Sonntag, 28. Februar 2010

46. Lauter Gschichten - Meine Familie - Meine Hand

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     An der linken Seite unserer Wohnung stand das Kaufmannshaus Janschitz. Er war noch unverehelicht aber ein Wüstling, mit dem sich die hübsche Fleischersgattin Lederer gerne abgab. Wenn er zu meiner treuen Gattin auf Besuch kam, wusste sie ihn immer in Schranken der Ehrbarkeit zu halten, dass ja kein zweideutiges Wort über seine Lippen kam.

     (111)  Seine von Blattern etwas entstellte Schwester Margarethe fungierte im Gewölbe als Komie und verfertigte viele Verkaufsartikel: Hafteln, Mausefallen, Blasbälge, Halsbinden, Chemisetten, Decken, Hosenträger, Batschen etc. und war sonst ein sehr solides, gutmütiges Geschöpf.

     Der Herr Pfarrer hatte in seinem Keller mehr als 100 Startin Eigenbau-Weine und verkündete zur Lesezeit von der Kanzel herab, dass er diese Woche den ihm gebührenden Zehnten erheben werde. 

     Der Kaplan aber, ein riesengrosser, jovialer Mann, der für sich nur 2 Halbstartin vorrätig hatte, machte von der Kanzel herab bekannt, dass er in Anbetracht der heutigen schlechten Weinernte, diesmal den Zehntenpflichtigen die ihm zukommende Abgabe schenke, da er mit seinem Vorrate schon auskommen werde.

     Zu den Pachtungen gehörte auch Mureck. Da ich beim Schulmeister Nedwed, der nebst einem Kaffeehaus eine bedeutende Gastwirtschaft betrieb, auch zu revidieren hatte, und durch 3 Jahre sehr oft dahin kam, so erhielt ich von der Frau Nedwed infolge ihres gemachten Versprechens im Ganzen gerade 100 Schalen Kaffee.

     Im Markte Strass erzählte mir die Fleischerswittwe Feiertag, Tochter des Wirtes Frankl vulgo Retzek in Abstall, dass sie schon 16 Wochen Braut sei und endlich ihre zweite Heirath mit ihrem Geschäftsführer doch zustande kommen werde. Dieser neue Bräutigam war nämlich früher in seinem Heimatorte Kirchbach als Fleischer bedienstet und hatte daselbst eine hübsche Bauerntochter frequentiert, in welche auch der dortige Kaplan verliebt war. Aus Rache gegen den Nebenbuhler wusste der Kaplan es so einzurichten, dass in der Pfarre St. Veit die Kopulation mit der Wittwe in Strass erst dann bewilligt werde, wenn der Bräutigam den ganzen Katechismus auswendig könne, wozu der arme Bräutigam wirklich sechzehn Wochen brauchte.
    
     Unser jüngstes Kind Thekla – sonst gesund und stark – erkrankte an der gefährlichen Halsbräune. Da der Arzt sein eigenes an der gleichen Krankheit leidendes Kind nicht retten konnte, war auch unsere Thekla nebst vielen anderen Kleinen unrettbar verloren.

     Unsere Tochter Marie und die Luise Plank mussten nach dem Beispiel meiner unvergleichlichen und braven Gattin und vortrefflichen Mutter fleissig spinnen, wobei der alte Hutmachermeister mit Erzählung von Märchen, Räuber- und Geistergeschichten abends bis spät in die Nacht hinein Gesellschaft leistete. In unserem Hause in Mureck war auf kurze Zeit zu unserem Gebrauche ein Dachzimmer reserviert.

     (112)  Als einst meine gute Frau auf einige Tage nach Mureck ging, wurde sie dort von Geburtswehen überrascht. Im kleinen Dachzimmer-Stübchen kam am 4. April 1842 ein Knabe zur Welt, welcher Eduard getauft wurde.

     Keines von unseren Kindern machte aber gleich nach der Geburt so frische, schelmische Augen, wie dieser letzte Knabe. Er war lang und mager, von brauner Gesichts- und Leibesfarbe, so wie der erwähnte Spitz'sche Sprössling. Alle unsere früheren Kinder waren nämlich dick und fett, als sie das Licht der Welt erblickten. Die Arztensgattin Therese Ableitner hatte statt ihrem Mann bei der Taufe als Patin zu erscheinen. Sie hat zuerst zu-, dann wieder abgesagt, und dafür die 50jährige, ledige Weingartenbesitzerin Julie Deanino gesendet. Der Herr Pfarrer hatte versprochen, die Taufe selbst vorzunehmen, übertrug das Geschäft jedoch dem Kaplan. Als aber die bestimmte Stunde der Taufhandlung da war, kamen hiezu beide Patinen und beide Herren Geistliche. Die gemütsreiche Mutter meinte, dass dieser Umstand für den ersehnten Knaben von Bedeutung sei, für dessen künftiges Geschick.

     An einem Sonntagabend war beim Wirt Kotzbeck in Dreifaltigkeit Gesellschaftsball, wozu ich und Zürngast eingeladen waren. Ich tanzte bis Mitternacht sehr viel. Um drei Uhr früh sind wir beide fort nach Gonobitz und waren auf der Rückfahrt in Marburg über Nacht. Da träumte mir, dass der Kellner an der offenen Schlafzimmertüre rief: «Herr Neuhold, Ihre Frau von Graz ist da ...!» Und wirklich sah ich sie im Vorsaale stehen, worauf ich erwachte.

     Als ich meine liebe Gattin besuchen wollte, hiess es, sie wäre nach Graz zur Leiche meiner Mutter. Ich erschrak sehr darüber und wusste nicht, dass die Mutter krank gewesen war.

     Meine Schwester Aloisia war nie recht gut gegen mich, und da ich seit einem Monat nicht mehr in Graz war, wusste ich nichts von der Krankheit der Mutter. Nachträglich stellte sich heraus, dass ich an ihrer Sterbestunde und eben beim Kotzbeck am heftigsten tanzte, was mich lange Zeit wurmte.

Nachdem die zeitweisen Schmerzen in meiner Hand nicht aufhörten, hatte mir der vulgo Retzek in Abstall geraten, von der heissen Schwefelquelle in Töplitz bei Warasdin Gebrauch zu machen; wenn die nicht helfe, so sei alles vergebens. Nachdem ich zwölf Tage Urlaub erhielt, reisten ich und meine liebe Gattin nach Pettau zu ihren Verwandten, Herrn Johann Murister, dessen eine Tochter den Tischlermeister Goger in Warasdin zum Gatten hatte. (113)  Meister und Sohn fuhren mit uns dahin, und anderen Tages erreichten wir in zwei Stunden zu Fuss den Badeort. Wir fanden bei einem aus Bruck gebürtigen ledigen Tischlermeister billige Unterkunft, und die Wirtschafterin besorgte unsere Mahlzeiten.

     Durch zehn Tage hatte ich um fünf Uhr früh das heisse Bad benützt, trank hernach am Brunnen das heisse Schwefelwasser, worauf ich dann in einem Lokale die schmerzhafte Hand in ein Fass mit siedendheissem Schlamm vergraben hatte. Ich spürte jedoch keine Linderung. In einer besonderen Badekammer wurden an meiner Hand bis über die Schultern Schröpfköpfe angesetzt. Jeder erzeugte Blutung, nur am schmerzlichsten Punkte kam kein Tropfen.

     Nach meinen Dienstreisen kam ich oftmals, besonders nach Schneegestöber, im kranken Zustande nach Hause. Da ich dann einige Tage zur Erholung brauchte und Gleichenberger Wasser mit Geissmilch trinken musste, so riet mir der Arzt, so wie meine liebe, um mich besorgte Gattin, das so beschwerliche Geschäft aufzugeben. Da gleichzeitig in uns eine unbegreifliche Sehnsucht nach unserem Standort Graz auftauchte, gab ich Ende Dezember 1844 nach 5 Jahren und 2 Monaten den Dienst auf, bei welchem ich nicht nur nichts in Ersparung bringen konnte, sondern uns auch noch die jährlichen Zinsen von 100 Gulden vom Murecker Haus einbrockte.

     Herr Zürngast wollte mich freilich nicht mehr weglassen, denn er hatte wirklich keinen so gewissenhaften Mann, auf den er sich in allem so verlassen konnte, wie auf mich. Ich hatte die feste Überzeugung, dass er bei seinen 13 Realitäten nie in Krebsgang kommen könne, wenn alle seine Geschäfte so in der Art weitergeführt würden, wie ich sie verwaltet habe.

Bei der von mir erkauften grossen Wein-Realität nächst Gams bei Marburg befand sich ein ausreichender Lehmgrund und da eben der Eisenbahnbau über Marburg projektiert wurde, liess Zürngast sogleich eine Million Ziegel erzeugen, in der Hoffnung, dieselben an die Südbahn vorteilhaft zu verwerten. Aber andere Spekulanten kamen ihm zuvor. Da er keine Ziegel abbrachte, baute er in Marburg ein drei Stock hohes Haus, 20 Klafter lang und 9 Klafter breit.

     Ich war stets bemüht, die monatlichen Pachtraten an das Ärar abzuführen, jetzt aber verwendete Zürngast alle Gelder zum Hausbau und blieb den Pachtschilling schuldig. Mein Nachfolger war auch nicht so umsichtig, und so wurden vom Ärar, das keinen Spass versteht, sogleich 8 Pachtbezirke auf Kosten des Pächters sequistriert und alle seine Realitäten wegen 18000 Gulden Pachtrückstand und 5000 Gulden Unkosten exekutiv verkauft.

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 Frage von Eberhard - 1. März 2010:

     Was in aller Welt ist ein "Komie"? (zweiter Absatz).

Und prompt krieg ich wieder eine Antwort von Brigitte in München.
(Danke, Brigitte) - Sie schreibt:

     "Ich nehme an, daß der Herr Neuhold "Kommie" 
     als die weibliche Form von "Kommis", auch Commis, gemeint hat.

     Das war ein Handelsgehilfe, Kontorist und dergl. Commis kommt in
     Nestroy-Stücken oft vor, im Gegensatz zum Prinzipal. ... "

Bitte beachtet, dass ich im zweiten Absatz oben, den Link nachgetragen habe.
E.W.
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Samstag, 27. Februar 2010

45. Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern

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(19)     Ich und meine in jeder Hinsicht sehr brave, resolute Frau hielten uns nach allen von Dr. Hufeland aufgestellten Regeln, und zwar besonders Mässigkeit im Speisen, beim Essen wenig sprechen und nichts trinken; erst in einer Stunde, wenn der Magen in Tätigkeit, ihn mit einem Glas frischen Wassers zu Hife kommen. Alle Gewürze und geistigen Getränke, dann Zornesaufwallungen vermeiden. Mässigkeit in allen Vergnügungen, besonders in der Liebe. Sehr viel kaltes Wasser trinken, kalt baden und waschen, erst zwei Stunden nach dem Nachtmahle zu Bett gehen, viele Bewegungen im Freien machen, immer auf leichten Stuhlgang Bedacht nehmen und sich hauptsächlich vor Verkühlung hüten. Bei allen, denen ich diese Regeln beibrachte, haben sie sich wie bei uns selbst bewährt.

