Marie schrieb am 22. Juni 1891 aus Franzensbad in Böhmen , dass die Witterung dort bis jetzt immer sehr kritisch war, stets kalter Wind und Regen und wenig heitere Tage. Daher seien auch viel zu wenig Badegäste anwesend. Später schrieb sie mir, dass sie mit ihrer Herrschaft, Frau von Brentano samt dem herzigen Knaben am 12. Juli das Bad verlassen und nach Wien und dann auf das Gut in Schönbichl bei Melk reisen werde und von dort aus zu uns nach Knittelfeld auf Besuch kommen wolle.

     Am 18. Juli 1891 fuhr nun meine Tochter mit der Westbahn von Melk nach Amstetten und von dort per Staatsbahn über Admont etc. nach St. Michael und kam abends halbsechs an, hielt sich am 19. Juli, einem Sonntag, bei uns auf, und ich ging mit ihr zum Männergesangskonzert im Kindergarten. Am 20. früh fuhr sie weiter nach Leoben und ich fuhr mit. Es drängte sie, die seit fünfeinhalb Jahren nicht mehr gesehenen Eheleute Wawrinek zu besuchen. Da der Urlaub nur vier Tage dauerte, ist Marie Schidan am 21. Juli früh um 5 Uhr abgereist über St. Michael, Asmont, Amstetten nach Melk. Von dort musste sie nach Schönbichl eine besondere Gelegenheit benützen.


     Am 22. Juli fuhr ich per Bahn früh um halbsieben von Leoben nach Graz, hin und zurück für 2 Gulden 65 Kreuzer. Ich besah mir die Stadt mit vielen Neubauten und der herrlichen neuen Brücke. Ich machte Besuche am Grab meiner mir unvergesslichen Gemahlin und bei Bekannten. Mein Nachtlager hatte ich zweimal im Hause der Frau Resler, welche bei meiner Hochzeit am 31. Januar 1830 als Brautjunger fungierte. Jetzt war sie altersschwach und hinfällig, zum Erbarmen. Ich musste ihr versprechen, zu ihrem Begräbnis zu erscheinen. Aber wer kann es wissen, ob nicht ich vorher abgerufen werde, da ich um vier Jahre älter bin.

     Am 25. Juli wollte ich auf den schönen Schlossberg, da sich aber ein Landregen einstellte, fuhr ich per Bahn um 1 Uhr Mittag wieder nach Leoben, wo ich nachmittags um 4 ankam und wegen des vielen Regens vom Bahnhof in die Stadt mit dem Omnibus fuhr.

     (201)  Am 25. Juli kam von Wien über Amstetten, Admont etc. die Gattin des Arztes Rauch aus Graz mit dem Töchterchen Hermine zu Wawrinek auf Besuch. Ich blieb noch zwei Tage dort und begab mich am 27. Juli nach Knittelfeld, wo ich um halbacht abends ankam und von meinen Angehörigen freundlich bewillkommt wurde. Die waren zufällig am Bahnhof.

     Am 26. August 1891 machte ich wieder einen Spaziergang nach Grosslobming, am 27. August zum Bad Rachau, zwei Stunden weiter. Am 13. September war ich in dem drei Stunden von hier entfernten auf einem hohen Berg gelegenen Ort Seckau. Am 27. September fuhr ich per Bahn nach Zeltweg für 10 Kreuzer und ging dort eine halbe Stunde zur Brauerei Forrach. Am 6. Oktober war ich wieder in Zeltweg und ging von dort fünfviertel Stunden nach Weisskirchen. An jedem dieser Orte verzehrte ich bloß ein Glas Bier und eine Semmel, denn ich fühlte keine weiteren Bedürfnisse.

     Die Monate September und Oktober waren sehr lieblich, aber am 29. Oktober bis zum 2. November fiel recht viel Schnee. Dann war es mehrere Tage frostig mit kaltem Wind, danach wie lau.

     Am 9. November fühlte ich Schmerzen beim Urinieren und Herr Dr. Pölz erklärte meinen Zustand als Blasenkatharr. Ich konnte das Entstehen desselben nicht ergründen und musste zur Vermeidung aller sauren Speisen und aller Getränke nur Tee aus der Apotheke zu mir nehmen. Leider nahmen in mir alle Kräfte so ab, dass es noch ein Wunder war, wenn ich noch am Leben bin. Harthörigkeit, Augenübel, und Krampf in den Beinen belästigten mich schon seit mehreren Jahren. Und seit einem Jahr quälte mich ein kleiner Schmerz am unteren Teil des Rückgrats, der oft verhinderte, dass ich ganz aufrecht gehe.

