Dienstag, 12. Januar 2010

19. Wiener Erfahrungen - Rückreise nach Graz

    Da kehrte ich diesem Krauterer den Rücken, ging zur Tante Theres am alten Fleischmarkt Nr. 687 neben dem grossen Hotel Stadt London und erzählte ihr lachend den Spass. Sie lachte mit und richtete mir aus einem vom Fasching erübrigten und nun im Rauchfange gehangenen steirischen Kapaun eine geniessbare Mahlzeit. Als ich Dienstag darauf wieder beim Meister arbeiten wollte, sagte er, dass er aus Mangel an Arbeit den Böhm und den Schwaben entlassen und auch mich nicht mehr zu beschäftigen habe.

     Ich suchte eine Woche lang Unterkommen, schlief abwechselnd bei dem auf der Wieden beschäftigten Bindermeisterssohne, Peter Rücker aus Radkersburg, dann auf der Herberge unter 60 arbeitslosen Gesellen und in der Wohnung meiner Tante. Bei dieser wohnte auch eine pensionierte Herrschaftsköchin, die ihre Freude an befiederten Sängern hatte. In neun Käfigen waren Rotkehlchen, Schwarzblattl, Amseln, Kanari etc. und ein abgerichteter Star, welche zusammen einen Höllenlärm machen konnten. Und als der zu diesem Konzert einmal geladene Peter Rucker die Spässe der Stare hörte, musste ich bald befürchten, dass Peter aus dem Lachkrampfe nicht mehr herauskäme.

     Auf die Fürsprache der Tante bei ihrer Kundschaft, dem Herrn Hotelbesitzer Leitgeb in der Leopoldstadt, und sonach durch dessen Vermittlung wurde ich in der zweiten Osterwoche in der Weinhandlung des Johann Ruprecht zum Schwarzen Thore an der Ecke des Minoritenplatzes als Kellermeister aufgenommen und kam hier in einen ganz neuen Wirkungskreis. Hier war zugleich grossartiges Gasthaus. Die Masse Dienerschaft aller in der Nähe wohnhaft gewesenen Gesandten kamen hierher zur Mittags- und Abendkost. Ich hatte die Aufsicht über die Weinvorräte von ca. 5000 Eimern und musste mit einem Gehilfen die damit verbundenen Arbeiten besorgen. Wir waren im ganzen dreizehn: die Dienstleute und in der Küche noch ein niedliches Lehrmädchen mit appetitlichen Grübchen und Rosenwangen.

     (45)  Der Herr war ein mittelgrosser, hagerer, jähzorniger aber sehr umsichtiger Mann aus Feldsberg und die Frau von kolossaler Statur und – ungeachtet einer geborenen Wienerin  – in sehr langsamer Redeweise und Bewegung. Durchschnittlich wurden täglich zehn Eimer Wein und zwanzig Eimer Bier vom Fasse, dann noch eine Menge Weine und Biere in Boutaillen an die Gäste abgegeben.

     In  der Küche wurden täglich eineinhalb Zentner Fleisch, wöchentlich drei Zentner Butter, zwei Eimer Essig und ein Klafter Holz und eine Unmasse Gemüse verbraucht. In den Gastzimmern wurden noch grosse Quantitäten an Käse und Schinken aufgechnitten. Das Haus war ausser dem hohen Erdgeschosse drei Stock hoch und ebenso tief unter der Erde, denn es waren drei Keller untereinander gebaut, mit grossartigen Gewölben und mächtigen Pfeilern und Quadern.

     Von der Gasse aus führte eine sechs Schuh breite, steinerne Stiege mit zwanzig Stufen in den ersten Keller, dann zwanzig Stufen in den zweiten und fünfundzwanzig Stufen in den dritten Keller. Über jedem war eine Falltüre, dann vor dieser noch nach links und rechts ungeheure Räume. Ankommende Weine wurden vom Wagen herab mittels lederner Schläuche durch die Keller herabgelassen und in die Fässer expidiert. Im dritten Keller lagen zehn Hunderteimerfässer und eines mit hundertdreissig Eimern. Verkaufte, volle Fässer zu je zehn bis zwölf Eimer wurden mit einem eigenen, am Zahnrade befestigten Seil, über die Stiege hinaufgezogen.

    Ich wurde von den mir obliegenden Arbeiten wohl sehr erschöpft, und obwohl ich gewöhnlich erst um ein Uhr nachts zur Ruhe kam, war ich um vier Uhr früh bis halbsechs schon vor der Stadt, da ich dem Volksgewühle und dem Verkehr am Donaukanale gern zusah.

     Ich hatte keine besonderen Bedrüfnisse, wohl aber Freude am Sparen, so dass ich bald hundert Gulden Wiener Währung beisammen hatte und diese meinen Eltern sandte, während mein in Brünn als Schuhmacher befindlicher Bruder Franz immer um Geld nach Hause schrieb. Inzwischen erhielt ich vom Magistrate Graz eine Vorladung zur abermaligen Stellung; und da nach damaligen Rekrutierungsgesetzen der Besitz und Betrieb eines Realgeschäftes vom Militär befreite, so hatten mein Eltern für mich vom alten Bindermeister Johann Winkler dessen Gerechtsame um sechshundert Gulden erkauft.

     (46)  Da Herr Ruprecht mich nicht fortlassen wollte, so kehrte ich mich nicht um die Vorladung. Da las ich aber zufällig in der Wiener Zeitung meine Einberufung und beachtete sie wieder nicht. Da jedoch nach dem darauffolgenden Edicte alle Behörden aufgefordert wurden, die Zitierten und nicht Erschienenen, wo immer gleich aufzugreifen und einzuliefern, ich hier sonach als Flüchtling ertappt werden konnte, so liess ich mein Wanderbuch nach Graz vidieren und machte mich auf die Beine, wunderte mich aber nachträglich, dass ich nicht im Polizeiamte gepackt wurde.


     Ich machte meine Rückreise wieder auf dem Bocke eines Landkutschers, für die Fahrt per vier Gulden Wiener Währung. Ein Sitz innerhalb des Wagens kostete vierzehn Gulden. Im selben war wieder ein Kaufmann, ein alter, gemütlicher Herr, dann eine Militärarztensgattin, die von Prag ihrem nach Graz übersetzten Manne mit einem fünf Monate alten Kinde nachreiste,  und ihre schwäbisch redende Mutter. Das Kind war krank, schrie erbärmlich und beschmutzte sich unaufhörlich. Die Herbstwitterung war unfreundlich und kalt, so mussten die Wagenfenster geschlossen bleiben. Konnte der alte Herr den Gestank im Wagen nicht aushalten, so machte er ein Fenster auf, als ob er die Gegend betrachten wollte; aber gleich polterte die Alte, das Fenster zuzumachen. Auf halbem Wege der schnurgeraden Strasse zwischen Neustadt und Neunkirchen spät abends überfiel mich ein lästiger hinterpommerscher Zustand. Ich musste absteigen und ersuchte den Kutscher, langsam zu fahren, dass ich ihn leicht einholen könne, aber der Kerl fuhr gewissenlos im Tab weiter, und ich musste nach überstandenen, hinteren Ängsten in der finsteren Nacht und in der einsamen, verrufenen Gegend, wo manche Mordtat geschah, eine Stunde lang nachlaufen und konnte den Wagen, den ich immer von hinten hörte, erst an der Maut zu Neunkirchen erreichen.

      Da ich wusste, dass wieder im nämlichen Gasthause eingekehrt werden würde, wo ich bei meiner Reise nach Wien die teure Zeche hatte, so gab ich hierüber dem Kaufmann und der Arztensgattin einen Wink. Um mich vor grossen Kosten zu bewahren, machte der mir ausnahmsweise freundliche Hausknecht im Stall ein gutes Strohbett zurecht, wofür ich ihn an der von Wien mit erhaltenen Boutaillie Wein nebst Wurst, (47) Käse und Brot teilnehmen liess und dann sehr gut schlief.

     Mit Anbruch des Tages machte mir der Kaufmann den Antrag, ich möge ihm meinen Sitz am Bocke überlassen, da er als alter Mann den unausstehlichen Geruch im Wagen und das Geschrei nicht mehr ertragen könne. Dafür wollte er mich bis Graz zehrungsfrei halten. Aus Rücksicht für das Alter und die Gemütlichkeit des Kaufmannes und um etwas zu ersparen, nahm ich den Vorschlag an und hatte nun selbst alle Unannehmlichkeiten im Wagen durch zwei Tage zu ertragen.

     Bei jeder Station hatte die alte Schwäbin eine Masse Windeln zu waschen. Um etwas den widerlichen Dünsten zu entkommen, machte ich von Schottwien weg bis zur Höhe des Semmerings den Weg zu Fuss. Ohne sonstige Unfälle kam ich nachts elf Uhr in Graz an. Nach leisem Klopfen beim Elternhause liess mich der Vater ein und bedeutete mir, mich still und ruhig zu verhalten, auf dem Hausboden zu schlafen und auf meine Flucht bedacht zu sein, da ich immer als Rekrutierungsflüchtling gesucht würde.
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