Wegen der stark beschneiten Strasse kamen wir zur dritten Nacht nur bis Draiskirchen zum Gastwirt Perzl, wo ich wieder eine Kiste Kapauner anbrachte. Da wir von dort schon um 2 Uhr Nachts weiterfuhren, kamen wir gegen 9 Uhr früh nach Wien.
Jede Fracht wurde nächst der Post beim Hauptzollamte abgeladen, um der zollämtlichen Behandlung unterzogen zu werden. Da die Mam Theres von meiner Ankunft nicht avisiert wurde und ich von meiner Ware nicht fortkonnte, ersuchte ich mehrere herumstehende Taglöhner, sogleich die auf der Seilerstätte Nr. 604 wohnende Theres Dunkl zu holen, oder meine Kisten zu ihr zu fahren. Aber keiner dieser Tagediebe wollte sich hierzu Zeit nehmen. Ich wusste aus ihren Briefen, dass sie täglich ein- bis zweimal zur Hauptmaut ging, ob für sie Ware da sei. Aber - o tückisches Schicksal - gerade heute kam sie nicht. So sehe ich mich um sie geneppt. Ich konnte auch nicht wissen, dass eben während ein paar Tagen die Nachfrage um frische Ware gestiegen sei. Eine Menge Käufer kamen, erkannten mich sogleich als einen verzagten Neuling gegenüber ihrer Hinterlist, öffneten gleich selbst die Kisten, nahmen Stücke heraus und gaben mir dafür, was sie wollten.
(33) Ich wusste mir, umringt von 15 bis 20 kecken Wienern, nicht zu helfen und hatte noch sehr acht zu geben, dass ichnicht bestohlen wurde. Als mir der Zorn zu spät aufstieg und ich Gewalt zu brauchen drohte, verliefen sich die lumpigen Käufer und Betrüger und endlich trug sich ein Gaglöhner an, den Rest meiner Ware um eineinhalb Gulden zur Theres zu führen.
Ich hatte von der Lage der Stadt und der Gegend der Seilerstatt keine Kenntnis und konnte nicht wissen, in welcher Richtung vom Haupzollamte weg die Seilerstätte lag oder wie weit es dahin war. Der Spitzbube Taglöhner fuhr mit meinen letzten sieben Kisten keuchend über einen grossen Teil der Glacis beim oberen Kärntnertor hinein und nach einer langen Gasse wieder herab, nur um zu zeigen, dass er für den weiten Weg eineinhalb Gulden verdient habe. Aber nachträglich hatte ich wahrgenommen, dass im Innern der Stadt von der Mam bis zur Hauptmaut nur sozusagen ein Katzensprung war.
Als ich der Mam mein Schicksal auf der Hauptmaut erzählte und ihr wegen ihres Nichtdahinkommens Vorwürfe machte, überhäufte sie mich noch dazu mit unzähligen Grobheiten. Eben kam auch Herr Prücker dazu und nahm ohne Umstände zwei Kisten. Die übrigen blieben der Mam.
Erst jetzt hatte ich erfahren, dass sich seit einigen Tagen die für Kapauner günstige Witterung gebessert hat und die Nachfrage gestiegen sei und ein Reingewinn von 100 Gulden in Aussicht gewesen wäre, wenn ich bisher gar nichts verkauft hätte. So aber hatte ich nach Berechnung aller Kosten und Spesen einen Schaden von 100 Gulden. Somit waren 200 Gulden beim Teufel.
Bei meiner Abreise in Graz hatte mir die Mutter strenge aufgetragen, in dieser und jener Kirche, bei diesem oder jenem Altare zu beten. Da sie aber in Handelsgeschäften selbst schon einige Male in Wien war und das durchtriebene Wienervolk doch schon hätte kennen sollen, wäre es vernünftiger gewesen, mich davon zu unterrichten, um mich vor Schaden hüten zu können. Noch viele Jahre konnte ich den Unmut darüber nicht verkniesen und bin noch jetzt über meine damalige Unerfahrenheit und die Kniffe der Wiener erbost. Ich hatte die Überzeugung, dass, wenn ich in Graz unter 100 Menschen einen Schelm finde, in Wien unter 100 schon 10 Gauner stecken.