     Nachdem ich heute, den 4. Dezember 1891, 83 1/2 Jahre alt bin, darf ich mich über Altersschwäche nicht zu sehr grämen.
.

Samstag, 9. Oktober 2010

82. Der Knabe Heinrich - Altersprobleme - Ausflüge

      .
     Im Jahr 1840, ich war 32 Jahre alt, hatte meine stets fleißig gewesene Frau von weißer Baumwolle für mich zwei Unterjacken gestrickt, welche mir bei meinen Reisen im Verzehrsteuerjahr sehr gute Dienste taten. Eine dieser Jacken ist seit einigen Jahren schon ganz zerfetzt, die andere ist noch einen Winter lang verwendbar.

     Als wir in Graz im 1. Sack, im Nagl'schen Haus im 4. Stock einzogen, wohnte daselbst im 4. Stock gassenseitig der Hausarzt Dr. Kammerhuber, ein sehr verständiger und braver, geschickter Herr mit Frau, einem Töchterchen und einem Knaben Otto. Im 3. Stock wohnte Schneidermeister Fröhlich, dessen Knabe Heinrich stets heraufkam, um mit Otto und unserem Sohn Eduard in der Vorhalle zu spielen, wobei der Schneiderssohn ständig kommandierte. Da sagte meine Gemahlin sehr oft, sie möchte gerne wissen, was aus diesem Knaben etwa werden würde. Und weil Heinrich stets mehr zu sein sich einbildete, so glaubte man, aus ihm werde etwas großes. Er wurde aber als das einzige Kind von seiner Mutter sehr verhätschelt, ging als gelernter Schneider in die Fremde, kam nach Paris und Berlin und hatte seine Eltern große Summen gekostet und sich dann zu Hause wenig um die Schneiderei gekümmert. Er befasste sich mit Agentschaften. Da er aber bei einem Verein als Kassier Gelder veruntreute, bekam er viele Monate Arrest.

     Otto Kammerhuber kam in die Kadettenschule zu Liebenau bei Graz. Sein Vater starb am 11. Januar 1891, 80 Jahre alt an Altersschwäche. Laut dessen Partezettel ist Otto bei der Österreischen Staatsbahn Vizedirektor und verehelicht. Die Schwester ist noch ledig.

     Wie ich schon erwähnte, dass meine Wunde wieder zuheilte, war meine Freude darüber nur von kurzer Dauer; denn die Wunde verwandelte sich wieder in einen nussgroßen Dippel, der auch schmerzte. Herr Dr. Pölz verordnete ein Bruchband, welches 3 Gulden kostete und mir vom Bandageur in dessen Wohnung am Montag nach Palmsonntag abends appliziert wurde. Während ich mich anschickte, zu Bett zu gehen und mich hinlegte, packte mich eine furchtbare Kälte, die mich während eineinhalb Stunden grässlich schüttelte. Ich verlor jeden Appetit und wurde sehr matt, erholte mich aber soweit, dass ich zu Ostern in die Kirche konnte. (198)  Die Neubehandlung des Bruchbandes ist jedoch lästig.

     Nun erkannte ich, dass die Altersschwäche bei mir sehr zunahm. Meine Tochter Marie schrieb an Herrn Dr. Eduard Neuhold, dass er mich heuer nicht nach Wien lassen solle, denn sie wollte uns diesen Sommer besuchen.

     Ich machte sonach gegen Pfingsten einen Ausflug nach Leoben zu Wawrinek und war 13 Tage dort. Da ich Lust hatte, Vordernberg zu sehen, so nahm ich eine Karte dorthin und zurück für 70 Kreuzer. Als während der Fahrt die Karten abverlangt wurden, zeigte es sich, dass ich in dem nach St. Michael und nicht nach Vordernberg fahrenden Zug Platz genommen hatte. Ich musste nun für diese Station 15 Kreuzer draufzahlen und dort zur Rückfahrt nach Leoben eine Karte zu 10 Kreuzer lösen. Ich machte mir nichts daraus; mir gefiel diese Spazierfahrt schon deshalb, weil in St. Michael immer Züge zusammenkommen, von Leoben, von Pontafel in Kärnten und vom Ennstal herab, und das bewegte Leben ist dann interessant. Da die Karte nach Vordernberg 8 Tage gültig war, so benützte ich dieselbe 4 Tage lang.

