Sonntag, 25. Juli 2010

80. Der Herr Sohn zieht um

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     Die Obstbäume in dem von uns in Aflenz benützten Garten waren heuer voll reich mit Früchten. Sobald ein Beet des 100 Schritte langen und 40 Schritte breiten Küchengartens leer wurde, hatte ich zum Zeitvertreib die Beete nacheinander umgestochen und die hervorgegrabenen Steine beseitigt. Als ich mit dieser Arbeit fertig war, erhielt ich vom Herrn Sohne, k.k. Bezirksrichter, die Nachricht, dass er nach Knittelfeld übersetzt werde. Da hatte ich nun viele Vorbereitungen wegen der Übersiedlung und zum Einpacken viel und angestrengt zu tun.



     Als ich im Sommer 1888 an meinem Unterleibsbeschwerden mit Blutegeln behandelt wurde, entstand dort, wo die sassen, mit der Zeit eine Art Verhärtung, die nicht schmerzte, aber nach und nach grösser wurde. Dr. Lichtenegger wusste Mittel dagegen.

     In der Zeit nun, da ich wegen der Übersiedlung so sehr beschäftigt war, fing die vorerwähnte Verhärtung zum Eitern an. Ich hatte furchtbare Schmerzen und liess am 2. Oktober 1890 früh den Arzt Dr. Winkler holen. Dieser sah meinen Zustand als höchst gefährlich an und drang sogleich auf Abreise nach Bruck ins Spital. Mein Herr Sohn, besorgte gütigst sogleich den Wagen. So fuhr ich gegen 11 Uhr per Post in Begleitung von Enkelin Hulda nach Bruck, nachdem ich vorher noch eine Suppe zu mir genommen hatte.

     Im Spital wurde mein Leiden von drei Doktoren untersucht und die Öffnung des beinahe faustgrossen Tippels beschlossen. Zur Jause erhielt ich ein Glas warme Milch und auf den Tippel Umschläge.

     Anderntags wurde der Tippel vom Spitalarzt Dr. Bertha, in Gegenwart des Herrn Dr. Schmid und noch eines Herrn Doktor aufgeschnitten. Nach Entleerung von Blut und Eiter wurde der Tippel gereinigt, besalmt und überbunden. Vier Spital- oder Kreuzschwestern gingen  mit Salben, frischem und lauwarmem Wasser und schliesslich mit Verbandzeug zu Werke.

     Die Verpflegung 2. Klasse mittags  (194)  und abends war vortrefflich und stets mehr als genügend. Der Jausenkaffee am Morgen war recht gut, und zwischen Frühkaffee und Mittagsmahl gab es gute Suppe und eine Semmel. Die Schwestern waren sehr freundlich und sorgsam. Die Wunde wurde alle Tage von Herrn Dr. Bertha frisch überbunden, aber die Heilung derselben ging sehr lansam voran. Er erzählte mir, dass er, als er in Graz studierte, meine Bilder beim Ladenwirt auf der Ries gesehen uns sie ihm gefallen haben und dass er selbst gern zeichnete. Da beschloss ich, ihm einige meiner vorrätigen Bilder zu verehren.

     Am 22. Oktober zahlte ich für 21 Tage Verpflegung per Tag 1 Gulden 50 Kreuzer und an Trinkgeldern 1 Gulden 22 Kreuzer.

     Am 30. November kam der neue Bezirksrichter nach Aflenz und am 1. Dezember traf dessen Einrichtung auf Möbelwägen von Graz her ein. Nach dem Abladen derselben wurden unsere Möbel aufgepackt, welche am 6. Dezember per Bahn in Knittelfeld ankamen.

     Am 3. Dezember fuhr Herr Dr. Eduard Neuhold samt Frau und Tochter Grete und der Köchin von Aflenz fort. Sie kamen zusammen mit ihrer Tochter Hulda, die sich am zweiten Tag über Nacht bei einer Gräfin in Bruck aufhielt, gegen Abend nach Knittelfeld, wo die ganze Familie bis zur Ankunft der Möbel in einem Hotel bleiben musste.

     Vor der Abreise von Bruck am 3. Oktober war Herr Dr. Neuhold so gütig, mich im Spital noch vor der Operation zu besuchen. Auch kam Herr Wawrinek viermal zu Besuch, und da ich so gerne schnupfte, brachte er eine Portion Tabak mit. Am 22. Dezember nachmittags fuhr ich nach Leoben für 35 Kreuzer und kam gegen 5 Uhr dort an. Am 24. kam auch Major Plank mit Schwester Dominika dahin und am 26. Herr Dr. Neuhold. Bei Wawrinek wurde in den Weihnachtsfeiertagen herrlich geschmaust.

