Mittwoch, 31. März 2010

58. Vom Sonnenstich? Vom Kohlenschleppen?

      .
     Als Dr. Wasserfall im Mai 1871 starb, suchte ich – 63 Jahre alt, aber noch gesund und kräftig – nochmals um eine Stelle beim Magistrat an. Ich wurde aber mit der lügenhaften Behauptung: «Der Magistrat ist keine Versorgungsanstalt» abgewiesen, obwohl damals mehrere im gleichen Alter mit mir dort bedienstet waren. Da bemerkte ich, dass keiner sehr angestrengt war; ich selbst fühlte noch die Kraft in mir, bei meinem Fleisse das Doppelte zu leisten. Meine Schrift war zwar zierlich, doch flink und leserlich.

     Im Monat Juni 1871 war ich beim knauserigen Dr. Blamer, der alles selbst verrichten wollte, um 25 Gulden Monatsgeld. Vom 1. Juli 1871 bis Ende Juni 1880 war ich 9 Jahre in der Kanzlei des sehr geschickten Dr. Reddi für ein Monatsgeld von 35 Gulden. Da hier anfangs nicht viel zu tun war, fing ich in den müssigen Stunden und in Abwesenheit des Herrn Dr. Reddi an, meine Erlebnisse niederzuschreiben, kam aber nur bis zum Doppelstrich.

Nachdem jedoch dieser Herr Dr. Reddi die meiste Zeit im Kaffeehaus zubrachte und mit den für Parteien eingegangenen Geldern sehr gewissenlos umging, verlor er nach und nach das Vertrauen und alle seine Klienten, so dass er sein Geschäft in Graz aufgeben musste und nach Windischfeistritz übersiedelte.

     (145)  Am 31. Juli 1876 gingen ich und meine Frau, dann die Enkelin Gabriele und Wawrinek Elisa früh nach Gösting zum Annenfest. An diesem Tag war die grösste Hitze des ganzen Sommers. Wir besichtigten die Kapelle, den lieblichen Garten und das Glashaus. Bei Dr. Wasserfall war immer sonn- und feiertags die Kanzlei geschlossen. Dr. Reddi hatte aber die Kaprizze, dass auch an diesen Tagen alle Schreiber um 9 Uhr in der Kanzlei sein mussten. Ich konnte also nicht bei meiner Frau bleiben, trug ihr aber recht ernstlich auf, wenn sie noch länger dableiben wollte, bei dieser Hitze ja nicht zu fuss, sondern per Stellwagen den Rückweg zu nehmen.

     Ich eilte zur Stadt und die liebe Gattin ging mit den Kindern in das Göstinger Bräuhaus. Da sie aber bei ihrer gewohnten Sparsamkeit die Kosten der Stellwagenfahrt ersparen wollte, ging sie mit den Kindern bei der Hitze gegen Mittag nach hause. Da kam die Nachricht, dass von Pettau der mit meiner lieben Gattin verwandte Hafnermeisterssohn des bereits verstorbenen Johann Maister samt Familie nach Graz kam, und dass wir nachmittags zum Gasthaus Köflacher Bahnhof kommen sollten. Familie Wawrinka kam auch, und so war eine heitere Gesellschaft von 17 Personen beisammmen. Alle waren sehr fröhlich. Da gleichzeitig beim Gasthaus Häuslbauer eine Art Volksfest stattfand, ging die ganze Gesellschaft da hin. Wir alle unterhielten uns sehr gut, denn es gab zu schauen und zu lachen.

     Auf einmal wurde meine liebe Frau ganz still. Ihre sonst so heiteren und lebensfrohen Gesichtszüge waren momentan auffallend verändert, entstellt und fremd. Mein Schrecken und meine Traurigkeit hierüber war grenzenlos. Ich zitterte am ganzen Körper und die ganze Gesellschaft wollte von mir erfahren, was sie denn verdrossen oder wer sie etwa beleidigt haben könnte. Sie gab keine Antwort und verlangte, gleich nach hause zu gehen. Ich war bis in das Innerste der Seele betrübt und brachte sie in unserer Wohnung gleich zu Bett und weinte bitterlich, in der Vorahnung, dass ich so aus meiner Seligkeit gerissen, mein liebes Weib, meinen Schutzengel bald verlieren würde.

     Andern Tages kamen alle Bekannten, um sich über das Befinden meiner armen Frau zu erkundigen, sie bedauerten sie herzlich. Unbegreiflich war es, dass selbst unser sonst so braver Arzt Rauch ihren Zustand nicht begriff. Die arme Frau verlor allen Appetit und wurde entsetzlich mager. Seit langer Zeit weinte sie wieder und bat mich, mit ihr Geduld zu haben. Wenn mir meine Angst und Trostlosigkeit häufig Tränen entlockten, frug ich mich, warum ich so viel weinte, worauf ich ihr meinen Schmerz über den baldigen Verlust meines innigst geliebten Weibes vorstellte. Sie kannte keine Uhr und kein Geld mehr.

     (146)  Bis jetzt hatte ich ihr seit 1850 all meinen Verdienst gewissenhaft übergeben und sie hatte auch damit getreu gewirtschaftet. Ich selbst hatte keine eigenen Bedrüfnisse ausser Zeichnen und Farben zur passionierten Malerei. Ich musste die ganze Wirtschaft selbst besorgen.

     Da las ich einst in der Zeitung, dass in St. Pölten beim Exerzieren 9 Mann am Sonnenstich erkrankten. So kam ich auf den Gedanken, dass der unselige Zustand meiner armen Frau auch durch die übermässige Hitze am 31. Juli entstanden sei. Im darauffolgenden September hatte sie sich wieder so weit erholt, dass sie wieder kleinere Spaziergänge machen konnte. Aber das unergründliche Schicksal hörte nicht auf, uns zu quälen. Wenn wir Steinkohle benötigten, nahm ich immer auf einmal 20 Zentner, zerkleinerte sie und schleppte sie korbweise allein in die Holzlege.

     Als wir am 17. Oktober mittags wieder 20 Zentner erhielten, machte ich mich gleich an die Arbeit, um noch vor der Kanzleistunde fertig zu werden. Da kam meine liebe Ehegattin vom 2. Stock herab, um mir zu helfen. Ich bat sie wiederholt dringend, in ihrem Zimmer zu bleiben, denn die 20 Zentner waren für mich ein Kinderspiel. «Ja, was würden die Leute sagen und von mir denken, wenn ich untätig im Zimmer bliebe, statt zu helfen», sagte die gute Frau und liess sich durchaus nicht abhalten, die verkleinerten Kohlen in den Korb zu klauben. Doch das mehrfache zu Boden Bücken muss ihr eine Gehirn-Konfusion verursacht haben; denn wie ich abends nach hause kam, lag die arme Frau schwerkrank darnieder und ich erkannte sogleich zu meinem Schrecken, dass jetzt unser Glück für immer dahin sei.

     Ich hatte sonst niemand ausser der Enkelin Gabriele, die noch in die Schule ging. Ich nahm sogleich die Schwester der ersten Frau des Herrn Dr. Wawrinek, Viktoria Wengert als Wärterin auf, bis sie Ende Februar 1877 bei der Kranken war und die irtschaft (den Haushalt) führte. Ich hätte sie zur Pflege der armen Gattin noch länger bei uns behalten, aber meiner Frau fiel es ein, dass die Wärterin in ihrer Jugend im Stande war, allen Männern den Kopf zu verrücken, sonach bei mir vielleicht die Gefahr vorhanden wäre. Welche kuriose Vermutung! Die Wärterin war weit über 60 Jahre, von ihrer einstigen Schönheit und sonstigen Reizen war keine Spur mehr vorhanden. Als meine Frau den Typhus hatte, waren alle ihre Kopfhaare ausgefallen, wuchsen dann aber wieder dunkelbraun wie früher nach.
    
     Den Arzt, Dr. Rauch, der meine liebe Gattin behandelte, bat ich während der Krankheit wohl sehr oft und recht dringend, sie vom Sterben zu retten. Er tröstete mich und meinte, dass sie noch fünf bis sechs Jahre leben werde. Er hat mir geraten, die feuergefährliche Wohnung im  (147)  Dachgeschoss schon wegen des für die arme Frau unbequemen Aufganges zu verlassen. Mehrere Monate gingen wir in das Gasthaus zum Flossmeister Grengg zur Mittagskost, denn die arme Frau konnte sich mit eigener Küche nicht befassen.

     Nach vielem Herumsuchen fanden wir endlich im Hause des Herrn Wastian in der Sterngasse nächst dem Griesplatze eine lichte Wohnung im ersten Stock mit 2 Zimmern, Küche und Holzlage für montlich 12 Gulden. Der neben uns wohnhafte Herr war Marqueur   und hatte eine kleine, freundliche Frau.

     Meine Gattin wollte nun wieder selbst kochen. Als ich einst im Landtafel-Amte zu tun hatte, kam eilig ein Dienstmann mit der Weisung, ich solle sogleich nach hause kommen, denn meine Frau hätte der Schlag getroffen. Man kann sich denken, wie bei dieser Schreckensnachricht mein Herz erbebte. Ich eilte, was ich konnte und fand meine arme Frau noch lebend unter den Händen der braven Marqueursleute, die noch immer die halb Bewusstlose zu laben bemüht waren.

     Kaum hatte sich die so schwer betroffene, arme Frau nach einigen Wochen von diesem Schlaganfall etwas erholt, kam der dritte, denn ich rechnete die traurige Begebenheit vom 31. Juli 76 als den ersten. Ich hatte an einem Sonntag früh gerade eine wichtige Schreiberei. Meine Gattin sass ganz stille im Armstuhl nicht weit von mir, da merkte ich im Schreibeifer nicht, dass sie zusammensank. Zufällig ging die Nachbarin an unserer offenen Zimmertür vorüber, und das Zusammensinken gewahrend, eilte sie mit dem Ausruf: «Um Gottes Willen, die arme Frau Neuhold!» zu Hilfe. Wir brachten sie zu Bett, labten sie so viel wie möglich und bemühten uns, sie wieder zu Bewusstsein zu bringen.

     Den ganzen Monat Mai 1879 litt ich an Herzkrankheit; der Arzt wollt mir die Herzbeutel-Wassersucht profezeien. Meine liebe Gemahlin, die Bewegung und fleissige Arbeit gewohnt war, siechte nun dahin. sie konnte nichts mehr tun. Der Arzt behauptete, gegen Altersschwäche gebe es kein Mittel.

     Das böse Geschick liess meine arme Frau nicht mehr in Ruhe. Plötzlich wurde sie wieder vom Rotlauf befallen. In der Lagergasse fand ich eine Tischlersfrau als sehr brave Krankenwärterin, namens Sininger, deren Mann beim Zimmermeister Pucher arbeitete.

     Unsere Tochter Marie war 4 Jahre bei der Gräfin Bathyany als Kindsfrau und als die gräflichen Kinder eine Gouvernante bekamen, wurde Marie als Kindsfrau entbehrlich. so kam Marie nach hause und löste die Wärterin ab. 
.

Montag, 29. März 2010

57. Der Gesichtsrotlauf --- Unsere Enkelinnen

                 .
(143)  Meine liebe, gute Frau wurde nach dem glücklich überstandenen Typhus wieder kerngesund. Wir machten sehr fleissig Spaziergänge. Ich war von ihrem stattlichen Aussehen so entzückt, dass ich sogar die Frage wagte, als sie 60 Jahre alt war, wie sie es denn anstelle, dass sie immer schöner werde; sie antwortete: «Dies macht das Vergnügen, die Zufriedenheit und das gute Gemüt.» Ich bat den lieben Himmel, dass es doch immer so bliebe.