Der Knabe Viktor Sommeregger zu Leoben lernte Violine. Da habe ich für ihn im März aus purer Langeweile auf 4 Bogen Notenpapier 1 Mazurka, 3 Märsche, 16 Lieder, 2 Jagdlieder und 2 Serenaden geschrieben, wie ich solche mit meiner Flöte immer gerne spielte. Wegen meiner krummen Finger konnte ich jedoch nicht mehr die Flöte gebrauchen. Ich hatte ein gutes Musikgehör, und so blieb mir alles im Gedächtnis. Von obigen Märschen ist einer, den ich acht Jahre alt am Exerzierplatz in Graz aufgefasst hatte und erst jetzt zu Papier brachte. Unter den Walzern ist auch einer von meiner Hochzeit, die am 31. Jänner 1830 war. Alle diese 45 Jahre alten Stücke sind noch immer angenehm und ich bildete mir ein, dass es doch schade wäre, wenn dieselben ganz vergessen würden.


     Als ich mich in Leoben dem erwähnten Herrn Steuereinnehmer Sing empfahl, sagte dessen freundliche Gemahlin zu mir: »In Knittelfeld werden wir uns öfter sehen«. Hier aber in Leoben nimmt kein Mensch von mir Notiz. Ich besuchte schon sieben Gasthäuser, aber weder Wirt noch Wirtin, Kellnerin noch Gast kümmerten sich bis jetzt um mich. Mir fehlte die Gabe, mich aufzudrängen. Auch hatte ich nie den Mut, die Eheleute Sing mit meiner Wenigkeit zu belästigen. Eine Enkelin meiner verstorbenen Schwester Maria Stadler hat einen Advokaten, Beamten namens Pichler geheiratet und befindet sich seit April 1890 hier. Zu diesem Ehepaar komme ich zweimal die Woche um fünf Uhr abends auf Besuch.

     Um in den nächsten Wald zu kommen braucht man eine halbe Stunde.  (199)  Von meinem Fenster aus sieht man das eine halbe Stunde weit entfernte Schloss nebst kleiner Ortschaft Hauzenbichl. Die umliegenden Ortschaften St. Margarethen, Gobernitz, Landschach, Grosslobming, Pausendorf, Massweg, Sachendorf, Kobenz habe ich alle schon besucht.


     Mein erster weiterer Ausflug war nach Judenburg, da mich die Sehnsucht quälte, diese freundliche Stadt wieder zu sehen und einen alten Bekannten dort aufzusuchen. Als ich nämlich im Jahre 1866 mit den Grazer Turnern nach Judenburg zog (siehe Kapitel 56), wurden wir dort sehr freundlich empfangen und im Brauhaus mit einem Blumenregen überschüttet. Aus Erkenntlichkeit hierüber habe ich von den von mir gemalten 30 Biertrinkern zwei dem Turner Egid Frank geschickt, einen für ihn und einen für das Brauhaus. Frank hat nun dort das sehr gut besuchte Gasthaus »Zur Schönen Aussicht« nebst Badeanstalt. Er sagte, dass sich sein Biertrinker im Turnvereinslokal befinde. Das Bild im Brauhaus fand ich noch frisch im Goldrahmen.


     In Knittelfeld gehe ich öfters gerne zum  Bahnhof.  Dort ist ein bewegtes Leben wenn die Züge ankommen. Man kann am Perron ungehindert auf- und abspazieren. Als ich Anfang März wieder gegangen bin, sprach mich ein Herr sehr freundlich an, er wollte wissen, wie es mir in Knittelfeld gefalle. Ich konnte mich nicht an ihn erinnern und wusste auch nicht den Grund seiner Freundlichkeit zu erraten. Als ich ihn später mit dem Bezirksrichter am Bahnhof sprechen sah, ersuchte ich meinen Herrn Sohn, mir doch zu sagen, wer denn der freundliche Herr wäre. Da ich die Antwort erhielt, er sei der Herr Steuereinnehmer, konnte ich nicht begreifen, dass ich diesen Herrn von Weihnachten her nicht mehr kannte.
    
     Bei einer nachträglichen zufälligen Begegnung erbat ich mir die Erlaubnis, ihm und seiner freundlichen Frau Gemahli einen Besuch machen zu dürfen. So war ich am 15. und 22. Juni dort und übergab ihnen von meinen Landschaftsbildern 4 Stück: Quedlinburg, Terracine, Bern und Schloss Sulinica.

________________________________

( Wohlgemerkt: 
Diese Nachträge, Erinnerungen an frühere Ereignisse mit all den Details schreibt er als bald 90jähriger. Was für Gedächtnis! )
.