Sonntag, 14. Februar 2010

37. Ein neuer Lebensabschnitt

     Nun kam für mich ein neuer Lebensabschnitt. Beim Magistrate in Mureck war Syndikus Paul Leschanz Amtsvorstand, welcher nebenbei die Justitiär-Advokatengeschäfte betrieb und hierzu einen Schreiber namens Baschker für den ganzen Tag bei sich hatte.

Herr Benedikter war Kanzlist und Grundbuchführer, hatte acht Kinder und betrieb auch im Schreiben Winkel-Geschäfte. Als Baschker erkrankte, dachte Herr Leschanz zufällig an mich, dass ich einige Tage die Stelle des Schreibers vertrete, bis dieser gesund würde. Ich sagte zu, jedoch mit dem Vorbehalte, dass ich im Falle eines vorkommenden Fiakergeschäftes nicht aufgehalten sein dürfte.  (92)  Zum Glück hatte ich trotz vieler schwerer Arbeit zum Schreiben eine flinke Hand und schrieb tüchtig drauf los.

     Nun kam richtig eine Fuhre nach Graz, und Baschker war inzwischen gestorben. Leschanz machte mir nun den Antrag, dass ich ganz bei ihm bleiben sollte. Da ich in einem halben Tag so viel schreibe wie Roscher in acht Stunden, so dürfte ich täglich nur von 8 bis 12 vormittags da sein, wofür ich per Monat 8 Gulden erhielt. Ehe ich noch ein Wort darauf sagen konnte, sprach der Grundbuchführer: «Ei, da können Sie zufieden sein!» Ich nahm also die Stelle an, denn 8 Gulden oder 4 Kreuzer pro Stunde war damals am Lande schon viel.

     Aber von allen Seiten kam mir die Frage, was mir denn eingefallen wäre, zu diesem Sozius zu gehen, er habe den vorigen Schreiber gar oft die Schriften zum Kopfe geworfen. Aber im Bewusstsein meiner Schnellschrift, Geduld und Pünktlichkeit wusste ich jeden Konflikt zu vermeiden. Leschanz hatte freilich ein sehr schroffes Benehmen und wurde deswegen mehrererseits angefeindet. Damals wurden beim Diktieren von Prozessschriften häufig lateinische Seiten eingeflochten. Da ich sehr orthographisch geschult war, kamen auch die lateinischen Brocken fehlerfrei zu Papier. Herr Leschanz wunderte sich mehrmals darüber und frug mich zweimal, ob ich studiert hätte, denn wenn Studenten in den Ferien nach Mureck kamen und bei ihm Schreibergeschäfte hatten, zeigten sie nicht so viel Kenntnis wie ich, da ich doch in der Normalschule zu Graz nur bis zur 4. Klasse kam. Nun kam es mir vor, dass ich erst den geeigneten Erwerbszweig gefunden hätte. Herr Leschanz war in der Pfarre Ortsbeichter, und wenn über einen verstorbenen Untertan im Pfarrhofe die Verlassabhandlung – wobei ich aktuierte – gepflogen und beendet wurde, gab Herr Pfarrer grosse Tafel und ich erhielt von ihm fürs Aktuieren jedesmal 4 Silberzwanzger.

     Grundbuchführer Benedikter befasste sich nebenbei mit Kaufverträgen, Schuldbriefen, Quittungen etc. und gab mir davon sehr viel zu schreiben nach Haus, wobei ich viele Kenntnisse im Kanzleigeschäfte erwarb. Inzwischen übersiedelte der vom Markte St. Florian vertriebene Syndikus Tauscher nach Mureck und machte hier einen Advokaten, bei welchem ich durch vier Monate 4 Silberzwanzger für Schreiben über Nacht verdiente.

     Als Tauscher hier keine Geschäfte mehr hatte, wanderte er nach Radkersburg, dann nach Graz, wo nach seinem Tode dessen Wittwe sich als Unterhändlerin/Märklerin bei Realitäten und Verkäufen befasste.

     (93)  Bei dem Mangel an Taglöhnern stand ich früh um 3 auf, besorgte bei dem beinahe eine halbe Stunde entfernten Acker das Behauen und Anhäufeln des Kukuruz und der Kartoffeln. Um 7 Uhr ging ich nach Hause und nach dem Frühstück in die Kanzlei. Bis 4 Uhr nachmittags arbeitete ich an der Hobelbank, dann bis 9 Uhr wurde auf den Äckern gearbeitet, und die gute liebe Frau besorgte die Gastwirtschaft.

