Sonntag, 30. Mai 2010

76. Wieder kam mich die Reiselust an

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     Für die Tombola am Silvesterabend 1888 hatte ich eine grosse Schachtel mit 27 kleineren, dann einen Hampelmann und aus König Ludwigs Album den prächtigen Stahlstich «Christus mit seinen Jüngern im Seesturm» beigesteuert. Dazu habe ich 3 kleinere Gedichte deklamiert.

     Am 21. September 1888 sandte ich an Karoline Hauzendorfer, Handelsfrau in Greifenburg in Oberkärnten, eine grosse mit 27 kleineren Schachteln. Nachdem ich darauf  keine Antwort erhielt, wünschte ich dieser Cousine zu Ostern 1889 angenehme Feiertage, worauf sie mir 2 Halbliter selbst erzeugten Schwarzbeer-Branntwein und 3 Paar Kärntner Salami sandte und zugleich bekannt gab, dass sie wegen langer Krankheit an mich zu schreiben, verhindert war.

     Seit vielen Jahren war in Aflenz kein so schöner Mai wie 1889. Es war abwechselnd warm, dann Regen und warm und wieder Regen und warm. Wiesen und Felder und die Obstbäume zeigten sich herrlich, dass es eine Freude war. Auf dem erwähnten Zickzackweg wurden Kastanienbäume gesetzt, welche sich aber auf dem schlechten Boden nicht üppig zeigten.

     Im heurigen Fasching wurde in Aflenz ein Ball unter dem Namen «Narrenabend» veranstaltet. Jeder hierzu Geladene konnte in beliebiger Kleidung erscheinen. Und so kamen die meisten in wirklich hübschen Kostümen: Der Herr Bezirksrichter als Beduinenhäuptling, dessen Tochter Hulda als Tirolerin, die Medizindoktorsgattin als Amazonenhäuptling, er selbst als altdeutscher Magister und meine Wenigkeit als Landstreicher. Ich bin nicht imstande, all die hundert Masken zu beschreiben.

     (185)  Diese grossartige Unterhaltung wurde im Hotel Gasthaus und Fleischerei Marie Wieser bei netter Musik abgehalten. Die feschen und unermüdlichen Tänzer und lieblichen Tänzerinnen hielten an bis es Tag war.

     Am Aschermittwoch darauf war der so genannte Häringsschmaus. An diesem Abend hielt der Gesangsverein von Thörl und Aflenz eine sehr gelungene Liedertafel ab. An beiden Festen war die Unterhaltung und die Stimmung grossartig.

     Nun kam mir gegen Pfingsten, wie schon dreimal vorher, wieder die Lust an, mit dem von Graz nach Wien abgehenden Zug mitzufahren. Dieser Zug wurde gewöhnlich schon acht Tage vorher in den Grazer Zeitungen, sowie durch die in den Postämtern ersichtlichen Plakaten bekannt gegeben, diesmal jedoch nicht. Um hierüber Gewissheit zu erlangen, ersuchte ich mit doppelter Korrespondenzkarte am 4. Juni den Herrn Stationschef in Kapfenberg um sofortige Bekanntgabe, ob kommenden Samstag vor Pfingsten am 8. Juni abends wohl ein Vergnügungszug abgeht oder nicht; denn ich sollte nach zweimaliger brieflicher Anfrage meiner Enkelin Hayek bekanntgeben, ob ich zu den Pfingstfeiertagen nach Wien kommen werde. Nachdem ich aber bis 7. Juni mittags von Kapfenberg keine Antwort erhielt, so schrieb ich an Ella, dass meine Abreise unbestimmt sei.

     Am 7. Juni abends um 8 Uhr erhielt ich durch den hiesigen Fuhrknecht die Antwort des Stationschefs, dazu ein Plakat für den Postmeister in Aflenz; so erfuhr ich also, dass der Vergnügungszug wie gewünscht verkehrt. Da abends von Aflenz nach Kapfenberg keine Fahrgelegenheit abging, musste ich nun um 3 1/4 Uhr mit dem Eilwagen für 1 Gulden 28 Kreuzer fahren, mit dem ich dort um 6 Uhr abends ankam. Aber 6 Stunden auf den um 12 Uhr nachts ankommenden Zug zu warten, ist wirklich lästig.

     Diesmal fuhr nur ein Zug, aber dieser war gedrängt voll. Ankunft in Wien war um 6 Uhr früh. Herr Hayek wollte mich dort in Empfang nehmen, wir hatten uns aber bei dem Gedränge am Südbahnhof beide ganz übersehen. So ging ich also zu Fuss in die Maria-Hilfer-Strasse Nr. 41 zu Hayek.

     Meine Tochter Marie, verwittwete Schidan, welche bisher bei den Kindern der Ella die Obsorge hatte, ist mit Zustimmung der Ella am 28. März 1889 zu einer reichen und vornehmen Familie in Wien als Kinderfrau eingetreten. Sie schrieb mir, dass es ihr sehr gut ginge, dass sie delikate Verpflegung habe, keine Anstrengung und monatlich 15 Gulden Lohn bekomme. Ihre Herrschaft hat in Markt Schönhübel bei Melk an der Donau eine eigene Besitzung, im Volksmund «Taverne» genannt, ein geräumiges ein-Stock-hohes Haus in schönem Garten auf einem sanft ansteigenden hohen Berge mit herrlicher Aussicht über die Donau und nach Melk.


     (186)  Ich hatte von der Tochter Marie und ihrer gnädigen Frau, welche mit ihrem Gatten und einem einjährigen Knaben eben auf ihrer Besitzung in der Sommerfrische waren, die Einladung bekommen, falls ich nach Wien kommen sollte, die Reise nach Schönhübel zu machen. Ich nahm nun am 16. Juni am Westbahnhof eine 8 Tage gülige Tour-Retour-Karte nach Melk für 2 Gulden 80 Kreuzer.  Abfahrt war um 6 Uhr früh, Ankunft in St. Pölten um 8:46, Abfahrt und schliesslich Ankunft in Melk um 10:08 Uhr.

      Da mir aber auf die Abfahrt der Post nach Schönhübel bis um 12:50 Uhr zu warten, nicht behagte, machte ich den Weg dahin zu Fuss, wo ich gegen 12 Uhr mittags in der grössten Hitze ankam und von der Herrschaft freundlich empfangen wurde. Ich hatte dort mein eigenes Zimmer, und die gnädige Herrschaft besuchte mich zweimal und fragte mich, wie es mir geht.

     Am 16. Juni, Sonntagnachmittag machte ich mit Marie eine Fahrt per Dampfschiff stromabwärts nach dem nächsten Ort Aggsbach, pro Person für 25 Kreuzer. Indessen war das Kind der Herrschaft, ein einjähriger herziger, freundlicher Knabe beim Zimmermädchen in Obsorge geblieben.

     Sehr angenehm ist die Aussicht über die Donau und nach Melk. Viele Flosse mit Brettern beladen fuhren gegen Wien. Von Aggsbach zurück machten wir einen Weg, eine gute Stunde zu Fuss, und dabei auf halbem Wege überraschte uns ein tüchtiger Regen.

     Montag nach Tisch nahm ich Abschied von allen mit vielem Dank, bestieg an dem unterhalb der Pfarrkirche befindlichen Landungsplatz das Dampfschiff und fuhr nach Melk, und um 3:20 per Bahn nach Wien, wo ich gegen 7 Uhr ankam.

     Dort stiefelte ich mit meinen alterssschwachen Füssen – 81-jährig – halt langsam aber viel herum. Mitunter benützte ich die Pferdeeisenbahn, war zweimal im herrlichen Prater, dann auch in Schönbrunn. Von dort machte ich den Rückweg zu Fuss, trank in Fünfhaus guten und billigen Wein, 1/8 für 4 Kreuzer österreichische Währung, sowie im Prater so genanntes Abzugsbier, den 1/2 Liter für 7 Kreuzer.


     Von Herrn Knap, Hayeks Schwager, erhielt ich eine Karte zu ermässigtem Preis für 20 Kreuzer zum Besuch des berühmten Panoramas im Prater. Meine Augen sind jedoch so schwach und kurzsichtig, dass ich von dem grossartigen Schlachtengemälde nichts ausnehmen konnte und mir um die 20 Kreuzer leid war.


    Am 20. Juni war ich mit Herrn Hayek in der Kärntnerstrasse auf der Frohnleichnamsprozession. Voraus kam eine grosse Menge Stiftsknaben, dann die Geistlichkeit aus allen Pfarren mit unzähligen Fahnen, alle kaiserlichen Ämter, alle Hofämter und Chargen, Magnaten und Kavaliere in reichen, goldstrotzenden Uniformen, die deutsche und die ungarische Leibgarde und dann kam die Dompfarre mit den Musikern und Sängern und dem Hochwürdigsten unter dem Himmel,  (187)  und gleich hinter demselben Seine Majestät, der Kaiser, alle Behörden etc. Um den Himmel und dem Kaiser war die Hofburgwache und den Schluss bildete eine Abteiung berittener Husaren, mehrere Battalions Infanterie standen überall Spalier.



     Mir kam es sonderbar vor, dass nach dem Himmel oder nach dem Kaiser nicht eine Person sonst so vieler tausender andächtiger Betender nachkam. Mir schien, dass das Ganze nur eine Schaustellung war.
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Mittwoch, 26. Mai 2010

75. ... wo wohl sehr viel geweint wurde.

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    Nun galt es wieder, allen Fleiss anzuwenden. Vom 10. Juni bis 29. Juli stand ich täglich um halbvier Uhr früh auf. Am 18. Juni sandte ich nach Graz 29 Pakete Kuverts à 25 Stück, am 12. Juli an Herrn Gmeiner 1600 Kuverts und am 29. Juli wieder nach Graz 1240 Kuverts, am 29. Juli dann an Herrn Kohlfürst in Pallersdorf 350 Kuverts. Inzwischen hatte ich für die Gebirgsvereinsektion Aflenz zur Orientierung für Sommerfrischler und Touristen 20 Plakate über den Markt Aflenz samt Umgebung auf Pappendeckel zu kaschieren, ausserdem 4 Pläne dieses Marktes.

     Zum Empfang der Sommergäste wurden alle Vorbereitungen getroffen. Es war wirklich zu bewundern, dass bei der fortwährend rauhen und unfreundlichen Witterung des heurigen Sommers noch jemand hierher anreiste. Und doch kamen sehr viele, die sich mehrere Wochen hier aufhielten und an den seltenen regenfreien Tagen nach allen Gegenden um Aflenz Ausflüge machten. (183)  Am 1. August kam selbst der Herr Statthalter Baron Kübek. Er wohnte im Pfarrhof und begab sich am 23. August wieder nach Graz.

     Im Frühjahr 1888 wurde eine pfarrherrliche, bergauf liegende, nahe Wiese als Spazierweg angelegt und mit Schlingpflanzen eingesäumt. Da jedoch unaufhörlich Wind herrschte und drei Wochen lang kein Regen kam, verdorrte der grösste Teil. Obwohl der September sehr schön war, entfernten sich die fremden Gäste nach und nach. Der im Oktober schon eingetretene Winter war im ganzen sehr streng, aber es gab wenig Schnee.

     Unbegreiflicherweise überfiel mich am 2 Februar 1889 plötzlich ein äusserst heftiger Katharr und ich musste leider wieder medizinieren. In der Magengegend fühlte ich Schmerzen zum Verzweifeln, und der Husten war so gewaltig, dass es mir vorkam, als wollte das ganze Eingeweide heraus. Nach drei Medizinen entsagte ich deren ganz und liess mir ein Leinsamen-Köchel bereiten, welches ich in der Gegend des Magens anlegte, wonach die grossen Schmerzen bedeutend nachliessen. Ich fühlte wohltätige Linderung und nur ein kleines Hüsteln hielt noch ein paar Wochen an.

     Anfangs Jänner 1889 hatte ich erst den Doktor für die Behandlung meiner erwähnten Krankheit mit 18 Gulden bezahlt. Die Ärzte kosteten 30 Gulden.

     Seit vielen Jahren waren wir in Graz mit dem Schuhmachermeister und Hausbesitzer Wawrinek bekannt, welcher mit Elise Fischer, einer Tochter der Schwester meiner Ehegattin, verehelicht war. Seine Tochter aus erster Ehe namens Marie heiratete den strebsamen Lederhändler Johann Sommeregger in Leoben, welche, wie erwähnt, Anfang 1880 an Magenbeschwerden litt und 1888 am Magenkrebs starb.

     Die erwähnte Tochter des Herrn Wawrinek aus der zweiten Ehe, namens Elsa, verehelichte sich im Jahre 1886 mit dem jungen Finanzministerialbeamten Maier v. Myztenhain. Sie gebar einen Knaben in Eien und starb am 4. März 1888 plötzlich wegen heftigem Blutandrang zum Gehirn.

     Die Gattin des Herrn Sommeregger war über die böse Krankheit ihres Mannes und über die Strapazen hierbei so ergriffen, dass sie lungenleidend in Bad Gleichenberg Hilfe suchte. Ihr Leiden wurde ungeachtet aller möglichen ärzlichen Bemühungen immer grösser. Endlich am 28. April 1889 wurde sie durch den Tod erlöst. Während ihrer schmerzhaften Krankheit waren Herr und Frau Wawrinek abwechselnd immer zugegen. Man kann sich die Trauer und den Schmerz des Ehepaares über den Verlust ihrer teuren Kinder vorstellen, für die sie wohl sehr bedeutende Opfer gebracht hatten.

     Da mein Sohn, der k.k. Bezirksrichter in Aflenz, dessen Amtsgeschäfte zu Anfang und am Ende jeden Monats mehr zeitraubend sind, zum Begräbnis der verstorbenen 40 Jahre alt gewesenen Frau Marie Sommeregger nicht kommen konnte, so fuhr ich allein nach Leoben, wo der Leichenzug am 30. April, 5 Uhr abends nach dem sehr entlegenen Kommunalfriedhofe zog, (184) wo wohl sehr viel geweint wurde.

     Von Graz waren auch Herr Major Plank und Kaufmanns Frau Hellmann zugegen, welche tags darauf wieder zurückfuhren. Ich aber blieb noch einen Tag und fuhr um 6 1/2 früh per Bahn für 42 Kreuzer nach Bruck und dann per Post für 1 Gulden 40 Kreuzer und 20 Kreuzer für den Postillon nach Aflenz.

     Frau Wawrinek ist laut Testament ihrer Stieftochter als Erzieherin und Herr Wawrinek gerichtlich als Vormund der 5 lebhaften und intelligenten Kinder, 2 Knaben und 3 hübsche Mädchen, bestimmt worden. Das Lederhandelsgeschäft wird von Alois Sommeregger, Bruder des Verstorbenen, auf eigene Rechnung fortgeführt.
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Samstag, 22. Mai 2010

74. Stehaufmandl

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     Nun kam wieder die Sehnsucht, nach Wien zu reisen, um die dortigen Angehörigen zu besuchen. Erst am 14. Mai fühlte ich mich soweit hergestellt, dass ich mich zur Reise entschliessen konnte. Am 19. Mai abends fuhr ich per Post nach Kapfenberg, nahm dort für 5 Gulden eine Tour-Retour-Karte und kam mit dem von Graz um 12 3/4 nachts ankommenden zweiten Vergnügungszug – eigentlich mit dem Postzug – um 1/2 7 Uhr früh am Pfingstsonntag am Südbahnhof in Wien an, wo mich die Enkelin Gabriele mit ihrem Gatten, Paul Hayek erwartete.