     Bei meinen Bereisungen hatte ich die beste Gelegenheit, die lang ersehnten Gebirgspartien in den windischen Büheln, in den Bezirken Brunnsee, Weinburg, Obermureck, Gutenhag, Wurmberg, Negau, Jahringdorf, Poppendorf, Radkersburg, Neuweinsberg, Halbenrain, Friedau, Peggau, Frohnleiten, Neuschloss, Grossöding, Voilsberg, Lankowitz, über die Stubalpe nach Weisskirchen und Knittelfeld zu unternehmen.


     Als Zürngast in Pettau als Mitpächter beitrat, wurden auch die Bezirke Stadt Pettau, Oberpettau, Minorittengut Pettau in der Kollos, dann Turnisch gepachtet. Hierüber wurde in Pettau eine eigene Kanzlei mit einem Beamten gehalten. Bei dem wieder stattgefundenen Manöver hatte ich Tag und Nacht die grösste Umschau in Amtsgeschäften zu pflegen und bekam hierfür extra 5 Gulden. Bei Übernahme des Bezirkes Friedau kam ich auch auf das sogenannte Jerusalemer Weingebirge im Bezirk Luttenberg, wo der ehemalige Grazer Bindermeister Übelaus, eben in der Weinlese war, und mitten in seinen grossen Weingärten auf dem höchsten Punkte ein stockhohes Herrenhaus besass.

     Als ich und meine Begleiter eben die schöne Gegend betrachten wollten, rief der Herr Übelaus uns zu sich hinauf. Oben führte er uns auf dem Gange um das Haus, von wo die Städte Radkersburg, Pettau, Friedau (heute: Ormoz), dann Lendva in Ungarn mit freiem Auge zu sehen waren. Wir konnten uns von der unvergleichlichen Aussicht gar nicht trennen. Wir erhielten jeder eine Halbe Wein und Brot, und als die Glocken zum Essen läuteten, strömten von allen Seiten die mit der Lese beschäftigten zahlreichen Arbeiter zum Mittagsmahle herbei. Wir dankten dem wackeren Wirte für dessen Humanität und zogen useres Weges.

     (110)  Als ich zum Verzehrsteuer-Geschäfte kam, wollte jeder, der mein Sparsystem kannte, profezeihen, dass ich dabei reich werden könne. Dies wäre aber nur durch Hintergehen gegen meine Pächter und durch Gefälsch-Übertretungen erzielte Strafgelder möglich gewesen. Allein bei der mir angeborenen Gewissenhaftigkeit und Gutherzigkeit war ich nicht imstande, den wohlwollenden Pächter zu betrügen oder die Wirte und Fleischer, denen die Verzehrsteuer ohnehin sehr schwer fiel, bei vorgefallenen Unrichtigkeiten zur Strafe zu bringen, obwohl ich laut Gesetz hierzu berechtigt war. Nur bei drei besonders Renitenten hatte ich den Tatbestand aufgenommen und der Behörde zur Amtshandlung vorgelegt. Allein bis die Verhandlung geschlossen und ein Geld-Straf-Erkenntnis erfolgte, war ich vom Geschäfte schon ausgetreten. Anstatt dabei etwas zu erübrigen, wurde noch das jährliche Zinserträgnis unsers Hauses in Mureck zugesetzt.

     Gar manche, die von diesem Egentum wussten, hatten mich gefragt, ob ich auch schon abgewirtschaftet hätte, da beim Verzehrsteuer-Geschäft nur lauter auf den Hund Gekommene eintreten. Wirklich waren unter den 23 unter meinen Befehlen stehenden 2 gewesene Fleischhauermeister Hauser und Winter, Bäckermeister Tschech, Schuhmachermeister Leopold, Lederermeister und Kaffeesieder Greiner.

Herr Zürngast unterstützte auch den von Dreifaltigkeit gebürtigen, elternlosen Studenten Alois Putschko, einen jungen, liebenswürdigen Burschen, der die Ferien immer hier zubrachte und überaus gerne mit meiner Frau, die er höchst geistreich fand, konferierte. Wenn ich zu Hause war, benützte ich jeden Augenblick zum Flötenspiel, wozu mich Putschko mit besonderer Vorliebe mit der Guitarre begleitete. Auch meinte er schon viele Menschenkenntnis zu besitzen, aber bei mir kennen sie sich nicht aus! Mir war es selbst unbegreiflich, wie in mir zwei Naturen steckten: Meist guter Laune und so leicht zum Weinen. Die unerklärliche Mutter Natur hatte mich zum Sonderling gestempelt und grosse Tränensäcke verliehen.
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Freitag, 26. Februar 2010

44. Meine Anna - eine Heilige

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     Nach einiger Zeit kam die Ruhr epidemisch über Dreifaltigkeit. In kurzer Zeit starben an der Krankheit 40 Kinder. Unser Knabe Gustav, der infolge der Fraisen erst im sechsten Jahre die volle Sprache erlangte, und mir besonders ans Herz gewachsen war, wurde von uns besonders gehütet und kam mit Ruhrkranken in gar keinen Verkehr. Trotzdem musste er alle Leiden dieser bösen Krankheit durchmachen. Neun Tage und Nächte lang nahm er keine Nahrung zu sich, ausser etwas Medizin. Infolge seiner äusserst sanften und gutmütigen Wesensart war er zu gut für diese Welt, und der Todesengel nahm ihn mit sich in das unbekannte Jenseits.

     (107)  Meine überaus liebevolle Gattin, die vor einem Dreivierteljahr ein dickes Kind, Thekla, zur Welt brachte und wegen ihrer festen Nerven selten weinen konnte, hatte viele Mühe, mich über den Verlust des herzigen und talentvollen Bürschchens zu trösten. Mein Schmerz war so überwältigend, dass ich sechs Wochen lang am heftigen Nervenfieber zwischen Leben und Tod darniederlag. Der mich behandelnde Chirurg Ableiter machte meiner gefühlvollen und als Krankenwärterin unermüdlichen Frau den Vorschlag, für mich den Kreisfisikus von Marburg (Maribor in Slowenien) holen zu lassen. Dieser behandelte auch den benachbarten und gleichfalls wegen seines an der Ruhr verstorbenen Sohnes am Nervenfieber leidenden und mit mir im gleichen Alter befindlichen Gastwirt Pollanetz, welcher aber, ohne gesund zu werden, starb.

     Meine liebe, sorgfältige Gattin verliess sich auf die ärztlichen Kentnisse des Chirurgen Ableiter; der bot alles auf, um mich zu retten. Hier zeigte sich meine heldenmütige Gattin, was ein wirklich liebendes, treues Herz vermag: Tag und Nacht wich sie nicht von meinem Bette. Ihrer grenzenlosen Liebe, Geduld und Aufopferung, der sorgfältigen Pflege und emsigen Wartung verdanke ich nächst der unendlichen Barmherzigkeit Gottes und der Geschicklichkeit des Arztes mein Leben und die Wiedergenesung. Unsere ersparten 34 Silberthaler wurden aufgebraucht. Zum Glück war der Herr Zirngast so freundlich, mein Gehalt ununterbrochen auszuzahlen, und meine Gattin in allem zu unterstützen.

     Für die himmlischen, mir unvergesslichen Tugenden meiner treuen, unverdrossenen, Tugenden beweisenden Krankenwärterin nahm ich mir fest vor, sie zeitlebens als eine Heilige zu verehren. Die Unterlassung dieser Verehrung wollte ich als Todsünde betrachten. Weil ich indessen in Geschäftsreisen oft sehr lange abwesend war, hatte sie inbrünstig zu Gott gebetet, dass er mich vor allen Gefahren bewahre und glücklich wieder heimhelfe.

     Später übersiedelten wir in die Mitte des Ortes in den ersten Stock des Hauses des Oberrichters und Bruders des Schulmeisters. Im geräumigen Vorhause hatten wir einst 23 Wallfahrer, lauter Bekannte, von Mureck untergebracht. Herr Zürngast hatte zu jeder Marktzeit 8 Stück Rindvieh und 30 Kälber geschlachtet. Sein Bruder Jakob war auch Fleischer und Hausbesitzer am Orte. Meine emsige Frau war bei einer solchen Gelegenheit immer in der Küche der Frau  Zürngast, geborene Reissmann, äusserst beschäftigt. Ich musste meine Reisen so einteilen, dass ich zu Beginn der Marktzeit hier eintreffen konnte, weil ich da den Zahlkellner machte.

     (108)  Wenn Gastwirt Bauer von Murau hier ankam, kaufte er gewöhnlich alle in den sieben Kellern des Mathias Zürngast befindlichen Weine und zahlte immer gleich bar aus. Die Weine wurden sogleich durch windische Fuhrleute sieben Stunden weit per Startin oder 10 Eimer zu 1 Gulden nach Strass geführt, von wo die dort eingekehrten obersteirischen Salzfuhrleute die Weine fortexpidierten: Damals bestand ja noch keine Eisenbahn.

     Als am Pettauer Felde wieder grosse Manöver waren, machte ich mit meiner guten Frau nebst noch zehn Personen auf einem Fuhrwagen um ein Uhr nachts die Fahrt nach Pettau. Meine brave Gattin blieb bei der ausgezeichneten Frau Meister und wir anderen liefen den ganzen Tag den Manöverierenden nach.


     Über Turnisch (heute: Turnisce) und St. Veit zog der Feind. Es war romantisch zu sehen, wie 6000 Soldaten mit Pferden und Kanonen über die durch Pioniere von 10 Uhr vormittags bis halbein Uhr mittags fertiggebrachte Pontonbrücke über die Drau marschierten und am linken Drau-Ufer mit Kanonen empfangen wurden. Der Kampf zog sich weit über Dornau bis abends; nahe Pettau wurde bivakiert. Bei Anbruch der Nacht fuhren alle wieder nach Hause.

     Neben unserer Wohnung war das Haus des Kaufmanns Spitzi, der von sehr dunkler Gesichtsfarbe war. Wenn dessen ebenfalls brauner aber auch recht intelligenter Knabe in die Schule ging, und meine liebe, gute Frau ihn sah, hatte sie immer den Wunsch nach einem solchen Knaben.

Einst kam ich bei St. Anton mit unserem Chirurg Ableiter zusammen. Als der dortige Kaplan sich zu uns gesellte, trieb eben ein armer Keuschler seine Gänse von der Weide. «Verkaufe mir eine Gans! Was kostet sie?» frug der Geistliche den Landmann und auf Bekanntgabe des Preises 30 Kreuzer conv. Münze sagte der Kaplan: «Du kannst sie mir wohl um 1 Gulden geben. Bring sie mir morgen und ich lese Dir dafür eine Messe!» Was konnte der arme Keuschler, der sich keinen feinen Schmaus vergönnen konnte, machen? Und der nach Gänsebraten Lüsterne sagte zu uns: «Was kann man denn billiger haben als eine Gans um 1 Gulden?» Uns aber drang sich die Überzeugung auf, dass ihm der Braten gar nichts kostet und der Kaplan das 10. Gebot nicht sehr genau nahm.
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Montag, 22. Februar 2010

43. Als Steuereintreiber im windischen Reiche

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     Im Orte Dreifaltigkeit in Windischbühel, vier Stunden von Mureck im Mittelpunkte zwischen Radkersburg, Pettau (heute Ptuj, Slowenien) und Marburg (an der Drau – heute Maribor, Slowenien), war ein Fleischhauer, Realitätenbesitzer und Weinhändler namens Mathias Zürngast, welcher sich auch mit Pachtungen von Verzehr-Steuer-Bezirken befasste und für den von ihm entlassenen Buchhalter Schubert einen Revidenten und Geschäftsführer benötigte. Sein Schwager, Lederermeister Schmölzer in Mureck erhielt die Weisung, einen brauchbaren Mann aufzutreiben, da wieder sieben neue Bezirke gepachtet wurden. Schmölzer wusste, dass ich vier Jahre und drei Monate treu und redlich beim Syndikus ausgehalten hatte, sehr verlässlich und eben ohne Beschäftigung war; so trug er mir die Stelle an. Mir ging es fast heiss über den Rücken. Ich entschuldigte mich, dass ich von einer Geschäftsführung der Verzehrsteuer-Pachtung nicht den mindesten Begriff hatte.