Und doch kam wieder furchtbares Unglück über die arme Frau. Aus unergründlicher Ursache oder Veranlassung überfiel sie der wilde Gesichtsrotlauf, diese Krankheit ist fürchterlicher als der Typhus und Blattern. Die Ärzte Rauch und Dittertag taten alles Mögliche, meine mir so ans Herz gewachsene Gattin, meine zweite Seele von den schrecklichen Qualen zu befreien. Nach vielen Wochen erholte sie sich wieder, aber die vorigen Kräfte waren sehr vermindert.

     Unsere Enkelin Anna, die inzwischen sehr vieles gelernt und auch im Bad Rauch auch schwimmen lernte, kam nach Triest zu einer Gräfin in Dienst und machte sich dort auch die italienische Sprache zu eigen.

     Wenn sie dort im Meer badete und alle Schwimmkünste zeigte, hatte sie stets eine Menge Zuschauer. Weil aber ihr Vater, der sich bald in Fiume, Pipiano und Triest herumtrieb, sie immer um Geld quälte, so kam sie wieder nach Graz, war mit der Mutter Maria Schidan eine Badesaison im Hotel Holzer in Bad Gleichenberg und nahm Dienst bei der Gräfin Kesslstadt in Graz. Als eine Baronin Herzberg von Wien kam und im Hotel Elefant logierte, machte diese ihr Verlangen nach einem Kindermädchen in der Zeitung bekannt. Als sich hierzu viele Dienstboten meldeten, war unsere Anna die 32. Vorgemerkte und bekam diese Stelle, weil sie die deutsche Sprache rein und korrekt konnte, und überdies krainerisch und italienisch geläufig sprach.

Mittlerweile wurde der Herr Baron Herzberg als Konsul in Smyrna ernannt. Anna wurde kontraktlich auf drei Jahre aufgenommen mit der Bestimmung, dass wenn sie drei Jahre aushält, die Kosten der Rückreise von ihrer Herrschaft bestritten würden. Hält sie aber die drei Jahre nicht aus, hat sie die Rückreisekosten aus Eigenem zu tragen. Die Familie v. Herzberg reiste auf der Donau von Wien bis Rustschuk (Ruso, Bulgarien) in der Türkei, von dort per Bahn nach Warna (Varna, Bulgarien) am Schwarzen Meer und dann mit dem Dampfschiff nach Konstantinopel. Nach dortigem Aufenthalt von zwei Tagen ging die Weiterreise nach dem noch drei Tagereisen entfernten Smyrna (Izmir) in Asien. Dort war Anna sechseinhalb Jahre lang. Es ging ihr sehr gut. Weil dort keine Sparkasse besteht, sandte sie nach und nach 300 Gulden in Gold, welches ich samt Agio à 14 Gulden in Graz für sie in die Sparkasse gab.

     (144)  Enkelin Paula in Fiume war bei einer Herrschaft bedienstet und heiratete dort. Die Herrschaft übersiedelte nach Pola. Dort starb Paulas Mann und hinterliess zwei Kinder. Paula ehelichte dann in Pola einen bei der Marine Angestellten.

     Eine Gräfin Dietrichstein, eigentlich Fürstin, errichtete aus den in Graz angekauften Mildschuh'schen Gründen mit drei Häusern in der Schlögelgasse eine Stiftung für arme, pensionierte Offiziere, die sich für das Haus Österreich besonders verdient gemacht hatten. Eduard wurde Inspektor dieser Häuser und übersiedelte dahin. Da meine arme Frau nach dem grässlichen Rotlauf nicht mehr so leicht in den 4. Stock hinauf konnte, gingen wir mit unserem Sohn Eduard mit. Neunzehneinhalb Jahre hatten wir in diesem Haus zugebracht.

     Den bei uns durch 18 Jahre gewesenen Zimmerherrn, Peter Schantl, Frauenkleidermacher, konnten wir wegen Mangel an Raum nicht mitnehmen. Meine arme Frau musste die Wirtschaft für die beiden Familien fortführen, was ihr beim besten Willen schon schwer ankam. Wir waren vom 1. Oktober 1874 bis 4. August 1875 bei Eduard, welcher in dieser Zeit das Doktor-Diplom erhielt und Adjunkt beim k. u. k. Bezirksgericht Umgebung Graz wurde.


     Wir zogen dann am Nikolei-Quai beim Zeugschmied Herzog in ein Zimmer samt Küche und waren in allem still und vergnügt.
_____________________________________

(888)  Die Zahlen in Klammern sind für Euch nicht wichtig, aber für mich. Es sind die Seitenzahlen im Schreibmaschinen-Transskript, das der Onkel Blinz als Abschrift des von  Johann Neuhold handschriftlich verfassten Originals mühsam vollbracht hat. Also nur zur Information. - 

Denkt auch dran: Die Bilder lassen sich per Doppelklick vergrössern. Und unterstichene Wörter im Text solltet Ihr auch anklicken, dann erscheint ein Erklärungstext (Google und Wikipedia sei Dank).

Eberhard

Samstag, 27. März 2010

56. Die Turner-Reise nach Judenburg

r       .
     Am Pfingstsamstag 1866 machten 90 Grazer Turner einen Ausflug nach Judenburg, welchen Eduard als Turner und ich als unterstützendes Mitglied mitmachten. Mit dem Köflacher Zug ging die Fahrt nach Köflach, wo Nachtlager gehalten wurde. Anderntags fuhren wir durch Lankowitz über die Stubalpe. Auf der Höhe derselben wehte ein gewaltiger Sturm, dass ein Mann allein nicht imstande war, fortzukommen. Drei und drei, Arm in Arm – nur so war es möglich, dem Sturm Trotz zu bieten. In einer Stunde jenseits, abwärts steht ein grosser Bauernhof «Zum Stübler», damals dem Judenburger Baumeister Zerro gehörig, wo uns eine Depudation der Judenburger Turner bewillkommte und auf Veranlassung des Bürgermeisters Habiantschitsch eine Mittagstafel hergerichtet war. Da gab es Schinken, Käse, Salami, Brot, Eier und Wein im Überfluss. Jeder konnte vertilgen, was er wollte – eine Gebirgsreise macht ja einigen Appetit. Nach einigen, vom Grazer Musikvereins-Lehrer Genser dirigierten Gesangsvorträgen setzte sich die gestärkte Gesellschaft nach Ausser-Feistritz am Fusse der Stubalpe in Bewegung, wo wieder für jeden Mann eine Halbe Bier samt 1 Stück Brot gratis bereit war. Auf 18 Leiterwägen mit darauf angebrachten Sitzen kam der ganze Zug – die Weisskirchner Musikbande voran – zu diesem Markte, wo sich die Musiker aufstellten und wir vorbeidefilierten. Dann ging es in grösstem Trapp in starker Sonnenhitze und heftigem Staube gegen Judenburg.

     Vor der Stadt erwarteten und bewillkommten uns die Judenburger Turner mit Fahnen und einem schönen Gedichte. Dann hielten wir – die gut geschulten Musiker, 12 Mann in Bergmannstracht voran, in militärischem Schritt – unsern feierlichen Einzug in die Stadt, wo nach beendigtem Abendgottesdienst noch eine ungeheure Menge Menschen von nahe und fern versammelt war, um den Einzug zu sehen.

     Alle Gassen, durch welche wir marschierten, waren mit Fahnen und Blumen geschmückt; wir wurden mit Blumen beworfen und vom Bräuhause herab kam ein grossartiger Blumenregen. Die Frontaufstellung geschah am Hauptplatze, da wurden Quartierkarten ausgeteilt. Ich kam zu einer freundlichen Professorenfamilie und Eduard mit einem Handlungs-Comis zu einem Kaufmann. (142)  Abends war sogenannter Zapfenstreich und dann auf der Post grosse Tafel, wie bei einer reichen Hochzeit. Bewillkommnungs-Deklamationen, Gesang und Tanz kamen abwechselnd vor, und die jugendliche, schöne Welt war zahlreich vertreten.


     Für das Gastmahl zahlte jeder Turner 60 Kreuzer. Am andern Tage früh zog die Musikbande durch die Stadt. Dann wurde ein Ausflug über einen nahen, niedrigen Berg und zurück zur Schiessstätte organisiert. Im grossen Hof des ehemaligen Klosters war herrliches Schauturnen, bei welchem die Judenburger und Grazer Turner an Künsten und Körperkraft wetteiferten.

     Mittags war wieder reich besetzte Tafel. Dann, nach herzlichem Abschiednehmen von den überaus freundlichen Judenburgern, platzierten wir uns wieder auf den bereitgehaltenen 18 Leiterwägen. Unter Jubel, Jauchzen und Hüte Schwenken kam der Zug fort nach Ausser-Feistritz. Dort machte ich auf den näheren Weg über die Stubalpe aufmerksam, den ich vor 45 Jahren gegangen war. Die Hälfte der Gesellschaft machte mit dem Tambour den Weg über die Strasse, die andere Hälfte mit dem Trompeter entschied sich für den Feistritzgraben. Nach ein paar Stunden kamen wir zum kleinsten Pfarrorte, Klein- oder Innerfeistritz.

Hier trat uns der Pfarrer entgegen und sagte: «Meine Herren, Sie dürfen hier nicht still vorbeiziehen, ein kleiner Imbiss wird nicht schaden, denn ich bin ein Turnerfreund!» Er bewirtete uns mit delikatem Bier, Käse, Brot und 2 Mass sehr guten Weins. Drei herzige Mädchen von 10, 12 und 14 Jahren bedienten uns abwechselnd. Herr Pfarrer sagte, diese Kinder wären seine Cousinen, für die er zu sorgen habe.

     Die andere Gesellschaft hoch oben auf der Strasse bemerkte uns, und der Trommler meldete sich, worauf unser Trompeter Antwort gab. Nach ein paar Gesangsvorträgen erstatteten wir dem freigebigen Herrn Pfarrer unseren Dank. Dann ging es jäh bergauf. Um 12 Uhr nachts kamen wir auf der höchsten Höhe mit der anderen Gesellschaft zusammen. Ich war immer der erste voraus und alle wunderten sich, wie ich mit 58 Jahren so tapfer marschieren konnte. Um 4 Uhr früh waren wir in Köflach. Um 5 Uhr ging es per Bahnzug nach Graz. Nach Begrüssung meiner Kinder und zärtlicher Liebkosung meiner braven Gattin nahm ich den Kaffee und ging dann in die Kanzlei. Mittags machte ich ein Schläfchen.

     Diese Reise bleibt mir wohl unvergesslich. Um den Judenburgern ein Andenken zu geben, sendete ich an den Turner Egyd Frank, Cousin der Anna Frank von den «Biertrinkern» 2 Bilder, eines für ihn und eines mit dem Wunsche, dass dasselbe im Bräuhause, wo wir so sehr mit Blumen überschüttet wurden, angebracht werde. Nach 2 Jahren schrieb Edyd Frank, dass alle Jahre am Pfingstsonntag das Bild im Bräuhause mit frischen Blumen gekränzt werde.
.

Donnerstag, 25. März 2010

55. So oft ich nur das Wort Laibach hörte ....

                   .
      (137)  Nachdem meine Frau den Wunsch hatte, Triest zu sehen, sind wir per Bahn bis Laibach, besuchten die Tochter und fuhren mit Stellwagen über den Karst nach Triest. Dort besichtigten wir die schöne Stadt, besuchten Bruder und Schwester unseres Schwiegersohnes und sind dann andern Tages wieder zurück.