     (181)  Dieser Herr Hayek, von Wien gebürtig, ist ein findiger Mann. Er konnte mich über alle Gegenstände der in der Rotunde stattgehabten Industrie-Ausstellung aufklären. Wir waren mehrmals im Prater, einmal in Schönbrunn und auf der sogenannten Türkenschanze   nächst Weinhaus, wo ich im Gasthaus «Zum Heurigen» noch den besten Wein, 1/4 Liter für 10 Kreuzer getrunken habe. Meine Tochter Marie, verwittwete Schidan, hatte sich schon sehr gefreut, dass sie mit mir viel herumspazieren werde. Wir waren per Tramway nur in Dornbach. Ihr eben wieder erwachtes Magenübel zwang sie ans Bett, wo ich sie am 1. Juni verliess. Nach etlichen Tagen erholte sie sich wieder.


     Am 1. Juni mittags um 1 Uhr 20 fuhr der Postzug von Wien ab nach Graz, wo ich um 9 Uhr abends ankam und mich am Bahnhof die werten Eheleute Wawrinek erwarteten. Jeden 2. Tag war ich bei Herrn k.k. Major Plank als Gast, wo ich wohl herrlich lebte. Ich machte Besuche bei Tropez, jetzt Gastwirt zur Rose am Rosenberg, dann bei Frau Resler, meiner am 31. Jänner 1830 gewesenen Brautjungfer, nun 77 Jahre alt und kränklich. Dann war ich noch bei vielen Bekannten.

     Als ich auf dem Berge Ries, 1 Stunde ausserhalb Graz an der sehr frequentierten Strasse nach Gleisdorf damals noch das vulgo Ladenwirthshaus innehatte, schmückte ich die beiden Gastzimmer mit mehreren von mir selbst in Aquarell erzeugten ländlichen Gasthausbilder, worüber sich die Gäste oft unterhielten.

"Kaffee-Schwestern" Original von Johann Neuhold bei Brigitte Winkler in München

     Als ich diese Realität im Juli 1850 verkaufte, kamen nach drei Jahren die Eheleute Slawitsch aus der Gegend Stainz als dritte Nachfolger in den Besitz obiger Realität. Da ich zusammen mit meiner Gattin diese noch öfter besuchten und den bekannten Eheleuten besonders zugetan waren, malte ich für dieselben als Präsent und zum Andenken, dass ich einst Ladenwirt war, 13 Bilder, und zwar: Schlafende im Gasthaus, Spieler, Sänger, Abschied von der Herberge, die Rekruten, "Kaffee-Schwestern", die Altweibermühle, Keller-Weinschank, Zwei Gastgärten, die Jäger, Liebhaberei und zwei Bilder «Die Raufer», alles von mir selbst entworfen. Aus besonderer Liebhaberei malte ich diese Bilder auch für mich.

"Die Raufer" -  Original von Johann Neuhold bei Brigitte Winkler in München

     Vor drei Jahren war der Dr. med. Till in Graz beim Ladenwirt. Ihm gefielen meine Bilder so sehr, dass er der Wirtin, nun Slawitsch, 100 Gulden bot, wenn sie ihm obige Bilder verkaufe. Da diese von mir ein Andenken wären, so wollte sie sie durchaus nichts hergeben. Ich spekulierte nun, ihm meine Bilder gleicher Art recht billig zu verkaufen, traf ihn aber zweimal nicht zu Hause an. Ich hinterliess in seiner Wohnung an der Münzgrabenstrasse meine Adresse. Dr. Till kam jedoch nicht.

     (182)  So oft mir in Graz Bekannte begegneten, sagten sie zu mir: «Gestern haben wir beim Ladenwirt wieder Ihre Bilder bewundert»; diese Äusserung machte mir immer Freude.

     Nun erzählte mir am 1. Juni 1888 Herr Wawrinek, dass die Ladenwirtin von einem Herrn für ihre Bilder, die doch kein Kunstwerk waren, 130 Gulden bekommen habe. Nach einigen Tagen ging ich zu ihr, um mich zu überzeugen und sie sagte mir, dass ein Herr Reininghaus, Besitzer des Schlosses Rabenstein, zwischen Peggau und Frohnleiten gelegen, ihr diese Bilder um 100 Gulden abgekauft und nach Rabenstein mitgenommen habe. Nachdem ihre Gäste über den Abgang der Bilder räsonierten und ihr mit dem Ausbleiben drohten, lamentierte die Wirtin dem nochmals erschienen Herrn Reininghaus so sehr vor, dass er ihr weitere 30 Gulden draufzahlte. 

     Ich wollte ihr die gleichen Bilder sehr billig verkaufen, aber sie wollte keine anschaffen, da sie gesonnen sei, die Realität innen und aussen zu reparieren und dann zu verkaufen.

     Nachdem ich in Graz mehrere Aufträge zur Brief-Kuvert-Lieferung erhielt, fuhr ich am 9. Juni 1888 per Bahn nach Bruck. Auch bei Herrn Dr. Gmeiner erkundigte ich mich dort wegen Kuverts. Dann ging ich zu Fuss nach Kapfenberg, konnte aber dort keinen Platz im Postwagen erhalten. Da jedoch am Gasthaus Marx der Frachtwagen des Aflenzer Kaufmanns Trimmel stand, trug mir der Kutscher an, mit ihm zu fahren. Ich machte es mir so bequem wie möglich und kam um 7 Uhr abends wohlbehalten zu Hause an.
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Samstag, 15. Mai 2010

73. Was auf uns zukommt ..

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     Nun folgt eine Beschreibung meiner heftigen Krankheit, welche ich seit 24. Februar bis 9. April 1888 ausgestanden habe. Seit 12 Jahren quälte mich am Ende der untersten Rippen zeitweise ein Schmerz, welchen ich stets durch äusserliche Einreibungen mit Brandwein vertrieb. Wie bereits erwähnt, hatte ich am 24. Februar 2 Kannen Wasser in die Küche getragen. Als ich die zweite Kanne voll Wasser vom laufenden Brunnen abhob, packte mich der sogenannte Hexenschuss sehr gewaltig, an dem ich vor Jahren manchmal gelitten hatte. Da gleichzeitig wieder das Leiden an den untersten Rippen, aber stärker als früher sich einstellte und das Urinieren schon seit längerer Zeit nicht mehr in Ordnung war, so musste ich den Doktor holen lassen und mich zu Bett begeben.

     Nachdem unten im Speisezimmer kein Kranker liegen kann, so hat mein Sohn mein Bett wieder in mein Zimmer im 1. Stock gebracht und meinen Ofen geheizt.

     Dr. Lichtenegger war gleich da und verordnete Medizinen, nachdem er meinen Zustand an den Rippen als Leberleiden erklärte. Auf unbegreifliche Anordnung des Doktors musste ich mich auf den Bauch legen, und er knetete und püffelte mit aller Kraft auf meinen linken Hinterbacken so unbarmherzig los, wie der Becker beim Durchkneten einer Masse Brotteigs.


     Ich schrie vor Schmerz und ersuchte den Doktor, mit seiner Arbeit aufzuhören, da es nicht mehr auszuhalten war. Was war nun schuld, diese unerklärliche Kneterei oder das unregelmässige Urinieren, dass nun in der Harnblase unsägliche Schmerzen entstanden? Ich erklärte gleich, dass das jetzige Leiden noch heftiger und länger sei, als dasjenige im August vorigen Jahres. Die grässlichen Schmerzen machten mich mehrmals bitterlich weinen. Auf den leidenen Teil kamen wieder Leinsamen-Köchl. Aller Appetit ging natürlich verloren und strenge Diät wurde wieder anbefohlen. Diät allein behagte mir. Dazu marterte mich ein grenzenloser, unlöschbarer Durst. So oft der Doktor kam, befühlte er meinen Puls und fand ihn stets in Ordnung. Ich wurde wieder entsetzlich mager.

     (180)  Ich hatte gewiss schon viele Gemälde und Statuen «Christus am Kreuz» gesehen, jedoch nicht so fleischlos wie ich war. In meinem ganzen Leben hatte ich nicht so magere Ostern wie diesmal, nichts als einfache Suppe und Wasser.

     Vor einiger Zeit wurde ich nachts alle zwei Stunden wach, um Wasser zu lassen, aber jetzt ist das grosse Unglück eingetroffen, dass, wenn ich vor Schwäche in Schlaf fiel, der Urin von selbst ablief, ohne dass ich es wahrnehmen konnte. Sonach war das Bett samt Gattihose und Hemd durchnässt, wodurch ein sehr übler Geruch entstand. Das Urinieren am Tage ging nicht mehr in Strahlen, sondern nur tropfenweise.