     Im Sommergger'schen Haus befindet sich eine Gastwirtschaft »Zur Stadt Graz«. Eine Tochter dieser Wirtin, Stefi, ist mit dem Herrn Steuereinnehmer in Knittelfeld verehelicht. Da dieses Ehepaar über die Feiertage bei der Mutter war, so wurde ich mit ihnen im Gastzimmer bekannt.

     Am 26. Oktober abends fing meine wahrscheinlich nicht gut verheilte Wunde zu schwitzen an. Daher reiste ich am 28. früh per Bahn für 40 Kreuzer nach Knittelfeld und traf dort um 11 Uhr am Bahnhof ein, wo ich von Herrn Dr. Eduard und Enkelin Hulda freundlich bewillkommt wurde. Edi fuhr mit diesem Zuge nach Judenburg und kam abends wieder zurück. Enkelin Grete Neuhold hatte mich auch recht freundlich empfangen und mich in das für mich sehr nett bereitete Zimmer gewiesen.

     Dr. Lichtenegger in Aflenz hat mir für den Fall, dass mir in Knittelfeld etwas fehlen sollte, den Dr. Pölz empfohlen. Am 31. ging ich zu ihm. Er besichtigte meine Wunde und verschrieb kalte Umschläge, die in der Apotheke 46 Kreuzer kosteten, aber vergeblich waren. (195)  Erst nach fortgesetztem Gebrauche einer Salbe wurde das Übel beseitigt. Ich blieb noch 20 Tage bettlägerig. Inzwischen konnte ich noch Briefe an meine Tochter in Wien schreiben und auch Briefe nach Karlsbad und Mureck schicken. Auch gab ich 3 Bilder für Dr. Bertha in Bruck auf die Post, dann noch 4 Bilder für die Maister'schen Töchter in Leoben und für Hans Sommeregger.

     Nachdem ich zu dem am 29. November 1890 zu Ehren des von Aflenz scheidenden Herrn Bezirksrichter Dr. Eduard Neuhold veranstaltetem Abschiedfeste wegen meiner heillosen Schmerzen nicht erscheinen und somit mich nicht verabschieden konnte, so schrieb ich an den Herrn Grabner und Kaufmann Petschaller mit der Bitte, alle Aflenzer von mir schönstens zu grüssen und mich bei allen zu entschuldigen. Mit dem Schreiben an Petschaller sandte ich ihm zwei Landschaftsbilder und für Lebzelter Schmölzer als Andenken zwei Figurenbilder.

     Daraufhin erhielt ich von Herrn Petschaller eine zarte und freundliche Danksagung. Auch von Herrn Dr. Bertha kam an mich eine sehr freundliche Zuschrift.

     Der im zweiten Buch meiner Erlebnisaufzeichnungen erwähnte Gastwirt Haas starb am 10. September 1990 90 Jahre alt.
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Samstag, 17. Juli 2010

79. Das Unwetter in Aflenz 11. August 1890

     Am 28. Juli machten ich und Ella einen Spaziergang, zwei Stunden weit bis Etmissl. Im August waren hier sehr scharfe Gewitter. Am 11. August blitzte und donnerte es den ganzen Tag. Um 8 Uhr abends war das Gewitter schon ganz furchtbar und es entlud sich vom Hochschab her über die Bürgeralm und die nächsten Hochgebirge ein fürchterlicher Wolkenbruch, welcher beinahe zwei Stunden dauerte. Ich war von jeher gewohnt, abends bei Gewitter so lange aufzubleiben und wach zu sein, bis sich das Gewitter verzogen oder ausgetobt hat.

     Als ich am nämlichen 11. August 1890 abends das herannahendes Gewitter bemerkte, legte ich mich in der ebenerdigen Wohnung angekleidet auf mein Bett. Gleich darauf rasselte es vor meinem Fenster, als ob mehrere Fuhren Steine abgelagert würden. Ich sprang auf und sah beim Leuchten der Blitze, wie vom Bürgergraben herab ein furchtbarer Strom Wasser daherbrauste und die grössten Bäume daherschwemmte. Wir hatten Angst, dass durch den Anprall so vieler mächtiger Hölzer, Steine und Geröll die westliche Seite des von uns bewohnten Hauses unterwaschen werden könnte, so dass ein Einsturz zu befürchten war. Daher flüchteten wir mit unseren wertvollen Sachen in die östliche Hälfte des Hauses. Grosse Massen von Bäumen, Bau- und Brennholz trug die rasende Flut mit sich und staute sich im Orte Aflenz stellenweise an den Häusern. In vielen ebenerdigen Wohnungen stand das Wasser nebst Schlamm und Geröll einen Meter hoch. Schöne Gärten wurden zerrissen und mit Geröll überschüttet. Erst am anderen Tage konnte man das wirklich grosse Unglück und die furchtbare Verheerung überblicken.


