Sonntag, 7. Februar 2010

35. Der sanftmütige Gustav wird geboren

     Die Schwester meiner holden Gattin, Therese, verwitwete Plank, hatte unter ihren 9 Kindern ein zweijähriges Mädchen namens Luise. Als ich einst mit eigenem Fuhrwerke wieder in Graz war, nahm ich auf Zureden meiner seelenguten Gattin das Kind mit nach Mureck. Da hatte ich aber eine schwere Aufgabe und fürchterliche Plage, denn das Kind schrie unterwegs entsetzlich und unaufhörlich trotz aller Beschwichtigungsversuche. Wie oft musste ich auf der Strasse anhalten, um den Leuten, die auf das Geschrei des Kindes aus den Häusern stürzten, über die Ursache des Schreiens Rechenschaft geben. Und diese Kalamität dauerte den ganzen 10 Stunden langen Weg und auch noch in Mureck eine Weile fortan. Das Kind sehnte sich zu sehr nach der eigenen Mutter.

     Kaufmann Kolletnigg hatte eine Stunde von Mureck in der Gemeinde Drasendorf einen grossen Weingarten mit einem hübschen Herrenhause. Von seinen Söhnen August und Johann wurde ich nebst vielen anderen zur Weinlese eingeladen. Da zog an einem lieblichsten, warmen Herbsttage eine tüchtige, humorvolle Karwane über die Berge dahin, wo wir abends und nachts darauf köstliche Unterhaltung fanden. Die ganze Zeit war der Tisch mit delikatesten Schmausereien bedeckt und jeder langte nach Herzenslust zu.

(88)  Am anderen Ende des geräumigen Saales war an der Mauer eine Marmortafel, worin mit Goldschrift in Versen die Aufforderung zur Heiterkeit und Lebenslust enthalten war. Anfangs der Berge und über dieselben waren Böller aufgestellt, um den Weg des ebenfalls eingeladenen Herrn Pfarrers Johann Konrad zu verherrlichen. So oft er eine Krümmung des Weges betrat und von nächster Bölleraufsicht bemerkt wurde, krachte ein Schuss. So ging es fort bis zum Herrenhause, wo der Pfarrer, einer der besten und menschenfreundlichsten und leutseligsten Geistlichen, die ich je kannte, mit ungeheuchelter Ehrfurcht bewillkommt wurde.

     Im Keller waren 14 Körbe voll auserlesener Trauben, woraus wenigstens 5 Eimer Wein erzeugt werden konnten. Aber alle diese Trauben wurden bei Tische als Leckerbissen verschnabuliert. Die nächste juxvolle Fahrt und Unterhaltung war im Weingarten des Lederermeisters Steurer in Unterwölbling. Neben unserem Hause war auf Gemeindegrund ein kleiner Hügel, von wo aus man eine Rundschau auf die nächsten Dörfer und Berge hatte. Von diesem Hügel wurden daher im heissen Jahre 1834 sehr viele Feuersbrünste wahrgenommen.

     Als wir am 24. Juni, an meinem Namenstage, etwas länger als sonst bei Tische sassen, sah ich vor dem Hause viele Leute auf den Hügel steigen, um das drei Stunden weit entfernte und über Jagerberg tobende Gewitter zu beobachten. Ich selbst sah dann aus einer schwarzen Wolke einen Blitz horizontal über die Ratschdorfer Haide fahren, welcher dem dortigen Haarhause und mitten im Dorf zündete. Ich nebst viele vom Markt eilten zu Hilfe. Die meisten der Dorfbewohner waren aber im nächsten Dorfe Schildhof bei einer Hochzeit und mussten nun in Sonntagskleidern nach Hause eilen und zu retten versuchen, was nur möglich war. Wären die Murecker bei diesem Brande nicht tätig gewesen, so hätte das Feuer auch eine andere Reihe Besitzungen ergriffen. Auf einer Seite der Dorfstrasse gingen 5 Häuser nebst vielem Mobiliar zu Grunde.

