Donnerstag, 7. Januar 2010

15. Berufswahl

   Ich wurde von meinen Eltern scharf hergenommen, endlich einmal ein Handwerk zu wählen. Die Mutter drang darauf, ich sollte Fassbinder werden. Und da sie dem Weine mehr zusprach, meinte sie, ein Binder könne noch in alten Tagen ein gutes Gläschen Wein haben. Als ich noch in die Normalschule ging, war mein Weg täglich beim Binder Schwarz vorbei, wo ich ihn sehr oft vor dessen Werkstätte die armen Lehrbuben misshandeln sah. Da dachte ich, sind die Buben wohl so dumm oder boshaft, dass sie müssen geschlagen werden oder sind Meister und Gesellen besonders büffelhaft und tierranisch? Und da graute es mir fast vor dem Binderhandwerke. Ich kannte in der Buchdruckerei Kienreich einen bekannten Lehrjungen, Wilhelm Lakos. Dieser drang in mich, dort einzutreten, da der Lehrjunge schon mit wöchentlich 5 Gulden, natürlich ohne Kost, bezahlt wurde.

     Da die Tante, Mam Theres, oft von einem Herrn Holzapfel erzählte, der als unbedeutender Knabe nachher als Schriftsetzer hohen Verdienst hatte und dann Kaufmann wurde, so wollte ich auch Setzer werden.

      (36)  Ich wurde bei Kienreich einstweilen als sogenannter Laufbursche zur Bedienung sämtlicher Gesellen zum Hin- und Hertragen von Papier und Drucksorten, Manuskripten etc. verwendet. Ich hatte in diesem Fache noch zwei Kollegen und 4 Gulden Wochenlohn. Als der mit mir sehr freundliche Faktor Emler meine aussergewöhnlichen Schulkenntnisse wahrnahm, musste ich mit ihm stets die Bürstenabzüge oder Probedruckbögen colationieren und ihn auf Satzfehler aufmerksam machen. Bei dieser Gelegenheit wurde ich mit den gediegensten Werken berühmter Dichter bekannt. Am Setzkasten waren mehrere Gesellen und ein einziger Lehrjunge, Anton Lischka aus Deutsch-Böhmen, dem ich Sonntags in der Flöte so vieles beibrachte, als ich selbst konnte.

     Nach zehn Wochen sagte der Faktor zu mir: «Nun, Johann, heute werden zwei Druckerjungen freigesprochen und zwei Laufburschen zur Presse als Druckerjungen angestellt. Ein Setzer muss mindestens 4 Schulen studiert haben und 6 Jahre lernen. Da ich aber deine besonderen Fähigkeiten erkannt habe, würde ich gerne vom Mangel der Studien absehen. Bei uns ist aber Gepflogenheit, dass nie mehr als ein Setzerjunge da ist. Lischka hat noch 2 Jahre. Willst Du so lange warten, so ist's mir recht, sonst aber kannst Du heute als Druckerjunge auf 5 Jahre Lehrzeit aufgedingt werden.»

    Nun war mein Entschluss bald gefasst. Drucker werden wollte ich nicht und für einen Setzer war mir die Geschichte zu lange. Ich erhielt nun an einem Samstage der zweiten Augustwoche meine letzten 4 Gulden und nahm freundlich Abschied.


Nun aber – bereits 16 Jahre alt – doch einmal an die Zukunft zu denken und den Wünschen der Eltern, besonders der Mutter, zu entsprechen, stand ich montags darauf beim Bindermeister Rucker nächst dem Gasthause zum Goldenen Ochsen am Gries als Junge ein. Der ältere Sohn des Meisters, Andreas, ein Schulkollege von mir und derzeit schon tüchtiger Geselle und solider Mann, tröstete mich, dass die Binderei leicht zu erlernen wäre. Vormittags zeigten mir die Gesellen, wie ein Reifen anzufassen, einzuschneiden und auf einem Schaff oder Fass haltbar anzubringen sei. Nachmittags konnte ich schon selbst ohne weitere Beihilfe mehrere Fässer reparieren, so dass sich die Gesellen darüber gewundert und gefragt haben, in welcher Werkstätte ich schon gelernt habe.  (37)  Es wären schon viele Lehrjungen dagewesen, die in drei bis vier Wochen das nicht konnten, was ich heute verstehe.

