Montag, 16. August 2010

81. Erinnerungen an frühere Jahre

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     Nun habe ich noch manches nachzutragen.

     Als ich noch klein war und öfter zu der bei Dr. Fink gedienten Köchin und Tante Therese Dunkl kam, gab mir das erwähnte Zimmermädchen, Johanna Seidnitzer, ein Theaterstück »Wer weiss, wozu das gut ist?« zu lesen. Und da im Jahre 1847 das Übel mit dem Krummwerden der Finger angefangen hat, kam mir der Gedanke, wer weiss, wozu das gut ist? Ich hatte den glücklichen Einfall, mir über die krummen Finger ärztliche Zeugnisse ausstellen zu lassen, welche dann immer infolge Gesuches um zeitliche Befreiung meines Sohnes von der Militärpflicht berücksichtigt wurden.     

     Als ich, 19 Jahre alt, im Jahre 1827 zur Stellung einberufen wurde, kamen alle Vorgeladenen im Rathaus auf den mit eisernem Gitter versperrten, langen Gang im dritten Stock. Die 36 Stellungspflichtigen machten des Nachts ordentlich Höllenlärm. Der Abmarsch zur Assentierung war auf den nächsten Donnerstag bestimmt.

     Als Verpflegung erhielten wir Arrestanten ein kleines Stück Fleisch auf einem Trögl und dazu einen hölzernen Löffel. Die Rekruten aus besseren Häusern wurden von den Eltern mit besserem Imbiss versorgt. Da im ersten Stock ein geräumiges Kanzlei-Lokal leer war, wurden die Rekruten vom dritten Stock herab in das frisch geweisste Zimmer expidiert. Die Arrestanten mussten alle Strohsäcke für uns heranschleppen. Unter uns befand sich ein eleganter Tiroler, Studierender der Medizin; sein Quartiergeber hatte es bewirkt, dass der feine und nette Herr Student nicht unter den lärmenden Leuten, sondern zu Hause schlafen dürfe. Kaum war er fort, ersuchte ich jeden  (196)  um einen Bleistift und zeichnete an den neugeweissten Wänden die halbe Nacht Soldaten aller Gattungen: Infanterie, Jäger, Kavaliere, Artillerie, Grenadiere, Marquetenderinnen – alle Karikaturen in mehr als Lebensgrösse.

Original dieses Neuhold-Bildes in Privatbesitz in München

     Als um 8 Uhr früh der Gefangenenaufseher die Tür öffnete und die bekritzelten Wände sah, fluchte er entsetzlich und wollte wissen, wer dies getan habe. Wir aber schoben die Schuld auf den Mediziner, der gestern Nacht nach Hause gehen durfte. Gleich kamen zwei Arrestanten mit Kalk und mussten das Lokal überweissen, und wir marschierten unter Anführung des Magistratsrates Bonstingl und seines Amtsdieners zur Assentierung am Nikolaus-Quai.

     Als ich im Herbst 1821, 13 Jahre alt, auf Ferien nach Judenburg kam, liess Onkel Dunkl ein Zimmer neu weissen und einen dunklen Sockel anbringen, welchen ich mittels selbstgemachter Patronen farbig einsäumte. An einer Wand konnte ich zwei Landschaften in schwarzem Rahmen so täuschend malen, als ob sie aufgehangen seien. Manche Besucher wollten die Bilder zur näheren Besichtigung abnehmen. 

Original dieses Neuhold-Bildes in Privatbesitz in München

     Ich spazierte einst mit dem Onkel nach Knittelfeld. Vor dem Wirtshaus, wo wir einkehrten, sass ein Invalid mit der Krücke und einem Stelzfuss, und ich musste auf Verlangen des Onkels sogleich die interessante Invalidenfigur abzeichnen. Als mir diese Portraitierung wirklich gelungen ward, zeigte der Onkel die Zeichnung allen Anwesenden und prahlte mit seinem talentvollen Neffen.

Der Onkel Johann Dunkl in Hartberg war Oberschützenmeister der bürgerlichen Schiessstätte. Er hatte einen Glaskasten voll gewonnener wertvoller Preise. Als ich zu Ostern 1822, 14 Jahre alt, auf Ferien dort weilte, musste ich auf Wunsch des Onkels alle in der Schiessstätte anwesend gewesenen Schützen, darunter den Stadtpfarrer und einen Pfarrer aus der Umgebung, insgeheim abzeichnen, worüber dann viel gelacht und ich allseits mit freundlichen Blicken beehrt wurde.

     Als ich beim Bindermeister Rucker Geselle war, wurde auch ein Geselle aus Radkersburg aufgenommen. Dieser erzählte, dass er dort gar oft über die Mur geschwommen sei und auch hier einen Versuch wagen möchte, wenn ich mittäte. An einem Sonntag Nachmittag zogen wir bei der Werkstätte unsere Kleider aus und sprangen vor derselben, nur mit Schwimmhosen bekleidet, in die Mur und bemühten uns, möglichst gerade hinüber zu kommen. Am jenseitigen Rasenplatze lagerten wir uns, um ein wenig auszuruhen. Da kamen von unten herauf zwei Polizeimänner im ärgsten Lauf auf uns zu und wollten uns fassen, da in der Mur das Baden verboten war. Wir liessen sie auf fünf Schritte herankommen und hüpften dann wie die Frösche in Wasser.

    (197)  Die Polizisten liefen dann zur unteren Murbrücke, in der Hoffnung, uns diesseits zu erwischen. Als wir ganz getrocknet und schnell angekleidet im Sonntagsstaate vor das Haus traten, kamen die beiden Polizeibeamten voll Schweiss daher, und da sie uns natürlich nicht erkannten und die Umstehenden auch keine Auskunft geben konnten, so war das Laufen und Schwitzen der Polizisten umsonst und uns machte es ein Vergnügen, dieselben gefoppt zu haben.
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