Ich war matt und kraftlos, so habe ich mein Bett doch immer selbst aufgeriegelt und den Ofen selbst geheizt, denn ich musste fast täglich 2 - 3 mal Wäsche wechseln und konnte nicht verlangen, dass jemand anderer sich in der von mir und dem Bette entströmenden, widerlichen Atmosphäre aufhalte, wo doch alles durchnässt beim warmen Ofen getrocknet werden musste. Der hiervon entwickelte Salmiak schadete auch meinen ohnehin sehr geschwächten Augen. Ich studierte auf Vorkehrungen, um das Bettnässen zu verhindern und liess von dem Drechsler eine Röhre machen, durch welche der Urin unter der Bettdecke in einen Topf ablaufen konnte. Das unaufhörliche Speichelschlucken war überaus lästig. Von innerlicher Hitze war Zunge und Gaumen wie Leder trocken, ein unbäniger und durch nichts zu stillender Durst plagte mich entsetzlich.

     Der Doktor gab mir konzentrierte Säure, wovon ich einen Kaffee-Löffel voll in einem  Glas Wasser zu nehmen hatte. Alles war vergebens. Diese traurige Zeit dauerte so lange. Am 4. April 1888 abends äusserte sich der Höllenschmerz in der Harnblase noch sehr heftig und ... kam dann nicht wieder. Ich fühlte mich sehr erleitert. Der Appetit stellte sich wieder ein, und nach einigen Tagen konnte ich die Röhre entbehren und das Bett verlassen. Aber der entsetzliche Durst wollte nicht nachlassen. Ich trank Bier, Wasser, Preiselbeersaft, saure Milch, Buttermilch und Wein mit Sodawasser und hoffte mit der Zeit auf Änderung.
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Freitag, 14. Mai 2010

72. Das Hoamweh und andere Wehs

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     Nun nahte der 26. Juli heran, zu welchem ich 2 Damen, nämlich Frau Redler in Graz und Enkelin Messner in Pola zu gratulieren hatte. Ich trug die beiden am 20. und 21. geschriebenen Briefe am 23 Juli zur Post. Kaum etliche Schritte am Rückweg empfand ich im Unterleib entsetzliche Schmerzen, so dass ich sogleich den Arzt, Dr. Lichtenegger holte, der meine Leiden für einen Bruch erklärte und sehr bedenklich fand.

     (177)  Mein braver Sohn telegrafierte sogleich an den berühmten, bekannten Dr. Kutschera in Bruck. Da Dr. Lichtenegger vorher auf dem leidenden Teil herumknetete und mir die grössten Schmerzen verursachte, machte es der Herr Dr. Kutschera ebenso. Vorderhand waren Salben und Leinsamen-Köchl und Medizinen in Anwendung; dann wurden drei Blutegel angesetzt, um eine Menge schwarzes Blut herauszuzuzeln. Dann kamen kalte Umschläge mittels Eisbeuteln, wobei die emsige Frau Gemahlin meines Sohnes überaus freundlich tätig war. Medizinen und strenge Diät halfen  mir nach fünfzehn Tagen aus dem Bett. Ich war wohl sehr abgemagert und matt, erholte mich aber wieder so weit, dass ich im Garten mithelfen konnte, obwohl mir die beiden Doktoren jede Anstrengung untersagten.

     Herr Kohlfürst war der erste, welcher mich in meiner schweren Krankheit besuchte. Nun musste ich doch erzählen, woher ich den Ursprung meiner Leiden vermutete.

     Als wir in Graz im Jahre 1853 oder 1854 von der Wohnung in der Klosterwiesgasse wegzogen und im ersten Sack Nr. 3 im 4. Stock 3 Zimmer bezogen und daselbst 19 1/2 Jahre zubrachen, benötigten wir in jedem Jahr 100 Zentner Stein-, sogenannte Braunkohle und 3 Klafter Holz. Nach meiner Berechnung kostete die Zerkleinerung der Kohle, das Expidieren derselben von der Gasse in die Holzlage und von da in den 4. Stock jährlich 10 Gulden. Aus Ersparnisrücksicht und weil ich noch ziemlich kräftig war und gerne arbeitete, tat ich dieses Geschäft allein, wobei meine gute, liebe Frau und die heranwachsende Enkelin mithalfen.

     Ich und meine Gattin benützten jeden Sommer das kalte Bad hinter dem Rauch'schen Gasthaus «Zum Heiland» nächst der Kienreich'schen Papiermühle. Nach einigen Jahren bemerkte ich beim Baden an meinem Unterleib nahe der Harnblase zwei kleine Erhöhungen. Da diese jedoch nie schmerzten, achtete ich nicht darauf und machte hiervon auch gegen niemanden eine Erwähnung, selbst gegen meine arme Frau nicht, denn sie hätte bei ihrer höchst grundlosen Eifersucht leicht eine verdächtige Ursache herausgefunden. Das viele Holz- und Kohlentragen, dazu das viele Sitzen beim Schreiben, Zeichnen und Malen könnten das Übel veranlasst und die Gartenarbeit den Ausbruch desselben bewirkt haben. Da ich schon im voraus fürchtete, wie es mir gehen wird, wenn einmal der linksseitige Tippel am Unterleib zu rumoren anfängt.

     Am 23. Juli 1886 kam eine neue Magd aus der Gegend bei Sachsenfeld in Untersteier als Köchin zu uns nach Aflenz. Diese stand seit längerer Zeit bei der Frau Bezirksrichtersgattin in Verdacht, dass sie bei der Verrechnung über Einkauf von Lebensmitteln nicht redlich und gewissenhaft zu Werke ginge. (178)  Ende September 1887 wurde diese Köchin entlassen, und im Monat Oktober hat Frau Gusti Neuhold den Einkauf und die zubereitung der Speisen selbst besorgt.


     Am 1. November 1887 übernahm diesen Dienstplatz eine Stieftochter des Arztes Winkler in Thurnau, nahmens Pauline, gross, schlank und zart, mit freundlichem, gefälligen Äusseren. Sie wurde von Herrn und Frau Neuhold sehr rücksichtsvoll behandelt, daher ich wieder nicht anders konnte, als mich der neuen Köchin dienstfertig und behilflich zu zeigen, indem ich ihr täglich 2 bis 3 Spritzkannen Wasser und 1 bis 2 Körbe Holz in die Küche schaffte.

Vom Zimmer der Köchin ging es hinein in das Speisezimmer, worin das Bett der früheren Mägde stand. Weil nun das fortwährende Klopfen und Fensterln der Burschen bei der Nacht der Frau Bezirksrichter schon lästig war, bekam die neue Köchin ihre Schlafstelle im ersten Stock bei den Kindern Hulda und Gretl Neuhold. Meine Schlafstelle hingegen wurde in das Speisezimmer hinabexpediert, damit das Erdgeschoss nicht ganz unbewohnt bliebe.

Nachträglich muss ich erwähnen, dass mich während meiner Erholung nach der beschriebenen Krankheit ein unwiderstehlicher Drang zum Dichten erfasste. Die Verse passte ich einer obersteirischen Melodie des Liedes «Das Hoamweh» an. Davon erteilte ich Abschriften der Frau Auguste Neuhold, dem Wirtssohn und Zitherspieler Pertl, einem Trompeter in Thörl, dem Gesangsverein in Aflenz, meiner Tochter Marie in Wien, Herrn Messner in Pola, Herrn Kohlfürst, dann dem hier als Sommerfrischler gewesenen Musiklehrer Stolz von Graz. Von beiden Letzteren erhielt ich besonders schmeichelhafte Anerkennungen.

     Der Winter von 1887/88 war besonders schneereich und stürmisch. Überall lag der Schnee meterhoch, und in manchen Gegenden war wegen massenhafter Verwehungen die Kommunikation gesperrt. Im Frühling 1887 hatte der Telegrafenaufseher und kundige Gärtner Ziprian in unserem Obstgarten viele abgestorbene Stämme nd Zweige beseitigt, welche beinahe 4 Klafter in einer besonderen, luftigen Holzkammer aufgeschichtet wurden.