Nach zwei Jahren drang meine liebe Gattin darauf, Venedig zu sehen. Wir beide,  dann Eduard und Marie, die Tochter meiner Schwester Resch, fuhren am Pfingstmontag nach Adelsberg, wo wir die berühmte Grotte besuchten. Wir schlossen uns dem ebenfalls nach Venedig reisenden Grazer Fleischhauer Pferschy an, kamen um 11 Uhr nachts in Triest an, wo wir nach eingenommenem Kaffee um 12 Uhr auf dem Dampfschiffe nach Venedig fuhren und dort um halbneun Uhr früh ankamen.

     Im deutschen Gasthaus «Zur Stadt München» kehrten wir ein und ein Führer geleitete uns den ganzen Tag für 7 Silbergulden zu verschiedenen Merkwürdigkeiten. In der «Stadt München» haben wir für Essen, Bier und Betten 6 Gulden bezahlt. Vom Markus-Turm aus sahen wir, so weit das Auge reicht, alle Berge mit Schnee bedeckt. Es war empfindlich kalt, so dass abends am Markusplatz die Musik nebst Korso unterblieb. Anderntags fuhren wir zurück. Auf dem Schiffe hin und zurück hatte die Resch Marie und unsere Tochter unter der Seekrankheit sehr zu leiden. Uns war es leid, dass wir nicht noch einen Tag länger geblieben sind, um noch mehr zu sehen.

     In Laibach gab es zwei Schneidermeister, deren Gattinen nebenbei Gastwirtegeschäfte betrieben und dabei zu Vermögen gekommen sind. So wollte es unsere Tochter auch machen. Wir schossen wieder Geld vor, aber das Gasthaus anzufangen und ihr Mann ein Lump zu werden, war eins. Er vernachlässigte sein Geschäft und wir konnten nicht genug Schulden zahlen. So oft ich nur das Wort Laibach hörte, flossen mir die Tränen, denn die Tochter erbarmte mich, dass sie an diesen Wüterich gebunden war. Wie oft kamen von ihr die traurigen Briefe. Da musste immer meine Frau oder ich oder Eduard hinein, um den Frieden herzustellen.


     Als ich einst dort war, kam ein benachbarter Kaufmann Fischer dahin als Gast. Er brachte das so eben in Wien gekaufte Bild mit, ein Bauernbursch mit sehr lachendem Gesicht, in der rechten Hand einen Krug in der linken ein überschäumendes Glas Bier. Mir gefiel dieser Biertrinker und auf mein Ersuchen hat Herr Fischer mir das Bild nach Graz zur Nachahmung desselben geliehen. Als ich eine Kopie fertig hatte, sandte ich das Original sogleich mit vielem Dank zurück und malte nach und nach im ganzen 30 Stück. (138)  Davon verkaufte ich wieder 16 Stück zu 3 Gulden und 14 Stück erhielten gute Bekannte gratis.

     Zu der Zeit, in der meine liebe Gattin an Typhus darniederlag, starb ihre Schwester Maria Fischinger. Deren Tochter Elise war eine zeitlang bei uns, kam dann zu einem guten Bekannten, Herrn Schuhmachermeister Wawzinek, wo sie in dessen Gewölbe in der Franziskanergasse eine sehr talentvolle Verkäuferin wurde. Als die Frau Wawzinek nach langer Krankheit wieder gesund wurde, hatten wir ihr zu Ehren ein Genesungsfest veranstaltet, wozu ich ein Theaterstück verfasste, worin ich, Eduard und Maria Aldrian als Schauspieler aufgetreten sind. Zu einer nachherigen Krankheit der Frau Wawzinek kam noch die Lungenentzündung, und die arme Frau war nicht mehr. Nach ihrem Tode heiratete Herr Wawzinek obige Elise Fischer, die eine vortreffliche Frau wurde.

     Als Johann Manninger seine Wohnung im Eisentor-Gebäude hatte, drang er darauf, dass unsere silberne Hochzeit bei ihm abgehalten werde. Alle dabei Gewesenen unterhielten sich sehr gut. Nur meine liebe Gattin wollte sich nicht recht freuen, obwohl ich alles aufgeboten hatte, sie zu zerstreuen. Ich meinte, ihre Mücken seien rebellisch geworden. Nachträglich hatte sie erzählt, dass sie während der Mahlzeit den Entschluss gefasst hatte, sich unbemerkt von der Gesellschaft zu entfernen und sich in die Mur zu stürzen. Wie weit es doch der unselige Wahn bringen kann!

 
     Als wieder von Laibach ein herzzerreissender Brief kam, begab sich die liebe Frau dorthin und nahm das Letztgeborene, aber am Kostorte verwahrloste Kind der Tochter, einen Knaben mit zwei Jahren, namens Albin aus Barmherzigkeit mit nach Graz. Dieser Knabe hatte ein schadhaftes Auge. Unzählige Male trug ihn die gute Frau zu den Doktoren im Krankenhaus. Während vier Jahren hat sich meine liebe Gattin mit dem Armen Knaben abgeplagt. Als sein Schreien Tag und Nacht nicht mehr auszuhalten war, gaben wir ihn zur Bäurerin vulgo    Schögler in Mitterlassnitz, drei Stunden ausserhalb Graz gelegen, gegen Gleisdorf. Diese Bäuerin war uns bekannt, da sie sich immer mit dem Aufziehen fremder Kinder mit Erfolg befasste. Aber aus diesem Knaben wurde nichts. Er blieb klein, war ohne Bewusstsein seines Daseins und machte alle Kinderkrankeiten durch. Wir hatten gehofft, dass frische, freie Landluft ihm bestens behagen würde, als in Graz die Zimmerluft. Wie oft hatten wir ihn besucht und immer unverbesserlich gefunden. Er war schon bald 18  Jahre alt, als er dahinsiechte und wir von den erheblichen Kosten befreit wurden.

(139)  Inzwischen hatten wir auch das siebenjährige Mädchen Paula zu uns genommen. Nach zwei Jahren kam sie wieder zu uns. Wir wollten sie zu häuslichen Beschäftigungen abrichten, aber bei ihrem krainerischen Dickschädel war alle Mühe umsonst.

     Nach allen für meine Wege nach Laibach verausgabten Geldern, für Vorschüsse, bezahlte Schulden, die vielen Reisen und Postporti etc., die unzähligen von mir verfertigten und dahingegebenen Bilder dazugerechnet, betrugen dieselben beinahe 1200 Gulden. Es war auch sonderbar, dass so oft mir von entzückend schönen Gegenden träumte, von der beklagenswerten Tochter ein recht jammervoller Brief kam. Endlich, als ihr gewissenloser Mann alles durchbrachte, sein Plan, uns ganz zugrunde zu richten, nicht gelang, kam die Tochter Marie mit zwei Mädchen, Anna, 10 Jahre alt und Gabriela, 2 Jahre alt, zu uns. der Sohn Viktor und die widerspenstige Paula blieben beim Vater, welcher sich nie mehr um seine bei uns befindlichen Angehörigen kümmerte. Wir konnten doch nicht unser ganzes geringes Vermögen nach Laibach opfern, da wir unsere alten Tage besorgen mussten. Unsere Tochter Marie musste Dienste nehmen, ihre Tochter Anna lernte in Preindelsberg die Putzmacherei und Gabriela, als sie schulfähig war, lernte gar fleissig. Beide Mädchen waren sehr talentvoll.

     Unser Sohn Eduard hatte die Stieftochter des Bad-Inhabers Rauch geheiratet und wohnte bei uns. Deren Bruder, Jakob Rauch, wurde unser Hausarzt.

     Die nach Laibach verschwendeten Summen für Studium und Heirat des Sohnes und unsere mehrfachen Krankheiten haben unser Vermögen aufgezehrt. Mittlerweile nahm das Krummwerden meiner Mittelfinger und Nebenfinger so überhand, dass ich Flöten- und Gitarrespiel, bei welchem ich öfter für die Nacht 3 Gulden verdiente, nicht mehr produzieren konnte.

     Die im Jahre 1821 bei meinen Eltern in Graz gewesene Tante Hauzendorfer kam einst wieder nach Graz und hat uns auf der Ries besucht. Diese Tante hatte vier Töchter: Eine war mit Herrn Taurer in Dellach, eine mit dem Seifensieder Kerschbaumer in Brixen und die dritte, Priska, mit dem Arzte Amman in Greifenburg verehelicht. Über alle drei kam das traurige Verhängnis, schon nach dem ersten Kinde sterben zu müssen. Die vierte Tocher, Karoline, wollte aber länger leben und blieb ledig.

     Die Tante Elise so wie der Schuhmacher Socher rühmten sehr das liebe Kärntnerland und redeten mir zu, dasselbe noch einmal zu besuchen. Als Karoline im Jahre 1857 in Graz war und wieder heimreisen wollte, fuhren ich und Karoline und Herr Valentin Knaupert mit dessen Equipage in das Kainachtal bis zum Wirte Weiss in Krottendorf.  (140)  Nach dem dortigen Gabelfrühstück marschierten wir nach Edelschrott per Pedes zum Mittagsmahl. Nachdem dort kein Fuhrwerk zu haben war, kamen wir zu Fuss gegen 3 Uhr nachmittags zum Gasthaus auf der Pack . Von dort weg überraschte uns ein fürchterliches Donnerwetter und wir kamen ganz durchnässt um 6 Uhr nach Breiteneck. Zum Glück war dort zum Brotbacken tüchtig eingeheizt. Wir konnten uns trocknen und dann mit einem erhaltenen Fuhrwerk nach Wolfsberg im Lavanttal fahren, wo wir um 10 Uhr abends ankamen.

     Anderntags ging es per Post nach Völkermarkt, wo wir um 12 Uhr mittags mit dem von Leibnitz eingetroffenen Franz Knaupert zusammentrafen und dann per Post weiter nach Klagenfurt fuhren und dort über Nacht blieben.

     Fräulein Karoline ist von dort andern Tages gleich nach Hause und wir drei Männer per Dampfschiff über den Wörtersee fort nach Villach zu Herrn Franz Dunkel, Sohn des Bruders meiner Mutter, gewesener Gendarmeriewachtmeister und nun Lebzelter . Dieser führte uns anderen Tags nach Tarvis. Am nächsten Tag fuhr er zurück und wir stiegen dreieinhalb Stunden lang auf den Luschariberg, von wo wir auf zwei Handschlitten durch schneebedeckte Schluchten in dreiviertel Stunden wieder herabkamen. Nach meiner Landkarte mussten wir jenseits der nach Malpogeth führenden Strasse in ein Felsental einbiegen, um nach Vordernberg im Gailtal  zu gelangen. Bis wir um 6 Uhr abends dahinkamen, hatte es seit 1 Uhr Mittag tüchtig geregnet. Der Marsch über die hohen Berge war beschwehrlich.

       Im nächsten Dorfe erhielten wir einen Wagen, welcher uns um 10 Uhr abends nach Hermagor brachte. Es war der Fronleichnamstag. Die im Jahre 1848 entstandene Nationalgarde war schon überall aufgehoben, aber hier durchzog eben eine Musikbande noch die ganze Stadt. Weil wir so spät angekommen waren, wollten die Gastwirte uns nicht mehr beherbergen, aber nach energischer Drohung mit der Gendarmerie des Valentin Knaupert wurden wir endlich bei einem Gasthofe sehr kalt empfangen. Nach Eintragung unserer Namen und Beschäftigungen wurden wir aber wider Erwarten gut bewirtet und die Rechnung war nicht zu hoch.

