Montag, 18. Januar 2010

23. Doch lieber eine Reiche - Die Kopulation

   In der Lazarettgasse zu Graz war ein grosser Gast- und Einkehrgasthof für Landfuhrwerker. Im ersten Stock war ein grosser, ausser dem Redoutensaale der grösste Saal in Graz, unter dem Namen Apostel-Saal, wo sehr oft Tanzmusik abgehalten wurde.

     Ich hatte sogar den Mut, bei den Eltern meiner herrlichen Nachbarin um Erlaubnis zu bitten, diese am 15. November 1829 in den vorerwähnten Saal zum Balle führen zu dürfen, und erlangte die Bewilligung von den Alten erst nach langem Für und Wider.


Welche nie empfundene Wonne durchbebte elektrisch alle meine Nerven, als ich die Überselige um die schlanke Taille fasste und mit ihr in himmlischem Entzücken im Tanzsaale dahinschwebte. Ich fühlte beim Berühren ihrer Hand und bei Wahrnehmen ihres überaus würzigen Atems die grösste Seligkeit. Wir unterhielten uns bis zwei Uhr früh sehr gut. Unsere Gespräche waren mindeste Andeutung von Liebe, bloss freundschaftlich-nachbarlich. Aber bei Ankunft an ihrer Wohnung wurden herzliche Küsse gewechselt, welche mich bestimmten, ihren Besitz als mein grösstes Glück zu betrachten. Uns unsere nachbarliche Freundschaft, bei welcher ich dieses holden Engels sanfte Gemütsart, ihre schöne Seele und ihr aufrichtiges, zartfühlendes Herz, dann ihren reifen Verstand kennenlernte, machte mir unendliche Freude. So kam ich zu dem festen Entschlusse, dass ich durch den Umgang mit dieser Unvergleichlichen und ihrem überlegenen Geiste mich bilden und erst durch ihre Hand wahrhaftig glücklich werden könnte.

     (57a)  Am Frauentage, 8. Dezember 1829, leitete ich beim Besuche bei meinen Eltern das Gespräch auf meine Verhältnisse, dass ich nämlich als Bürger und Meister wirklich eine Frau zur Wirtschaftsführung benötige, es mir aber sehr schwer fällt, eine pekuniär vorteilhafte Wahl zu treffen. Endlich platzte ich mit meinem Geheimnisse heraus, dass ich den wahren Gegenstand meiner Wahl und meines Herzens in der Person der ganz unbemittelten und meinen Eltern unbekannten Anna Knölly gefunden hätte.


     Mein Vater sagte:
«Du bist gescheiter als ich,
und du wirst wissen,
was du zu tun hast.»

     Doch die Mutter und die Schwestern kamen mit einem Donnerwetter über mich, in punkto der Armut. «Es wäre doch vernünftiger», sagte die Mutter, «du nimmst eine mit ein paar tausend Gulden, denn was man heiratet, darf man nicht erwirtschaften. Bettest dich gut, liegst auch gut! Nimmst eine ohne Vermögen, so bleibst dein Lebtag ein Märtyrer, der bei angestrengter Arbeit mit genauer Not sein kummervolles Dasein durchkrautern muss. Es wäre dir und uns allen eine Schande, wenn du dich mit einer armen Familie verbindest. Lass dir die verliebten Grillen vergehen und trachte, durch eine Verbindung aus dem angesehenen Bürgerstande auch im Ansehen zu einem Ansehen zu kommen! Gehe hinaus zum Schmiedemeister Hacker, der dich kennt und dir eben die von einem Schuldner zurückgezahlten 3000 Gulden schon gezeigt hat; er gibt dir seine Stieftochter, die Anna Pilz mit diesem Geld recht gerne; und mit 3000 Gulden lässt sich etwas machen».


Diese gewichtige, von der Mutter fast im Zorne vorgetragene Epistel hatte ich wirklich erwartet und erkannte, dass sie nicht Unrecht hatte. Aber alle Vorstellungen dagegen halfen nichts, denn ich erhielt immer die Weisung, mich bei der Anna Pilz zu melden.