     Schliesslich sagte ich – auch auf Antrieb meiner lieben Frau – zu und versprach, vor Übernahme der neuen Bezirke Ende Oktober 1839 zu Herrn Zürngast zu kommen.

     Montag, Dienstag, dann Mittwoch Vormittag war ich unter Schneegestöber in Gesellschaft von 25 Jagdfreunden in dem Chirurg Blümel zu St. Peter am Ottersbach gehörigen Jagdggebiete, wobei es sehr unterhaltend zuging und ich ohne einen Schuss zu tun, doch einen Hasen nach Hause brachte.

     In meiner Abwesenheit weinte die arme, gute Frau in Besorgnis und Kummer, dass ich die Stelle versäume. Nach dem Mittagessen herzte und küsste ich die zärtliche, liebevolle Gattin und die Kinder und machte mich auf den Weg nach dem windischen Reiche. Auf unbetretenen Pfaden musste ich fünf Stunden im Schnee fortwaten, bis ich um sieben Uhr abends ermattet in Dreifaltigkeit ankam. Ich wurde mit Sehnsucht erwartet und freundlich aufgenommen. (105)  Nach dem Abendmahle wurde die monatliche Besoldung per 25 Gulden vereinbart und mir die nötigste Instruktion erteilt. Nach Einsicht in die bisherige Buchführung ersah ich wohl gleich die Verworrenheit und Mängel derselben und erkannte die Notwendigkeit einer dringenden Reform.

     Anderntags wurde die Reise zur Übernahme des neuen Bezirkes Wildon etc. unternommen. Nach acht Tagen zurückgekehrt, unternahm ich sogleich von Grund auf eine neue Geschäftsgebahrung, damit in Einkünften und Ausgaben eine Klarheit bestand.

     In jedem Bezirk war ein Mann als sogenannter Bestellter zur Übernahme der steuerpflichtigen Wirte und Fleischhauer, mit monatlicher Besoldung von 20 Gulden angestellt. Anton Stramlitsch, Wirt in St. Leonhard und Josef Grünwald, gewesener Artillerie-Korporal und nun Hausbesitzer in Dreifaltigkeit, waren zur Revision und Gelderhebung bestimmt, und ich hatte über alle die Oberaufsicht und Buchführung in der Kanzlei. Zürngast hatte in Voitsberg ein Haus gekauft und dort wie in Frohnleiten, Weinniederlassungen errichtet. Die in diesen Bezirken befindlichen Bestellten mussten den Verkauf der Weine besorgen und ich hatte die Gelder einzukassieren. Mit der Zeit hatte Zürngast 29 Bezirke in Pacht. In der Kanzlei zu Mureck hatte ich mir so viele Kenntnisse erworben, dass ich für jeden Bezirk die Offerten, dann Kautionen und Sicherstellungs-Urkunden für die jährlich an das Ärar zu zahlende Pachtschillinge pro 42000 Gulden verfassen und an die Finanzbehörden vorlegen konnte.

Mein Gehalt wurde auf 35 Gulden erhöht; denn ich hatte einen ausserordentlich beschwerlichen und verantwortlichen Dienst: Alle 14 Tage sämtliche Bezirke von Friedau bis Knittelfeld zu Fuss bereisen, die 1000 Steuerpflichtigen zu besuchen, deren Geschäftslokale zu revidieren, Steuergelder zu erheben und die monatlichen Pachtraten an das Ärar abzuführen. Jeden Monat war ich auf eigene Kosten bei jeder Witterung 18 Tage auswärts, dann zur Verrechnung, Übergabe und Verbuchung der Gelder, dazu Eintragung aller Vorkommnisse durch 12 Tage, täglich von 6 Uhr früh bis 11 Uhr nachts in der Kanzlei anstrengend beschäftigt. Und ungeachtet meiner ledierten und noch immer schmerzhaften Hand konnte ich noch immer alles pünktlich vollführen.

     Von mehreren Seiten kam mir die Bemerkung, ich müsste eine eiserne Natur haben. Auf meinen Reisen hatte ich oft 5000 bis 6000 Gulden in der Tasche und musste öfters um Zeit zu gewinnen, um auch meine Familie in Mureck besuchen zu können, bis spät in der Nacht über Berge und durch Wälder wandern. 

     (106) Vor Räubern hatte ich keine Furcht. Ich verliess mich auf meinen Stilettstock und kam unbesorgt manchmal erst um 11 Uhr nachts zurück, obwohl der eineinhalb Stunden lange Burgstallberg im üblen Rufe stand und fast sämtliche Bewohner dieser Gegend wegen Raub und Diebstahl schon im Arrest waren. Zum grössten Glücke war mir nie etwas Unangenehmes passiert.

     Inzwischen war meine herzensgute Gattin mit den Kindern nach Dreifaltigkeit übersiedelt und im Hause des Schulmeisters Schönwetter, wo ich die Kanzlei hatte, Wohnung genommen. Der Pfarrer war der vertrauteste Freund des Schulmeisters und dessen Gattin wieder die innigste Freundin des Pfarrers. Dieser liess den Sohn des Schulmeisters studieren, und wenn die Tochter im Chor sang, meinte man eine Katze zu hören.

     In Dreifaltigkeit war auch der erwähnte Kapmaier, der in Friedau damals meine liebe Anna Knölly mit Heiratsanträgen quälte, als Sattlermeister ansässig. Er hatte eine gute Frau und zwei Kinder. Hier im Orte war des Jahres fünf mal Markt und grosse Scharen Andächtiger. Gewöhnlich waren hier acht Gasthäuser, zu Marktzeiten aber doppelt so viele. Da sämtliche Gastlokale samt Nebengebäuden nicht alle Fremden unterbringen konnten, blieben oft mehrere hundert über Nacht auf Rasenplätzen im Freien und sangen oft bis Mitternacht. Besonders Windische waren angenehm zu hören. Als ich einst zufällig beim Fenster hinaussah, bemerkte ich unter den ankommenden Wallfahrern eine sehr gemütliche, aber von der Reise sehr ermüdete Frau. Ich trug ihr sogleich Unterkunft bei uns an, da bereits alle Gasthäuser überfüllt waren. Sie nahm die Einladung an. Ich führte sie ins Haus – und welche Überraschung? Sie war die erwähnte Lederermeistersgattin Seinkovitsch von Friedau, und die beiderseitigen Freuden des Wiedersehens waren grossartig.

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Kommentar von Eberhard Winkler, 22. Februar 2010:

     Ich google gern und gut, aber bei zwei Objekten finde ich mich nicht zurecht. Wer kann mir sagen, was ein Lederermeister (im ersten Abschnitt) ist. 

     Und wer hat eine Ahnung (oder noch besser Gewissheit), wo der Ort Dreifaltigkeit liegt und wie der Ort heute heisst. Schon klar, oben, im ersten Abschnitt wird beschrieben, er liegt in der Mitte des Dreiecks Radkersburg, Pettau (Ptuj) und Marburg (Maribor). Ich hätte aber gern etwas Genaueres gewusst. 

     Danke für Hinweise.  Eberhard
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Sonntag, 21. Februar 2010

42. Der sture Leschanz und die Amtsquerelen

     Nun kam wieder ein neuer Lebensabschnitt in unsere Verhältnisse. Wir hatten nämlich Mai 1839 das vulgo Lebensbauer'sche Haus samt Hafner Gerechtsame und zweieinhalb Joch Grundstücke um 840 Gulden verkauft. Da das Gebäude sehr niedrig stand und der Überschwemmung ausgesetzt war, beschlossen wir, dasselbe um dreieinhalb Schuh zu erhöhen. Indem uns der Überschlag des Maurermeisters Priesching für die ganze Reparatur 800 Gulden zu hoch vorkam, übernahm ich alles in eigener Regie.

     Der in Ansberg sesshafte und als sehr geschickt bekannte Maurerpolier Sax hatte die Dachstuhlerhöhung und alle Maurerarbeiten im Accord übernommen. Unter dem südlichen Teil des Hauses wurde ein gewölbter Keller hergestellt, der Brennofen neu hergerichtet und die Gerechtsame in Pacht gegeben. Alle Dippelböden mussten neu gemacht werden. Die neuen Fenster- und Türstöcke, sowie Stufen und die Stiege hatte ich selbst verfertigt. Nachdem sämtliche Fussböden in 5 Wohnung neu gemacht werden mussten, war ich um 3 Uhr früh schon am Wege zu den benachbarten Mühlen um die nötigen Bretter.

Mittlerweile wurde die Tochter des Stallmeisters Nedwed, ein sanftes und braves Mädchen von (103) 17 Jahren bedenklich krank. Da hatte ich in Vorahnung ihrer baldigen Auflösung bei meinen Gängen zu den Mühlen ein auf die bedauernswerte Rosa Nedwed bezügliches Grabgedicht verfasst, wofür ich schliesslich allseitige Anerkennung erntete. In dieser Dichtung konnte ich den Schmerz der Eltern leicht zum Ausdruck bringen, da die Trauer um mein eigenes Kind Rosine noch zu frisch in meinem Gedächtinis war. Frau Nedwed sagte mir: «Ich bin Ihnen wohl grossen Dank schuldig und ich weiss, dass Sie keine Barzahlung annehmen; aber so oft Sie in unser Haus kommen, sollen Sie eine Schale Kaffee haben».

     Ungeachtet aller Mühe und Arbeit bei der Hausreparatur hatte uns dieselbe 1400 Gulden gekostet. Zur Bestreitung der Auslagen wurde uns das Geld vom Kaufmann Kolletnigg und Riemenmeister Robatin, die von unserer Rechtschaffenheit überzeugt waren, bereitwilligst vorgestreckt. Sodann wurden diese Herren von dem aufgenommenen Sparkassendarlehen befriedigt.

     Nun kam wieder ein neues Verhängnis über uns! Da mein Amtsvorstand Syndikus Leschanz sich durch sein starres und schroffes Wesen fast die ganze Bürgerschaft zum Feinde machte, hatte dieselbe dessen Entfernung beschlossen und unter mancherlei Intrigen durgesetzt. Der vom Markte St. Florian vertriebene Syndikus Tauscher konnte hiezu die besten Ratschläge erteilen.