     Den nächsten Tag liess uns der Wirt zwei Stunden weit bis zu einem hohen Berg führen, nach dessen Überschreitung wir zu Mittag in Greifenburg unseren Einzug hielten. Wir wurden bei Herrn Hauzendorfer freundlich empfangen. Mit seiner Gelegenheit machten wir den anderen Tag einen Abstecher nach Lienz in Tirol und kamen am Sonntag Abend wieder zurück. Nach einigen Tagen Aufenthalt liess uns Herr Hauzendorfer bis Sachsenburg zurück führen, von wo wir zu fuss abends wieder beim Dunkler in Villach eintrafen. Anderntags ging's bis Velden per Post, dann über den Wörthersee und von Klagenfurt weg die ganze   (141)  Nacht per Post nach Marburg, von wo wir per Bahn glücklich wieder nach hause kamen. Für die ganze Reise kamen auf mich nur 6 Gulden. Alles Übrige, nämlich 120 Gulden bestritt Herr Valentin Knaupert allein. Während ich in Kärnten war, hat meine liebe Ehegattin wieder die Tochter in Laibach besucht. Im nächsten Jahr zu Pfingsten bin ich und Herr Wawrinek mit dem Vergnügungszug nach Wien gefahren. Pfingstsonntag früh sind wir dort angekommen und Montag nachts 11 Uhr wieder abgefahren.
.

Freitag, 19. März 2010

54. Wo viel Licht ist, ist viel Schatten

       .
    Als wir in der Klosterwiesgasse Wohnung bezogen hatten, wohnte neben unserem Nachbar Vorhammer ein Damenschneider Appel mit Frau und Kindern. Die älteste Tochter, bei 30 Jahre alt, hatte zwei uneheliche Kinder, hatte eine etwas vorgebeugte Haltung und Vorliebe für Schnupftabak.Ihr Name war Kathi. Die zweite Tochter, Marie, eine Putzmacherin, hatte ein Mädchen. Die Dritte war ein Backfisch von 14 Jahren. Wenn ich von der Kanzlei nach Hause kam, brachte ich immer das Abendblatt der Grazer Zeitung mit. Da kam Kathi immer, nahm ein Paar Prisen aus der Tabakdose meiner Frau, welche schon seit mehreren Jahren gerne schnupfte – gegen Augenweh, wie sie sagte!

Dann las die Schneiderstochter das Abendblatt, ohne dass ich mit ihr ein Wort sprach; denn ich machte mich stets gleich an die Schreiberei. Da kam meiner innigst geliebten Gattin die unglückliche Idee, dass die Kathi nur deshalb herüberkäme, um mit mir ein Verhältnis anzubandeln.

Von diesem schaudervollen Argwohn wurde die liebe, arme Frau so gepeinigt, dass sie in ihrer ganz grundlosen Eifersucht mich ganz Schuldlosen unbändig quälte. Alle meine Bestrebungen, sie von ihrer Einbildung zu befreien und sie von dem Verdachte zu heilen, waren vergebens.  (134)  Wie könnte es mir einfallen, das grosse Frauenherz so zu kränken, da ich täglich die Erinnerung hatte, wie ich nur ihr nach meiner grossen Krankheit mein Leben und meine Gesundheit zu verdanken hatte. Durch die ganze Zeit unserer Ehe habe ich jeden Tag dem lieben Gott für die Gnade innigst gedankt, ein so liebes und echtes Juwel empfangen zu haben. Ich habe stets sehr oft gebetet, dass uns der gütige Himmel bis in das höchste Alter beisammen lassen soll.

     Der Gedanke auf Abwechslung fiel mir nie ein, denn ich war bei meinem Sparsystem ein Feind jeden Luxus, und war von jeher nur zur angestrengten Arbeit verdammt. Beschäftigung ist das beste Mittel gegen unlautere und sündhafte Gedanken. Überhaupt war bei mir kein Bedürfnis und kein Hang zu extremen Vorhaben. Nur für fortwährende, aufrichtige und treue Liebe zu meiner holden Ehegattin, dem Schutzgeist meines Lebens, dann zur Arbeit und zum Bildermalen war meine grösste Sehnsucht.

     Mir war unendlich leid, kein Dichter zu sein. Die liebe Frau hätte es bei allen ihren sonstigen herrlichen Eigenschaften wirklich verdient, in den erhabensten Gedichten gepriesen zu werden. Wenn mir die innigsten Gedichte, «Lob der Frauen» etc. in die Hände kamen, las ich ihr dieselben mit seligster Begeisterung vor.

     Wenn ich von der Kanzlei oft Gänge zu Gericht oder zur Post hatte und ich ihr zufällig begegnete, da hüpfte mein Herz voll Freude, dass ich sie hätte umarmen und küssen mögen. Sie sagte, dass es ihr ebenso ginge.

     In ihrer durch hochgradige Eifersucht entstandenen Verblendung hatte sie mit Hilfe der erwähnten Frau Manninger im 1. Stock neben Kleinoscheg für uns im 4. Stock eine Wohnung mit 3 Zimmern und Küche genommen, ohne dass ich es wusste. Als ich dann eines Tages mittags nach Hause kam, war die ganze Einrichtung schon aufgepackt und die arme, bedauernswerte Frau sagte ganz kurz: «Wir ziehen aus!» Ich erwiderte: «Ist ganz recht» und glaubte, dass sie beruhigt werden würde, wenn wir uns von dem Gegenstand ihres Argwohns entfernen.

     Meine Schwester, Aloisia Resch, hatte wohl einen Mann, der in Bezug auf eheliche Treue ungeheuer leichtsinnig war. Der hatte seine Liebschaften an allen Ecken und Enden, hatte immer viel Geld bei sich und benahm sich sehr verschwenderisch. Als ich und meine Frau einst bei meiner Tante Theresia Dunkel auf Besuch waren, jammerte ihr eben meine Schwester das Elend mit ihrem Manne vor. Da entschlüpfte dieser die höchst unüberlegte Äusserung: «Ah, geht's, die Männer machen's alle so!» Das war erst Öl ins Feuer gegossen und meine Frau wurde fast wahnsinnig. Es ist nicht zu beschreiben, was  (135)  ich da gelitten habe. Sie verfluchte sogar den Tag, an dem sie mich kennengelernt hatte, drohte, mich unter Polizei-Aufsicht zu stellen, wenn ich die verbotenen Wege nicht meide und hat geschworen, ebensolchen liederlichen Lebenswandel zu betreten wie ich. Ich selbst war bei alledem ganz und gar unschuldig.

     Wenn ich zurückdenke, wie ich die Pepi Kleinholz 55 Jahre lang rein platonisch liebte, mich in Wien ein Jahr aufhielt und beim Verzehrsteuergeschäft oft mehrere Wochen von meiner innigst geliebten Gattin abwesend war und mich jederzeit, trotz aller zweideutigen Gelegenheiten entsagend und treu, redlich und ordentlich benommen habe, so konnte ich es nicht begreifen, wie die arme Frau mir solche Schändlichkeiten zutrauen konnte. Ich hatte doch nicht und niemals Anlass zu Argwohn gegeben.

     Wenn die bedauernswerte Gattin einige ruhige Stunden hatte, versuchte ich oft in möglichst freudlicher Art ihren Verdacht als ein unglückliches Hirngespinst zu erklären. Aber da kam sie immer in eine grenzenlose Wut, wobei mir auch manches harte Wort daherplatzte, denn nichts konnte mich derart in Harnisch bringen, als wenn meine unerschütterliche Redlichkeit angezweifelt wurde.

     Allen meinen Versicherungen glaubte sie nicht. Oft bat ich sie auf den Knien, ihren grundlosen Mucken zu entsagen und meiner Ehrlichkeit zu glauben. Alles war vergebens.

     Unbegreiflich war es wirklich, wie die einst so geistreiche, verstandesreiche Frau sich durch ihre unglückliche Idee so martern lassen konnte. Wie hätte ich so unvernünftig und gewissenlos sein können, meine herzensgute Frau, die ich immer hoch schätzte und als eine Heilige verehrte, mit frechen Absichten zu kränken. Oft kam es  vor, dass sie im Augenblick meines Fortgehens in die Kanzlei einen Streit anfing und heftig über ihr Unglück weinte. Da hatte ich unendlich grosse Mühe, sie zu beruhigen. Ich konnte ja nicht eher fort, als bis sie besänftigt wurde. Es war zum Verzweifeln! Ich hatte die grösste Besorgnis, dass sie sich in meiner Abwesenheit ein Leid antun würde und kam während der Kanzleistunden mehrmals nachschauen.

Es wird noch schlimmer

     Als einst unsere Tochter in Laibach an Typhus erkrankte, ist meine liebe Frau dahin und hat die arme Tochter sorgfältig gepflegt bis sie ausser Gefahr war. Um diese Zeit hatten die 6 Kinder meiner Schwester Maria Stadler zu Kitzbichl in Tirol (vermutlich Kitzbühel) eine Erbschaft gemacht. Ich wurde als Vormund bestellt und musste einen Advokaten dort bevollmächtigen.  (136)  Zu meiner in Laibach zurückgekehrten armen Frau sagte ich am nächsten Sonntag, dass ich wegen Legalisierung der Vollmacht zu Gericht gehen müsse und dann meine Gattin in der Ursulinen-Kirche abholen werde, da wir beide in das kalte Bad bei Rauch gehen wollten. Zufällig war der die Legalisierung vornehmende Beamte, v. Azula, noch nicht da. Ich musste warten und stand schon auf Nadeln. Ich fand dann meine arme Frau in der Kirche nicht mehr. Sie dachte in ihrem Wahn, die Legalisierung sei eine Lüge und ich auf einem Spaziergang mit der von ihr Verhassten.

     Entweder diese heftige Erregung oder die Ansteckung an der Krankheit meiner Tochter in Laibach war Ursache, dass meine arme Frau ins Bett musste, denn der Typhus stellte sich ein. Ich nahm sogleich eine Wärterin auf, welche sie bediente und ich pflegte meine arme Frau zu jeder Stunde der Nacht. Der ausgezeichnete, berühmte Dr. Hinterthür war 9 Wochen hindurch unermüdlich für uns tätig. Aber der unglückliche Wahn verliess sie nicht. Vor- und nachmittags kam ich immer aus der Kanzlei, um nachzuschauen. Als ich ihr erzählte, dass ich von der Post zurück in die Stadtpfarrkirche ging, um dort inbrünstig für das Gesundwerden meiner innigst geliebten Gattin zu beten, erhob sie sich im Bette und schrie: «Das ist erlogen! Du hast das Luder hineingehen sehen und bist ihr nach!» Wie wehe es mir zu Herzen war, kann man sich nicht denken. Ich hatte nicht die mindeste Furcht vor Ansteckung und nur die grösste Sehnsucht um die Gesundheit meiner Frau an Leib und Seele. Die Wärterin, eine grosse, starke Frau, vom Arzt selbst empfohlen, starb bald darauf an Typhus und meine Frau kam aus dem Bette. Als sie im Spiegel ihr gräulich entstelltes Gesicht erblickte, ergriff sie als erstes eine namenlose Furcht, dass ich mit ihr nicht mehr Vorlieb nehmen würde.

     Ich tröstete die arme Frau so gut ich konnte und versicherte sie zum tausendsten Male meiner unvergänglichen Treue und Hochachtung, denn es war mir ja unmöglich, die mit so viel Leiden behaftete, sonst so gute Seele weniger zu lieben, als in unserer Rosenzeit. Dennoch dauerte diese traurige Zeit mehrere Jahre.

     Erst nach dem im Spitale erfolgten Tode der Verhassten wurde meine wieder in bester Gesundheit strahlende, liebe Gattin ruhiger. Ich musste  mich aber sehr hüten, ihren gewesenen Argwohn rege zu machen, weil sie dann wieder in höchste Wut geriet. Ganz geheilt vom Verdacht wurde sie nicht.
.