     Nun dachte ich, den Versuch, einen Korb zu holen, kann ich wagen, damit Mutters Wille befolgt würde. Und falls meine Werbug nicht ungünstig ausfiele, wollte ich in Gottes Namen alles aus mir machen lassen. Am nämlichen Abend ging ich hin und bekam über meinen Antrag zum Troste für mein durch diesen sauren Gang beschwertes Herz einen Korb mit der Äusserung, dass ich ihr lieb und wert sei, sie meine Werbung sehr freue, sie aber ohnehin auch den Jakob zum Liebhaber besitze, von dem sie schon sehr viel Gutes genossen und (58) er ihr das Heiraten versprochen habe, und dass es doch Unrecht wäre, ihn zu verlassen.

     Oh, wie war ich über diese Abneigung heimlich erfreut. Mir fiel es wie ein zentnerschwerer Stein vom Herzen, und ich dankte dem lieben und mir so barmherzigen Gott dafür aus innigster Seele. Am nämlichen Abend ging ich noch zu Anna Knölly und nach mehreren Gesprächen wünschte ich, den nächsten Abend mit ihr allein sein zu wollen, da ich ihr unter vier Augen etwas Wichtiges zu eröffnen habe.


     Nächsten Abend, Donnerstag, den 9. Dezember 1829, nahm sie den Vorwand, eine alte Freundin, Hofratswitwe von Moshart, zu besuchen. Und da ich nun fest entschlossen war – komme, was da wolle –, der Anna Knölly meinen innigsten Wunsch, nur mit ihr durch dieses Erdenleben gehen zu wollen, zu erkennen zu geben, wanderten wir in schönster Mondnacht bei grimmiger Kälte über das Glacis. Die bange Erwartung meiner zu eröffnenden Wichtigkeit machte uns beide warm, und ohne viel Umschweife bat ich dringend um ihre Hand. Dass ich schon ihr Herz besässe, glaubte sie mir, seit mehreren Tagen einbilden zu dürfen.

     Oh, wie viele Einwendungen hatte sie aber dagegen, sie wolle überhaupt nicht heiraten; ihre Armut und das vorgerückte Alter hielten sie davon ab, auch habe sie Anträge als Industrielehrerin in Deutsch-Landsberg, als Pfarrers Köchin in Stainz oder wieder bei der Fürstin Rosenberg als Köchin einzutreten, wo sie überall ein sorgenfreies Leben führen könne.

     Als sie siebzehn Jahre alt war, kam sie in Deutsch-Landsberg zur dort wohnhaften Stiftsdame, Fräulein von Sailer, als Gesellschafterin, und diese Dame habe ihr versprochen, in ihrem Testamente ihrer zu gedenken. Nach allen vernünftigen Weigerungen der Anna Knölly quälte mich die Furcht, ob ich wohl ein wertvolleres Geschöpf je zu finden imstande wäre, und ich hörte nicht auf, um ihr Jawort zu bitten, bis ich es zu meinem unaussprechlichen Glücke erhielt, worauf wir dann beim damaligen Gartnerwirt nächst der Waisenhauskaserne bei einem Glas Wein unsere Verlobung feierten.

     Am 20. und 25. Dezember führte ich die Auserwählte bei meinen Eltern auf, wo sie von allen mit schiefen Blicken und kalter Höflichkeit aufgenommen wurde. Ich musste Anna trösten, dass meine Angehörigen von ihr eine bessere Meinung haben werden, sobald sie ihren hohen Wert erkennen würden.

     (59)  Inzwischen zog ich meinen Mentor und alten Freund Hernegger zu Rate, welcher bei Aufführung meiner Verlobten meine Wahl billigte und sich mit seiner Beredtsamkeit bei meinen Eltern um deren gütliche Einwilligung verwendete.

     Ich und Anna unternahmen am 28. Dezember 1829 zu Fuss eine Reise nach Deutschlandsberg in der Absicht, bezüglich der von Fräulein von Sailer der Anna gegebenen Zusicherung einer allfälligen Beisteuer zur Heirat oder eines Legats Ansprache zu pflegen. Doch, je näher wir kamen, desto weiter entfernte sich unser Entschluss, dem ehrwürdigen Fräulein von Sailer die Ursache unseres in so stürmischem Schneegestöber und strenger Kälte unternommenen Besuches vorzubringen.