     Ausser dem Bürgermeister waren Ausschussmänner für die politschen oder ökonomischen Entscheidungen zuständig. Dann wurde zur Überwachung und Verrechnung der märktischen Einkünfte und Ausgaben ein Bürger unter dem Titel Kämmerer bestimmt. Bei der Wahl des neuen Bürgermeisters nahm der ärgste Feind des Syndikus Leschanz diese Wahl ausdrücklich mit der Äusserung an, «um dem schwarzen Leschanz seine sehr dunkle Gesichtsfarbe wegzubringen». Die erste Verfügung des neuen Bürgermeisters, Tischler Woitech, war die Einhebung des reichen und höchst gewisssenhaften Lederermeisters Florian Schütz von der Stelle eines Kämmerers. Als solcher hatte dieser immer einen Überschuss zu Gunsten der Gemeindekasse geschaffen. Dem Woitech lag daran, bei den hohen Behörden nachzuweisen, dass die märktischen Ausgaben zu hoch seien und von den wenigen Einkünften des Kanzleipersonals nicht besoldet werden können. Der neu ernannte Kämmerer aber führte die Gemeinderechnungen gewissenhaft.

     Von Seiten des Kreisamtes wurden auf Kosten der Bürgerschaft Kommissionen abgehalten, und da sich gegen den Syndikus keine Amtsgebrechen vorfanden und die schon bald 6 Jahre dauernde Agitation nicht aufhörte, so wurde vom Gubernium einverständlich  (104)  mit dem Kreisamte – um endlich Ruhe zu haben –, wie es in der Entscheidung hiess, im September 1839 die Gerichtsbarkeit des Magistrates Mureck gegen eine Jahrespauschale von 200 Gulden an die Herrschaft Obmureck übertragen. Auf solche Art wurde ich dienstlos. Ich hatte zwar jeden Monat bedeutende Nebeneinkünfte, da war aber im darauf kommenden Oktober gar kein Kreuzer mehr zu erhaschen.

     Leschanz erkaufte sich im Orte Sandscha zwischen Strass und Leibnitz einen Bauerngrund mit 40 Joch Äcker und Wiesen ohne Wald. Da er aber samt seiner Frau von einer Geldwirtschaft nichts verstanden hatte, kam alles in Krebsgang. Der Sohn Franz war nach vielen Jahren Bezirksrichter in Hartberg.
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Samstag, 20. Februar 2010

41. Das herzliebe Kind hat ausgelitten

     Als ich oft nach Graz kam, sah ich sehr viele gefangene Russisch-Polen, lauter grosse, schöne Männer, gegen Süden transportieren, konnte aber nicht erfahren, wohin. Wie ein bayrischer Prinz zum König von Griechenland erwählt wurde, sind von München sehr viele, auf drei Jahre angeworbene Freiwillige, auch sehr starke, feste Männer durch Graz gekommen, von welchen ich später mehrmals recht elend aussehende Gestalten – den bayrischen Helm am Kopfe – zurückkommen sah.

     In Graz erzählte die zufällig von Wien anwesende Frau Fels, dass die Pepi Schwarzmann, die mir so herzlich zugetan war, im Orte Weinhaus einen Spengler, Czechen, geheiratet, von diesem aber so viele Misshandlungen zu erdulden hatte, dass sie aus Kränkung bald darauf starb. Bei dieser traurigen Nachricht kamen mir unwillkürlich häufige Tränen. Sie hätte wohl zarteste Behandlung verdient.

Das unerklärliche Geschick erteilte unserer eineinhalbjährigen Rosina einen gewaltigen Keuchhusten, nebst Fraisen und es war für uns alle recht schmerzlich, das arme Kind so leiden zu sehen. Da alle Hilfe der Ärzte vergeblich war, wollte ich das Sterben des Kindes nicht mit ansehen. Ich ging nach Graz, und als ich übern Schemerl, dann Feldbach und Gleichenberg am 4. Tag zurückkam, war das Kind noch am Leben, als wenn es nur auf mich gewartet hätte.  (101)  Auf mein Verlangen gab mir das liebe Kind das Händchen aus der Decke, und bald darauf bei einem neuerlichen Fraisenanfall hatte es ausgelitten. Wir weinten bitterlich um das herzliebe Kind. Kurz darauf starb auch mein Vater, 66 Jahre alt. Ein Jahr vorher hatte er uns bei Gelegenheit eines Kuhkaufes besucht.

     Im Hause des alten Herrn Keller in Mureck wohnte gegen billigen Zins die ehemalige, sehr reiche und geizige Pfarrersköchin Margarethe Götz. sie konnte ihren zahlreichen Schuldnern zureden, dass dieselben die Interessen rechtzeitig entrichten sollten, damit sie leben könne; denn nach ihrem Tode seien ihnen die Kapitalien ohnehin geschenkt. Sonach waren die Schuldner beflissen, die Zinsen gehörig zu bezahlen und ihr überdies Victualien (Lebensmittel) zu verehren, dass sie für sich fast nichts einzukaufen hatte.

     Dem kleinen Mädchen des Hausherrn, welches für den Geizhals alle Gänge zu verrichten hatte, gab sie aus besonderer Gnade täglich eine halben Apfel. Wie gerne möchte die Alte Backhendl essen, aber ein ganzes war ihr zu viel und ein halbes konnte sie nicht abstechen. Als sie an einer bösen Krankheit starb, blieb die Inventur-Kommission aus Furcht vor Ansteckung vor der Wohnung draussen am Gange und der Hausherr trug alle Hinterlassenschaften, Wertpapiere, Pretiosen etc. hinaus zur Kommimission. Als sich diese dann über die Stiege hinab entfernte, fand der gewissenhafte, mit 8 Kindern gesegnete Herr Kern in einem geheimen Fach noch einen Beutel mit 100 Dukaten, und lief damit den Gerichtspersonen nach. Er musste dennoch die auf seinem Hause für die Götz haftenden Kapitalien bezahlen. Vier Erben, darunter der Syndikus Götz in Leibnitz und Professor Götz in Graz teilten sich in den Verlass. Im Testament der Margarethe Götz waren für die jeweilige Stricklehrerin 5 Gulden bestimmt, welche sonach an meine fleissige Frau entfallen sind.

     Ich beschäftigte mich nebenbei noch immer mit Holzarbeiten. Für den Schuhmacher Landl hatte ich neuartige Keilleisten zu machen, wozu er zu meinem Unglücke – selbst recht verwedelte Hagenbuchen-Holzstücke beistellte, so dass ich daher mit mehr Anstrengung hantieren musste.

     Da kam im September 1836 das Unglück, dass mir in der Kanzlei während des Schreibens die Feder aus der Hand fiel, und wahrscheinlich infolge Überanstrengung bei obiger Leistenarbeit sich im rechen Oberarm grosse Schmerzen fühlbar machten. (102)  Die Schreiberei ging nur mit grösster Mühe vonstatten und alle möglichen kostbaren Salben, Umschläge und teuren Essenzen waren nicht imstande, meine leichte, flinke Hand wieder herzustellen oder die Schmerzen tu tilgen. Die ärztliche Hilfe und Mittel kosteten über 100 Gulden.

     Als der Herr Fürstbischof von Seckau einst Kirchenvisitation abhielt, sollte er auch nach Mureck kommen. Da ersuchte mich der Herr Pfarrer zu veranlassen, dass drei Triumphbögen erbaut werden, und weil ich schon alles könne, musste ich mehrere kirchliche Embleme malen, um diese auf den Triumphbögen oben und an den Säulen anzubringen. Nach meiner Zeichnung und unter meiner Leitung wurden durch Zimmerleute und Taglöhner die drei Pforten aufgerichtet – der grösste am unteren Ende des Marktes, dann einer am oberen Ende und der dritte nahe der Kirche. Die ganze weibliche Jugend hatte vollauf zu tun, aus Reisig Girlanden und Kränze zu winden.

     Mir aber war der Todesschreck beschieden. Kaum war alles fertig, lief ich nach Hause und wollte mich mit besseren Kleidern versehen. Als der Einzug stattfand, erhob sich ein so gewaltiger Sturm, dass ich befürchtete, das entfesselte Element reisst den Oberteil der Triumphpforte herab, wodurch mehrere Personen hätten den Tod finden können. Am heftigsten wütete der Sturm, als eben der Bischof durch die Pforte ging. Ich sah dies alles durch die Jalousien und hatte dabei Todesängste auszustehen.
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Freitag, 19. Februar 2010

40. Theraterspiel und Mauschlereien

    Von 1813 bis 1818 war ein Herr namens Karl Friedrich Domeratius Eigentümer des Gasthofes zum Goldenen Ross in Graz, Maria-Hilfer-Strasse. Er war ein begeisterter Theaterliebhaber, dass er sogar das Grazer Theater in Pachtung übernommen hatte aber dabei ganz einging. Er zog dann mit einer Schauspielerbande als Direktor im Lande herum und kam, als ich das Gasthaus noch hatte, mit seiner Gesellschaft von Radkersburg nach Mureck und spielte hier von November bis Ostern. Direktor samt Frau und mehrere Mitglieder, darunter der sehr brave Regisseur und Balettmeister Bauer und Komiker Neurather wohnten im Brauhause. Die ganze Gesellschaft benahm sich ganz anständig und machten trotz schwachem Einkommen keine Schulden. Zwei Lehrer, dann Brüder der musikalischen Schusterfamilie Amschel bildeten gratis das Orchester, wobei ich dann und wann mit der Flöte mithalf.


     Als ich ein fettes Schwein geschlachtet hatte, wollten wir den im Bräuhause wohnenden armen Komödianten eine Wohltat zukommen lassen und legten in einen breiten Tragkorb einen Laib Brot, darauf einen halben Schweinskopf. Der ganze Korb wurde mit Erdäpfeln gefüllt und darauf noch mehrere Blut- und Leberwürste gelegt. Das Ganze trug dann des Schlossers Magd in das Bräuhaus mit der Weisung, für das dort wohnende Theaterpersonal, worunter ich jedoch nicht auch den Direktor gemeint hatte. Gleich darauf jammerte mir der Bauer vor: «Ach lieber Herr, Sie haben es uns doch so gut gemeint, aber zufällig war die Frau Direktor zugegen und schüttete alles in ihren Reisekoffer», der zugeich als Speisekammer diente.

     (99)  Tröstend versprach ich, schon noch etwas zu geben und packte wieder den Korb voll wie früher. Bauer, der in seiner Humanität für alle Kollegen sorgte, übernahm selbst den Transport des zweiten Korbes. Frau Neurather kam dann täglich und bat immer um einen halben Seitl  Weizengries, welchen diese bescheidene, nicht mehr junge Dame, stets erhielt. Wir hatten es ja und taten gar manches aus Gutherzigkeit.

     Bauer bat den Fleischer Burghart, er möge erlauben, in seinem grossen Walde jenseits der Mur einige Prügel zusammenzuklauben, was auch gestattet wurde. An einem lauen Tage sammelte Bauer das ganze Personal samt Weiber und Kinder, zusammen dreissig Personen, und zog mit ihnen in den Wald. Dann bat Bauer: «Oh, lieber Burghart, wir waren alle so fleissig, sind aber zu schwach, die Prügel selber nach Hause zu schleppen.» «Was, wollt Ihr gar Ross und Wagen haben?» Eltliche anwesende Gäste sprachen zu Gunsten des Balettmeisters, weil er gar so schön bitten könne. «Nun, meinetwegen» sagte Burghart, «Seppl, spann ein zweites Ross!» und Bauer erwiderte: «Ach bitte, nehmens drei!» Darauf Burghart: «Oh Gsindel, das auch noch!» – und bewilligte drei Pferde. Hinter einer grossen Fuhre kam das ganze Volk dann im Gänsemarsch und wo ein Mitglied wohnte, wurde eine Portion abgeworfen.

