Sonntag, 28. Februar 2010

46. Lauter Gschichten - Meine Familie - Meine Hand

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     An der linken Seite unserer Wohnung stand das Kaufmannshaus Janschitz. Er war noch unverehelicht aber ein Wüstling, mit dem sich die hübsche Fleischersgattin Lederer gerne abgab. Wenn er zu meiner treuen Gattin auf Besuch kam, wusste sie ihn immer in Schranken der Ehrbarkeit zu halten, dass ja kein zweideutiges Wort über seine Lippen kam.

     (111)  Seine von Blattern etwas entstellte Schwester Margarethe fungierte im Gewölbe als Komie und verfertigte viele Verkaufsartikel: Hafteln, Mausefallen, Blasbälge, Halsbinden, Chemisetten, Decken, Hosenträger, Batschen etc. und war sonst ein sehr solides, gutmütiges Geschöpf.

     Der Herr Pfarrer hatte in seinem Keller mehr als 100 Startin Eigenbau-Weine und verkündete zur Lesezeit von der Kanzel herab, dass er diese Woche den ihm gebührenden Zehnten erheben werde. 

     Der Kaplan aber, ein riesengrosser, jovialer Mann, der für sich nur 2 Halbstartin vorrätig hatte, machte von der Kanzel herab bekannt, dass er in Anbetracht der heutigen schlechten Weinernte, diesmal den Zehntenpflichtigen die ihm zukommende Abgabe schenke, da er mit seinem Vorrate schon auskommen werde.

     Zu den Pachtungen gehörte auch Mureck. Da ich beim Schulmeister Nedwed, der nebst einem Kaffeehaus eine bedeutende Gastwirtschaft betrieb, auch zu revidieren hatte, und durch 3 Jahre sehr oft dahin kam, so erhielt ich von der Frau Nedwed infolge ihres gemachten Versprechens im Ganzen gerade 100 Schalen Kaffee.

     Im Markte Strass erzählte mir die Fleischerswittwe Feiertag, Tochter des Wirtes Frankl vulgo Retzek in Abstall, dass sie schon 16 Wochen Braut sei und endlich ihre zweite Heirath mit ihrem Geschäftsführer doch zustande kommen werde. Dieser neue Bräutigam war nämlich früher in seinem Heimatorte Kirchbach als Fleischer bedienstet und hatte daselbst eine hübsche Bauerntochter frequentiert, in welche auch der dortige Kaplan verliebt war. Aus Rache gegen den Nebenbuhler wusste der Kaplan es so einzurichten, dass in der Pfarre St. Veit die Kopulation mit der Wittwe in Strass erst dann bewilligt werde, wenn der Bräutigam den ganzen Katechismus auswendig könne, wozu der arme Bräutigam wirklich sechzehn Wochen brauchte.
    
     Unser jüngstes Kind Thekla – sonst gesund und stark – erkrankte an der gefährlichen Halsbräune. Da der Arzt sein eigenes an der gleichen Krankheit leidendes Kind nicht retten konnte, war auch unsere Thekla nebst vielen anderen Kleinen unrettbar verloren.

     Unsere Tochter Marie und die Luise Plank mussten nach dem Beispiel meiner unvergleichlichen und braven Gattin und vortrefflichen Mutter fleissig spinnen, wobei der alte Hutmachermeister mit Erzählung von Märchen, Räuber- und Geistergeschichten abends bis spät in die Nacht hinein Gesellschaft leistete. In unserem Hause in Mureck war auf kurze Zeit zu unserem Gebrauche ein Dachzimmer reserviert.

     (112)  Als einst meine gute Frau auf einige Tage nach Mureck ging, wurde sie dort von Geburtswehen überrascht. Im kleinen Dachzimmer-Stübchen kam am 4. April 1842 ein Knabe zur Welt, welcher Eduard getauft wurde.

     Keines von unseren Kindern machte aber gleich nach der Geburt so frische, schelmische Augen, wie dieser letzte Knabe. Er war lang und mager, von brauner Gesichts- und Leibesfarbe, so wie der erwähnte Spitz'sche Sprössling. Alle unsere früheren Kinder waren nämlich dick und fett, als sie das Licht der Welt erblickten. Die Arztensgattin Therese Ableitner hatte statt ihrem Mann bei der Taufe als Patin zu erscheinen. Sie hat zuerst zu-, dann wieder abgesagt, und dafür die 50jährige, ledige Weingartenbesitzerin Julie Deanino gesendet. Der Herr Pfarrer hatte versprochen, die Taufe selbst vorzunehmen, übertrug das Geschäft jedoch dem Kaplan. Als aber die bestimmte Stunde der Taufhandlung da war, kamen hiezu beide Patinen und beide Herren Geistliche. Die gemütsreiche Mutter meinte, dass dieser Umstand für den ersehnten Knaben von Bedeutung sei, für dessen künftiges Geschick.

     An einem Sonntagabend war beim Wirt Kotzbeck in Dreifaltigkeit Gesellschaftsball, wozu ich und Zürngast eingeladen waren. Ich tanzte bis Mitternacht sehr viel. Um drei Uhr früh sind wir beide fort nach Gonobitz und waren auf der Rückfahrt in Marburg über Nacht. Da träumte mir, dass der Kellner an der offenen Schlafzimmertüre rief: «Herr Neuhold, Ihre Frau von Graz ist da ...!» Und wirklich sah ich sie im Vorsaale stehen, worauf ich erwachte.