     Doch wir wurden sehr gut aufgenommen, und mit Glücks- und Segenswünschen wieder entlassen. Ganz erschöpft am 30. Dezember abends in Graz wieder angekommen, statteten wir am 1. Jänner 1830 bei meinen Eltern wieder einen Besuch ab, wobei über meine Verehelichung nochmals sehr wichtig und nachdrücklich debattiert wurde. Ich erklärte ihnen, dass sie sich in Anbetracht aller vorzüglichen Eigenschaften dieser Anna keine bessere Schwiegertochter wünschen könnten.

     Durch eifrige Mitwirkung des Anton Hernegger, der den hohen Wert der gemütsreichen Anna erkannte, erhielt ich am 3. Jänner die volle elterliche Einwilligung, wonach wir mit den Beiständen, Anton Hernegger und Valentin Knaupert, am 13. Jänner in den Pfarrhof zu St. Andrä zum Vorsprechen gingen und am 17. Jänner das erste Aufgebot von der Kanzlei erfolgte.     

     Als ich bei den alten Eltern meiner lieben Braut um ihre Hand warb, wollte die gute alte Frau besonders einwenden, dass Anna nicht zur Karlauer Fürstin, wie meine Mutter wegen ihrer ausserordentlichen Korpulenz allgemein hiess, wohl nicht passe. Doch meine unendlich geliebte Anna wusste alle Einwendungen zu entkräften.

     Der Besitzer des Gasthauses zum Apostel-Saal war als gewesener Bindergeselle namens Hollenstein mit mir sehr gut bekannt. Noch ledig seiner Wirtschaft stand die Schwester, verehelichte Painer, vor. Und damit unsere Hochzeit in diesem grossen Saale bei Gelegenheit eines öffentlichen Balles stattfinden könne, wollte ich mit Hollenstein früher akkordieren, aber er versicherte, dass er mich als seinen guten Freund nicht überhalten und recht billig bedienen werde.

     (60)  Sonderbar war es, dass es bei allen in Angelegenheiten unserer Ehe unternommenen Schritte heftig schneite. In der Wohnung des Herrn Knölly war die Zusammenkunft aller Hochzeitsgäste, und zwar 18 grosse Personen und 8 Kinder. Die arme Braut hatte ihren Anzug und Schmuck von der Freundin Kajetan Weisensteiner entliehen, und ich hatte geflickte Stiefel, dann den nämlichen Rock an, in welchem ich Geselle, dann Bürger und Meister wurde.

     Wir waren zufrieden, wenn wir uns nur ehelichen konnten. Meine Eltern hatten zur Bestreitung der Hochzeitstafel Kapauner, Indianer, Kalb- und Schweinefleisch samt Mehl und Schmalz zu Krapfen beigestellt. Sonach hatte der Wirt bloss die Zubereitung und den Wein zu besorgen.



Am 31. Jänner 1830 war nun der glückliche Tag unserer Hochzeit, unserer beiderseitig ersehnten Verbindung. Nachdem von beiden Eltern mit Weihwasser erhaltenen Segen ging der Zug unter eben wieder begonnenem Schneien zur Kirche.

Der früher bezeichnete Garnisonskaplan Kukenschinig hatte seinem Versprechen gemäss die Kopulation vollzogen, und dabei eine durchdringende Rede gehalten, dass kein Auge trocken blieb. Die arme Anna weinte zum Erbarmen, ich aber biss die Zähne fest zusammen, dass mir keine Träne kommen sollte, sodass der Kaplan sogar bemerkte, dass ich ungerührt blieb, und in seiner Rede Anspielung darauf machte.
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2 Kommentare:

  1. Denkt dran, wenn Ihr die Bilder anklickt, werden sie grösser.

    Unterstrichene Wörter anklicken, dann passiert was.

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  2. Da schreibt mir doch meine Tochter Karin:

    "Hallo Pap, der Neuhold-Blog ist wirklich sehr spannend - und doch besser zu lesen, als ich gedacht hatte ... Gruss, die Tochter"

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