Nach Ostern zog die Gesellschaft nach Judenburg und die dortigen Gymnasiumsschüler waren die bedeutendsten Theaterbesucher. Als aber der Gymnasialdirektor erfuhr, dass einige Schüler mit den Theaterprinzessinnen Heimlichkeiten hatten, verbot er allen Schülern den weiteren Besuch des Theaters, wonach infolge schlechter Geschäfte die Gesellschaft nach Knittelfeld wanderte und sich dort wegen Mangels an Einkommen auflöste. Komiker Neurather kam nachher allein nach Mureck, wo er einige Zeit mit Kartenkünsten und Deklamationen sich Unterhalt verschaffte.

     Von ihm erhiel ich die Geschichte «Der Jude und der Offizier» oder «Der Wechselfresser», welches Stück ich nachmals unzählige Male deklamierte. Neurather erzählte, dass der Direktor Domeratius in Knittelfeld an Hungertyphus gestorben sei. Im Herbst 1837 erhielt ich von meinem Kanzlei-Chef drei Tage Urlaub und machte den acht Stunden weiten Weg nach Pettau, wo zu grossen Manövern 14'000 Mann Soldaten versammelt waren. Ich hatte zu solchen Manövern besondere Vorliebe. Beim Verwandten meiner herzigen Gattin, dem vulgo Spekthörl Hafnermeister in Pettau hatte ich die beste Unterkunft.

     Herr Grundbuchführer Benedikter – gichtleidend – wollte auf einen Monat in ein Bad.  (100)  Ich stellte ihm eine Erklärung aus, dass ich in seiner Abwesenheit alle seine Geschäfte in der Kanzlei besorgen werde. Mein Certifikat wurde vom k. k. Kreisamt genehmigt, und er erhielt Urlaub. Weil er aber auch Einquartierungs- und Vorspann-Kommisär war, ersuchte ich ihn um Unterricht für solche Fälle.

     Er meinte aber, es werde in dieser Zeit nichts vorkommen. Es kam aber doch vor. Ein Husaren-Wachtmeister erschien mit der Weisung, ihm in eineinhalb Stunden als Vorspann nach Radkersburg 14 Wägen, eigentlich nur 8 beizustellen. Auf meine Frage, wie dies zu verstehen sei: 14 oder 8, sagte er: «Das ist ganz einfach, statt auf vorgeschriebene 14 Wägen kommt die Bagage auf 8 Wägen.»


     Der Amtsdiener besorgte eilig die Herbeischaffung der Fuhrwerke. Der Wachtmeister stellte die Bestätigung über 14 beigestellte Wägen aus und ich musste über die Bezahlung von 14 quittieren. Als er von der Differenz von 5 Gulden die Hälfte auf meinen Tisch legte und ich dagegen protestierte, sagte er: «Das sehe ich wohl, dass Sie ein Neuling sind!» und entfernte sich schnell mit der Zurücklassung der 2 Gulden. Von Radkersburg bis Luttenberg und so weiter machte er es gewiss ebenso. Nun war es mir auch erklärlich, auf welche Art der erwähnte Fuhrwesen-Korporal Fledersbacher zu seinen zwei Uhren kam. 
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Mittwoch, 17. Februar 2010

39. Das kann ich auch! In Gottes Namen.

     Um mich ganz ungehindert dem Schreibgeschäfte zu widmen, hatte ich beschlossen, Pferd und Wagen zu verkaufen. Da kam der Wachtmeister Pachtschy und verlangte, ich sollte ihn zu seinem Urlaube nach seinem Geburtsorte Pest führen. Ich erkundigte mich beim Zimmermeister Gomboz, ob es für mich wohl ratsam sei, nach Ungarn zu fahren, da ich noch nie dort war. Gomboz, der viele Jahr in Ungarn beim Mühlen- und Brückenbau beschäftigt war, riet mir, nur bis Lendva, eine Tagesreise von Mureck zu fahren, denn weiter fort wären schon lauter Räuber. Und da man stets hörte, dass in Ungarn alles so billig sei, nahm ich kein Pferdefutter mit. Aber wegen Mangel desselben auf allen Stationen musste das Pferd viel Hunger leiden. Erst im Rückwege in Radkersburg konnte es sich sättigen. Kaum hatte ich das Pferd verkauft, samt Wagen, wurde in unserem Gasthaus der in Gersdorf gebürtige und als Deserteur und Räuber gefürchtete vulgo  Bartl Hansl erkannt und nach heftiger Gegenwehr festgenommen. (97) Da schwur er, unser Haus und der ganze Markt soll in Flammen aufgehen. Da kam zufällig ein Käufer, und wir verkauften die Realität, wo wir so glücklich waren, an Mathias Schwinger um den sehr geringen Gewinn von 60 Gulden, und wir zogen dann beim Riemer Schreiber im 1. Stock in eine Wohnung, wonach die Menge überflüssiger Gerätschaften in öffentlicher Lizitation verkauft worden sind.

     Meine liebe, brave Frau konnte nach den vielen Strapazen einmal ein wenig ausruhen und übernahm einstweilen die Stelle einer Stricklehrerin.

     Binder Götze lud mich ein, die für den Seifensieder Dirnböck und für den Herrn Russky im Schlosse Spielfeld gemachten und im Bräuerstadel liegenden grossen Fässer zu besehen, welche eben vom Bildhauer von Radkersburg mit Zierraten versehen würden. Als ich bei dieser Arbeit zusah, kam mir der Gedanke, das kann ich auch, obwohl von dieser Bildhauerarbeit die Rede war, entschlüpfte mir die Äusserung, dass ich sowas auch könne.

     Nachdem die Kirchenvorstehung beschlossen hatte, im Hause der Pfarrkirche grosse Reparaturen auszuführen, war auch der allseitige Wunsch vorhanden, statt des sich umdrehenden Tabernakels einen solchen mit zwei Flügeltüren und Schnitzarbeit, wie bei den Franziskanern zu Graz, herstellen zu lassen. Wer wird aber die Bildhauerarbeit verrichten? Deshalb mit Grazer Künstlern zu verkehren, kam der Kirchenvorstehung zu umständlich vor. Da fiel dem August Kolletnigg, Sohn des Kirchenvorstandes meine im Gasthaus gemachte Äusserung ein. Mir wurde sonach die Arbeit übertragen und es stieg mir ganz heiss auf. Ich war nicht imstande, mich zu entschuldigen. Auf vieles Zureden des Herrn Pfarrers und Herrn Kolletnigg musste ich an der Aussenseite eine Weingirlande und rechts eine Weizengarbe in erhabener Schnitzarbeit anbringen. Nachdem ich die Zeichnung hierzu entworfen und das geistliche Gutachten hierüber eingeholt hatte, ging ich, nicht ohne Furcht vor Schwierigkeiten, wie immer in Gottes Namen an die Arbeit.

     Mit dem Federmesser, einem Hohl- und einem kleinen Stemmeisen war ich ausser der Kanzleistunden tätig. Je mehr die Sache wider alles Verhoffens vorwärts ging, schwand auch die Furcht. Der Herr Pfarrer und viele andere kamen täglich, um sich vom Gelingen zu überzeugen. Ich habe eine Girlande mit neun Trauben mit vielen Rebenschnörkeln und Blättern, dann die Weizengarbe mit unzähligen Ähren auf das Feinste ausgearbeitet. Das Ganze wurde dann vom Kirchenmaler vergoldet.

     (98) Nach meiner von allen mit grösstem Beifalle beehrten Arbeit hatte ich auch bei manchen Statuen und in der Kirche fehlende Finger, Zehen, Heiligenscheine etc. herzustellen, und wurde auch für meine Mühe belohnt.

     Der vierzehnjährige Sohn des Wagnermeisters Braun erbat sich die Erlaubnis, beim Ausmalen der Kirche mithelfen zu dürfen; dieser Bursche hatte die besten Malereien hergestellt. Später ging er selbst zum Militär und wurde Artillerie-Feuerwerker.

Da ich öfter in den Pfarrhof kam, hatte ich einmal die Gelegenheit zu bemerken, wie Kaplan und Messner sich um die von Landsleuten in der Patrizier-Kapelle dargelegten Opfer an Fleisch, Würsten, Speck, Eier, Flachs etc. stritten. Nachträglich hatte ich auf Götzsche Veranlassung auf mehreren Fässern Namen und Jahrzahl gestochen und dabei manchen Gulden verdient.


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Kommentar  ( 17. Februar 2010 )  Eberhard Winkler:

     Es war im Jahr 1995, als wir, Rosemarie und ich, die Steiermark bereisten und das Schreibmaschinen-Exemplar der Neuhold-Saga dabei hatten. Immer wieder lasen wir darin und wir waren ja voll in die wunderschöne Landschaft eingetaucht.

    Da lasen wir auch dieses Kapitel hier über die Schnitzkunst in Mureck, also fuhren wir nach Mureck und suchten nach der Kirche, fanden auch die Kirche, ganz markant im Ortszentrum, aber nicht die richtige. Da war grad Gottesdienst, es war Sonntag. Also warteten wir und waren überzeugt, den Pfarrer mit Neuholds Bericht zu begeistern. Der war aber so was von unfreundlich und abweisend und uninteressiert, dass uns schier der Mut verliess, weiter zu forschen. Schliesslich klärte er uns widerwillig auf, dass "die richtige", die alte, kleinere Kirche jetzt eine Rumpelkammer sei und noch hinter der neuen, grossen Kirche stand. Ja, ja, wir können dort schon rein, wenn's unbedingt sein muss.

    Ich glaube, wir kriegten sogar einen Schlüssel, und tatsächlich: Eine Rumpelkammer! Alte Bänke, verschobene Altare usw. Wir stiegen über Hindernisse und suchten die Altare (oder sagt man Altäre? - Googeln bei canoo.net:  Man sagt Altäre). Wir suchten nach dem von Neuhold beschriebenen Tabernakel. Halleluja, da ist er! – allerdings etwas heruntergekommen. Gleich haben wir die Kamera gezückt und mehrere Bilder geschossen. 

     Ja, die Bilder – die sind irgendwo, nach 3 Umzügen seither, irgendwo. Gesucht und noch nicht gefunden. Sobald ich die hab, werd ich sie noch nachträglich hier reinstellen. Ich hab auch meinen Vertrauensmann in Graz, ebenfalls ein Nachfahre von Johann Neuhold gebeten, ob es ihm nicht möglich wäre, eine Reise nach Mureck zu machen und das Kircherl aufzusuchen und digital zu knipsen. 

    Neuhold schreibt oben im 4. Absatz: "... an der Aussenseite eine Weingirlande und rechts eine Weizengarbe ..." Das ist andersrum: Die Weizengarbe ist links und rechts ist die Weingirlande. Was solls, wir wissen nicht, wie lange nach der Schnitzerei JN seine Aufzeichnungen machte. Jedenfalls waren wir sehr berührt, so markante Fussspuren dieses Ur-Ur-Grossvaters zu finden.
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Montag, 15. Februar 2010

38. Die Herzogin Berry und ihr Rökl






  Als die Herzogin Berry vom Grafen Wimpfen das Schloss Brunnsee samt Weinberg kaufte, wurde Brunnsee prachvoll restauriert und fast königlich eingerichtet. Die Amtskanzleien wurden in das eine viertel Stunde entfernte Schloss Weinburg verlegt und Brunnsee nur zum Aufenthalt der Herzogin samt Gefolge, Dienerschaft und zahlreichen französischen Emigranten hergerichtet.