     Als ich meine liebe Gattin besuchen wollte, hiess es, sie wäre nach Graz zur Leiche meiner Mutter. Ich erschrak sehr darüber und wusste nicht, dass die Mutter krank gewesen war.

     Meine Schwester Aloisia war nie recht gut gegen mich, und da ich seit einem Monat nicht mehr in Graz war, wusste ich nichts von der Krankheit der Mutter. Nachträglich stellte sich heraus, dass ich an ihrer Sterbestunde und eben beim Kotzbeck am heftigsten tanzte, was mich lange Zeit wurmte.

Nachdem die zeitweisen Schmerzen in meiner Hand nicht aufhörten, hatte mir der vulgo Retzek in Abstall geraten, von der heissen Schwefelquelle in Töplitz bei Warasdin Gebrauch zu machen; wenn die nicht helfe, so sei alles vergebens. Nachdem ich zwölf Tage Urlaub erhielt, reisten ich und meine liebe Gattin nach Pettau zu ihren Verwandten, Herrn Johann Murister, dessen eine Tochter den Tischlermeister Goger in Warasdin zum Gatten hatte. (113)  Meister und Sohn fuhren mit uns dahin, und anderen Tages erreichten wir in zwei Stunden zu Fuss den Badeort. Wir fanden bei einem aus Bruck gebürtigen ledigen Tischlermeister billige Unterkunft, und die Wirtschafterin besorgte unsere Mahlzeiten.

     Durch zehn Tage hatte ich um fünf Uhr früh das heisse Bad benützt, trank hernach am Brunnen das heisse Schwefelwasser, worauf ich dann in einem Lokale die schmerzhafte Hand in ein Fass mit siedendheissem Schlamm vergraben hatte. Ich spürte jedoch keine Linderung. In einer besonderen Badekammer wurden an meiner Hand bis über die Schultern Schröpfköpfe angesetzt. Jeder erzeugte Blutung, nur am schmerzlichsten Punkte kam kein Tropfen.

     Nach meinen Dienstreisen kam ich oftmals, besonders nach Schneegestöber, im kranken Zustande nach Hause. Da ich dann einige Tage zur Erholung brauchte und Gleichenberger Wasser mit Geissmilch trinken musste, so riet mir der Arzt, so wie meine liebe, um mich besorgte Gattin, das so beschwerliche Geschäft aufzugeben. Da gleichzeitig in uns eine unbegreifliche Sehnsucht nach unserem Standort Graz auftauchte, gab ich Ende Dezember 1844 nach 5 Jahren und 2 Monaten den Dienst auf, bei welchem ich nicht nur nichts in Ersparung bringen konnte, sondern uns auch noch die jährlichen Zinsen von 100 Gulden vom Murecker Haus einbrockte.

     Herr Zürngast wollte mich freilich nicht mehr weglassen, denn er hatte wirklich keinen so gewissenhaften Mann, auf den er sich in allem so verlassen konnte, wie auf mich. Ich hatte die feste Überzeugung, dass er bei seinen 13 Realitäten nie in Krebsgang kommen könne, wenn alle seine Geschäfte so in der Art weitergeführt würden, wie ich sie verwaltet habe.

Bei der von mir erkauften grossen Wein-Realität nächst Gams bei Marburg befand sich ein ausreichender Lehmgrund und da eben der Eisenbahnbau über Marburg projektiert wurde, liess Zürngast sogleich eine Million Ziegel erzeugen, in der Hoffnung, dieselben an die Südbahn vorteilhaft zu verwerten. Aber andere Spekulanten kamen ihm zuvor. Da er keine Ziegel abbrachte, baute er in Marburg ein drei Stock hohes Haus, 20 Klafter lang und 9 Klafter breit.

     Ich war stets bemüht, die monatlichen Pachtraten an das Ärar abzuführen, jetzt aber verwendete Zürngast alle Gelder zum Hausbau und blieb den Pachtschilling schuldig. Mein Nachfolger war auch nicht so umsichtig, und so wurden vom Ärar, das keinen Spass versteht, sogleich 8 Pachtbezirke auf Kosten des Pächters sequistriert und alle seine Realitäten wegen 18000 Gulden Pachtrückstand und 5000 Gulden Unkosten exekutiv verkauft.

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 Frage von Eberhard - 1. März 2010:

     Was in aller Welt ist ein "Komie"? (zweiter Absatz).

Und prompt krieg ich wieder eine Antwort von Brigitte in München.
(Danke, Brigitte) - Sie schreibt:

     "Ich nehme an, daß der Herr Neuhold "Kommie" 
     als die weibliche Form von "Kommis", auch Commis, gemeint hat.

     Das war ein Handelsgehilfe, Kontorist und dergl. Commis kommt in
     Nestroy-Stücken oft vor, im Gegensatz zum Prinzipal. ... "

Bitte beachtet, dass ich im zweiten Absatz oben, den Link nachgetragen habe.
E.W.
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