(34) Ich blieb einige Tage in Wien. Die Quartiergeber der Tante, Greislersleute, hatten veranstatet, dass wir mit mehreren Bekannten einen Ball besuchen. Dazu wurde auch die erwähnte, nun in Wien dienende Johanna Seidnitzer eingeladen. Ich musste sie mittels Fiaker aus der Vorstadt Maria Hilf abholen. Da sie aber erst anzukleiden im Begriffe war, hatte ich die beste Gelegenheit, ihre reizenden Formen zu bewundern. Oh, wie gerne hätte ich ihr bei, Einschnüren geholfen.
Die Gesellschaft zu sieben Personen fuhr in zwei Wägen zum Mondscheinwirt nächst der Karlskirche. Dahin kam auch der vom Sensenwirt in Wien fungierende, von der Mam gekannte Vinzenz Fledersbacher und tanzte einige Stunden mit der ihm bekannten Johanna. Da stieg schon lange ein echter Wiener Gschwuff in Betrachtung derselben versunken, um unseren Tisch herum wie die Katze um den heissen Brei, sprach mit der Mam allerlei, und sie, nichts Arges ahnend, erzählte ihm, während Johanna tanzte, deren ganzen Lebenslauf.
Nun machte der Wiener Schnipfer der Johanna die Cour und wusste sie so zu beschwatzen, dass sie nicht mehr von ihm zu trennen war. Da die Gesellschaft nur bis 1 Uhr früh blieb und Johanna nicht mehr zu unserem Tisch kam so erhielt ich den Auftrag, auf Letztere Acht zu geben, um sie dann in ihre Wohnung zu führen.
Sie flog mit ihrem Tänzer dahin wie toll. Als ich wieder nach ihr sehen wollte, war sie verschwunden. Ich eilte über die Stiege hinab, sie zu suchen, und ersah zu meinem Ärger, dass sie eben mit dem Wiener Früchterl in einen Wagen stieg und schnell davongefahren ist. Zurück in den Saal und wieder 1 Gulden Eintritt bezahlen wollte ich nicht. Da es erst 5 Uhr war und vor halbacht kein Haustor offen, musste ich bis dahin in der Kälte herumschlendern. Ich hatte auch nicht den Mut, in ein Kaffeehaus einzutreten. Aber die Mam Theres erteilte mir über meine nachlässige Aufsicht über Johanna eine derbe Strafpredigt.
Auf meiner Rückreise hatte ich über den Semmering – am Kutschbocke eingeschlafen – hinter mir ein Wagenfenster eingedrückt, welches ich in Mürzzuschlag mit 4o Kreuzern vergüten musste.
In Graz angelangt machte ich den Eltern die famose Rechnung über meine denkwürdige Kapauneraffäre. Ich musste über mein unglückliches Gebahren noch lange Zeit viel Spott und Hohn einstecken. (35) Darauf wurde meine um drei Jahre ältere Schwester Maria zum Handel im Winter nach Wien gesendet und unter die Obhut der Mam gestellt.
Die lustige Johanna Seidnitzer hatte uns dann geschrieben, dass sie nach Graz zurückkomme. Da sie wegen ihrem leichten Leben in Wien zu ihren Angehörigen nicht durfte, sollten wir für sie eine Wohnung besorgen. Johanna erhielt von uns die Einladung, dass sie zu uns ziehen soll, worauf sie schrieb, dass sie am 6. Mai mit dem Eilwagen ankommen werde. Ich erhielt den Auftrag, sie auf der Post zu erwarten, sie in Empfang zu nehmen und den Transport ihres Gepäckes zu besorgen. Ich freute mich schon recht auf das wirklich schöne und anmutige Geschöpf. Aber – oh Schicksal – ich stand mit dem Schubkarren da zur Beförderung ihrer Habe, und Vinzenz Flederbacher, der mit ihr beim Mondscheinwirt tanzte, hob sie jetzt aus dem eben angekommenen Eilwagen und fuhr mit ihr samt Gepäck mittels Fiaker davon. Ich war drüber so verblüfft und musste wegen meiner Ungeschicklichkeit von der Mutter wieder viele derbe Worte hören.
Nachträglich hatten wir erfahren, dass der Fledersbacher beim Krois in der Laburnergasse eine Wohnung besorgt hätte. Johanna heiratete dann den reichen Russerholzer Müller und wurde eine sehr wirtschaftliche und brave Frau.
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Mittwoch, 6. Januar 2010
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