Samstag, 16. Januar 2010

22. Meine Zukünftige

     Einst, während meiner Abwesenheit von der Werkstatt, übergab ein Mädchen aus der Nachbarschaft – in der Meinung, hier sei ein Tischlergeselle – dem Gesellen eine Strickrahme zur Reparatur. Ich wusst nichts davon, der Geselle aber vergass darauf, und so blieb die Rahme liegen. Als die Nachbarin wieder kam, dieselbe abzuholen und ich eben ohne den Gesellen anwesend war, bat sie etwas befangen um baldige Herstellung der Rahme, da dringende Bestellung von Stickereien gekommen seien. Ich versprach, die Reparatur sogleich zu besorgen.

     In der Meinung, eine galante Redensart anzubringen, sagte ich noch: «Sie werden einmal einen braven Mann bekommen», und ohne hierauf irgendetwas zu erwidern, ging sie errötend eilig fort.


Nach mehreren Tagen bemerkte ich sie meiner Werkstätte gegenüber am Fenster eifrig an der inzwischen restaurierten Stickrahme arbeiten und erbat mir gleich vor ihrem Fenster die Erlaubnis, die Stickerei, wenn sie angefertigt ist, in Augenschein nehmen zu dürfen. Als ich deshalb nach einiger Zeit in die Wohnung ihrer Eltern kam, bemerkte ich hier wohl die höchste Einfachheit und Ärmlichkeit. Ihr Vater, Paul Knölly, ein noch rüstiger Greis von 78 Jahren, war als Brief- und Zeitungsausträger bei der kleinen Post beschäftigt. Die Mutter war eine von Kummer und Entbehrung gebeugte, 63 Jahre alte Frau. Aber noch eine 19jährige Tochter, Marie, war vorhanden, schön frisch, kerngesund und gesellig. Obwohl die an der Stickrahme emsig beschäftigte Anna bereits im 29. Jahre stand, sehr hager und nicht besonders schön war, so fühlte ich mich doch aus begreiflichen Gründen dieser mehr zugeneigt; denn sie hatte einen unerklärlichen, besonderen Liebreiz, und aus ihren schmachtenden Blicken wähnte ich die reinste, himmlische Seligkeit zu schauen.

     (55) Und so entspann sich eine nachbarliche Freundschaft zwischen uns dreien. Beide Schwestern waren wirkliche Juwele weiblicher Zartheit, Herzensgüte, Innigkeit, reiner Sitte und schwesterlicher Zuneigung. Ich machte den stillen Beobachter und hatte hier Gelegenheit, bei Spaziergängen mit diesen holden Geschöpfen, die aus den Äusserungen des erwähnten jungen Bindergesellen Peter mir im Gedächtnis gebliebenen Andeutungen aus Lavaters Physiognomik zu erforschen. Jetzt erst erkannte ich den himmlischen Unterschied und Abstand der Deutungsart und Benehmungsweise zwischen dieser zart und innig fühlenden Anna Knölly, dem derben Klotze Pepi Rosenholz und der träumerischen Anna Pilz. Und während die Mädchen bei Frau Fels in Wien stets in jugendlichem Mutwillen und heiteren Genüssen dahinlebten, lernte ich hier in Anna Knölly eine Perle echter Weiblichkeit und höchstem Seelenadel kennen. Da ich aber mit beiden Schwestern gleich artig war, so wusste keine zu bestimmen, welcher ich den Vorzug gab.

     Die holde Anna hatte mir treuherzig erzählt, dass sie seit ihrem 13. Lebensjahre im Dienste war, in Fidau Slovenisch lernte, schon mehrere, mitunter annehmbare Werber gehabt, und zuletzt bei der Fürstin Rosenberg in Freudenau in Untersteier als Köchin in Ansehen stand. Dort wurde sie aber von einem hartnäckigen Fieber befallen, und ist auf ärztliche Anregung zur Luftveränderung ausgetreten. Sie verblieb einige Zeit bei der mit dem bischöflichen Kammerdiener Grimmer zu St. Andrä in Kärnten verheirateten Schwester Constanze. Am 1. September 1829 kam sie in noch kränklichem Zustande von dort zurück und erhielt die Stickerei für die dortige Domkirche bestellt.