Der 1. Mai 1837, an welchem die Abreise der Herzogin von Graz bestimmt wurde, war ein prachtvoller, sogar heisser Tag und für ihre grundherrlichen Untertanen als Festtag angeordnet. (95)  Jeder musste im Sonntagsstaate erscheinen und von Brunnsee eine Stunde gegen Lichendorf Spalier bilden. Von Puntigam bei Graz bis hierher waren Böller aufgestellt. Der erste Schuss zeigte ihre Abfahrt von Graz an und beim letzten Gekrache in der Nähe des Dornbauer in Weitersfeld war alles zum festlichen Empfang bereit. Auch von Mureck und noch weiter strömten Neugierige heran. Ich ging – die kleine, noch nicht 6 Jahre alte Marie auf der Achsel tragend – dahin, wo wir bis Ende des prachtvollen Feuerwerks um 11 Uhr nachts verweilten und bei herrlicher Mondbeleuchtung nach Hause kamen. Wir hatten den wahrhaft fürstlichen Einzug und den darauffolgenden Tumult mit Rauferei und Prügelspenden mitangesehen.

     Auf einer Wiese waren zur unentgeltlichen Bewirtungder Durstigen 7 Halbstartin Wein gelagert, wobei es zu grossen Exzessen kam, da jeder beim Fass der Erste sein wollte. Mehrere Mädchen trugen vom Schlosse her auf dem Kopfe grosse Körbe voll Brotstücke, und hinten nach kam der Gerichtsdiener mit einem grossen Bund Haselstöcke, der auf die mit Ungestüm nach Brotkörben langenden diese zu kleinen Splittern zerschlug, bei welchem wüsten Lärm sehr viele Brotstücke neben dem Wege in den Teich fielen und zertreten wurden.

    Als es Abend wurde nahm uns der Grundbuchführer Benedikter in einen ebenerdigen Salon, wo für die bessere Klasse und Honoratioren die Tafel ausgiebig mit Wein, kalten Speisen, Bier, Käse, Tabak und Zigarren hergerichtet war. Erst jetzt konnten wir uns laben. Zwei grosse Militärmusikbanden spielten bis 11 Uhr.

     Eines Tages stieg der beim Glaser Moser wohnhaft gewesene junge aus St. Pölten gebürtige Leutnant von dem inzwischen bequartierten Fürsten Windischgrätz Cheveaux-Regimente mit noch zwei Offizieren auf einen offenen Wagen, und vier Säbel wurden mitgenommen. Der junge Leutnant kam später mit verbundenem Arm zurück. Andern Tages hörten wir die ganze Geschichte. Der Gerichtverwalter Tschebull im Schloss Weinburg gab nämlich daselbst einen Ball für lauter Vornehme und Offiziere der Umgebung. Herr Petritsch, Schlossinspektor der Herzogin Berry, kam jedoch eigenmächtig und uneingeladen zu obigem Ball. Und da Petritsch – ehemals Wachtmeister – den unter ihm als Kadett gestandenen St.Pöltner sehr streng behandelte, wollte dieser nun als Offizier seine Rache an Petritsch ausüben, indem er ihm sehr barsch die Tür zeigte. Als Petritsch an den Offizier die Frage stellte, ob er des Verwalters Hausknecht, und als solcher angewiesen sei, ungeladene Gäste hinauszuschaffen, wurde Petritsch vom Offizier zum Säbelduell gefordert, wobei Petritsch Sieger blieb, jedoch seiner Stelle entsagen musste.

     (96) Es ist allbekannt, dass die Herzogin Berry auf ihrer Flucht aus Frankreich nahe der Schweizer Grenze von einem Bäckerjungen vor ihren Verfolgern versteckt und dann über die Grenze gerettet wurde. Die Herzogin nahm ihren Retter namens Rökl ganz zu sich. Er wurde dann ihr Sekretär und Schlossinspektor von Brunnsee. Er wusste sich grosses Vermögen anzusammeln und benahm sich sehr übermütig. Jedes weibliche Wesen musste ihm zu Willen sein und jeden Arbeiter verkürzte er bei der Auszahlung, wie er nur konnte. Als er einst an einem Karfreitag auf dem Baugerüst mit den Maurern räsonierte, sagte einer derselben: «Heute wäre wohl ein Tag zum Kirchgehen und nicht zu arbeiten.» Da schimpfte der Rökl über ihre Faulheit und die Arbeiter meinten unter sich: «Der wird uns nicht mehr oft heraufkommen.» Und sie machten den Aufgang zum Gerüst recht gefährlich. Als Rökl andern Tages wieder hinaufstieg, stürzte er mit dem Gerüst hinab und brach sich dabei den Fuss. Nach dessen Heilung verordnete der Arzt einen vierzehntägigen Aufenthalt in einem Badeorte. Während dieser Zeit nahmen sich alle von Rökl Betrogenen und Verkürzten die Kuraschie, ihre Beschwerden bei der Herzogin vorzubringen.

     Als Rökl vom Bade heimkehrte, gab es grosse Debatte, wobei die Herzogin ihm höchst erregt mit ihrem Regenschirm ins Gesicht schlug und ihn dann seiner Stelle enthob, welche dann der erwähnte Petritsch erhielt. Rökl wohnte nachher lange Zeit in Graz bei Herrn Tischlermeister Dettelbach, und es ging die Sage, dass dessen Zubau zum Hause nächst der Radetzkybrücke vom rökel'schen Gelde herrührte.
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Sonntag, 14. Februar 2010

37. Ein neuer Lebensabschnitt

     Nun kam für mich ein neuer Lebensabschnitt. Beim Magistrate in Mureck war Syndikus Paul Leschanz Amtsvorstand, welcher nebenbei die Justitiär-Advokatengeschäfte betrieb und hierzu einen Schreiber namens Baschker für den ganzen Tag bei sich hatte.

Herr Benedikter war Kanzlist und Grundbuchführer, hatte acht Kinder und betrieb auch im Schreiben Winkel-Geschäfte. Als Baschker erkrankte, dachte Herr Leschanz zufällig an mich, dass ich einige Tage die Stelle des Schreibers vertrete, bis dieser gesund würde. Ich sagte zu, jedoch mit dem Vorbehalte, dass ich im Falle eines vorkommenden Fiakergeschäftes nicht aufgehalten sein dürfte.  (92)  Zum Glück hatte ich trotz vieler schwerer Arbeit zum Schreiben eine flinke Hand und schrieb tüchtig drauf los.

     Nun kam richtig eine Fuhre nach Graz, und Baschker war inzwischen gestorben. Leschanz machte mir nun den Antrag, dass ich ganz bei ihm bleiben sollte. Da ich in einem halben Tag so viel schreibe wie Roscher in acht Stunden, so dürfte ich täglich nur von 8 bis 12 vormittags da sein, wofür ich per Monat 8 Gulden erhielt. Ehe ich noch ein Wort darauf sagen konnte, sprach der Grundbuchführer: «Ei, da können Sie zufieden sein!» Ich nahm also die Stelle an, denn 8 Gulden oder 4 Kreuzer pro Stunde war damals am Lande schon viel.

     Aber von allen Seiten kam mir die Frage, was mir denn eingefallen wäre, zu diesem Sozius zu gehen, er habe den vorigen Schreiber gar oft die Schriften zum Kopfe geworfen. Aber im Bewusstsein meiner Schnellschrift, Geduld und Pünktlichkeit wusste ich jeden Konflikt zu vermeiden. Leschanz hatte freilich ein sehr schroffes Benehmen und wurde deswegen mehrererseits angefeindet. Damals wurden beim Diktieren von Prozessschriften häufig lateinische Seiten eingeflochten. Da ich sehr orthographisch geschult war, kamen auch die lateinischen Brocken fehlerfrei zu Papier. Herr Leschanz wunderte sich mehrmals darüber und frug mich zweimal, ob ich studiert hätte, denn wenn Studenten in den Ferien nach Mureck kamen und bei ihm Schreibergeschäfte hatten, zeigten sie nicht so viel Kenntnis wie ich, da ich doch in der Normalschule zu Graz nur bis zur 4. Klasse kam. Nun kam es mir vor, dass ich erst den geeigneten Erwerbszweig gefunden hätte. Herr Leschanz war in der Pfarre Ortsbeichter, und wenn über einen verstorbenen Untertan im Pfarrhofe die Verlassabhandlung – wobei ich aktuierte – gepflogen und beendet wurde, gab Herr Pfarrer grosse Tafel und ich erhielt von ihm fürs Aktuieren jedesmal 4 Silberzwanzger.

     Grundbuchführer Benedikter befasste sich nebenbei mit Kaufverträgen, Schuldbriefen, Quittungen etc. und gab mir davon sehr viel zu schreiben nach Haus, wobei ich viele Kenntnisse im Kanzleigeschäfte erwarb. Inzwischen übersiedelte der vom Markte St. Florian vertriebene Syndikus Tauscher nach Mureck und machte hier einen Advokaten, bei welchem ich durch vier Monate 4 Silberzwanzger für Schreiben über Nacht verdiente.

     Als Tauscher hier keine Geschäfte mehr hatte, wanderte er nach Radkersburg, dann nach Graz, wo nach seinem Tode dessen Wittwe sich als Unterhändlerin/Märklerin bei Realitäten und Verkäufen befasste.

     (93)  Bei dem Mangel an Taglöhnern stand ich früh um 3 auf, besorgte bei dem beinahe eine halbe Stunde entfernten Acker das Behauen und Anhäufeln des Kukuruz und der Kartoffeln. Um 7 Uhr ging ich nach Hause und nach dem Frühstück in die Kanzlei. Bis 4 Uhr nachmittags arbeitete ich an der Hobelbank, dann bis 9 Uhr wurde auf den Äckern gearbeitet, und die gute liebe Frau besorgte die Gastwirtschaft.

     In den Jahren 1835 und 1836 war in den Weingärten in bezug auf Qualität wieder grosser Segen. Da jedoch zur Lesezeit 1835 grosse Kälte eintrat, mussten die gefrorenen Trauben in der Presse, in welcher da und dort sogar mit tragbaren Öfen geheizt wurde, gestossen werden. Der aus gefrorenen Trauben erzeugte Wein kam aber erst zu Pfingsten zur Gährung, wurde dann sehr gut aufgekauft und unter den 1834er gemischt, sodass nach Pfingsten nirgends mehr ein Wein von 1835 anzutreffen war.

     Die in Mureck und Umgebung einquartieren E. H. Joseph-Husaren, meistens vollblut-Magyaren, waren furchtbare Kerle. Sie raubten und stahlen, und Raufen war eine Haptpassion. Sie waren wohl eine sehr grosse Last, und wenn sie mit 25 Stockprügeln beteilt wurden, hoben sie die Bank auf und riefen: «Einen halben Seitl Branntwein und nocheinmal 25!»