Dienstag, 16. März 2010

53. Unser Sohn Eduard macht sich

        .
     Unsere Tochter Marie hatte im Gasthaus zur Mehlgrube Kochen und bei der Beamtengattin von Gratter Kleidermachen gelernt. Sie ging dann in Dienst, da wir sie zu Hause nicht benötigten. Luise Plank ging schon auf der Ries von uns fort zu ihren Schwestern nach Wien. Nachdem wir das Haus in der Körblergasse zwei Jahre innehatten, kam der Besitzer des Gutes Friedhofen in Obersteier und derzeit Compagnon des Eisengiessers Gottsbacher in der Oberen Körblergasse und hat uns die Realität um 3100 Gulden abgekauft.
 
      Wir bezogen in der Klosterwiesgasse bei Frau Umschaden zwei kleine Zimmer samt Küche und Holzlager für jährlich 60 Gulden Zins. Hier machte ich mir aus besonderer Passion einen Globus, 14 Zoll im Durchmesser, wozu ich vom Turnlehrer Augustin dessen Globus von 8 Zoll Durchmesser zum Muster nahm. Ich zirkelte und zeichnete in freien Stunden unermüdlich wohl mehrere Monate lang daran und hatte meine Freude am Gelingen.

Gemälde von Johann Neuhold - (Original bei Brigitte Winkler in München)

      Nebenbei hatte ich für mehrere Parteien Schreibgeschäfte über Haus, die mir monatlich 6 bis 8 Gulden eintrugen. Ich war freilich manche Nacht bis 12, auch bis 1 Uhr auf und bei der Feder, und hatte noch aus heftig erwachter Vorliebe zur Malerei mehrere Landschaften und Karikaturenbilder in Aquarell erzeugt.

Gemälde von Johann Neuhold - (Original bei Brigitte Winkler in München)

     Da bekamen wir aus der optischen Fabrik Rospini einen aus Karlsbad gebürtigen und von der Ries her mit uns bekannten Optiker-Gesellen namens Bernhard als Zimmerherren. Er war ein sehr geschickter Mann und sang sehr genau, wozu ich ihn mit der Guitarre begleitete. Er machte mir den Ring aus Messing zum Globus und brachte mir Augengläser zur Schonung der Augen wenn ich des Nachts so viel zu schreiben hatte. Er versuchte auch, mit einer elektrischen Maschine meine krummen Finger durch Elektrizität zu kurieren, da der traurige Zustand jetzt nach mehr als zwei Jahren auch an der linken Hand anfing.

     Der erwähnte Dr. Karner wurde zu Liezen in Obersteier Advokat und Notar. Da er selbst gar kein Vermögen hatte, streckte ihm der Maurermeister Mansberg die Kaution von 2400 Gulden vor, wofür  (131)   ich den Schuldschein schrieb. Alle Einrichtungen, Kleider, Wäsche, Schuhwerk, Bücher etc. wurden auf Kredit genommen. Da er meine Redlichkeit und Pünktlichkeit kannte, übertrug er mir seine in Graz zu besorgenden Kommissionen, wofür ich durch mehrere Jahre pro Monat 4 bis 5 Gulden verdiente. Nach und nach schickte er mir von seinem Einkommen Gelder zur Bezahlung des Möbelhändlers Schenk, der Wäschebesorgerin Frau von Pribeling, Schneider Fröhlich etc. Auch die 2400 Gulden erhielt ich zur Abführung an Herrn Mansberg.

     Weil es dem Dr. Karner gar so gut ging, so meinte er, alles mitmachen zu dürfen. Bei Jagden und Gebirgspartien hatte er sich ein Brustleiden zugezogen und starb nach acht Jahren Praxis an der Lungensucht. Er hatte in Wieselsdorf, Pfarre Preding, zwei verheiratete Schwestern, welche aus seinem Nachlass zusammen 4000 Gulden geerbt haben. Mir war es wirklich leid um ihn.

     Weil ich gerne Geld verdiente, hatte ich den Herrn Karner ersucht, mir noch zu jemanden zu verhelfen, dem ich Dienste leisten könnte; und wirklich hatte er dem Notar Kügerl in Rottenmann meine Aufrichtigkeit angepriesen. Für diesen hatte ich nun auch durch zwei Jahre die nämlichen Verrichtungen zu erbringen:  Gelder hier in der Sparkasse einzulegen, oder zu beheben, im Landhause oder in der Landtafel Abschriften und Extrakte zu besorgen. Alles ging immer mit beidseitiger Zufriedenheit vor sich.

     Als Herr Dr. Kügerl einst nach Graz kam, nahm er mich mit zum «Elefanten» zu einem Gabelfrühstück. Aber von dieser Zeit an hatte ich für ihn nichts mehr zu tun. Ich schrieb ihm zweimal um Bekanntgabe, auf welche Art ich bei ihm in Ungnade gefallen wäre, erhielt aber keine Antwort. Entweder hatte sich jemand anderer bei ihm eingeschmeichelt, oder hatte er an meiner Physiognomie Anstoss genommen? Für meinen von Natur aus finsteren Blick konnte ich ja nichts und je mehr ich die Augenbrauen beim Schreiben oder Malen niederzog, desto besser sah ich.

     Jetzt aber kamen gewaltige Verhängnisse über uns. Der Knabe Eduard, welcher in die Normalschule ging, wollte durchaus nichts mehr lernen und zeigte auch gar keine Lust, sich irgend einer Beschäftigung zuzuwenden.

     Der erwähnte Knaupert hatte zwei Söhne, Valentin war Seifensieder in Graz und Franz Seifensieder in Leibnitz. Zu diesem Letzteren kam Eduard in die Lehre, wurde aber – angeblich zu diesem Geschäft zu schwach – nach einem Jahr nach Hause geschickt.

     Wir haben ihn dann zu dem unserer Wohung gegenüber befindlichen Schneidermeister Korhammer gegeben, der Knabe sollte Schneider werden.  (132)  Da hier aber fast nur Militär-Kommissionsarbeit war, kam Eduard zum Schneider Maninger, wo er zu einem ordentlichen Gesellen ausgebildet wurde. Korhammer hatte einen Julius zum Sohne und vier sehr hübsche Töchter. Julius war auch Schneider. Eduard arbeitete bei den Meistern Muhr und Grosschepf. Eduard und Julius Korhammer gingen miteinander in die Fremde und hatten nach vielem Hin- und Herwandern in Pest auf einige Zeit Arbeit gefunden. Nach einiger Zeit schrieb Eduard, dass er das Herumflanieren satt habe und ich möge ihn in einer Kanzlei als Schreiber unterbringen. Beide Helden kamen dann zurück und Eduard wurde bei Dr. Wasserfall als Nachmittag-Schreiber aufgenommen.

     Vormittags war Eduard in der Kanzlei bei Dr. Rechbauer. Als dieser die Fähigkeiten des neuen Schreibers erkannte, nahm er ihn für den ganzen Tag zu sich. Infolge der Verwendbarkeit des Eduard wurde er vom Konzipienten Dr. Gmeiner ernstlich bestürmt, jetzt noch, obwohl schon 21 Jahre, zu studieren. Eduard wendete sich an den Gymnasialprofessor Richard Peinzlich, welcher ihm einen gediegenen Instruktor zum Privatstudieren verschaffte. Eduard machte solche Fortschritte, dass er in 7 Jahren das Gymnasium und alle höheren Schulen durchmachte, wobei ihm das durch 3 Jahre erhaltene Stipendium à pr. 200 Gulden aus der Mayfredy-Stiftung sehr zustatten kam. Nebstbei lernte er noch Französisch und Italienisch, dann von der Schneidertochter Maninger, Maria Aldrian, sehr geläufig das Zitterspiel. Das war doch viel!

     Nun erhielt er die Vorladung zur Rekrutenstellung und zwar damals, als er 19, resp. 21 Jahre alt war. Als die leidige Krümmung meiner Finger, ungeachtet aller mit unter sehr teuren Mitteln immer mehr zunahm, fiel mir der geniale Gedanke ein, die krummen Finger zur Militär-Befreiung des Eduard zu benützen. Der bereits erwähnte Dr. Kattowitz stellte ein Zeugnis aus, welches vom Kreisphysikus bestätigt wurde. Die zeitliche Befreiung wurde auf ein Jahr bewirkt und das Manöver gelang durch alle vier Alterklassen. Meine liebe Gattin wäre von Herzeleid gestorben, wenn Eduard hätte Soldat werden müssen.

     Wie jedes Jahr, so hatte ich auch Ende 1853 die Vermögensbilanz entworfen. Wir  hatten in der Sparkasse 2300 Gulden convenzionelle Münze. Alle Jahre haben wir die Jahrestage unserer Verlobung und unserer ehelichen Verbindung im Familienkreise mit eine paar lieben Freunden gefeiert. Dabei fiel mir immer ein, dass ich meiner Erwählten einen braven Mann versprochen hatte. Auch meine herzige Frau sagte: «Ich bekomme wohl einen braven Mann, denn er hat mich in seinem ganzen Leben nie böse gemacht». Da hatte ich immer den Schwur in mir erneuert, mein Versprechen zu halten.

     (133)  Als ich als Verzehrsteuer-Oberrevident auch beim Fleischer und Gastwirt Göbl vorhin in Stainz zu tun hatte, kamen wir zufällig auf die vor 20 Jahren von ihm sehr verehrte Anna Knölly, gegenwärtig meine liebe Gattin, zu sprechen. Oh, wie war er da hoch entzückt und begeistert und voll des Lobes für die so liebliche und tugendhafte Anna.

     Im Gasthof auf der Ries kam mit mehreren jungen Burschen aus der Stadt auch der bei Laibach gebürtige, seit mehreren Jahren bei dem Schneidermeister Blaschek als Zuschneider bedienstet gewesene Josef Schidan als Gast. Er wurde heimlicher Verehrer unserer Tochter Marie. Da sie gegen ihn heftige Zuneigung empfand, hielt er um ihre Hand an. Er wollte sich in Laibach selbständig als Schneider niederlassen. Aus unbegreiflicher Vorahnung entstand in mir eine Sympatie für diesen Krainer. Ich wollte, dass er sich in Graz etablierte.

     Die Verehelichung fand in Krain statt. Zuerst wurde das Geschäft in der Stadt Stein, drei Meilen nördlich von Laibach errichtet. Nach längerer Zeit sind wir, ich und die herzensgute Frau, per Bahn nach Laibach und von dort zu Fuss nach Stein. Marie kam per Wagen mit dem herzigen Knaben Victor uns auf halbem Wege entgegen. Nahe dem Orte entstand ein fürchterliches Donnerwetter. Nach drei Tagen reisten wir wieder zurück.
.

Donnerstag, 11. März 2010

52. Dr. Wasserfallen und seine Frauen

        .
     Als infolge meiner erwähnten schriftlichen Ansuchen vom Advokaten Dr. Anton Wasserfall, Edler von Rheinbrausen, eine Einladung kam, trat ich am 15. November 1850 in dessen Kanzlei am Mehlplatz im Hause Café Spieler gegen monatliche 12 Gulden den Dienst an. Aber beim Auszahlen des halbmonatigen Gehaltes hatte der Herr Doktor den Monatsgehalt auf 18 bestimmt, da er meine Brauchbarkeit erkannte. Vor Antritt dieses Dienstes hatte ich beim Magistrate in Graz um eine Stelle angesucht, wurde aber abgewiesen, da ich nicht nachweisen konnte, beim Militär gewesen zu sein.