     Ich hatte sehr gute Augen, sie waren aber doch nicht so, wie sie sein sollten; denn wenn ich die Brauen niederzog, sah ich besser. Dieser Umstand gab mir aber einen finsteren Blick, der irrtümlich für Trotz gehalten wurde. Wie sie Gesellen einander fragten, wie gefällt der neue Lehrbub, hörte ich die Äusserung: «Er ist recht handsam, wenn er nur nicht so finster schauen tät».


     Die Kenntnis der Binderei kam mir wirklich kinderleicht vor, ich konnte in einigen Monaten schon alle Gattungen Geschirr verfertigen und machte mitunter an Bierfässern à 2 Eimer bis zu meinem Freiwerden gerade 100 Stück.

     Ich war bei allen Gesellen wohl gelitten; meiner Grösse nach wurde ich von Fremden schon längst für einen Gesellen gehalten. Wenn die Gesellen da und dort etliche Mass Weine oder eine Kanne Bier gratis erhielten, durfte ich nach Feierabend an ihrem Gelage teilnehmen, wobei ich durch Flötenspiel oder Liedervortträge und Deklamationen zur Erheiterung beitrug. Jetzt aber konnte ich erst recht begreifen, warum denn die Lehrbuben von Seite des Meisters und der Gesellen allen Misshandlungen ausgesetzt sind; denn meine ganze Lehrzeit verging, ohne dass ich mir je eine moralische, geschweige erst handgreifliche Zurechtweisung zuzog. Denn wenn man seine Pflichten genau und pünktlich erfüllt und so viel Einsicht hat und weiss, was zu unterlassen ist, sogeht's ja wie am Schnürl.

     Da ich aber zu Hause – grösstenteils mir selbst überlassen – nie recht zur Arbeit und Tätigkeit angehalten wurde, so hatte ich auch meine fisische Kraft nicht so entwickelt, wie ich sie selbst jetzt nötig hatte. Zum Glück war die Kost beim Meister handwerkermässig gut und genügend und an manchem Glas Wein fehlte es nicht.

     In den freien Abendstunden und oft spät in die Nacht hinein schrieb ich ganze Sammlungen von Liedern und Versen.

     Manches in der Wirtschaft des Meisters gefiel mir freilich nicht. Die Häuser Flossmeister Grengg und Ochsenwirt Walter waren sehr gute Kundschaften. Wenn bei jedem der jährliche Binder 800 bis 900 Gulden ausmachte, so erhielt der Meister bei der Verrechnung selten eine bare Vergütung und musste manchmal noch einige Gulden draufzahlen, so viel hatte er samt Frau und Kindern vertrunken. (38) Hätte er nicht sein eigenes Zinshaus gehabt, wäre es schon längst schiefgegangen. Zum eigenen Gebrauche hatte er vier Zimmer, welche neben der Küche sehr viel Brennstoff erforderten. 4 bis 5 Gesellen und 8 Lehrjungen mussten äusserst tätig sein, die nötigen Holzabfälle zu erzielen. Und doch blieb zur Beheizung der Werkstätte nebst Gesellenzimmern nichts übrig. Wollten wir dieselbe im Winter nur halbwegs erwärmen, so mussten unsererseits die Brennstoffe auf unredliche Weise herbeigeschafft werden. Und infolge der irrigen Ansichten der Gesellen zwischen Mein und Dein hatten die Lehrbuben hier die schändliche Gelegenheit, wenn sie nicht feste und ehrliche Grundsätze hatten, Schelme zu werden.
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