     Die Schuster, Schneider, Sattler, Schmiede, Tabakmacher etc. unter den Husaren waren lauter Siebenbürger. Sie zechten bei uns und bezahlten alle Geldtage. Als sie aber nach 3 Geldfassungen nicht mehr kamen, ersuchte ich den Korporal Orete, mir zu meinem Guthaben zu verhelfen. Nach einiger Zeit sagte er, ich solle zum Leutnant nach Ratschendorf kommen, denn dieser würde mir meine 18 Gulden, die er nach und nach der Mannschaft abgezogen, auszahlen. Aber – wie fast jeder Ungar – von Mein und Dein sonderbare Begriffe habend, drohte der Schmutzian von einem Leutnant, mir 25 Stockhiebe geben zu lassen wie der schuldengemachten Mannschaft, wenn ich mich nicht sogleich entferne. Meine 18 Gulden waren somit beim Teufel so wie die Schuld des Korporalen Orete zu 4 Gulden.

     Als meine fleissige Gattin noch ledig war, wurde sie in Graz mit der hübschen Apotherkerfrau Fehr bekannt. Als sehr vermögliche Wittwe heiratete diese den Bräumeister Kröl zu Wildon, wurde aber wegen ihres leichtfertigen Lebens geschieden, lebte dann in Graz mit einem Offizier und hatte von diesem 3 Kinder. Dann, von allen verlassen, musste sie dienen und kam nach Mureck zum Syndikus Leschanz als Kindsfrau. Von dort entlassen ersuchte sie meine herzensgute Frau als alte Bekannte um einige Tage Aufenthalt bei uns bis sie wieder einen passenden Dienstort fände.

     (94) Da wir in unserer Gastwirtschaft wirklich jemanden benötigten, um ungehindert auch den Geflügelhandel besorgen zu können, behielten wir diese sehr sittsame, so tuende Person bei uns, und ihr Benehmen zeigte sich als sehr verlässlich. Sie war nun 48 Jahre alt und hatte im Ganzen schon selbst 12 Kinder gehabt. Dennoch war ihre vorherige Leidenschaft nicht vorüber, denn nachträglich hatten wir erfahren und selbst wahrgenommen, wie freundschaftlich sie mit den Husaren verkehrte und sich mit ihnen in unlautere Verhältnisse einliess. Ich hatte diese Ehrvergessene entlassen. Sie kam dann nach Graz zu einem Selcher, bei dem sie bedeutende Diebstähle an Speck und Schinken verübte. Als dann mit ihr bekannte Husaren um Remonte  zu fangen nach Graz kamen, zog sie mit diesen nach Essek in Slowenien.

     Nachdem die Bäcker in Mureck sehr schwarzes und schmackhaftes Brot zum Verkaufe hatten, habe ich bei jeder Rückfahrt nach Graz dort um 20 Gulden schönes, gutes Brot mitgenommen, unterwegs verkauft und dabei jedesmal den eigenen Bedarf einer ganzen Woche gewonnen.

     Herr Bindermeister Götze kam einst mit gebratenen Kastanien für die Kinder. Als auch die liebe gute Gattin mitass, spürte sie gleich heftige Schmerzen im Unterleib und schob das Bauchgrimmen auf die Kastanien. Aber nötig war, sogleich die Hebamme zu holen. So bekamen wir nachts ein sehr liebes, fettes Mädchen, welches in der Taufe den Namen Rosina Aurelia erhielt. Dieses Kind entwickelte sich sehr schnell, und ihr Gesichtchen und dann ihre wundervollen gekräuselten Haare konnten den schönsten Engelskopf vorstellen. Sie war mir besonders zugetan, und ich hatte sie, so wie den talentvollen Gustav, so oft ich konnte. Dieser sanfte Knabe hatte besonders schmachtende Augen und eine grosse Vorliebe für Bilder, zeichnete – 5 Jahre alt – viele Bögen voll Figuren und wusste den Unterschied zwischen Mann und Weib darzustellen an der Kleidung. Auch hatte er eine besondere Lernbegierde.
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Freitag, 12. Februar 2010

36. Traurige und glückliche Frauenschicksale

     Unser Nachbar, der erwähnte Bindermeister Götze, wollte die noch ledige Tochter des Wirtes Haas, welche wohl gross und stark, von sehr gutmütigem, solidem Charakter und ihm auch zugetan, zur Gattin nehmen. Als sie aber diese Angelegenheit dem Kaplan vortrug, war dieser fanatisch genug, sie zur ewigen Verdammnis zu verurteilen, wenn sie den Götze, einen Protestanten, heirate. Er malte ihr die Hölle mit so grässlichen Farben, dass die arme Braut darüber irrsinnig wurde.

     Götze wollte sie dennoch nicht aufgeben, und der gutmütige Herr Pfarrer versprach, die eheliche Einsegnung zu vermitteln, wenn durch ärztliches Zeugnis erwiesen werde, dass die Braut bei voller Vernunft sei. Der diesfalls etliche Male von Marburg geholte Kreisfisikus konnte jedoch kein gültiges Zertifikat ausstellen, da die Bedauernswerte infolge der durch Fanatismus erzeugten Lähmung ihrer Denkkraft in stillem Wahnsinn dahinbrütete und nie mehr gesund wurde.

     Götze war bemüssigt, bei seiner bedeutenden Hauswirtschaft nebst Weinhandel eine Hausfrau zu haben, aber wo er anklopfte, wurde der Protestant abgewiesen. Nun blieb ihm der Übertritt zum Katholizismus. Als er davon aus dem Pfarrhofe zurückkehrte und mir begegnete, sagte er: «Nun hab ich die Dummheit also gemacht!» Er hatte dann eine vermögliche Schmiedstochter im Dorfe Tratten geheiratet, die aber dem Weine ihres Mannes zu sehr huldigte und nicht lange lebte.

     Götze war ein grosser, starker Mann, arbeitete selbst so viel wie seine zwei Gesellen und konnte auch fast täglich vier bis fünf Mass Wein bei der schweren Binderarbeit vertilgen. Gegen uns war er der beste Nachbar. Wie oft machte er unseren Kindern Präsente von gutem Obst, Trauben, Kuchen. Wenn er dringend Arbeit hatte, half ich gegen Bezahlung mit. Nun begriff ich erst, warum alle seine Vorbesitzer auf dieser Realität zu Grunde gingen, weil sie lauter Lumpen waren und statt zu arbeiten immer in den Wirtshäusern herumlungerten.

     Nachdem Götze durch Fleiss und Weinspekulationen in (91) kurzer Zeit wohlhabend wurde, heiratete er des Seilermeisters Magd, eine arme Keuschlers Tochter bei Leutschach, und traf eine glückliche Wahl. Und da Götze in seinen Geschäften grösseren Geldverkehr hatte, war die zweite Gattin so pfiffig, von den nach und nach heimlich für sich gesammelten Geldern bei der Hauswirtschaft notwendige Sachen: Leinwand, Tisch- und Bettwäsche-Zeug etc. einzukaufen. Sie wusste es so einzurichten, dass alles von ihr Eingekaufte als von Leutschach kommend per Post zum Hause kam, so dass Götze der Meinung war, ihre Eltern müssen doch vermöglich sein.

     Bei der benachbarten Herrschaft Obmureck war ein schöner, grosser Mann, Klenofsky aus Polen, bei 40 Jahre alt, ledigmals Grundbuchführer. Er hatte in Mureck ein stark gebautes einstöckiges Haus und jenseits der Mur, nächst der Brücke ein zwei Stock hohes Haus erst neu erbaut. Eine bejahrte Beamtenswittwe führte das Hauswesen. Frau Götze hatte infolge des gemachten Glücks ihre Schwester zum Seiler als Magd postiert. Als der Pole bemerkte, dass Götze so eine brave Frau habe, forschte er nach, ob deren Schwester eine ebenso ehrenwerte und wirtschaftliche Hausfrau vorstellen könne.

     Er ehelichte sie, und als er kinderlos starb, wurde sie Alleinerbin, jedoch mit der testamentarischen Bestimmung, dass sie durch ihre ganze Lebenszeit seinen Namen trage.

     Da sie aber Wittwe nicht bleiben und doch die grosse Erbschaft nicht fahren lassen wollte, und auch wusste, dass der verstorbene Gatte einen ledigen Bruder habe, suchte sie diesen auf und fand ihn in Siebenbürgen als Ingenieur. Die Heirat mit diesem kam glücklich zustande, und die Wiedervermählte trug sonach zeitlebens den Namen ihres ersten Gatten.
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Sonntag, 7. Februar 2010

35. Der sanftmütige Gustav wird geboren

     Die Schwester meiner holden Gattin, Therese, verwitwete Plank, hatte unter ihren 9 Kindern ein zweijähriges Mädchen namens Luise. Als ich einst mit eigenem Fuhrwerke wieder in Graz war, nahm ich auf Zureden meiner seelenguten Gattin das Kind mit nach Mureck. Da hatte ich aber eine schwere Aufgabe und fürchterliche Plage, denn das Kind schrie unterwegs entsetzlich und unaufhörlich trotz aller Beschwichtigungsversuche. Wie oft musste ich auf der Strasse anhalten, um den Leuten, die auf das Geschrei des Kindes aus den Häusern stürzten, über die Ursache des Schreiens Rechenschaft geben. Und diese Kalamität dauerte den ganzen 10 Stunden langen Weg und auch noch in Mureck eine Weile fortan. Das Kind sehnte sich zu sehr nach der eigenen Mutter.

     Kaufmann Kolletnigg hatte eine Stunde von Mureck in der Gemeinde Drasendorf einen grossen Weingarten mit einem hübschen Herrenhause. Von seinen Söhnen August und Johann wurde ich nebst vielen anderen zur Weinlese eingeladen. Da zog an einem lieblichsten, warmen Herbsttage eine tüchtige, humorvolle Karwane über die Berge dahin, wo wir abends und nachts darauf köstliche Unterhaltung fanden. Die ganze Zeit war der Tisch mit delikatesten Schmausereien bedeckt und jeder langte nach Herzenslust zu.

(88)  Am anderen Ende des geräumigen Saales war an der Mauer eine Marmortafel, worin mit Goldschrift in Versen die Aufforderung zur Heiterkeit und Lebenslust enthalten war. Anfangs der Berge und über dieselben waren Böller aufgestellt, um den Weg des ebenfalls eingeladenen Herrn Pfarrers Johann Konrad zu verherrlichen. So oft er eine Krümmung des Weges betrat und von nächster Bölleraufsicht bemerkt wurde, krachte ein Schuss. So ging es fort bis zum Herrenhause, wo der Pfarrer, einer der besten und menschenfreundlichsten und leutseligsten Geistlichen, die ich je kannte, mit ungeheuchelter Ehrfurcht bewillkommt wurde.

     Im Keller waren 14 Körbe voll auserlesener Trauben, woraus wenigstens 5 Eimer Wein erzeugt werden konnten. Aber alle diese Trauben wurden bei Tische als Leckerbissen verschnabuliert. Die nächste juxvolle Fahrt und Unterhaltung war im Weingarten des Lederermeisters Steurer in Unterwölbling. Neben unserem Hause war auf Gemeindegrund ein kleiner Hügel, von wo aus man eine Rundschau auf die nächsten Dörfer und Berge hatte. Von diesem Hügel wurden daher im heissen Jahre 1834 sehr viele Feuersbrünste wahrgenommen.