     Schneiden und Zerhacken, Zerkleinern des Brennholzes wurde immer von Arrestanten besorgt. Waren jedoch zufällig keine Sträflinge vorhanden, so verrichtete ich obige 4 Klafter vom Garten, dazu drei Klafter Fichten, wobei ich für mein Alter wohl sehr angestrengt war und das Obstbaumholz körbeweise in den 4. Stock zu schleppen hatte.

     (179) Nach dem Hinscheiden des Herrn Dr. Karl Watzka waren Ernestine und Karoline, zwei Schwestern der Frau Gemahlin des Sohnes Eduard mehrere Wochen bei uns in Aflenz und übersiedelten dann zu deren Bruder, Herrn k.k.Notar zu Millstandt in Kärnten.

     Zur Tombola am Silvesterabend 1887 malte ich das Bild «Die Kaffeeschwestern», dann schnitzte ich einen Hampelmann und machte einen Wandkorb aus Pappendeckl. Das Bild gewann der Tischler und Glaser Waxenegger, der Hampelmann ging an den Lehrjungen des Tischlers Schreiber und den Wandkorb gewann Schreibers Gattin.
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Mittwoch, 12. Mai 2010

71. Meine Augen, mein Kreuz, meine Beine

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     Inzwischen kam mir wieder die Lust, zu Pfingsten mit dem Vergnügungszuge nach Wien zu reisen. Ich fuhr per Post am 28. Mai nach Kapfenberg, nahm dort die Tour-Retour-Karte zu 5 Gulden und in zwei Zügen war die Ankunft in Wien um viertel vor 6 in der Früh.

     In Kapfenberg musste ich nebst noch drei Personen wegen Überfüllung des ersten Zuges auf den zweiten warten. Diesmal wurde ich am Bahnhof von Herrn Hayek erwartet und wir fuhren per Omnibus zu ihm nach Hause. Jeder Teilnehmer der Vergnügungsfahrt erhielt eine gedruckte Anweisung mit 14 Coupons zum Besuche von Sehenswürdigkeiten oder Unterhaltungen zu ermässigten Eintrittspreisen.

     Ich sah die Zufahrt zu dem von der Fürstin Metternich im Prater veranstalteten Blumenkorso in grossartiger Gestaltung, wozu über 200 mit Blumen verzierte Wägen samt reich geputzten Damen erschienen waren.

     Dieses Fest dauerte 2 Tage und in der Zeitung stand nachträglich, dass hierbei an den Kassen zu wohltätigen Zwecken über 1000 Gulden eingegangen waren. Schade, dass die Witterung nicht besser war. Jeder Tag blies kalte Luft und zwei- bis dreimal fiel feiner Regen, mitunter auch gussweise. Am 1. Juni, dem einzigen regenfreien Tage während meines 13tägigen Aufenthalts, bin ich mit meiner Tochter per Dampfschiff nach Nussdorf gefahren und mit der Zahnradbahn auf den Kahlenberg . Die ganze Fahrt hin und zurück betrug für uns beide mit Ermässigung 1 Gulden 50 Kreuzer.



(174)  In der zum Hotel gehörigen Waldschänke gab es gutes Bier, der halbe Liter zu 8 Kreuzer. Imbiss hatten wir aus der Stadt mitgenommen. Von der Höhe des Kahlenberges, auf welchem ein hoher Aussichtthurm, die «Stefanie-Warte», erbaut war, hat man eine unvergleichliche Fernsicht nach Osten und Süden. Die Stadt Wien liegt jedoch wegen der vielen Fabriken in den Vorstädten stets in nebelhafter Umdünstung.

     Ein anmutiger Spaziergang, teils durch Waldungen, führt auf den Leopoldiberg, von wo gegen Norden nach Klosterneuburg, Korneuburg und die March-Gegend die Aussicht wahrhaft entzückend ist. Am Pfingstsonntag und -montag, sowie zu Frohnleichnahm wurde überall gearbeitet. Man sah von demolierten alten Häusern den Schutt wegführen, Steine und Ziegel für Neubauten anliefern. Dort und da arbeiteten sogar Pflasterer, und in mancher Gasse bemerkte ich Schuhmacher bei offenem Werkstattfenster im Geschäfte. Bezüglich der Sonntagsheiligung muss es in der Haupt- und Residenzstadt doch nicht so strenge sein.

     Am Frohnleichnamstage wollte ich die Prozession sehen, bei welcher immer der ganze Hofstaat mitgeht. Als ich vor 7 Uhr früh zum äusseren Burgtor kam, war daselbst durch zahlreiche Wachen bereits abgesperrt. Ich machte nun schnelle Füsse, um vielleicht von der Stadtseite einen guten Platz zu erhalten. Aber da war der Zuzug vom Michaeler Platz durch berittene Husaren besetzt. Der ganze Hofstaat war schon in der Michaeler Kirche, von wo aus der Zug zum Kaiser-Josefsplatz zur Stefanskirche bestimmt war. Ich bemerkte, dass hinter den Husaren Karten für 1 Gulden zur Benützung der Tribünen verteilt wurden. Der Kartenbesitzer konnte durch die Husaren fortkommen. Da um 9 Uhr noch niemand aus der Kirche kam und mich vom langen Stehen heftige Schmerzen im Rücken anplackten, mein Warten auch vergeblich war, so ging ich fort, in der Hoffnung, dass die Kreuzschmerzen aufhören werden – und sie verschwanden.

     Da ich in Graz nirgends mehr für meine sehr geschwächten Augen passende Gläser fand, suchte ich solche voriges Jahr in Wien und erprobte sie abends beim Kerzenlichte, wonach ich dieselben als sehr tauglich befunden habe. Allein, nach 14 Tagen zu Hause angelangt, taugten diese Gläser wieder nicht und 1 Gulden 30 Kreuzer waren hinausgeworfenes Geld. Ich wollte nun diese Brille dort, wo ich sie gekauft hatte, gegen bessere umtauschen. Der Optiker war hierzu bereit. Jedoch sagte er, ehe wir so lange herumsuchen, sollte ich meine Augen in der Klinik untersuchen lassen, dort werde ich erfahren, welche Nummer der Gläser ich benötige.

     (175)  Ich ging dann wegen der Kreuzschmerzen von der Michaeler Kirche weg in die Augenklinik, wo ich wegen der Menge Augenleidender sehr lange warten musste, bis ich an die Reihe kam. Nach der über eine Stunde mit allen Apparaten gedauerten Untersuchung erhielt ich den Bescheid, dass ich für mein Alter noch sehr gute Augen habe und keiner Gläser mehr bedürfe. Vorerwähnte Brillen spendierte ich meiner Tochter.

     Am 4. Juni 1888 erlebte ich meinen 80. Geburtstag. Am 10. Juni mittags stieg ich am Südbahnhofe zur Fahrt nach Graz in einen Waggon, in welchem 7 Männer, anscheinend zusammengehörende sich kennende Leute nachkamen. Der Kondukteur hielt dann in diesem Waggon keine Nachschau mehr.

     In Paierbach stiegen die 7 Männer aus und gingen dem Ausgang zu. Da hiess mich der Kondukteur ebenfalls aussteigen. Als ich aber imstande war, zu fragen, warum, war er nicht mehr zu sehen. Als ich dann doch ausstieg, vernahm ich das Zeichen zur Weiterfahrt und war im Begriff, wieder einzusteigen; da kam der Stationschef eiligst herbei und hiess mich, weiter vorne einzusteigen. Da machte ich nun grosse Schritte, aber ach! – in dem Moment, als ich die Eisenstange des letzten Waggons ergreifen wollte, packte mich der mich zeitweise nur des nachts quälende Krampf in der Kniebeuge des linken Beins so heftig, dass ich vor Schmerz hätte laut aufscheien mögen und fast ohnmächtig wurde.