     In den Jahren 1835 und 1836 war in den Weingärten in bezug auf Qualität wieder grosser Segen. Da jedoch zur Lesezeit 1835 grosse Kälte eintrat, mussten die gefrorenen Trauben in der Presse, in welcher da und dort sogar mit tragbaren Öfen geheizt wurde, gestossen werden. Der aus gefrorenen Trauben erzeugte Wein kam aber erst zu Pfingsten zur Gährung, wurde dann sehr gut aufgekauft und unter den 1834er gemischt, sodass nach Pfingsten nirgends mehr ein Wein von 1835 anzutreffen war.

     Die in Mureck und Umgebung einquartieren E. H. Joseph-Husaren, meistens vollblut-Magyaren, waren furchtbare Kerle. Sie raubten und stahlen, und Raufen war eine Haptpassion. Sie waren wohl eine sehr grosse Last, und wenn sie mit 25 Stockprügeln beteilt wurden, hoben sie die Bank auf und riefen: «Einen halben Seitl Branntwein und nocheinmal 25!»

     Die Schuster, Schneider, Sattler, Schmiede, Tabakmacher etc. unter den Husaren waren lauter Siebenbürger. Sie zechten bei uns und bezahlten alle Geldtage. Als sie aber nach 3 Geldfassungen nicht mehr kamen, ersuchte ich den Korporal Orete, mir zu meinem Guthaben zu verhelfen. Nach einiger Zeit sagte er, ich solle zum Leutnant nach Ratschendorf kommen, denn dieser würde mir meine 18 Gulden, die er nach und nach der Mannschaft abgezogen, auszahlen. Aber – wie fast jeder Ungar – von Mein und Dein sonderbare Begriffe habend, drohte der Schmutzian von einem Leutnant, mir 25 Stockhiebe geben zu lassen wie der schuldengemachten Mannschaft, wenn ich mich nicht sogleich entferne. Meine 18 Gulden waren somit beim Teufel so wie die Schuld des Korporalen Orete zu 4 Gulden.

     Als meine fleissige Gattin noch ledig war, wurde sie in Graz mit der hübschen Apotherkerfrau Fehr bekannt. Als sehr vermögliche Wittwe heiratete diese den Bräumeister Kröl zu Wildon, wurde aber wegen ihres leichtfertigen Lebens geschieden, lebte dann in Graz mit einem Offizier und hatte von diesem 3 Kinder. Dann, von allen verlassen, musste sie dienen und kam nach Mureck zum Syndikus Leschanz als Kindsfrau. Von dort entlassen ersuchte sie meine herzensgute Frau als alte Bekannte um einige Tage Aufenthalt bei uns bis sie wieder einen passenden Dienstort fände.

     (94) Da wir in unserer Gastwirtschaft wirklich jemanden benötigten, um ungehindert auch den Geflügelhandel besorgen zu können, behielten wir diese sehr sittsame, so tuende Person bei uns, und ihr Benehmen zeigte sich als sehr verlässlich. Sie war nun 48 Jahre alt und hatte im Ganzen schon selbst 12 Kinder gehabt. Dennoch war ihre vorherige Leidenschaft nicht vorüber, denn nachträglich hatten wir erfahren und selbst wahrgenommen, wie freundschaftlich sie mit den Husaren verkehrte und sich mit ihnen in unlautere Verhältnisse einliess. Ich hatte diese Ehrvergessene entlassen. Sie kam dann nach Graz zu einem Selcher, bei dem sie bedeutende Diebstähle an Speck und Schinken verübte. Als dann mit ihr bekannte Husaren um Remonte  zu fangen nach Graz kamen, zog sie mit diesen nach Essek in Slowenien.

     Nachdem die Bäcker in Mureck sehr schwarzes und schmackhaftes Brot zum Verkaufe hatten, habe ich bei jeder Rückfahrt nach Graz dort um 20 Gulden schönes, gutes Brot mitgenommen, unterwegs verkauft und dabei jedesmal den eigenen Bedarf einer ganzen Woche gewonnen.

     Herr Bindermeister Götze kam einst mit gebratenen Kastanien für die Kinder. Als auch die liebe gute Gattin mitass, spürte sie gleich heftige Schmerzen im Unterleib und schob das Bauchgrimmen auf die Kastanien. Aber nötig war, sogleich die Hebamme zu holen. So bekamen wir nachts ein sehr liebes, fettes Mädchen, welches in der Taufe den Namen Rosina Aurelia erhielt. Dieses Kind entwickelte sich sehr schnell, und ihr Gesichtchen und dann ihre wundervollen gekräuselten Haare konnten den schönsten Engelskopf vorstellen. Sie war mir besonders zugetan, und ich hatte sie, so wie den talentvollen Gustav, so oft ich konnte. Dieser sanfte Knabe hatte besonders schmachtende Augen und eine grosse Vorliebe für Bilder, zeichnete – 5 Jahre alt – viele Bögen voll Figuren und wusste den Unterschied zwischen Mann und Weib darzustellen an der Kleidung. Auch hatte er eine besondere Lernbegierde.
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