     Als wir am 24. Juni, an meinem Namenstage, etwas länger als sonst bei Tische sassen, sah ich vor dem Hause viele Leute auf den Hügel steigen, um das drei Stunden weit entfernte und über Jagerberg tobende Gewitter zu beobachten. Ich selbst sah dann aus einer schwarzen Wolke einen Blitz horizontal über die Ratschdorfer Haide fahren, welcher dem dortigen Haarhause und mitten im Dorf zündete. Ich nebst viele vom Markt eilten zu Hilfe. Die meisten der Dorfbewohner waren aber im nächsten Dorfe Schildhof bei einer Hochzeit und mussten nun in Sonntagskleidern nach Hause eilen und zu retten versuchen, was nur möglich war. Wären die Murecker bei diesem Brande nicht tätig gewesen, so hätte das Feuer auch eine andere Reihe Besitzungen ergriffen. Auf einer Seite der Dorfstrasse gingen 5 Häuser nebst vielem Mobiliar zu Grunde.

     Am 9. Juli 1835 wurde meine innigst geliebte Gattin von einem Knaben entbunden. Da wir die schönen Gedichte des Cillier Professors Gustav Rudolf Puff gerne gelsen hatten, liessen wir unseren Knaben Gustav nennen und taufen. Da ich und meine engelsgute Gattin stets in liebevoller Eintracht lebten und keinen häuslichen Zwist aufkommen liessen, so wollte die böse Welt behaupten, wir wären gar nicht verheiratet; denn  (89)  nach Begriffen der Ungebildeten sollte bei Eheleuten immer ein kleines Donnerwetter stattfinden.

     Bei der Taufe des Knaben drang nun der Herr Pfarrer mit vielen Entschuldigungen auf Vorweisung unseres Trauscheines. Erst als wir diesen in Graz beschafften, wurde Gustav als ehelich geboren ins Taufbuch eingetragen. Das arme Kind wurde aber durch beinahe vier Jahre von Fraisen geplagt, und die Ärzte wollten behaupten, dass der Schrecken meiner Frau über die vielen Feuer im Jahre 1834 eine Einwirkung auf das Kind gehabt habe. Erst nach vier Jahren fing der Knabe zu sprechen an und hatte bei seelenhaften Augen ein sanftes Wesen.

     Nachdem ich mit allen möglichen Arbeiten befasst war, kam auch ein Nachbar mit der Bitte, seine störrische Schwarzwälder Uhr zu korrigieren. Eine Frau bat mich, ihr Spinnrad herzurichten. Sogar ein Strumpfwirkerstuhl war zu zerlegen und innerlich mehrere schadhafte Maschinenteile durch neue zu ersetzen.

     Der Bäcker Hornig hatte manchmals eine neue Ofenschüssel von Nöten und kam zu mir. Zum Haareschneiden hatte ich viele Kunden, zum Rasieren jedoch nur einen Herren. Für Briefeschreiben verdiente ich auch manches. Mit meinem Pferd und Steirer Wagen hatte ich öfters Fiakergeschäfte nach allen Gegenden.

     An einem Sonntage nachmittags musste ich die robuste Wirtstochter Maria Haas zu ihrer in Leibnitz mit einem Wagnermeister verehelichten Schwester führen, deren Mann wegen Brandlegung im Arreste war.

     Als es bereits gegen Abend ging, drang ich darauf, dass wir bald zurückkehrten. Ich kannte diese Maria noch nicht und wusste auch nichts von ihren extremen Eigenschaften. Erst als es schon Nacht war, fand sie sich zur Rückkehr bereit und obwohl wir in Leibnitz auf ihre Kosten gezecht hatten und der Weg nach Mureck zu Fuss nur dreieinhalb Stunden lang war, liess sie noch bei mehreren Gasthäusern anhalten und guten Wein herbringen.

     Sie litt es nicht, dass ich am Kutschbocke Platz nahm. Ich musste mich zu ihr setzen. Da klopfte sie mir mit der flachen Hand auf den Schenkel mit den Worten: «Ja, lieber Herr, so geht's!» Nun erst erkannte ich ihre Leidenschaft und Absicht, mich zur Verletzung meiner ehelichen Treue zu verleiten, was ihr jedoch misslang. Als wir bei unserem Elternhause anlangten, zahlte sie mir den Fuhrlohn und benahm sich dabei ganz schroff, im Gegensatz zu ihrer vorher gegen mich verschwendeten Zärtlichkeiten. Ihr erster Ehemann, ein  (90)  Mühlengehilfe, so wie der zweite Gatte, ein Postknecht, waren junge und starke Männer und wurden durch ihre überaus heftige, leidenschaftliche Begehrlichkeit frühzeitig zugrunde gerichtet.

     Ihr dritter Gatte, ein Fleischer und kurzer, untersetzter, stämmiger Mann namens Sinitsch, sah anfangs auch blass aus, überlebte sie aber doch.
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Samstag, 6. Februar 2010

34. Eine Weinprobe mit Folgen

     Eine kleine Stunde von Mureck aufwärts ist die Gemeinde Weitersfeld mit einer Seil-Überfuhr über die Mur. Von dort über einer Berggemeinde Zellnitz war ein Bauer und Weingartenbesitzer namens Heiling, welchem 1834 nacheinander zwei Winzereien und dann ein Bauernhaus abbrannten und da alle hoch assekuriert war, konnte er sein stattliches Wohnhaus herstellen, wozu ich ihm den Bauplan verfertigte. Mein Nachbar, Schlosser Peter Wach, lieferte die Schlosserarbeiten. Auf Einladung des Heiling, zu ihm zu kommen und seine 34er Weine zu kosten gingen ich und Wach am Tage vor Weihnachten bei gelinder Witterung nach vollbrachter Fahrt über die Mur auf dem eisigen Ufer dahin. Heiling gab uns von der Qualität zu kosten; der Wein vom Rossbacher Gebirge war besonders vortrefflich.

     Da ich jedoch die Wirkung des 1834er schon gut kannte, schlürfte ich aus jedem dargebotenen Glase nur einige Tropfen. Wach aber stürzte jedes Glas voll hinunter, daher er sogleich benebelt wurde und mir die Besorgnis kam, wie wir nach Hause kommen würden. Als es abends zu dunkeln begann, suchte ich den Schlosser Wach zum Rückmarsch zu bewegen, damit wir, ehe es Nacht würde, über die Mur sein könnten. Heiling aber meinte, es wäre noch Zeit und sein Sohn Natzl würde uns mit dem Schinakl schon hinüberbringen. Ich verabschiedete mich, ging vom Keller vollkommen nüchtern weg und setzte mich im Fahrzeug nieder. Wach aber ging trotz meines Zurufens eine Strecke aufwärts zum Strome und fiel hinein. Zufällig trug ihn die Strömung zu mir. Als ich mich aus dem Fahrzeug neigte, schrie der Heiling-Sohn, der vom ganzen Vorfalle in der Abenddämmerung nichts merkte und eben das mit Ketten abgesperrte Schiff loslöste:  (86)  «Was treibt ihr denn, Ihr werft ja um!» Und da erst sah er die todbringende Bescherung und kam mir zu Hilfe, den ohnehin schweren, jetzt ganz durchnässten und heftig zitternden Schlosser in den Schinakel zu bringen.


     Ich zog den Betrunkenen fest an mich, und als wir vom Fährmann Natzl auf einer Schotterbank oder Insel in der Mur aufgesetzt wurde, hatte ich viele Mühe, meine eben durch eingetretene Kälte an den Rock des Schlossers festgefroren Rock loszubringen. Ich ersuchte den Natzl, er möge uns doch die Richtung zeigen, um so schnell wie möglich vom Wasser wegzukommen. Darauf sagte er grob: «Ei was, Ihr werdet den Weg wohl finden, ich muss selber trachten, nach Hause zu kommen», und lenkte sein Schiff zur Rückfahrt.

     Jenseits dieser Insel war ein mächtiger Arm der Mur, und bei der inzwischen eingetretenen vollen Nacht suchten wir einen Übergang auf das linke Ufer und fanden glücklich einen aus einem Baumstamm hochgebauten Steg ohne Geländer. Der Schlosser torkelte trotz seines Rausches glücklich hinüber. Ich aber musste wegen meiner Schwindelhaftigkeit auf dem Stege reitend hinüberrutschen, worüber der Schlosser ausserordentlich lachte.

     Wir waren nun geborgen und ich von der Angst befreit, dass das Schicksal unseren Tod durch Ertrinken oder Erfrieren beschlossen habe. Aber von hier bis nach Hause hatte ich mit dem höchst beduselten Schlosser eine fürchterliche Plage. Ich war mit allem Kraftaufwand nicht immer im Stande, ihn aufrecht zu halten. Mehr als zwanzigmal fiel er zu Boden und manchmal riss er mich mit. Als er die Miene machte, liegen zu bleiben, ich ihm aber wieder auf die Beine geholfen hatte, wollte er gar mit gezücktem Messer auf mich losgehen. Ich konnte ihn sicher nicht liegen lassen, da er bei der nächtlichen strengen Kälte gewiss erfroren wäre.
    
Als wir endlich die Brücke ab der Weitersfelder Mühle passierten, ging es mit vielen Beschwerden, jedoch auf besseren Wegen rascher nach Mureck. Bei dem Hause des Schlossers, welcher immer lärmte, angelangt, kam dessen Gattin zur Stiege und rief äusserst roh von oben herab: «Seids schon da, Ihr Saumägen?» Ich ersuchte sie, ihren Mann sogleich zu Bette zu bringen. Kaum war ich zu Hause vom Erzählen der heutigen Begebenheit fertig, überkam mich eine Unpässlichkeit, so dass ich erbrechen musste. Der Schlosser kam nach zwei Stunden Schlaf ganz nüchtern zu uns, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen und lachte aus vollem Halse, als er von meiner Übergabe hörte, und beteuerte, dass ich im Ganzen höchstens einen halben Seitel Wein zu mir genommen hätte.

     (87)  Dieser Schlosser war ein Tiroler. Wie er erzählte, hatte er damals in Aussee als Geselle gearbeitet, als der Erzherzog Johann sich in die dortige Postmeisterstochter, die viel gepriesene Oberascher Nani, verliebte. Dieser Schlosser war sehr dem Suff ergeben, sass oft bei Tag bei uns zu Gast und sagte öfters, wenn er mich so eifrig bei der Arbeit sah: «Ach, wenn nur ich auch so fleissig sein könnte!»

     Sein ältester Sohn Hermann, ebenfalls Schlosser, war ein vortrefflicher Waldhornist und überaus glücklich, als er einst ein solches Instrument mit Klappen erhielt. Nach vollbrachter Militärzeit bei der Musik-Bande wurde er Schlossermeister in Friedau. Die hübsche Schwester dieses Hermann, Cezilia, wurde in Graz für das Theater ausgebildet, hatte eine kräftige, schöne Stimme, trat in Lustspielen und Possen auf und sang bei der Zauberflöte die Königin der Nacht. Aber ein ungenannter Kritiker referierte, dass Czilia, unter dem Theaternamen Wachmann nur in der Rolle einer Fratschlerin am Platze wäre.

     In Brünn hatte ihre Liebschaft mit einem Offizier traurige Folgen; denn ihr vorzeitiges Verlassen des Wochenbettes brachte ihr den Tod. Nach einigen Jahren kam das zurückgelassene Mädchen zu einer Putzmacherin in Graz in die Lehre.
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