     Es war 4 Uhr, so musste ich auf den um 3/4 7 Uhr von Wien kommenden bis Bruck fahrenden Sekundärzug warten. Mein Bein schmerzte mich sehr. Teils sass ich auf Bänken rum, teils haspelte ich hin und her und hätte genug Zeit gehabt, den Ort Payerbach nach allen Seiten zu durchstreifen, wenn mich das unaufhörliche Wehe nicht gemartert hätte.

     Nun hatte ich freilich bemerkt, warum mich der Kondukteur aussteigen liess, der Wagon, worin ich sass, wurde nebst anderen als leer zurückgelassen.

     Mit dem Sekundärzug kam ich um 10 Uhr abends in Kapfenberg an, postierte mich im Wartesaal auf einer Bank und verzehrte die von Wien mitgebrachte Wurst nebst Rundsemmeln und Wein. Eine Nacht schlafen ging somit verloren, denn bei den Fussschmerzen und dem Gerassel der vielen des nachts hier durcheilenden Zügen ist an ein Einschlafen nicht zu denken.

     Mit neuer Karte zu 1 Gulden 59 Kreuzer fuhr ich von hier um 3 Uhr früh ab, kam um 5 1/2 am Grazer Südbahnhof an, erfrischte mich in der Keplerstrasse mit gutem Kaffee nebst Kipferl zu 8 Kreuzer. In einer Apotheke kaufte ich ein Fläschchen Seifengeist und stolperte dann zur werten Familie Wawrinek, wo ich meinen leidenden Fuss mit Seifengeist fleissig traktierte.
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Samstag, 8. Mai 2010

70. Kuverts und Kartandeln

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    Als meine Tochter Marie mit Ella Hayek nach Wien übersiedelte, kam von meinen noch in Graz verbliebenen Gerätschaften manches auf den Hausboden des Herrn Wawrinek. Ich musterte die Bücher aus, von denen ich sehr viele der lesebegierigen Frau Wangert überliess, packte die besseren nebst Werkzeugen, Pappendeckel und neu eingekaufte Papiere für Kuverts in eine Kiste und machte dann Spaziergänge.

     Nach sechs Tagen Aufenthalt bei der werten Familie Wawrinek fuhr ich am 15. Juli ab, zahlte für Transport der 70 kg Kiste zum Bahnhof 30 Kreuzer und von dort nach Kapfenberg 77 Kreuzer, dann für meine Fahrt von Bruck nach Kapfenberg 22 Kreuzer. Dort war zufällig des Aflenzer Seifensieders Knecht samt Fuhrwerk. Weil er mich kannte, erbot er sich sogleich, meine Kiste, 1 Ries Papier und die Schachtel mit Polster und Krone von der goldenen Hochzeit mitzunehmen. Er war mit 30 Kreuzern zufrieden. Ich fuhr dann mit der Post für 1 Gulden 28 Kreuzer plus 20 Kreuzer. Nun hatte ich mit Briefkuverts für Graz und für Herrn Dr. Gmeiner in Bruck sehr viel zu tun. So blieb mir den ganzen Sommer und Herbst keine Zeit, in unseren grossen Obst- und Gemüsegarten zu kommen.

Alle Arbeiten dort, Pflanzungen und Ernten etc., wurden durch Sträflinge und von der Magd sowie von der fleissigen, in der Gärtnerei erfahrenen Frau Bezirksrichtersgattin besorgt. An Obst gab es eine hübsche Menge für den Winter.

Über den Sommer waren hier einige Wochen viele Fremde und der Postverkehr war bedeutend. Als ich vom Spaziergang nach Emissl zurückkam, war der als Sommergast beim Wirt Wedl in Palbersdorf befindliche Herr Kohlfürst, Kassebeamter der Gemeinde-Sparkasse, samt Frau, Kinder und Bruder, überrascht, mich hier anzutreffen. Er wusste wohl, dass Eduard in Aflenz Bezirksrichter war; dass ich bei ihm wohne, war ihm jedoch unbekannt. Ich hatte sogleich für Herrn Kohlfürst 850 Kuverts zu machen. Dann kaufte er von meinen Figurenbildern 4 Stück à 60 Kreuzer. Diese liebe Familie Kohlfürst besuchte ich mehrmals.

     Der Herbst war leidlich und kurz und der Winter recht stürmisch. Ich war mit Kuvert- und Kartandl machen, Späne kleben und mit verschiedenen häuslichen Arbeiten beschäftigt und verfertigte für die am Silvesterabend zu Gunsten des Aflenzer Armenfonds  (173)  veranstaltete Tombola eine Mühle für Kinder, dann 10 Kartandl, eins in das andere passend, und gab auch das von mir im Jahre 1841 nach dem Hochaltarbild im Ort Heilige Dreifaltigkeit in Windischbüheln gmalte und noch gut erhaltene Bild «Heilige Dreifaltigkeit».

     Die Mühle gewann der Kaufmann Petschthaler, die Kartandln erhielt der Oberlehrer Kroi und das Bild gewann die Schuhmachersgattin Hödl. Der Herr Bürgermeister hat ihr das Bild gleich abgekauft, da es ihn besonders interessierte.

     In einer Zwischenpause der von Kroi geschulten Musik deklamierte ich das alte Gedicht «Der Jude und der Offizier» oder «Der Wechselfresser». Um halbzwei Uhr nachts ging ich mit dem Herrn Sohne bei überaus wundervollem Sternenhimmel und grimmiger Kälte nach Hause.


     Im Frühling 1887 nahm ich mir aber Zeit, bei der Gartenarbeit mitzuhelfen so viel ich konnte; denn da trachtete ich, den schotterigen Gartengrund von den grösseren Steinen zu befreien und das übermässig wuchernde Unkraut auszurotten.
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Donnerstag, 6. Mai 2010

69. ... So kam mir die Lust an ...

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     Ich habe meine zu Papier gebrachten Erlebnisse in der Fastenzeit 1886 durch den mit Buchbinderarbeiten sich befassenden Amtsdiener des k.u.k. Steueramtes in Aflenz einbinden lassen, und dieses Buch am 23. April 1886 an die Verwandten in Greifenburg gesendet, damit dieselben an den Ostertagen desselben Jahres etwas zu lesen hätten.

     Hierauf erhielt ich von dort die Antwort, dass ich das Buch über den künftigen Winter dort belassen möge, da wegen zu viel Arbeit jetzt keine Zeit zum Lesen sei, wohl aber dann in den langen Winterabenden.


     Nachdem zu Pfingsten wieder ein Vergnügungszug von Graz nach Wien angekündigt war, kam mir die Lust an, diese Fahrt mitzumachen. Vom Herrn Sohn Eduard erhielt ich als Darlehen zur Reise 10 Gulden. So fuhr ich per Post von Aflenz nach Bruck für 1 Gulden 20 Kreuzer. Da mir jedoch dort die Zeit zu lange wurde, nahm ich abends 7 Uhr am 12. Juni einen Platz im gemischten Zug nach Kapfenberg für 3 Gulden 13 Kreuzer, nachdem ich an der Station Bruck die Karte nach Wien und zurück für 5 Gulden gelöst hatte.

     Im Gasthaus Marx blieb ich bis 10 Uhr. Um 12 Uhr nachts kam der Vergnügungszug und sauste dann sofort weiter nach Mürzzuschlag, wo ein kleiner Aufenthalt war.

     In meiner Feldflasche hatte ich zur Erquickung bis Wien 3/8 Liter Wein von Bruck. Vorher schrieb ich an meine bei der Enkelin Ella, Maria-Hilfer-Strasse Nr. 41 befindliche Tochter Marie, verwitwete Schihab, wann ich kommen werde. Den Brief erhielt sie jedoch nicht. Um 5 Uhr, Pfingstsonntag früh, kam der Zug in Wien an, und ich fand ohne zu fragen bald mein Absteigequartier, wo alle über meine unvermutete Ankunft überrascht waren.