    Herr Dr. Wasserfall erhöhte nach und nach aus eigenem Antriebe meine Besoldung als Sollizitator auf 25 Gulden, dann auf 30 Gulden CM (Convertierte Münze), dann im November 1858 auf 32 Gulden und später auf 35 Gulden Wiener Währung.

     Er hatte unter seiner Frau, geb. Rossmann, Verwaltungstochter von Gutenberg viel Vermögen erworben, hatte drei Töchter, und die zwei Söhne studierten. Das Violinzel   (wahrscheinlich Violoncello) war sein Lieblingsinstrument.

     Aber von seiner neuen Geliebten, in die er unbändig vernarrt war, liess sich nichts Gutes erwarten. Sie war die Frucht aus dem erwähnten Schmiedsohn Leistentritt und der frechen Köchin beim «Goldenen Ross» bestandenen Verhältnisse, war dann beim Beamten und Vormunde Testales, dessen Gattin vorher einen höchst zweideutigen liderlichen Lebenswandel führte und jetzt Hebamme war, in Erziehung.

(127)  Sie wusste bei ihrer Schönheit und üppigen Gestalt fast alle Studenten zu betören und dann den Herrn Dr. Wasserfall in ihr Netz zu ziehen. Ungeachtet aller Warnungen von Seiten der Schwiegersöhne, Bezirkskommissar Professor Bauer und Dr. med. von Kottowitz, liess sich Herr Dr. Wasserfall, der damals der berühmte Advokat war, von der Kreatur umgarnen, dass er alle ihre Wünsche erfüllte und sie endlich heiratete, und zwar nach Übersiedlung in das Radschillersche Haus am Mehlplatz. Hier war es der frechen Person zu langweilig und der Herr Dr. musste am Hauptplatz im Lugeck eine teure Wohnung nehmen, damit sie recht unverschämt mit offener Brust am Fenster liegen, mit den im Café Nordstern gegenüber befindlichen Offizieren liebäugeln und sich von ihnen begaffen lassen konnte. Der Gehalt des Herrn Dr. als Landesausschuss per 2000 Gulden kam ihrer Verschwendungssucht sehr zustatten. Sie betrieb dieselbe so wie ihre Untreue grossartig. Was er bei seiner ersten, sehr wirtschaftlichen Frau erworben hatte, suchte die zweite in höchst ehrvergessener Weise zu vergeuden. Wenn sie in der Wohnung Gesellschaften und Konzerte veranlasste, kamen die Kosten jedesmal auf 100 Gulden. Sie mietete sogar in einem anderen Hause ein Zimmer, wohin sie ihre besonderen Besucher zitierte.

     Einst ging sie in ihrem Mutwillen einem Offizier in Marburg nach. Als der Herr Dr. sie von dort in schonendster Weie abholen wollte, schrieb sie ihm von Vöslau um Geld. Herr Dr. war wieder so gefällig, ihr einmal 50 Gulden, dann 70 Gulden zu senden, wo sie dagegen nur verdient hätte, ber Schub expidiert zu werden. Ich konnte mich nicht entschliessen, dieser schamlosen Ehrfurcht zu heucheln.

     Auf ihre Veranlassung wurde der so schöne, erträgliche sogenannte Doktorhof in Neustift oberhalb Andritz, dem Dr. Wasserfall gehörig, verkauft und dafür um 25000 Gulden ein grosser Weingarten bei Marburg samt schönem Herrenhause gekauft. Die in dasselbe nachgeschafften Möbel und Luxusgegenstände kosteten 5000 Gulden.

     Sie hatte die Kapritze, immer einen grossen Hund um sich zu haben. Da dieser jeden in das Haus Eintretenden grimmig anfiel, verlangte der Hausherr, Ritter von Warnhausen, entweder den Hund zu entfernen oder eine andere Wohnug zu suchen. Aber ehe sie ihrem Liebling entsagte, wurde eine andere Wohnung in der Herrengasse in dem Hause des Kaufmanns Stoklasa genommen. Dort hatte sie eine neue Bekanntschaft mit einem Offizier aus Prag, namens desLoges. Sie hielt dessen Schwester, eine wahre Meerkatze, längere Zeit bei sich als Gesellschafterin und vermochte sogar den Doktor zu überreden, dass alle zusammen zum Besuche der Eltern des Offiziers nach Prag reisten.

     (128) Nachdem dem grossen Hund von irgendjemanden Gift beigebracht wurde, kam die vierfüssige Bestie in das Tierspital, wo sie nach einigen Tagen verendete.

     Zufällig konnte aus einem an eine Freundin über den Tod des Hundes geschriebenen und schlecht versiegelten Briefe der Doktorin herausgelesen werden, dass sie im unermesslichen Schmerze um den Hund diesem einen grossen Kranz angeschafft und wegen Unzukömmlichkeiten mit demselben die Übersiedlung in die Schmiedgasse, Griesslersches Haus bewerkstelligte.


Als die Kanzlei noch im Radschiller'schen Hause am Mehlplatz war, lagen in einer besonderen Kammer die Akten in grösster Verwirrung durcheinander. Sooft die Conzipienten einen Akt benötigten, stöberten sie in der Rumpelkammer oft halbe Tage bis das Gesuchte gefunden wurde. Da nahm ich mir grosse Mühe, nach und nach den ganzen Kram Blatt für Blatt zu sondieren. Ich musste ein Register anfertigen und brachte über 100 Akten faszikel zusammen, wovon allein 17 den reichen Josef Sessler betrafen. Als der Herr Dr. meine sehr nötige und sehr zweckmässige Registratur bemerkte, rief er freudig aus: «Nun wird Licht!»

     Herr Dr. Wasserfall war ein grosser Bilderfreund und beschäftigte sich selbst als halber Künstler mit der Ölmalerei. Manchen Tag kam er nicht in die Kanzlei, und wenn er sich zur Durchsicht und Signierung der zu expidierenden Akten bequemte, wurde er von der nur auf Verschwendung und Zerstreuung sinnenden, aber keineswegs geistreichen Gattin zur Spazierfahrt abberufen.

     In der Kanzlei am Lugeck ging die Advokatur am stärksten. Das Personal bestand aus den Conzipierten Dr. Bartl und Dr. Karner, den Doktoren Glass und Maurer, aus mir als Sollizitator und aus 4 Schreibern.

     Die mit einem Fusse etwas hinkende Doktorin wusste einen kaum der Schule entwachsenen Bengel, Klumer, in die Kanzlei als Schreiber zu bringen. Der bekam von ihr den geheimen Befehl, das ganze Personal zu kontrollieren und ihr Bericht zu erstatten. Nachdem Dr. Maurer und Schreiber Prettenhofer entlassen waren, erfrechte sich der Bube Klumer zu sagen, dass er noch mehr wegbringe werde. Da erfasste ich ergrimmt ein Lineal, um ihn zu züchtigen. Schreiber Kreft wollte den Gauner bei seinen dichten Schopfhaaren ergreifen. Dieser aber ergriff die Flucht und kam anderntags mit glattgeschorenem Schädel, weil er sich doch vor dem Gerissenwerden fürchtete.

     Da mir einfiel, dass Klumer mutwilligerweise eine Schelmerei ausgeübt haben dürfte, und ich diesen Verdacht sogleich meiner lieben Frau mittteilte, hatte sie bei der mit uns gut bekannten Beschliesserin im Polizeihause, namens Maninger, sogleich erfahren, dass Klumer abends vorher in der Annenstrasse einem Geistlichen den Hut angetrieben habe und deshalb arretiert worden sei.

     Da der Bube zu seinem nächtlichen Ausfluge sogar den feinen Kanzleirock  (129) des neuen Konzipienten Dr. Decrinis anzog und dessen Regenschirm mitnahm, wurde die gänzliche Entlassung des Arretierten aus der Kanzlei begehrt und auch erwirkt. Den schon im Arrest gewesenen feinen Rock wollte Dr. Decrinis nicht mehr tragen und schenkte denselben mir. Mein Sohn Eduard hatte daran lange Zeit ein hübsches Kleidungsstück.

     Ich erkannte schon lange, dass die Doktorin auch meine Entfernung beabsichtigte, weil ich ihr nicht schmeichelte und huldigte, was bei meiner Abscheu aller Laster eine Unmöglichkeit war.

     Als einst sich die Kanzleiarbeiten sehr häuften, wollte der Herr Dr. noch einen Schreiber aufnehmen. Ich machte aber den Antrag, über Haus Schriften mitzunehmen und die Mundierung zu besorgen, was er bewilligte und ich dabei monatlich 5 – 6 Gulden, einmal sogar 18 Gulden verdiente.

     Alle möglichen Gelder gingen durch meine Hand. Ich hatte alle Besorgungen und Besoldungen auszuzahlen und die eingegangenen Summen an die Parteieen abzuführen, wobei ich manchen Gulden von Ihnen als Douceur erhielt. Der Herr Dr. hatte den beiden privat studierenden Schreibern Kreftet und Kratochwill zu guter Anstellung im Lande verholfen und hatte auch mir eine solche versprochen. So oft ich ihn aber daran erinnerte, sagte er immer: «Nur Zeit lassen, wird schon werden».

     Nachdem die ehrvergessene Doktorin Veränderung liebte, wurde für Wohnung und Kanzlei in der Paradeisgasse im Novak'schen Hause der 2. Stock gemietet. Nachdem sie sich hier an der Aussicht in die belebte Murgasse satt gesehen hatte, wurde in das Murmaier'sche Haus am Fliegenplatz überwandert. Da der Herr Dr. hier bei Dr. Murmaier seine Praxis einst begonnen hatte, wollte er auch in diesem Hause vollenden. Ich erinerte ihn nicht oft wegen einer guten Anstellung für mich im Landhause, aber er wollte mich nicht weglassen, weil er dann keinen so Verlässlichen mehr habe.

     Dr. Wasserfall war schon hoch in den Jahren. Da er seiner unersättlichen Fuchtel nicht mehr gewachsen war und ihre Liebhaber sich zurückzogen, wurde sie wegen unbefriedigter Leidenschaft wahnsinnig und starb an Tobsucht im Spital der Irrenanstalt. Durch ihre Verschwendug hatte sie es dahin gebracht, dass der grosse Weingarten bei Marburg samt dem schönen Hause und teurem Mobiliar wegen einer Forderung des reichen Sesslers per 16000 Gulden exekutive verkauft wurde.

     Über alle Schandtaten der nebenbei sehr dummen Doktorin könnte ein dickes Buch geschrieben werden. In der Kanzlei am Fliegenplatz war als Conzipient der Obersten-Sohn Dr. von Hofer, nachmals Advokat in Mureck.  (130)  Dessen die Medizin studierender Bruder war nachmittags Schreiber. Beide waren überaus freundliche Herren.

     Inzwischen kam der gute Dr. Wasserfall um seine durch 6 Jahre innegehabte Stelle als Landesausschuss. Da sonach die jährliche Besoldung per 2000 Gulden wegfiel und das Kanzlei-Erträgnis zur Bestreitung aller seiner Bedürfnisse nicht hinreichte, wurde er darüber so erregt, dass er im Mai 1871 am Herzschlage starb. Ich war nun nach einundzwanzigeinhalb Jahren brotlos. Ehe er seine oftmals gemachten Versprechungen, mich im Landhause unterzubringen, erfüllen konnte, hatte ihn der der Tod ereilt.
.