     Am 9. Juli 1835 wurde meine innigst geliebte Gattin von einem Knaben entbunden. Da wir die schönen Gedichte des Cillier Professors Gustav Rudolf Puff gerne gelsen hatten, liessen wir unseren Knaben Gustav nennen und taufen. Da ich und meine engelsgute Gattin stets in liebevoller Eintracht lebten und keinen häuslichen Zwist aufkommen liessen, so wollte die böse Welt behaupten, wir wären gar nicht verheiratet; denn  (89)  nach Begriffen der Ungebildeten sollte bei Eheleuten immer ein kleines Donnerwetter stattfinden.

     Bei der Taufe des Knaben drang nun der Herr Pfarrer mit vielen Entschuldigungen auf Vorweisung unseres Trauscheines. Erst als wir diesen in Graz beschafften, wurde Gustav als ehelich geboren ins Taufbuch eingetragen. Das arme Kind wurde aber durch beinahe vier Jahre von Fraisen geplagt, und die Ärzte wollten behaupten, dass der Schrecken meiner Frau über die vielen Feuer im Jahre 1834 eine Einwirkung auf das Kind gehabt habe. Erst nach vier Jahren fing der Knabe zu sprechen an und hatte bei seelenhaften Augen ein sanftes Wesen.

     Nachdem ich mit allen möglichen Arbeiten befasst war, kam auch ein Nachbar mit der Bitte, seine störrische Schwarzwälder Uhr zu korrigieren. Eine Frau bat mich, ihr Spinnrad herzurichten. Sogar ein Strumpfwirkerstuhl war zu zerlegen und innerlich mehrere schadhafte Maschinenteile durch neue zu ersetzen.

     Der Bäcker Hornig hatte manchmals eine neue Ofenschüssel von Nöten und kam zu mir. Zum Haareschneiden hatte ich viele Kunden, zum Rasieren jedoch nur einen Herren. Für Briefeschreiben verdiente ich auch manches. Mit meinem Pferd und Steirer Wagen hatte ich öfters Fiakergeschäfte nach allen Gegenden.

     An einem Sonntage nachmittags musste ich die robuste Wirtstochter Maria Haas zu ihrer in Leibnitz mit einem Wagnermeister verehelichten Schwester führen, deren Mann wegen Brandlegung im Arreste war.

     Als es bereits gegen Abend ging, drang ich darauf, dass wir bald zurückkehrten. Ich kannte diese Maria noch nicht und wusste auch nichts von ihren extremen Eigenschaften. Erst als es schon Nacht war, fand sie sich zur Rückkehr bereit und obwohl wir in Leibnitz auf ihre Kosten gezecht hatten und der Weg nach Mureck zu Fuss nur dreieinhalb Stunden lang war, liess sie noch bei mehreren Gasthäusern anhalten und guten Wein herbringen.

     Sie litt es nicht, dass ich am Kutschbocke Platz nahm. Ich musste mich zu ihr setzen. Da klopfte sie mir mit der flachen Hand auf den Schenkel mit den Worten: «Ja, lieber Herr, so geht's!» Nun erst erkannte ich ihre Leidenschaft und Absicht, mich zur Verletzung meiner ehelichen Treue zu verleiten, was ihr jedoch misslang. Als wir bei unserem Elternhause anlangten, zahlte sie mir den Fuhrlohn und benahm sich dabei ganz schroff, im Gegensatz zu ihrer vorher gegen mich verschwendeten Zärtlichkeiten. Ihr erster Ehemann, ein  (90)  Mühlengehilfe, so wie der zweite Gatte, ein Postknecht, waren junge und starke Männer und wurden durch ihre überaus heftige, leidenschaftliche Begehrlichkeit frühzeitig zugrunde gerichtet.

     Ihr dritter Gatte, ein Fleischer und kurzer, untersetzter, stämmiger Mann namens Sinitsch, sah anfangs auch blass aus, überlebte sie aber doch.
.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen