Freitag, 26. Februar 2010

44. Meine Anna - eine Heilige

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     Nach einiger Zeit kam die Ruhr epidemisch über Dreifaltigkeit. In kurzer Zeit starben an der Krankheit 40 Kinder. Unser Knabe Gustav, der infolge der Fraisen erst im sechsten Jahre die volle Sprache erlangte, und mir besonders ans Herz gewachsen war, wurde von uns besonders gehütet und kam mit Ruhrkranken in gar keinen Verkehr. Trotzdem musste er alle Leiden dieser bösen Krankheit durchmachen. Neun Tage und Nächte lang nahm er keine Nahrung zu sich, ausser etwas Medizin. Infolge seiner äusserst sanften und gutmütigen Wesensart war er zu gut für diese Welt, und der Todesengel nahm ihn mit sich in das unbekannte Jenseits.

     (107)  Meine überaus liebevolle Gattin, die vor einem Dreivierteljahr ein dickes Kind, Thekla, zur Welt brachte und wegen ihrer festen Nerven selten weinen konnte, hatte viele Mühe, mich über den Verlust des herzigen und talentvollen Bürschchens zu trösten. Mein Schmerz war so überwältigend, dass ich sechs Wochen lang am heftigen Nervenfieber zwischen Leben und Tod darniederlag. Der mich behandelnde Chirurg Ableiter machte meiner gefühlvollen und als Krankenwärterin unermüdlichen Frau den Vorschlag, für mich den Kreisfisikus von Marburg (Maribor in Slowenien) holen zu lassen. Dieser behandelte auch den benachbarten und gleichfalls wegen seines an der Ruhr verstorbenen Sohnes am Nervenfieber leidenden und mit mir im gleichen Alter befindlichen Gastwirt Pollanetz, welcher aber, ohne gesund zu werden, starb.

     Meine liebe, sorgfältige Gattin verliess sich auf die ärztlichen Kentnisse des Chirurgen Ableiter; der bot alles auf, um mich zu retten. Hier zeigte sich meine heldenmütige Gattin, was ein wirklich liebendes, treues Herz vermag: Tag und Nacht wich sie nicht von meinem Bette. Ihrer grenzenlosen Liebe, Geduld und Aufopferung, der sorgfältigen Pflege und emsigen Wartung verdanke ich nächst der unendlichen Barmherzigkeit Gottes und der Geschicklichkeit des Arztes mein Leben und die Wiedergenesung. Unsere ersparten 34 Silberthaler wurden aufgebraucht. Zum Glück war der Herr Zirngast so freundlich, mein Gehalt ununterbrochen auszuzahlen, und meine Gattin in allem zu unterstützen.

     Für die himmlischen, mir unvergesslichen Tugenden meiner treuen, unverdrossenen, Tugenden beweisenden Krankenwärterin nahm ich mir fest vor, sie zeitlebens als eine Heilige zu verehren. Die Unterlassung dieser Verehrung wollte ich als Todsünde betrachten. Weil ich indessen in Geschäftsreisen oft sehr lange abwesend war, hatte sie inbrünstig zu Gott gebetet, dass er mich vor allen Gefahren bewahre und glücklich wieder heimhelfe.

     Später übersiedelten wir in die Mitte des Ortes in den ersten Stock des Hauses des Oberrichters und Bruders des Schulmeisters. Im geräumigen Vorhause hatten wir einst 23 Wallfahrer, lauter Bekannte, von Mureck untergebracht. Herr Zürngast hatte zu jeder Marktzeit 8 Stück Rindvieh und 30 Kälber geschlachtet. Sein Bruder Jakob war auch Fleischer und Hausbesitzer am Orte. Meine emsige Frau war bei einer solchen Gelegenheit immer in der Küche der Frau  Zürngast, geborene Reissmann, äusserst beschäftigt. Ich musste meine Reisen so einteilen, dass ich zu Beginn der Marktzeit hier eintreffen konnte, weil ich da den Zahlkellner machte.

     (108)  Wenn Gastwirt Bauer von Murau hier ankam, kaufte er gewöhnlich alle in den sieben Kellern des Mathias Zürngast befindlichen Weine und zahlte immer gleich bar aus. Die Weine wurden sogleich durch windische Fuhrleute sieben Stunden weit per Startin oder 10 Eimer zu 1 Gulden nach Strass geführt, von wo die dort eingekehrten obersteirischen Salzfuhrleute die Weine fortexpidierten: Damals bestand ja noch keine Eisenbahn.

     Als am Pettauer Felde wieder grosse Manöver waren, machte ich mit meiner guten Frau nebst noch zehn Personen auf einem Fuhrwagen um ein Uhr nachts die Fahrt nach Pettau. Meine brave Gattin blieb bei der ausgezeichneten Frau Meister und wir anderen liefen den ganzen Tag den Manöverierenden nach.


     Über Turnisch (heute: Turnisce) und St. Veit zog der Feind. Es war romantisch zu sehen, wie 6000 Soldaten mit Pferden und Kanonen über die durch Pioniere von 10 Uhr vormittags bis halbein Uhr mittags fertiggebrachte Pontonbrücke über die Drau marschierten und am linken Drau-Ufer mit Kanonen empfangen wurden. Der Kampf zog sich weit über Dornau bis abends; nahe Pettau wurde bivakiert. Bei Anbruch der Nacht fuhren alle wieder nach Hause.

     Neben unserer Wohnung war das Haus des Kaufmanns Spitzi, der von sehr dunkler Gesichtsfarbe war. Wenn dessen ebenfalls brauner aber auch recht intelligenter Knabe in die Schule ging, und meine liebe, gute Frau ihn sah, hatte sie immer den Wunsch nach einem solchen Knaben.

Einst kam ich bei St. Anton mit unserem Chirurg Ableiter zusammen. Als der dortige Kaplan sich zu uns gesellte, trieb eben ein armer Keuschler seine Gänse von der Weide. «Verkaufe mir eine Gans! Was kostet sie?» frug der Geistliche den Landmann und auf Bekanntgabe des Preises 30 Kreuzer conv. Münze sagte der Kaplan: «Du kannst sie mir wohl um 1 Gulden geben. Bring sie mir morgen und ich lese Dir dafür eine Messe!» Was konnte der arme Keuschler, der sich keinen feinen Schmaus vergönnen konnte, machen? Und der nach Gänsebraten Lüsterne sagte zu uns: «Was kann man denn billiger haben als eine Gans um 1 Gulden?» Uns aber drang sich die Überzeugung auf, dass ihm der Braten gar nichts kostet und der Kaplan das 10. Gebot nicht sehr genau nahm.
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