Dienstag, 9. März 2010

51. Das Katerloch

      .
    In Graz hatte ich zufällig eine Broschüre vom Katerloch und der kleinen im Massstab der Adelsberger Grotte ähnlichen Grasslhöhle bei Weiz gelesen. Aus Neugierde machten wir, zusammen 9 Personen, uns an einem Sonntagnachmittag zu Fuss dahin auf und blieben in der Herrschaft Gutenberger Taverne über Nacht, wo es wieder viele Wanzen gab, wie in St. Georgen. Von dort ging der Weg tief abwärts, dann auf einem schmalen Stege über die hier noch sehr kleine aber heftig sprudelnde Raab. Im nächsten Dorfe nahmen wir einen Führer, der sich mit einer tüchtigen Tracht Spähne versah. Wir kauften Kerzen und der Eingang zur Höhle ist nah der Strasse von Weiz nach Fladnitz. Der Abstieg war aber gar nicht einladend, denn statt einer ordentlichen Leiter gab es einen Baumstrunk mit Fragmenten von Ästen, die als Sprossen dienten, auf welchen wir rückwärts hinabkrabbelten. Der Führer zündete einen Span und wir eine Kerze an und nun ging es an die Besichtigung der wirklich merkwürdigen Höhle.

     (126)  Links waren Abgründe zu vermeiden, vor denen uns der Führer ausdrücklich warnte. Da waren Wölbungen wie die grösste Kirche so hoch, dann wieder sehr niedrige, schmale Durchgänge, kleine Räume und überall die sonderbarsten Tropfsteingebilde. Auf einmal war an einer eisigen Wand ein kleines Loch, nicht grösser als würde man durch die Füsse eines Sessels schlüpfen. Als die anderen schon durchgekrochen waren, kam das Durchschlüpfen an meine liebe Gattin, aber mit ihrer Korpulenz blieb sie im engen Loch stecken. Von beiden Seiten musste geholfen werden, dass die Dicke durchkam.

     Wir kamen an einen wellenförmiger Berg, als ob das von oben herabströmende Wasser hier zu Stein geworden wäre. Wir alle waren von den gesehenen, grosserhabenen Naturkräften so begeistert, dass wir auf den versteinerten Wellen hinaufstiegen und oben in wahrer Andacht das schöne Lied «Grosser Gott, wir loben Dich» gesungen haben. Nach zwei Stunden Aufenthalt überkam fast einen jeden von uns ein Schauer und alle waren froh, schliesslich wieder draussen zu sein. Der Führer erhielt pro Person 10 Kreuzer. Im selben Dorfe hielten wir das Mittagsmal und gingen über Weiz abends nach Hause.
.

Montag, 8. März 2010

50. Die Welt des Theaters

       .
     Bei dem Hause in der Körblergasse wollten wir eine Gärtnerei errichten. Da wurde meine arme Frau, die sonst sehr gesund und robust war, recht krank und wir gaben den Garten in Pacht.

     (124)  Nachdem ich auf der Ries meine rechte Hand fleissig mit kaltem Wasser bearbeitete, kam es mir so vor, dass ich wieder schreiben könnte. Ich machte dann mit ganz kurz gefassten schriftlichen Ansuchen meine Aufwartung bei den damals bestandenen 17 Advokaten und wartete geduldig auf eine Anstellung.

Unsere Gartenpächter hatten eine grosse Tochter; ein Sohn war Schneider und dann Feldwebel beim 27. Infanterieregiment und der zweite Sohn war Lehramtskanditat. Als dieser hörte, dass ich von jeher grosse Freude zum Theater hatte, sagte er, dass er mich unentgeltlich hineinbringen könne und da ging ich mit. Da führte er mich in den Kammersaal, wo die Ankleidung der Statisten vor sich ging und wir beide machten die Rollen der Statisten mit. Mir war zwar nicht um den Silbersechser für jede Mitwirkung zu tun. Mich interessierte hingegen, das Leben und Treiben hinter den Kulissen zu beobachten, wie der Theater-Oberintendant Ritter von Pittoni, der geistliche Oberarzt von dem Barmherzigen Spitale, der Kunstgärtner Schröfl jun. und sonstige angesehene Herren und Damen des Schauspiels und der Oper die Cour machten, wie sie mit allen möglichen Erfrischungen und seltenen Blumen aufwarteten und wie der Direktor fluchte und mit all seinem Personal lärmte und zankte.

     Da war ein Schauspieler namens Burggraf, der Fürsten, Könige und Kaiser darstellte. Wenn er von der Bühne abtrat und noch mit dem Purpurmantel angetan in sein Ankleidezimmer ging, wurde er von seinen Gläubigern heftig bestürmt.

     Der dicke Opernsänger Roth hatte ein vertrautes Verhältnis mit einer schmächtigen Choristin, worüber einst die anderen Choristinnen während der Oper «Der Prophet» hinter den Kulissen ihre Glossen machten. Herr Roth stellte diese Glossenmacherinnen zur Rede und diese beschwerten sich beim Direktor Thome, welcher den Roth mit den gröbsten Titulierungen beehrte, worüber ein gegenseitiges heftiges Beschimpfen entstand. Die Orgel spielte bereits und der Kapellmeister gab schon wiederholt das Zeichen zum Einsatz des Chores. Es war sehr komisch, wie nach den Bezeichungen Lump und Lauskerl dann der Chorgesang erschallte.

     Bei dem Stück «Die falsche Pepita» kommen recht wunderschöne Melodien vor, und bei der auf der Bühne der Pepita dargebrachten Serenade machte ich pantomimisch den Vorgeiger. Das Personal im Orchester wunderte sich über meine richtige Bogenführung und über meine gefühlvolle Haltung. Ein Trompeter hat mich nachträglich gefragt, ob ich musikalisch sei, weil ich als Vorgeiger stets graziös dastünde.

(125)  Bei der Gastrolle des Komikers Johann Nestroy kam auch ein besetztes Orchester auf der Bühne vor. Er spielte wirklich die Klarinette und ich figurierte neben ihm mit der Violine. Dabei trug ich aus der Theatergarderobe einen grossen, grauen Zylinder, der anwesende Theaterinspektor einen gleichen grossen Hut. Da er mit dem Theaterdirektor öfter sprechen musste, wurde ich von diesem irrtümlich ein paarmal für den Inspektor gehalten und auch öfter als solcher gerufen. Im Hintergrund der Bühne war auf der Mauer mit Kohle ein grosser Esel gezeichnet und in der Mitte der Zeichnung – vermutlich von böswilligen, boshaften Händen – stand der Name des Theaterintendanten von Pittoni.


     Ich kann nicht umhin, noch etwas von unserem Aufenthalt in Mureck nachzutragen, nämlich: Bei einer Rückkehr von Graz nahm ich einst den Vater meiner herzigen Gattin, Paul Knölly, mit mir. Nach einigen Tagen machte er sich zu Fuss auf die Reise nach Luttenberg, Friedau, Saurisch, Ankenstein, Dornau und Pettau, um, wie er sagte, vor seinem Hinscheiden noch alle Bekannten und Verwandten zu besuchen und von ihnen auf ewig Abschied zu nehmen. Nach kurzer Zeit packte ihn die Altersschwäche gewaltig. Ein Auge verlor sich von selbst und das Gedächtnis wurde so schwach, dass er meine holde Gattin, wenn sie nach Graz kam und ihn bei der Schwester, verehelichte Fischer, besuchte, gar nicht mehr erkannte. Wenn ich bei meinen Verzehrsteuer-Bereisungen nach Graz kam, liess ich manchen Gulden bei der Marie Fischer, die sehr zärtlich für den Alten sorgte. Es war ergreifend wehmütig zu sehen, wenn er, der 13 eigene Kinder zu ernähren im Stande war, jetzt um ein Stück Brot bat. Er erreichte ein Alter von 86 Jahren.
.

Samstag, 6. März 2010

49. Wir sagen der Ries adé

        .
     Wegen Verkauf unseres Hauses in Mureck hatten wir immer Pech. Nach und nach kamen Käufer zum Weber Semmler, der die Verkaufskommission über sich hatte. Das Gebäude gefiele jedem und die Besichtigung der dazugehörigen Grundstücke wurde auf Nachmittag bestimmt. Als aber die Kaufsliebhaber über Mittag im Gasthause ihre Anliegen erzählten, gab es wieder solche schadenfrohen Bürger, die gegen mich aus dem Grunde unfreundlich gesinnt waren, dass ich bei ihrem Pozesse gegen meinen Chef-Syndikus Leschanz auf dessen Seite war. Daraufhin wurden die Käufer abgeredet.

     Anfang 1848 hatte der ehemals in unserem Hause wohnhaft gewesene Schneidermeister und nun als Revierjäger in der Herrschaft Oplonitz bei Windischfeistritz angestellte Herr Steinecker mir geschrieben, dass er einen Hafnermeister als Käufer wisse. Ich hatte mich entschlossen, statt einer Antwort gleich selbst dahin zu reisen und womöglich den Kauf abzuschliessen.

     Am 1. Mai 1848 fuhr ich per Bahn nach Pragerdorf, ging dann eine Stunde bis Windischfeistritz. Dort erfuhr ich aber, dass Steinecker nach Reifenstein, zwei Stunden seitwärts von Cilli überetzt worden sei. Mein Weg ging da nur durch einen Wald nach Pöltschach, und von dort zu Fuss seitwärts, unter strömendem Regen nach der Bahn zur Station St. Georgen.


     Obwohl das Gasthaus, wo ich hier übernachtete, hübsch restauriert und mit sauberer Einrichtung und neuen Betten versehen war, gab es Flöhe und Wanzen, was ich nicht vermutet hätte. Andern Tags früh entfloh ich diesen Vampiren. Als ich dann mit Reinecker zum benachbarten Hafnermeister als sein sollender Käufer kam, war dieser vor einigen Tagen mit einer Fuhre Töpferwaren nach Kroatien gefahren und wurde erst in einem Monat zurückerwartet.

     Von Wien kam einst die erwähnte Karoline Süssmeier, nun verwittwete Rechel, die mit meiner Schwester wegen Lieferung steirischer Kapauner in Geschäftsverbindung war, zu uns auf die Ries zu Besuch. Nach gemachter Bekanntschaft mit meiner holden Gattin wurde ich von Frau Rechel als sehr glücklich gepriesen, einen solchen  (122)  Juwel zu besitzen. Meine hochherzige Gattin hatte wirklich die Eigenschaft, dass sie jedem, der sie kannte, Achtung und Ehrfurcht vor ihr einflösste.

     Von den nun vielen Gästen benahmen sich auch mehrere als Verehrer unserer zur Jungfrau gereiften, aber nicht sehr gross gewachsenen, talentvollen Tochter Marie. Da waren besonders drei Gürtler Gesellen und unzertrennliche Freunde verschiedener Nationalitäten, die sich ihre Gunst erworben hatten.

    Als die unruhigen Zeiten vorüber waren und nun unser Gasthaus recht in Betrieb kam, wurden die Lokale zu klein und ich entwarf einen Plan, wegen Zubau eines Zimmers für wenigstens acht Tische. Die gerichtliche Baukommission wurde abgehalten und ich hatte wegen Baumaterialien schon Akkorde abgeschlossen. Aber meine liebe und immer mehr überlegende Gattin meinte, wir hätten uns nun glücklich aus dem Pech herausgeholfen, es wäre besser, die Realität zu verkaufen, als nur durch den Bau neuerdings in Schulden zu stecken.

     Im März 1850, nach fünfjährigem Hoffen und Harren haben wir endlich unser Murecker Haus an den in demselben gewesenen Schneidermeister Franz Zürngast um 1950 Gulden Verkauft. Nach Verhältnis der eigenen Kosten dieser Realität 350 Gulden eingebüsst. Beim Aufpacken unserer Habe im Februar 1845 in Mureck blieben einige Truhen, die auf dem Wagen nicht mehr Platz hatten, am Heuboden zurück. In dieser Truhe war nebst anderen unbedeutenden Sachen auch die in freudiger Erinnerung an meine eheliche Verbindung als Reliquie wortgehaltene Stickrahme verwahrt. Als ich diese Truhe samt Inhalt an den Hauskäufer um 9 Gulden überliess, hatte ich in unbegreiflichem Leichtsinne die Stickrahme vergessen. Bei dem ermüdlichen Eifer hatte ich gar nicht mehr daran gedacht. Als mir diese Reliquie wieder ins Gedächtnis kam, war sie nicht mehr zu haben. Ich rechnete mir diese unverzeihliche Vergesslichkeit als grosse Sünde an.