     Die schönsten Felder und Wiesen wurden massenhaft mit Steingeröll überflutet. Ich ging öfters in den ziemlich bergauf liegenden Bürgergraben spazieren und zählte so weit ich kam 23 Wehre, welche  (192)  dafür bestimmt waren, das beim Schmelzen des Schnees oder bei Regengüssen sich sammelnde Geröll aufzuhalten, so dass es nicht in den Markt herbkomme. Nun kann man sich von der Gewalt des entfesselten Elementes einen Begriff machen, da alle obigen Wehre nebst Brücken und Stegen verschwunden sind und der Bürgergraben in ein steinernes Meer verwandelt wurde.

     An einem Punkt war ein Tor mit starken Säulen, und es war ein grosses Wunder, dass sich an diesen Säulen eine grosse Masse Gerölls staute, sonst wären drei bis vier Häuser völlig zerstört worden oder weggerissen.

     Diese furchtbaren Regengüsse erstreckten sich über fünf gegen Süden ziehende Täler oder Gräben: St. Ilgen, sodann Fölz-, Bürger-, Jauring- und Feistritz-Graben. Ganz furchtbar sah es in dem beinahe zwei Stunden langen, mehr eben gelegenen Fölzgraben aus. Die Strassen wurden hie und da bei 2 – 3 m hoch weggerissen. Im Fölzgraben lagen ungeheure Mengen Holz, stellenweise fast 3 - 4 m hoch übereinander geschemmt. Der Fölzbach suchte dort und da ein neues Bett. Eine Mahlmühle und die Bodenstampfe wurden ruiniert und können erst nach vielen Monaten wieder benützt werden.

     Herr Graf von Meran hat in dieser Gegend grosse Jagdbarkeit und ein hübsches Jägerhaus. Zur baldigen Wiederinstandstellung der dorthin führenden und von der Überschwemmung gräulich verwüsteten Strasse hatte Graf Meran viele Arbeiter dahin beschieden. Alle vorher erwähnten Wässer nebst denen von Seewiesen und Turnau kommen im Ort Thörl zusammen. Alle Brücken daselbst bis Kapfenberg wurden zerstört. Zur Herstellung der Brücken kamen sogleich 50 Pioniere, da die Poststrasse fahrbar gemacht werden musste.

     Da um diese Zeit ungefähr tausend Personen Wallfahrer nach Maria Zell pilgern wollten und alle Brücken zerrissen und die Strassen schwer beschädigt waren, musste – statt über Aflenz – ein anderer Weg über das Gebirge gesucht werden. Bis die Wallfahrer später zurückkamen, konnten sie ja bereits wieder über Aflenz marschieren.

     Nicht mal die ältesten Leute konnten sich an keine so grosse Überschwemmung erinnern. Über alle vorgefallenen Verwüstungen liesse sich ein dickes Buch schreiben.

     In der Hauptstrasse in Aflenz bestehen vier Brunnen. Zu diesen fliesst das Quellwasser über Röhren vom Gebirge herab. Alle die schweren Tröge bei diesen Brunnen, die zur Viehtränkung stets mit Wasser voll gefüllt waren, wurden durch die Gewalt der Wasserflut fortgeschwemmt. Die Leitungsröhren gerieten teilweise aus der Lage, so dass grosser Mangel an klarem Wasser eintrat. Der der Kirche gegenüber befindliche Brnnen hatte noch klares Wasser, da er von der Überschwemmung verschont blieb.  (193)  Mit grösster Anstrengung und mit Pferden mussten die Brunnentröge sogleich wieder an Ort und Stelle geschafft werden.

     Aus nachbarlicher Freundschaft half ich dem Schneider Ortner einen halben Tag lang Wasser aus dem Keller zu schöpfen. Eine halbe Stunde aufwärts im Bürgergraben von Aflenz besteht ein vor mehreren Jahren in den Berg hineingebauter Keller mit Vorhalle. Auf dem geräumigen Vorplatz desselben sollte zur Unterhaltung der zahlreichen Sommerfrischler am 15. August ein Waldfest abgehalten werden. Das wurde aber wegen der Überschwemmung vereitelt und mehr als die Hälfte des Vorplatzes wurde vom Hochwasser weggerissen, so dass die verbliebene Hälfte vor einem 3 Meter tiefen Abgrunde stand. So wie alle Marktbewohner waren auch alle Sommergäste in grösster Bestürzung, daher auch mehrere der letzteren tunlichst abreisten. 
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