Montag, 11. Januar 2010

18. Bei Madam Fels in Wien

(43)  Bei der 2. und 3. Stellung kam ich wieder frei durch, erhielt ein Wanderbuch und fuhr mit allem versehen auf dem Kutschbocke des Landkutschers nach Wien.

     Ich freute mich schon ein wenig, die Welt zu besehen und wollte erst in sechs Jahren wieder heim. Aber es kam anders. Unterwegs sah ich auf Sparsamkeit. Als ich mich jedoch in Neunkirchen abends erkühnte, Suppe, Braten, ein Seitl Bier, eine Semmel und Bett zu begehren, wurden dafür unbarmherzig 3 Gulden 45 Kreuzer verlangt. Vergebens erklärte ich der Wirtin, dass ich bloss allein für mich zehre, dass der Kutscher seinen Teil selbst zahle, dass ich ein armer Handwerksbursche sei und sie sich geirrt haben müsse. Da nahm die Unverschämte die Kreide und rechnete speziell 1 Gulden für den Wein, 1 Gulden fürs Bett, 1 Gulden für die Suppe und für die Semmel 45 Kreuzer. Ich hatte wie gesagt, nicht den Mut, laut dagegen zu protestieren, ich musste zahlen, merkte mir aber dieses Diebesnest.

     In Wien nahm ich mein Absteigquartier in der Stadt, an der Liliengasse, bei der erwähnten Putzmacherin Fels. Deren Verwandte Pepi Schwarzmann, Wagnerstochter von Wienhaus, ein hübsches Wesen mit einem Engelsgesichtchen, freundlichen Augen und lieblichem Benehmen, nahm mir gleich meine Effekten ab und freute sich, dass der Grazer Johann, von dem schon lange die Rede war, einmal da wäre.

     Frau Fels hatte den ganzen vierten Stock mit acht Zimmern inne. Ein alter, pensionierter Herr Panzelt, ein Professor der italienischen Sprache, und ein reicher, junger Schottländer waren ihre Zimmerherren, welche Fortepianos in ihren Wohnung hatten. Im ebenerdigen Putzmacher Gwölbe arbeiteten acht Mädchen, welche, mehrerer Sprachen kundig, mittags nebst obigen Herren mit bei Tische waren. Das gab eine Konversation wie nichts Zweites. Wenn der Professor eine Frage auf italienisch aufstellte, antwortete eines der Mädchen französisch, sprach der Schottländer wie gebrochen Deutsch, so erwiderte ein anderes Mädchen englisch, und so fort.

     Madam Fels, eine sehr achtbare fünfzigjährige Frau, war schon viele Jahre von ihrem Gatten getrennt, lebte mit dem bereits erwähnten Josef Prücker, welcher, ein Schwabe im gleichen Alter, für sich ein grossartiges Greisslergeschäft betrieb und als grosser Spassvogel bei wohlbesetztem Tische immer den Ton angab. (42a) Die armen, liebenswürdigen Mädchen mussten zwar oft über dessen manchmal zweideutigen Vorträge erröten. Zwei- bis dreimal wöchentlich war nach dem Abendessen Unterhaltung; in den Salon wurde ein Piano geschoben, worauf die Herren und die Mädchen abwechselnd spielten. Da wurde oft eine halbe Nacht getanzt. Da ich aber einmal auf dem gewichsten Parkett ausrutschte, da lag und derb ausgelacht wurde, tanzte ich nicht mehr, sondern begleitete die Musik mit der Flöte.

     Ich hatte hier schöne Tage, jedoch auch peinliche Stunden erlebt, indem ich wegen der steirischen Sprache Unbeholfenheit und Schüchternheit von den Mädchen – echte Wiener Naturen – sehr viel zu leiden hatte. Ein fescher Schmetterling hätte hier die beste Gelegenheit gehabt, unter niedlichen Blumen herumzuschwärmen. Jeden Abend musste ich die zwar nicht sehr hübsche, aber zeitweise höchst gebildete und gemütliche, in einer fernen Vorstadt wohnende Fanni Brunner nach Hause begleiten.

     Inzwischen lief ich alle 86 Bindermeister, dann Kaufleute, Zuckerfabriken, Weinhändler und Warmbadeanstalten, wo Binder benötigt werden, ab, um Arbeit zu finden, jedoch vergeblich; und damit die Zeit verging, schleppte ich Schubkarren-Frachten für die Mam Theres und für Herrn Prücker von der Hauptmaut, dann aus dessen Greisslerei Waren zu den Kunden, wobei ich mir manchen Tag einen Gulden verdiente.