     Als wir auf unserem Acker eben mit Kukuruz-Häufeln beschäftigt waren, meinte meine liebe Frau, ob wir mit dieser Arbeit wohl vor dem Verkaufe der Landwirts-Realität fertig werden. Welcher Zufall! Da kam richtig der beim Schlögelwirt am Grazbach durch 18 Jahre als Kellner bedienstet gewesene Franz Hahn als Käufer. Wir verkauften an ihn das Ganze um 3100 Gulden CM (Convertierte Münze), dazu Weinvorräte und einige Fahrnisse um 131 Gulden. Die intabulierten Schulden hat der Käufer übernommen und nach erhaltener Darangabe per 500 Gulden wurde der Kaufschillingsrest intabuliert.

     (123)  Nun hatten wir in der mittleren Körblergasse zu Graz die Behausung des pensionierten Ingenieurs Horak samt eineinhalb Joch grossen Garten und einigen Einrichtungsstücken am letzten Juli 1850 um 2600 Gulden erkauft und bezogen. Der Ries, wo wir uns durch beinahe 6 Jahre erfolglos geplagt haben, sagten wir adé. Nach genauer Berechnung zeigte es sich, dass wir, nach Einbringung in den ersten zwei Jahren erlittenen Schadens, gerade mit heiler Haut davon kamen. Was an Werk- und Brennholz, dann Werkzeug, Kästen, Betten, leeren Fässern etc. von der Ries uns geblieben ist, liess die Resch, die Schwester, durch den Knecht in sieben einspännigen Fuhren herabführen.

     Aber mit dem Krippenspiel wusste der neue Ladenwirt nichts anzufangen und ich und der bei uns oft sonntags Aushilfe-Kellner gewesene Schneiderssohn Grimmer hatte dasselbe auf zwei Stangen nachts bei Mondlicht mit viel Beschwerden herabgeschleppt. Im Hause aber war kein Platz dafür, so stellte ich die Geschichte unter das hofseitige Vordach.


     Bei den Vorstellungen auf der Riess hatte ich bemerkt, dass der Vergolder Sagmeister nächst Maria Hilf in Graz mein Krippenspiel oftmals mit grösster Aufmerksamkeit betrachtet hatte. Als die feuchte Herbstwitterung an der Papp- und Leimarbeit und an der mechanischen Vorstellung Verderben androhte, trug ich dasselbe dem Sagmeister um 5 Gulden zum Kaufe an. Der Handel wurde abgeschlossen und Sagmeister stellte nach vorgenommener Reparatur und sonstigem Aufputz das Objekt in einem grossen Arbeitslokal auf. Er liess für Zuschauer einen schief erhöhten Stehplatz errichten und kündigte anfangs Advent für jeden Abend halbsieben Uhr die Vorstellung an.

     Natürlich konnte diese ohne mich nicht stattfinden, da ich innerhalb der Anlage alles regieren und zugleich explizieren musste. Man kann sich denken, welche gute Einnahme erzielt wurde, da ich in den Monaten Dezember und Jänner für meine Bemühung 28 Gulden und für Schreiben der Explikation 2 Gulden erhielt. Ein mit einer Drehorgel herumziehender Invalide sah die Vorstellung, kaufte dieselbe um 25 Gulden und hatte die Absicht, einen kleinen Handwagen anzuschaffen und darauf das Krippenspiel von Dorf zu Dorf zu führen. Als ich ihm aber das innere Geheimnis zeigte, sagte er, dies erlerne er sein Lebtag nie und bat den Sagmeister unter Zurücklassung der 5 Gulden vom Verkauf abzustehen. Ein Mesner von Bruck kaufte den Kram um 25 Gulden.
.

Donnerstag, 4. März 2010

48. Kriegsgeschrei

        .
     Mit dem 15. März 1848 kam für mich wieder eine verhängnisvolle Zeit heran. (118) Als die revolutionären Unruhen begannen, getraute sich fast niemand mehr aus der Stadt heraus. Wir sassen aus Mangel an Gästen wieder in einer fatalen Soss. Mich drängte es öfter, in die Stadt zu gehen, um zu sehen, was es Neues gab. Alles war in grösster Aufregung und Verwirrung und niemand war sich klar bewusst, was bezweckt werden sollte. Die Nationalgarde wurde errichtet. Patrouillen durchstreiften die Stadt und massenhaft zog Militär bei uns vorbei nach Ungarn, welches sich empörte und sich vom Haus Österreich ganz lostrennen wollte.

      Wir hatten durch Einquartierung sehr viel zu leiden und die Nachtkreuzer für das Bett der Soldaten steckte der Gemeinderichter ein. Sogar unser Acker wurde von berittenen Militär-Kommissionen wegen allfälliger Errichtung von Schanzen besichtigt. Der Grazer Schlossberg wurde mit Palisaden, Schiessscharten und sonstigen Befestigungen versehen. Es gab immer viel zu schauen und zu hören. Studenten hatten sich bewaffnet und zogen mit Säbel schleppend mit drohenden Gebärden umher. Der vom Duell beim Brunnsee bekannte Petritsch war einer der eifrigsten Anführer.

 Ein Gemälde von Johann Neuhold (Original bei Brigitte Winkler in München)

     Goldarbeiter Benedetti und Dr. Emperer hielten dem Gouverneur Grafen Wickenburg    den Strick, mit welchem sie ihn zu erhängen drohten, unter die Nase, wenn er nicht das allgemeine Aufgebot erlasse, den durch Windischgrätz bedrohten Wienern zu Hilfe zu kommen. Auf Veranlassung des Gouverneurs erdröhnten dann am Schlossberge mehrere Kanonenschüsse als Aufruf zum Landsturm. Und sehr viele Studenten und andere zogen nach Wien.


     Nicht lange darauf kam in meinem Hause am Mühriegel zu Graz Feuer aus. Ich ging zum Nachbar Goigner, da von dessen Hause das Feuer beobachtet werden konnte. Da erscholl von der Kaserne in der Leonhardgasse her ein furchtbarer Lärm; 100 Husaren entkamen samt Pferden, sprengen über die an der Leonharder Maut zugezogenen Schranken und gallopierten über die Ries, da sie ihren Landsleuten zu Hilfe kommen wollten. Als ich von Goigner weg durch den stockfinsteren Wald hinaus auf die Strasse kam, gallopierten die Desserteure eben vorüber. Zwei davon ritten zurück, als sie mich erblickten, nahmen sie mich in ihre Mitte und mit gezogenem Säbel kommandierten sie: «Vorwärts!» Ich musste zwischen beiden wie ein Gefangener dahinschreiten. Als ich aber heftig protestierte und nur langsam ging, die Truppe auch schon weiter trappte, sagte einer der Kerle: «Geh zum Teufel!» und sie jagten den anderen nach. (120)  Uns und dem Fuchswirt geschah von dieser Rotte nichts. Aber weiter hinaus begehrten sie bei den Gasthäusern den Wein gleich schäffelweise mit dem Bedeuten: «Gott wirds zahlen!»

     Von der erwähnten Familie Plank kam im Jahre 1847 der 17jährige Sohn Heinrich zu uns auf die Ries. Er kam dann unter Vermittlug des Dr. Lener, Arzt im Transportsammelhaus zur Artillerie als Tambur, wurde nach Einnahme der Festung Ofen Leutnant und nach mehreren Jahren als Major pensioniert.


     Als im Jahre 1849 die traurigen Begebenheiten in Ungarn stattfanden, kamen von dort viele kranke Soldaten, wovon manche nicht mehr weiterkonnten und bei uns liegen blieben. Daher wir solche durch einige Tage aus Barmherzigkeit pflegten. Es war schauderhaft zu sehen, wenn in der Abenddämmerung lange Wagenzüge kranker, plessierter und toter Kroaten aus Ungarn bei uns vorbei nach Graz kamen. Die Begleitung derselben hatten in Molltönen Trauerlieder gesungen.

     Dann wurden in unserer Gegend viele gefangene Honveds einquartiert. Die Eskorte derselben waren lauter Stockpolen aus Galizien, welche kein Wort Deutsch verstanden aber ungemein erfreut waren, dass ihnen meine liebe Gattin in der zu Friedau erlernten, mit der polnischen verwandten slowenischen Sprache verkehrte.

     Als von den Ungarn 20 000 Kroaten nächst Hartberg nach Steiermark versprengt wurden, war die Angst vor diesen als Räuber und Mörder verrufenen Truppe auf das Höchste gestiegen. Da dem Vernehmen nach diese Versprengten den Weg in ihre Heimat über Graz nehmen sollten, hatten auf der ganzen Strecke hierher die Gemeindeorgane befohlen, alles Vieh und auch Wertvolles in Sicherheit zu bringen.

     Aus Angst über das Leben unserer Kinder hatte ich diese zum Schwager Peter Stadler, Bahnwärter in Spielfeld, gesendet und glaubte sie dort am besten gesichert, falls die Kroaten, die – wie alle Leute mit Bestimmtheit wissen –, auch Kinder ohne Barmherzigkeit umbringen, bei uns vorbeikämen. Die einzige Kuh hatte ich bereits viel früher verkauft.

     Ich hatte in der im Keller für Bierlager bestimmten tiefen Grube unsere besten Sachen versteckt, und leere Fässer darübergestellt. Aber alle Ängste und Mühen hätte ich mir ersparen können, denn da die Grazer Bürgerschaft unaufhörlich den Herrn Gouverneur bedrängte, die Kroaten-Invasion von unserer Gegend abzuwenden, und eine Stafette nach der anderen bei uns vorbeisauste, gelang es dem Gouverneur, zu bewirken, dass der gefürchtete Zug von Gleisdorf über Feldbach und Gleichenberg marschierte und sich in der Miseldorfer Haide teils in Natura und teils in Barem bestreiteten. So musste ich, da wir  (121)  das Haus in Mureck noch besassen, einen Kostenanteil von 1 Gulden, 25 Kreuzer als Brotgeld beisteuern.

     Von dort kam der ganze Schwarm, mehrenteils barfuss und zerlumpt durch Mureck nach Spielfeld über Marburg in den Tesenwald zum weiteren Rastlager. Wir hatten so viele Angst vor den Kroaten. Unsere nach Spielfeld gesendeten Kinder hatten von dem auf einer Anhöhe gelegenen Bahnwärterhäuschen den ganzen Zug ohne alle Unannehmlichkeiten mit angesehen. Marie erzählte oft von dem erbärmichen Aussehen dieser Karawane.
____________________________________

Nachträglicher Kommentar von Eberhard am 7. März 2010:

Brigitte in München schreibt zu dem Bild von Johann Neuhold (siehe weiter oben):

     "Das schöne Bild, das bei mir an der Wand hängt, 
     ist ein Aquarell, wie alle anderen auch. 
     Ich glaube nicht, daß ich mich irre."

Eberhard dazu:  Ich vermute, es ist nicht ein Aquarell, sondern ein Guasch- bzw.  Gouache-Bild, also nicht mit lasierenden (durchschimmernden) Farben, wie im Aquarell, sondern mit deckenden Farben. Sicher bin ich nicht.   E.W.
.