     Ich hielt mich 13 Tage dort auf. Während dieser Zeit spazierte ich besonders im Prater viel herum, ungeachtet des Regens und der kalten Winde. Da kam mir der Gedanke, auf meiner Rückreise auch wieder nach Greifenburg zu reisen. So ging ich zum Südbahnhof und wollte eine Rundreisekarte von Bruck über Leoben nach Villach, dann zurück über Klagenfurt, Marburg, dann Graz und wieder nach Bruck. Am Südbahnhof erhielt ich jedoch die Auskunft, dass ich eine solche Karte auch in Bruck haben könne. Bei meiner Abfahrt in Wien traf ich am Bahnhof den Grazer Bauunternehmer Strohmeier und wir sprachen bis Bruck über manches. Wegen der Rundreisekarte hatte ich aber in Bruck Anstand, denn der Bahnhofskassier sagte, dass solche Karten nur in Wien oder Graz zu haben seien.

     (171)  Da ich den Verwandten Sommeregger von Wien aus benachrichtigte, dass ich heute nach Leoben käme, nahm ich eine Karte dorthin für 3 Gulden 42 Kreuzer und wurde am dortigen Bahnhof erwartet. Von den gemütlichen Eheleuten Sommeregger wurde ich freundlich empfangen. Als ich den Umstand wegen der Rundreisekarte dem Herrn Sommeregger erzählte, versprach er mir, dieselbe in Graz zu besorgen. Er würde  andern Tags dorhin fahren, um bei dem Eheversprechen der Wawrinek'schen Tochter Elsa mit dem Finanzministerialbeamten, Herrn Maier v. Myrthenhain als Beistand zu figurieren. Abends kam Sommeregger zurück und gleichzeitig kamen auch der Mann meiner Schwester und die Frau seines Bruders von Spital in Kärnten auf Besuch. In den ersten drei Tagen meines Aufenthaltes bei Sommeregger wurde dort herrlich getafelt, und ich ergötzte mich an vielen Spaziergängen. Aber am Rückwege von Donawitz erlitt ich einen Schmerz im rechten Schenkel, weshab ich ihn mit Weingeist einreiben musste. Die von Sommeregger mitgebrachte Rundreisekarte kostete 9 Gulden 12 Kreuzer.


     Am 29. Juni fuhr ich mit den kärntnerischen Schwiegerleuten von Leoben ab, und hatte das Vergnügen, die Rudolfbahn  bis Villach bei Tage zu betrachten. Während der Stunde Aufenthalt in Villach besichtigte ich einen Teil der Stadt und die neu erbaute eiserne Bogenbrücke über die Drau.


     Nach einem Imbiss – zwei Rundsemmeln und 3/10 Liter Bier zu 8 Kreuzer – nahm ich eine Karte separat für 1 Gulden 90 Kreuzer nach Greifenburg. Die Familie des Hohenleitner war wieder um ein Kind vermehrt. Die in Brixen geborene Stiefschwester der Luise Hohenleitner, ein kleines, sehr liebes und munteres Geschöpf, hat hier einen grossen, freundlichen und hübschen Lederermeister geheiratet. Die Handelschaft der Cousine Karoline Hauzendorfer geht ziemlich gut.

     Da eben sehr viel Arbeit mit der Heufechsung war, fuhren wir zu einer eineinhalb Stunden entfernten Pachtwiese, von wo noch eine halbe Stunde weiter ein angenehmes Wannenbad nebst Jause benützt wurde. Da ich nach Pettau zu fahren vergessen hatte, so kam mir die Lust an, die Lederers-Waisen Steyrer in Mureck zu besuchen. Am 8. Juli früh fuhr ich mit Tour-Retour-Karte für 1 Gulden 6 Kreuzer um 7 Uhr von Leibnitz über Spielfeld nach Mureck, wo ich um 8 Uhr ankam und die Schwestern Anna und Therese Steyrer, nun etwa 55 - 60 Jahre alt, antraf. Sie erzählten mir vom Leichtsinn meiner älteren Schwester Marie, verwitwete Tesch, die alle ihre Einkünfte ihrem liederlichen Sohne, einem Schumacher, zusteckte und dabei selber Not litt.

     (172)  Als Frau Tesch dann kam, konnte ich nicht begreifen, warum ihr die Natur jetzt ein so unheimliches Hexenportrait gab. Sie schnatterte unaufhörlich und schimpfte auf alle Zustände, so dass mir die Lust zu einer Unterstützung verging.

     Mit dem Zug um 12 Uhr 20 mittags fuhr ich direkt nach Graz, wo ich um 3 Uhr nachmittags ankam und sogleich die Frau Rexler besuchte.
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Montag, 3. Mai 2010

68. Beim närrischen Wirt

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     Als ich bei meinen Verzehrsteuer-Bereisungen einst – 2000 Gulden in der Tasche – spät abends durch die Ortschaft Strass marschierte, fragte ich dort beim letzten Haus, ob man wohl ohne Gefahr noch nach Mureck kommen könne. Da erhielt ich die «tröstlichen» Worte, dass wohl vorige Woche beim Gersdorfer Wald jemand erschlagen wurde, diese Woche aber nichts geschehen sei. Ich wagte mich furchtlos weiter und kam in stockfinsterer Nacht glücklich und unbehelligt in Mureck an.

Bei meinen Eltern war es Brauch, dass alle von Greifenburg nach Graz kommenden bei uns Unterkunft erhielten. So war auch Socher als Knabe bei uns und die sogenannte Rom-Thresel, die für die anderen Leute wallfahren ging. Einst kam eine sehr schöne Greifenburgerin, um in Graz einen guten Dienst zu suchen, zu uns. Wenn wir abends auf langen Bänken vor dem Hause sassen, kamen die Burschen aus der Nachbarschaft, darunter auch der Mühljunge Polzer mit seinem schiefen Auge und machte der Schönen den Hof. So klein ich noch war, so wollte ich doch schon wissen, wer von den Burschen siegen würde. Unbegreiflicherweise fiel ihre Wahl auf den schielenden Polzer.

     Sie erhielt dann einen Dienst bei dem reichen Herrn von Pichler, gewesener russischer Staatsrath in der Grabenstrasse, wo es ihr sehr gut erging und sie uns jeden zweiten Sonntag besuchte.

     Sie ehelichte dann ihren Polzer, welcher an der Harmsdorfer Linie Maut-Aufsehrer wurde, und als solcher den Weinhändler Übeleis durchschlüpfen liess. Wenn das unredliche Gebahren des Polzer auch verraten wurde, so geschah ihm nicht viel, da seine schöne Frau die Geliebte des Oberfinanzdirektors, Herr v. Varena, war.  

     Nach mehreren grossen Unterschweifen wurde Polzer entlassen und kam als Lehrer zu den Franziskanern, dann von dort weg zufällig als Bestellter und mir Untergebener nach Dreifaltigkeit, wo er mir  (168)  seinen Lebenslauf erzählte. Von uns weg wurde er Hausmeister im Grazer Versatzamt. Ich wollte nun gerne seine Frau sehen, die lag aber immer krank darnieder.

     Hinter unserem Gasthaus in Mureck hatte ich an der Mauer eine Einsiedlerklause mit einem vor dem Kreuz knieenden, betenden Eremiten gemalt. Da erhielt unser Haus gleich den Namen «Einsiedlerwirt».

     Wäre ich länger in Mureck geblieben, so würde ich auch dort ein Privat-Theater errichtet haben. Herr Lebzelter Probst hatte schon einen grossen Saal zur Verfügung gestellt. Kaufmann Kolletnigg hatte alle Farben samt Leinwand beizustellen versprochen, und von allen Seiten wurde Hilfe zugesagt. Als ich fortgezogen war, hatte ich den nicht sehr schmeichelhaften Nachruf: Jetzt haben wir einen Narren weniger in Mureck!

     Wenn ich in Graz gefragt wurde, wohin gehen wir am Sonntag, so hiess es immer: Wir gehen auf die Ries zum närrischen Wirt. Die dieses sagten, hatten wahrscheinlich nie begriffen, dass ich meine Narrheiten nur zur Unterhaltung der Gäste, aber nicht für mich, losliess.