     Unweit des Schlosses Freudenau an der Pfarre Abstall war ein lebenslustiger Kaplan, namens Ignaz Kukenschinig. Dieser hatte der herrschaftlichen Köchin Anna Knölly versprochen, sie, wenn sie einst heirate, zu kopulieren.

     Er kam nachher als Garnisonskaplan nach Graz und bestellte für sich eine Stola, die reich mit Blumen verziert sein sollte.

     Aus nachbarlicher Freundschaft war ich der fleissigen Anna bei Zusammenstellung der zu stickenden Girlanden behilflich. Die Stola wurde ein Meisterwerk. Für diesen Kaplan hatte Anna dessen Leibwäsche, dann Decken und Leintücher teils neu zu machen, teils zu reparieren. Inzwischen hatte die Kammerjungfer der Fürstin Rosenberg, Antonia Kröpfel, eine gewesene Novize des Nonnenklosters in Klagenfurt, wegen (56) grossem Hang zu weltlichen Freuden von dort durchgegangen, bei der Anna Kölly mehrere Stickereien angeblich für das Kloster in Klagenfurt bestellt. Als letztere einst mehrere Wäschestücke an den Kaplan ablieferte, zeigte er ihr einen Beutel mit hundert Dukaten und sagte, er müsse sparen, dass er, wenn er einmal Pfarrer werde, zum Antritte Vermögen habe. In seiner Neigung, Anna wisse von dem zwischen ihm und Antonia Kröpfl bestandenen und noch bestehenden Liebesverhältnisse, zeigte er der Anna viele Briefe der Toni, und in jedem stand: «Lieber Ignaz ...!!!» Wie war Anna erstaunt, als sie hier alle ihre angeblich für das Kloster in Klagenfurt gemachten Stickereien sah. Beide Verliebten wussten im Schlosse Freudenau, wo er täglich Zutritt hatte, ihre Vertraulichkeiten so geheim zu halten, dass die Köchin Anna nichts wahrnehmen konnte.


     Als ich Anna Knölly das erste Mal erblickte, empfand ich eine wonnevolle Erregung in der Gegend meines Herzens, ein unerklärliches Etwas zog mich an diese holde Erscheinung, und Kopf und Herz flüsterten mir fortwährend zu: «Diese wird Deine Braut, Deine Gattin, Deine Lebensgefährtin.» So oft ich bei meiner Werkstätte aus- und einzugehen hatte, konnte ich es nicht unterlassen, einen möglichst freundlichen Blick an ihr Fenster zu werfen, wo sie von morgens bis abends bei der Nadel sass.

     Auch ihrem Herzen drohte eine geheime Ahnung; sie hielt es für unmöglich, nicht nach mir zu blicken, wobei sich dann unsere Blicke begegneten.

     Es war Sonntag, der 27. März 1829, als ich von ihr aus ihrem Fenster die für mich erfreuliche Einladung erhielt, ihre vollendete Stickerei zu besehen, welchen Hochgenuss, in ihrer Nähe zu sein, ich gleich unternahm.


     Ein gewesener Schulkamerad, Josef Zeidelmaier, war nun bei seinem Stiefvater, Lang, Kotzenmacher. Josef war ein guter Sänger und Guitarspieler. Wir hatten uns bei mir manchen Abend bei Flötenspiel, Guitar und Gesang gut unterhalten. Und die zwei Schwestern, Anna und Maria, erhielten von ihren Eltern Erlaubnis, an diesen Unterhaltungen teilzunehmen. Bei solcher Gelegenheit entbrannte Zeidelmaier in Liebe zur hübschen Maria, und wir machten sonntags gemeinschaftliche Spaziergänge.

     (57) Das seelenvolle Auge, die samtweiche Hand und die innigste Zutraulichkeit des wahren Engels Anna hatten mich vollständig bezaubert. Obwohl sie, wie sie erzählte, durch vier Jahre bei ihrer Schwester Plank in Deutsch Landsberg alle Feld- und Gartenarbeit mitmachte, hatte sie feine Hände und zierliche kleine Füsse.

     Durch näheren Umgang mit ihr hatte ich ihr feines Wesen und ihren Reichtum an Geist, Gemüt und Herzlichkeit erkannt, und nahm mir fest vor, wenn möglich, dieses unvergleichliche Wesen an mich zu fesseln.
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