     Prücker war auch ein Freund von zweideutigen Bildern, und in müssigen Stunden wurde ich von ihm zur Verfertigung solcher beauftragt. Einst sah er in einer Auslage ein Bild, wie ein Kaminfeger beim Waschtroge stehende Wäschermädl Rauchfangkehrerarbeit verrichteten. Da ihm die unbedeckten Schenkel der über die Leitern steigenden Mädchen und deren Korpulenz so sehr gefiel, so musste ich diese Zeichnung betrachten und aus dem Gedächtnis nachmachen. Und er trieb mit der Kopie bei den Mädchen nach Tisch seine Possen.

     Als Fanni Brunner bei einer Fürstin vom Haus Machard d'Mode eine Stelle erhielt, veranstalteten Prücker und Fels ein grossartiges Valette, wozu ich ein passendes Abschiedsgedicht verfasste, welches mehrfach auf Goldschnittpapier zierlich geschrieben und unter die Gäste verteilt, allseits als gelungen gelobt wurde.

     (43a) Frau Fels hatte noch zwei niedliche Nichten bei sich, davon ich die ältere mit Bleistift acht mal porträtierte. Bei obigem Feste wurden auch diese Zeichnungen verteilt.

     Da gerade Fasching war und jeden Abend bei einem anderen der vielen Gesandten grosser Ball gegeben wurde, versäumte ich ja nicht, mich an den Portalen zu postieren, um die Auffahrt der vielen hohen Herrschaften zu sehen, da ich an dem Anblicke der reich geputzten, eleganten Damen Gefallen fand. So nett und nobel die ganze Einrichtung, Verköstigung und angenehm die Gesellschaft bei Frau Fels war, so schlecht und unbehaglich war meine Liegestatt in der eiskalten Küche. Streckte ich mich aus, reichte die als Hülle vorhandene kleine Federtuchent nur bis zum Knie. Lag ich auf der Seite, waren Knie und Hinterteil unbedeckt und ich musste durch lange, dicke, wollne Strümpfe meine Füsse vor dem Erfrieren zu schützen suchen.

     Zwei Wochen vor Ostern fand ich endlich Arbeit in der Vorstadt Neubau. Der Meister Vinzenz, ein Mährer und Wittwer, hatte ein störriges und brummeliges Wesen, zwei erwachsene, fade Töchter und einen Sohn, der auch als Binder zu Hause arbeitete, dann noch zwei Gesellen, einen Schwaben und einen Böhmen.

     Vier Gehilfen arbeiteten teils in der Stadt im Verkaufsgewölbe oder an den Wasserbottichen auf den Dachböden der Häuser und Kirchen. Wenn ich dann von einem Turmfester aus die massenhaften Frühlingsspaziergänger nach allen Seiten hin erblickte, ergriff mich namenlose Sehnsucht hinaus ins Freie, nachdem durch den ganzen Fasching nasses Schneewetter war und keine weite Partie unternommen werden konnte.

     Am Karsamstag Nachmittag hatte ich frei und ging mit dem Schwaben in zwei Kirchen zur Auferstehung, dann nach Döbling, wo sein Schwager Bieragent war. Und der Schwabe sagte, dass er über Ostern dort bleibe, und ich ging zurück.

     Am Ostersonntage wartete ich in unserem Gesellenzimmer in einem Buch lesend, auf das Mittagsmahl. Es wird 12 Uhr, 1 Uhr, 2 Uhr und mein Magen brummte. In der Küche prasselte und brodelte es gewaltig, aber noch immer keine Anstalt, den Tisch zu decken und zum Speisen zu rufen. Auch konnte ich nicht begreifen, warum keiner von den Gesellen da war. Da stürmte der damische Meister herein, auf was ich warte? Bescheiden erwiderte ich, dass ich zur Teilnahme am Mittagstische bereit sei. (44) Da schrie er, ob mir der Schwabe nichts gesagt habe, dass es an den Festtagen keine Kost gebe, dass er für die zwei Ostertage dem Schwaben für ihn und für mich zwei Gulden (Wiener Währung) verabreicht habe und dass ich nun essen könne, wo ich wollte.
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