     Eine der Hauptursachen, warum wir dort verkauften, war die, dass so viele Tabakschwärzer aus Ungarn beim Ladenwirt einkehrten. Sogar mit ganzen Wagenladungen kamen sie daher, versteckten ihre Pakete in den nahen Wäldern und schmuggelten den Tabak nachts in die Stadt. Aus Besorgnis darüber, vielleicht unversehens mit der Finanzbehörde in Konflikt zu kommen, war uns der Käufer der Realität sehr willkommen.

Als ich einst von Mureck nach Graz kam, war bei meinen Eltern ein sehr hübsches Mädchen als Dienstmädchen, eine Wirtstochter aus Murau. Sie erzählte, dass ihr Bruder zum geistlichen Stande bestimmt war und sich in Wien als Theologe aufhielt. Da schrieb er dem Vater, dass er vom Seminar ausgetreten sei und die Handlung erlernen wolle. Der Vater konnte nicht genug Geld auftreiben und dem Sohne nachsenden. Anstatt dieser aber die Handlung erlernte, war er in der Maler-Akademie und wurde ein Künstler ersten Ranges. Er ging mit seinen Bildern auf Reisen und sein Ruf wurde begründet. Da der Vater schon alt und schwach war, verlangte er, dass der Sohn nach Hause kam, um die Wirtschaft zu übernehmen. Er kam. Anstatt aber mit den Gästen zu verkehren, setzte er sich in einen Winkel und zeichnete die Gäste ab und liess die Wirtschaft Wirtschaft sein. Der Drang und die Begeisterung für seine Kunst trieb ihn wieder fort. Da der Alte sich nicht mehr zu helfen wusste, musste der die Wirtschaft verkaufen und die Tochter in den Dienst fortschicken.

     (169) Als dieser berühmt gewordene Maler Rafald nach Graz kam, stand in der Zeitung: Ein neuer Stern ist unter uns aufgestiegen, etc. Mir kamen die Tränen.

     Auf der Ries kam zu uns oft der Landesgerichtssekretär Hölbling. Er erlaubte mir, seine von Rafald gekauften Bilder zu sehen. Oh, wie war ich da in seligster Betrachtung der 5 herrlichen Landschaften und der 4 Bilder mit naturnahen Figuren aus dem wirklichen Leben versunken und so ergriffen, dass mir die nassen Augen lästig waren.

     Einst kam ich an der ungarischen Grenze zu einem Wirtshaus, vor welchem des Wirtes Mutter, eine sehr gemütlich dreinsehende, alte Frau beim Spinnrad sass. Ich nahm Papier und Bleistift und zeichnete die Alte ab, ohne dass sie es merkte. Da ich noch etliche Striche zu machen hatte, kamen drei Grenzjäger, und einer davon schrie: «Geschwind, 1 Mass Wein auf den Neuhold sein Konto!» «Ei, ei» sagte ich, «warum?» Da kam der Oberaufseher zu mir und zeigte auf jenen, der zufällig auch Neuhold hiess. Als er die Zeichnung sah, war er ganz entzückt über die frappante Ähnlichkeit mit der Spinnerin und ersuchte mich um das Bild, wonach bei der von ihm bezahlten zweiten Mass Wein alle nebst der Alten recht heiter wurden.

     Und so ergeben sich viele Gelegenheiten, bei welchen mich mein Schmerz plagte, nicht ein Maler geworden zu sein. Die Schwester des Rafald war dann zu Draiskirchen in Österreich mit einem Schuhmachermeister glücklich verheiratet. 30 Jahre lang hatte ein Werkelmann die Walzer gespielt, die 1830 bei meiner Hochzeit gezeigt wurden. Und so oft ich diese mir noch im Kopfe steckenden Walzer hörte, gab ich in seligster Erinnerung dem Werkelmann 4 Kreuzer.

     Seit dem 18 März des Jahres habe ich an diesem Anhang geschrieben. Ich hätte noch manches zu sagen, aber Augen und Hand sagen: «Es ist genug.»

     Aflenz in Obersteier am 23. April 1886

     gez. Johann Neuhold         ( Aber Achtung, es geht weiter.... )
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67. Lebensgefahren und der Fleischerhund

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     Die grosse Kälte in der ersten Hälfte März 1886 erinnert mich an den Winter 1821, wo die in der Stadt am rechen Murufer wohnhaft gewesenen Schüler der Normal-Schule gewöhnlich über die mehrere Wochen fest zugefrorene Mur nach Hause gehen konnten.

     Nachdem ich hier in Aflenz mehrere Kartandeln verfertigt habe, bleibt mir noch so viel Zeit, die ich hier müssig sein kann, diese meine Erlebnisse bis 18. März 1886 aufzuschreiben.

     Als ich in Graz beim Rucker Geselle war, entstand in der Zuckerfabrik ein grosser Brand. Der Meister Rucker trieb alle seine Gesellen dahin zur Hilfeleistung, weil die Fabrik seine Kundschaft war. Kaum hatten wir eine erst dorthin gelieferte, grosse, neue, 70 Eimer fassende Wanne gerettet, als ein brennender Boden herabstürzte und mich beinahe erschlagen hätte.

     Im Dezember 1829 brach in der Geschirrfabrik in der Karlau Feuer aus. Ich war der Nächste, dort wo der Brand am heftigsten wütete und stand oberhalb der Zeugkammer. Die Wassereimer gingen von Hand zu Hand bis zu mir. Auf einmal brach der Boden unter mir und ich fiel senkrecht in die in der Zeugkammer gestandenen mit weisser Erde und Wasser gefüllten Bottiche und stand bis an die Brust durchnässt. Ich hörte deutlich, wie oben am Boden alle davonliefen und hatte grosse Mühe, aus dem Bottich herauszukommen, während das Feuer oben schon übergriff. Kaum hatte ich mit einem in der Kammer gefundenen Krampen die Türe aufgesprengt und mich hinausgeflüchtet, als der ganze brennende Boden herabstürzte. Zum Glück hatte ich nicht weit zum Elternhaus, wo mir der Vater mit trockenem Hemd und Kleidern aushalf.

Als ich 1830 für bestellte Arbeiten Eichenholz benötigte, sandte ich meine liebe Frau nach Radkersburg, um mit dem dortigen Bindermeister Lang wegen Holzlieferung zu verhandeln. Ihre Schwester Marie ging mit. Beim letzten Haus in Kalsdorf, zweieinhalb Stunden von Graz, lag beim Tor ein Fleischerhund. Dieser kam langsam über die Strasse und ging den beiden gemütlich nach. Abends kamen sie zum Schlosse Freudenau, wo sie die Nacht verblieben und versorgten vorher den vor dem Tore Wache haltenden Hund mit Fressereien. Als sie andern Tages mit herrschaftlichem Wagen nach Radkersburg fuhren, lief der Hund hinten nach.

     Dort in Radkersburg zeigte meine liebe Frau, was eine geistreiche Rede vollbringen kann, nämlich: Die Köchin, die vor meiner Frau im Schlosse Freudenau bedienstet war, begegnete ihr zufällig und beklagte sich, dass sie von ihrem Liebhaber mit seinen Eheversprechen schon 9 ganze Jahre genarrt werde. (167)  Zufällig war der nämliche Bindermeister Lang dieser Liebhaber. Nach abgeschlossenem Holzhandel redete meine liebe Frau ihm so sehr ins Gewissen, dass er in Gegenwart der Köchin beteuerte, sein Versprechen ehestens zu erfüllen. Nach 4 Wochen kam von der Köchin ein Brief mit vielen Danksagungen; sie sei jetzt die glückliche Frau Bindermeister.

     Als meine liebe Gattin mit ihrer Schwester nach Radkersburg zurückkam, zottelte der Hund gemütlich wieder hinter ihnen her und legte sich in Kalsdorf beim nämlichen Hausherrn, von welchem aus er diese Reise mitmachte, wieder nieder. Da kann man wohl deutlich erkennen, dass die gütige Vorsehung diesen Fleischerhund als Beschützer mitgehen liess, da um dieselbe Zeit der erwähnte Bartl Hansel die Gegend zwischen Strass und Mureck so unsicher machte.
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